Quo vadis Argentina?

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Quo vadis Argentina?

 
04.01.02 00:54
Wirtschaftskrise, Straßenschlachten und schon wieder ein neuer Präsident. Vor dem Hintergrund des Aufstands in Argentinien mobilisieren aber auch Globalisierungskritiker

Mit großer Mehrheit wählte das Parlament Argentiniens am Dienstag den Peronisten Eduardo Duhalde zum Regierungschef. Der Exgouverneur der Provinz Buenos Aires ist bereits der fünfte Amtsinhaber in einem Zeitraum von nur knapp zwei Wochen. Doch die seit Mitte Dezember anhaltenden Ausschreitungen der über Politik und Wirtschaftskrise verdrossenen Bevölkerung gehen auch jetzt weiter. Während die hiesigen Massenmedien nur Streiflichter auf die chaotischen Zustände in dem lateinamerikanischen Land werfen, wird wieder einmal in Online-Alternativmedien heftig diskutiert. Gobalisierungskritiker sehen einmal mehr ihre Abneigung gegen den Neoliberalismus bestätigt und rüsten für das 2. Weltsozialforum, das Ende Januar im brasilianischen Porto Alegre über die Bühne gehen soll.

Seit Beginn des Afghanistankrieges hat die Krise in Lateinamerika in der Medienlandschaft an Gewicht verloren. Das Nachlassen des öffentlichen Interesses heißt aber nicht, dass damit die politische Brisanz der wirtschaftlichen Misere in Ländern wie Argentinien oder Brasilien geringer geworden ist.

Neil Chisholm von der Credit Suisse Economy-Research-Abteilung sollte mit diesen Sätzen, die er Ende November 2001 einem  Bericht über Argentiniens Wirtschaft voranstellte, Recht behalten. Nur wenige Wochen später kam es zum Generalstreik in dem krisengeschüttelten Land. Noch vor Weihnachten trat Fernando De la Rua vom Präsidentenamt zurück.

Chronologisch betrachtet, brachte eine Beschränkung von  Bargeldabhebungen das Fass zum Überlaufen. Anfang Dezember 2001 beschloss die Regierung, dass nur mehr 250 Pesos oder Dollar (etwa 280 Euro) pro Woche an Privatpersonen und Unternehmen bar ausgezahlt werden dürften. Laut FAZ benötigt aber eine vierköpfige Familie mindestens 1.500 Dollar zur Deckung der  Grundbedürfnisse. Zwar erhöhte man kurz darauf die erlaubte Auszahlungssumme wieder, doch die aufgebrachten Menschen ließen sich nicht mehr besänftigen. Selbst als De la Rua zurücktrat, reichte das nicht aus. Als der Übergangspräsident einen der Korruption verdächtigten ehemaligen Bürgermeister als Berater in die Regierung holte, platze vielen der Kragen. Am 29. Dezember marschierten sie in Richtung Parlament.  Indymedia Argentina berichtete:

In Eile geschriebener Bericht, während wir fortfahren, Tränengas einzuatmen. ... Das Gerücht begann sich auszubreiten und dann wandelte es sich in Skandieren: "das Volk geht auf die Plaza (Anmerkung: gemeint ist die Plaza de Mayo) und niemand wird uns aufhalten". Ein aus Tausenden bestehender Zug durch die Avenida de Mayo dessen Ende nicht mehr zu sehen war, rückte entschlossen vor. Vorn wurde eine argentinische Fahne getragen und mit jedem Schritt schienen es mehr zu werden. Ständig kamen weitere Menschen hinzu, es kamen die Mütter (Anmerkung: gemeint sind die  Madres de Plaza de Mayo, die Organisation der Mütter der während der Militärdiktatur Verschwundenen), es kamen die motoqueros, empfangen von Applaus, vom Volk umarmt; die Gefallenen bekamen heute ihre Ehrung, ... Als Erstes stürzte ein Fotograf vor. Danach sagte ein Großvater, dass er mit Gewalt in das Gebäude eindringen um mit dem Präsidenten zu sprechen. Danach die Jugendlichen. 5 Minuten später, genau um 2:15 Uhr, waren wir alle da. Die Absperrungen gaben schon bald nach, die Polizei zog sich zur Seite zurück, und wir waren da, vor den Toren des Regierungsgebäudes, die von nun an nicht mehr "heilig" sein werden. Wir durchschritten den Torbogen und riefen, was alle wollten: dass sie alle gehen sollen und nicht ein einziger übrigbleibe. (Übersetzung: Indymedia Deutschland)

Untrennbar verbunden ist die prekäre Situation mit dem Namen  Domingo Cavallo. Der Wirtschaftsminister führte 1991 in Absprache mit dem IMF eine 1:1 Bindung des Pesos an den US- Dollar ein. Fachleute sehen darin den Ursprung der Misere. Anfänglich konnte das Land tatsächlich ansehnliche Wachstumsraten verzeichnen.

