Spekulanten haben Biotech-Aktien neu für sich entdeckt. Sie nützen Vorabpublikationen von Artikeln in wissenschaftlichen Publikationen, um Gewinne zu erzielen.
Letzten Montag wurden die Berna-Biotech-Aktien aus ihrer Agonie geweckt. Aus dem Stand heraus schossen sie 9,3 Prozent in die Höhe. Eine Erklärung für den Kurssprung hatte nicht einmal das Unternehmen parat. Wie in solchen Fällen üblich, sprachen Analysten viel sagend von guten Nachrichten, welche das Unternehmen in nächster Zeit veröffentlichen werde. Andere - nicht minder ratlos - wiesen auf eine kurstechnisch bedingte Reaktion hin.
Gestern Donnerstag nun publizierte das renommierte Wissenschaftsmagazin «Science» eine Arbeit des Berner Professors Bernhard Moser im Bereich Immuntherapie, die mittelfristig Auswirkungen auch auf Berna Biotech haben könnte. Moser hätte seine Studienergebnisse frühzeitig dem stark interessierten Berna-Biotech-Management vorgestellt, bestätigte er dem TA.
Informationsleck ausgeschlossen
Zwei Wochen zuvor, am 13. Mai: Die Aktien der kleinen Schlieremer Biotech-Firma Cytos schnellten bei regem Handel 12 Prozent in die Höhe. Händler sprachen gleichentags von spekulativen Käufen. Was Experten aber wussten: Cytos stellte am folgenden Tag am stark beachteten Jahreskongress der amerikanischen Krebsforschungsgesellschaft (Asco) die Studienresultate des neuen Nikotin-Impfstoffs vor. Wie sie ausfallen würden, war offiziell nicht bekannt.
Trotz Kurssprung schloss Firmenchef Wolfgang Renner ein Informationsleck aus. Allerdings: Interessierte Kreise - darunter Wissenschaftsjournalisten - wussten um die Ergebnisse. Dem «Tages-Anzeiger» wurde bereits am 11. Mai ein Artikel über die Phase-II-Studie von Cytos angeboten. Und die britische «Times» hatte am Tag, als die Studie vorgestellt wurde, bereits einen Artikel mit den detaillierten Resultaten im Blatt.
Die Schweizer Börse SWX hat, wie in solchen Fällen üblich, Abklärungen eingeleitet. Im Fall von Cytos stellte sie keine Unregelmässigkeiten fest, bei Berna Biotech laufen die Untersuchungen noch. Auch Branchenkenner wie ZKB-Analyst Hernani de Faria verwies auf die hohe Schwankungsanfälligkeit von Biotech-Aktien auf Gerüchte.
Gemäss Eric Bernhardt, der mit seinem Clariden-Biotech-Fonds in keinen der beiden Titel investiert ist, sind besonders kleinere Firmen ein beliebtes Objekt der Spekulation. Die Kurse von Titeln wie Berna Biotech und Cytos liessen sich mit wenig Geld stark bewegen. Bernhardt bestätigte zudem, dass es bei der Veröffentlichung von Wissenschaftsartikeln «eine Grauzone» gebe und die Gefahr real sei, dass Studienresultate vorzeitig durchsickern können. Doch: «Die Unternehmen und Organisatoren der grossen Medizinkongresse sind in letzter Zeit vorsichtiger geworden und steuern heute den Informationsfluss besser», sagte Bernhardt weiter.
Wie Weihnachten im Mai
Dass noch nicht publizierte Informationen bei Biotech-Firmen für Spekulationen missbraucht werden, ist nicht neu. Der Vorgang hat in den USA sogar einen Namen: Asco-Effekt. Er geht auf Kongresse der amerikanischen Krebsforschungsgesellschaft nach der Jahrhundertwende zurück, als Studien ohne spezielle Vorsichtsmassnahmen unter Ärzten gestreut wurden und für Spekulationszwecke missbraucht wurden. 2001 zeigt sich dieser Asco-Effekt bei ImClone Systems in krasser Form, 2002 bei Cell Therapeutics, Millennium Pharmaceuticals und Genentech.
Damals ging der Spruch um, dass die Vorveröffentlichung für verschiedene Vorinformierte ein zweites Weihnachtsfest bedeutete und Asco den Santa Claus spielte. In der Folge verschärfte Asco ihre Vorschriften.
Vorab erhielten die Studien nur Ärzte, die mit ihrer Unterschrift dafür bürgten, die Informationen nicht weiterzuverwenden. Das war ein erster Schritt, aber noch lange keine Garantie, um die Informationsdämme abzudichten.
Letztes Jahr entdeckte das Wissenschaftsmagazin «Nature» eine neue Spielart des Problems: Studienteilnehmer, die gut auf ein Testmedikament ansprechen. Sie verbreiteten ihre Erfahrungen in Internetforen und versuchten, ihre «Erkenntnisse» an der Börse zu versilbern. Ein riskantes Spiel, warnten Experten wie Bernard Lo von der University of California: «Was eine Studie aussagt, weiss man erst, wenn sie abgeschlossen ist.»
Dass auch seriöse Informationen an der Börse nicht immer ein guter Ratgeber sind, wissen inzwischen auch Cytos-Aktionäre. Nachdem «ihre» Aktie am Tag vor dem Asco-Kongress 12 Prozent gewonnen hatte, knickte sie am Tag nach dem Kongress 23 Prozent ein.