Gewissenlose Manager stürzten das Mutterland des modernen Kapitalismus in seine schlimmste Krise, immer neue Skandale erschüttern das Vertrauen der Anleger. SPIEGEL ONLINE stellt in einer Flash-Galerie die schlimmsten Schurken vor, sagt Ihnen, wie sie sich schamlos bereicherten, und zeigt auf, was noch auf Angestellte und Anleger zukommen könnte.
Kaum mehr als zwei Jahre ist es her, da waren die Herren die Stars der westlichen Hemisphäre, bejubelt von ihren Angestellten, verehrt von einer Heerschar folgsamer Aktionäre. Sie trieben die Aktienkurse ihrer Unternehmen in schwindelnde Höhen und machten Tausende zu Millionären - zumindest vorübergehend. Dass sie dabei selber Millionengagen einstrichen, in glitzernden Privatjets umherflogen und dem Luxus verfielen, darüber sahen viele hinweg, solange die Zahlen stimmten.
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Vorbei, vorbei: Die Stars des Booms sind die Schurken von heute und wie aus einem fauligen Sumpf steigen fast täglich neue Blasen an die Oberfläche, voller übelriechender Skandale. In Folge der finsteren Enthüllungen wurden Milliarden Dollar Aktienvermögen vernichtet, das westliche Wirtschaftssystem ist in eine Krise von historischen Ausmaßen gestürzt.
Seit Juni 1999, als der Dow-Jones-Index seinen Zenit von 10.970 erreichte, sacken die Kurse an der Wall Street nach unten, unaufhaltsam, scheinbar ohne Boden. Das wichtigste Börsenbarometer der Welt, könnte in diesem Jahr einen neuen traurigen Rekord aufzeichnen. Wenn die US-Börsen das laufende Jahr mit einem Minus beendeten, wäre der Markt drei Jahre in Folge gefallen - das erste Mal seit dem Zweiten Weltkrieg.
Eine baldige Wende ist nicht in Sicht. Die Welle von Skandalen, die die Herzkammer des amerikanischen Kapitalismus seit Ende vergangenen Jahres erschüttert, hat Ausmaße erreicht, die die Verfehlungen der achtziger Jahre wie harmlose Gaunereien wirken lassen.
Noch immer scheinen sich die Konzernherren ihrer Verfehlungen nicht bewusst zu sein. Manager und Bankiers versuchen zu verschleiern, wo es aufzudecken gilt. Noch in den vergangenen Wochen machten Investmentbanker bei Washingtons Politikern die Runde, um eine drohende Verschärfung der Gesetze abzuschwächen. "Amerikas Unternehmensführer scheinen auf schockierende Weise den Blick für die Realitäten verloren zu haben", schreibt selbst das US-Wirtschaftsblatt Business Week.
Wie Raubritter hatten sich gewissenlose Manager und ihre Helfer des modernen Aktionärskapitalismus bemächtigt, die wichtigsten Institutionen der Finanzwelt unter ihre Kontrolle gebracht. Sie schneiderten nach Gutdünken die Bilanzen einstiger Top-Unternehmen wie Enron, Tyco oder Global Crossing zurecht. Sie hatten als Verbündete die Aktienanalysten gewonnen, die alle möglichen Interessen vertraten - nur nicht die der Investoren. Banker und Vorstände kassierten auf unappetitliche Art und Weise bei nahezu jeder Aktien-Neuemission (IPO) mit.
Das blinde Vertrauen der Anleger in die selig machende Geldmaschine Wall Street ist einem bitteren Zynismus gewichen: Der beliebte Comic-Strip "Dilbert" stellt Investmentbanker als Ratten in Maßanzügen dar; erfolgreiche Vorstandschefs stehen mittlerweile grundsätzlich im Verdacht, die Gewinne aufgeblasen und ihre Taschen mit Aktienoptionen gefüllt zu haben.
Wenn die Skandale nur einige Unternehmen und die eine oder andere Investmentbank in Schieflage gebracht hätten, wäre der Schaden leicht zu verschmerzen. Doch inzwischen ziehen Investoren die Integrität des US-Kapitalmarkts, vor wenigen Jahren noch das leuchtende Vorbild der gesamten Welt, grundsätzlich in Zweifel. Das ist eine fatale Entwicklung. Denn die gesamte Volkswirtschaft braucht die Wall Street, um Kapital einzuwerben und zu verteilen. Hält der Vertrauensverlust an, könnte dies Anleger auf lange Sicht von der Börse fern halten und ein schnelles Ende des Bärenmarktes verhindern - allen positiven volkswirtschaftlichen Daten zum Trotz.