Allerdings war Argentiniens geldpolitischer Handlungsspielraum stets durch die feste Dollarbindung und strenge Inflationszielvorgabe stark eingeschränkt - zur vollen Deckung des umlaufenden Geldes mussten stets genügend Reserven der Zentralbank vorhanden sein. Als die internationalen Finanzmärkte 1998 auf die Russlandkrise und Brasiliens Abschwung aufmerksam wurden, löste diese Verunsicherung auch in Argentinien einen sprunghaften Zinsanstieg aus. Der ohnehin kriselnde Exportsektor und die durch den fixen Wechselkurs verringerte Wettbewerbsfähigkeit wurden dadurch zusätzlich geschwächt,

analysiert Neil Chisholm. Inzwischen avancierte Cavallo - das einstige Liebkind der neoliberalen Wirtschaftspresse - zum Buhmann der Nation. Heute sitzt Argentinien auf einem Auslandsschuldenberg in der Höhe von 132 Mrd. US-Dollar. Die Arbeitslosenrate beträgt etwa 18 Prozent. Fast vierzig Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze.

Der neu gewählte Präsident Duhalde kündigte eine Abkehr vom neoliberalen Kurs an. Dies ist wohl der einzige Punkt in dem sich die Peronisten mit den linken Gruppierungen des Landes einig sind. Sie lieferten sich indes weitere Straßenschlachten. Für die Linken ist Duhalde ein Populist und Blender. Glaubt aber etwa die Bevölkerungs-Mehrheit an den Mythos vom wohltätigen Peronismus, der mit der Wahl 1946 von Juan Comingo Peròn entstand, zumal dieser damals den Armen - den descamisados (Hemdlosen) - mehr Wohlstand versprach? Der Peronist Duhalde will jedenfalls bis 2003 im Amt bleiben.

Indes sehen  Globalisierungskritiker im "Aufstand von Argentinien" ein weiteres Zeichen für das Scheitern des Neoliberalismus. Sie mobilisieren für den  2. Weltsozialgipfel , der Ende Januar in einem Nachbarland Argentiniens - in Brasilien - stattfinden wird. Wie bereits viele andere Antiglobalisierungs-Veranstaltungen könnte auch dieses Treffen in Porto Alegre zu einer Groß-Demonstration gegen die Auswüchse des "Turbokapitalismus" geraten. Denn gerade in den lateinamerikanischen Ländern sehen sich immer mehr Menschen aufgrund einer fatalen Mischung aus korrupten Staatsapparaten und neoliberalen Wirtschaftsexperimenten in die Armut gedrängt.
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Argentinien hegt schräge Pläne

 
04.01.02 22:20
Es klingt ein wenig unausgegoren, was Argentiniens neue Regierung an Wirtschaftsplänen ausbrütet. Am Wochenende soll das neue Wirtschaftsprogramm vom Kabinett verabschiedet werden, einzelne Details wurden jetzt bekannt. Präsident Eduardo Duhalde bestätigte, dass der Peso abgewertet werde, sagte aber nicht wie stark. Der Devisenmarkt soll in einen freien und einen staatlich regulierten gesplittet werden. In Dollar geführte Bankschulden werden in Peso umgewandelt, Bankguthaben dagegen nicht. Das wird nicht funktionieren.    

Eine völlige Freigabe des Wechselkurses könnte der Wirtschaft helfen. Die argentinische Wirtschaft ist nicht so marode wie die russische zu Zeiten der Russlandkrise. Es ist nicht unbedingt mit einem schlagartigen Abzug von Kapital aus dem Land und einem daraus resultierenden dramatischen Wertverlust des Peso zu rechnen. Im Gegenteil, wertet der Peso ab, stärkt das die Wettbewerbsfähigkeit der exportorientierten Wirtschaft.

Doch gerade im Außenhandel soll der Wechselkurs fixiert bleiben. Ein Tauschverhältnis von Dollar und Peso, dass sich frei nach Angebot und Nachfrage bildet, soll es nur im Inland geben. Es besteht die Gefahr eines Teufelskreises: Aus Angst vor der Abwertung werden immer mehr Menschen in Argentinien Dollar statt Peso halten wollen. Das setzt den Peso weiter unter Druck. Wenn die Devisenreserven schließlich erschöpft sind, lässt sich auch der offizielle Festkurs nicht mehr halten.