Auf den ersten Blick sieht es so aus, als wäre das Schlimmste überstanden, denn etliche Übeltäter wurden bereits bestraft: Die Investmentbank Merrill Lynch, deren Staranalyst Henry Blodget Aktien empfahl, die er intern als "Scheiße" bezeichnete, hat im Rahmen eines Vergleichs mit dem New Yorker Staatsanwalt Eliot Spitzer 100 Millionen Dollar gezahlt. Die gleiche Summe zahlte das Institut Credit Suisse First Boston, das sich bei IPOs in großem Stil durch unfaire Aktienzuteilungen bereichert haben soll. Bilanzmauscheler wie Enron oder Global Crossing hat der Zorn der Märkte niedergestreckt, bevor überhaupt ordentliche Gerichtsverfahren eröffnet werden konnten. Optimisten hoffen: Das war's. "Das letzte was die Branche will, ist ein ständiges Tropf-Tropf-Tropf von neuen Geschichten, jede Woche", glaubt Howard Schiffman, ein früherer SEC-Anwalt.
Shock around the Clock
Angst vor Anschlägen: Schaurige Hintergrundmusik der Märkte
Vermutlich wird die Branche jedoch genau das bekommen. Derzeit ist die Wall Street mit Tretminen gepflastert, doch niemand weiß, wo sie liegen. Da wären zunächst die Jubelempfehlungen der Analysten. Staatsanwalt Spitzer hat Unterlagen von einem guten Dutzend Investmentbanken angefordert - darunter etwa Morgan Stanley, deren oberoptimistische Analystin Mary Meeker den Ehrentitel "Queen of the Internet" trug oder Citigroup, deren Telekommunikations-Trommler Jack Grubman inzwischen als der mieseste Analyst aller Zeiten gilt. Spitzer, den Beobachter für einen bissigen Terrier halten, wird wohl noch viel Unerfreuliches finden.
Zudem müssen die Wall-Street-Barone wegen Hunderter zivilrechtlicher Klagen geschädigter Investoren zittern. Prudential Financial schätzt, dass allein Merrill bis zu zwei Milliarden Dollar durch Schadensersatzklagen verlieren könnte. Ähnlich verhält es sich bei den IPOs. Vor kurzem hat der gescheiterte E-Tailer eToys eine Klage gegen die Edelbanker von Goldman Sachs eingereicht. Vorwurf: Goldman soll beim Börsengang eToys-Aktien unter dem am Markt erzielbaren Preis verkauft und diese seinen eigenen Geschäftsfreunden und Handelspartnern bevorzugt zugeteilt zu haben. Im Raum steht eine Schadensersatzsumme von 66 Milliarden Dollar. Weitere Klagen dieser Art dürften folgen.
Giftiger Börsencocktail
Bei den Unternehmensskandalen ist die Prognose schwieriger. Derzeit graben US-Zeitungen, allen voran das "Wall Street Journal", beinahe täglich eine neue Geschichte aus. Sogar US-Vizepräsident Dick Cheney hat mit Halliburton einen Bilanzskandal am Hals. An der Börse kursiert inzwischen die Furcht vor dem GAU: Was, wenn eines der im Dow Jones Industrials notierten Dickschiffe der Enronitis zum Opfer fällt? Vor allem gegen den Mischkonzern General Electric gab es bereits Anwürfe wegen der hohen Abhängigkeit von kurzfristigen Schuldverschreibungen sowie der undurchsichtigen Bilanz.
Wenn einer der Großen stürzt, könnte der Dow durchaus noch mehrere hundert Punkte durchsacken, befürchten Experten. Und als wäre das alles nicht genug, lastet auch noch die Angst vor weiteren Terroranschlägen auf dem Markt. "Der Corporate-Governance-Shock und die geopolitische Instabilität", glaubt Morgan Stanleys Chefökonom Steven Roach, ergeben zusammen "eine tödliche Mischung".
Spiegel