Bankensystem vor der Krise

Ungemach droht den Banken, sollten die Pläne umgesetzt werden, Schulden bis zur Höhe von 100.000 Dollar im Verhältnis eins zu eins in Pesoschulden umzuwandeln. Die Bankguthaben, versprach die neue Regierung zur Beruhigung der Bevölkerung, sollen nämlich weiterhin auf Dollar lauten. Doch woher nehmen, wenn nicht stehlen. Kommen keine Dollar rein, können die Banken auch keine auszahlen. Das könnte ungemütlich werden.

Spanische Unternehmen wanken

Spanische Unternehmen wie die Banco Santander Central Hispano und die Banco Bilbao Vizcaya Argentaria (BBVA), das Telekomunternehmen Telefónica, den Ölkonzern Repsol YPF oder den Stromversorger Endesa trifft die bevorstehende Abwertung des Peso hart. Die größten ausländischen Investoren in dem gescheiterten lateinamerikanischen Musterländle würden dadurch viel Geld verlieren. Ihre Kurse gaben am Freitag entsprechend nach.

Kleinanlegern drohen Verluste aus Staatsbankrott

Zudem zeichnet sich ab das im Gegensatz zur Russlandkrise erstmals in bedeutendem Ausmaß Kleinanleger von der Zahlungsunfähigkeit eines Staates betroffen sein könnten. Mit 141 Millionen Dollar steht Argentinien in der Kreide. Knapp 100 Millionen davon sind laut Statistik des Wirtschaftsministeriums Anleihen. Kredite einzelner Länder oder Organisationen wie dem Internationalen Währungsfonds (IWF) nehmen sich demgegenüber verschwindend aus. Ein Teil der Anleihen befindet sich in der Hand von Kleinanlegern, angelockt vom guten Ruf Argentiniens und den hohen Zinsen. Nun müssen die Investoren damit rechnen, einen Grossteil ihres Geldes niemals wiederzusehen.  
 
Argentiniens neuer Frontmann Duhalde will es mit seinen Ankündigungen zu vielen Parteien recht machen: ein bisschen dem IWF, ein bisschen seinen Landsleuten, ein bisschen der Wirtschaft. Genau das wird nicht klappen, der Fehler liegt im System. So kommt kein frisches Geld in Staatssäckel. Die Gläubiger des Landes sind die Leidtragenden.  
 
Bronco:

Der Peronismus wahrt Kontinuität - die Amis

 
04.01.02 22:51
vermutlich auch. Die Peronisten waren schon immer Populisten. Um den Erfolg, den sie mit ihren flachen Parolen und Gefälligkeits-Almosen erzielt haben, hatte Sie damals schon Che beneidet. Im Prinzip gibt es für Argentinien nur düstere Prognosen: Entweder traut sich eine Regierung tatsächlich das Übel an der Wurzel zu packen, dann werden die Amis nicht lange fackeln, mit Hilfe des CIA einen Putsch zu organisieren, um wieder eine Ihnen hörige Militärdiktatur zu installieren. - Oder es gelingt einer neuen Regierung, die Massen hinzuhalten, bis sie sich im Sumpf von Korruption, Militär und US-Unterstützung stabilisiert hat. Wie viele dann auf der Strecke bleiben wird die Weltöffentlichkeit bald nicht mehr interessieren. - Eine dritte Alternative wäre noch eine echte Revolution mit anschließender direkter Intervention der Amis, um "Anarchie und Terrorismus" zu bekämpfen.
Bronco:

Man sollte all die hohen Herren von Weltbank,

 
04.01.02 22:55
IWF und die renomierten Wirtschafts"wissenschaftler", die das neoliberalistische Vorzeigemodell Argentinien so hoch gelobt hatten, nun vor Ort auf die Plaza stellen, damit sie mal Gelegenheit bekommen, die Vorzüge des von Ihnen propagierten Systems direkt mit den Betroffenen zu diskutieren - es würde da sicher schlagkräftige Argumente geben.
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Argentinien:Abgeordnete billigen Wirtschaftsreform

 
06.01.02 22:40

Buenos Aires, 06. Jan (Reuters) - Das argentinische Abgeordnetenhaus hat in der Nacht zum Sonntag dem Programm zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise Argentiniens zugestimmt und damit den Weg für eine Abwertung der Landeswährung Peso geebnet. Der von der Regierung des neuen Präsidenten Eduardo Duhalde eingereichte Gesetzentwurf sieht die Aufhebung der Dollar-Bindung des Peso im Verhältnis von eins zu eins, sowie Eingriffe des Staates in die Wirtschaft vor. Der Plan muss noch vom Senat genehmigt werden, der am Sonntag darüber beriet. Dort hat Duhaldes peronistische Partei die Mehrheit, so dass keine größeren Veränderungen an dem Entwurf erwartet wurden.

Nach dem neuen Gesetz soll die Zentralbank das Recht erhalten, ausländische Währungen zu kaufen und zu verkaufen und weiteres Geld auszugeben. Damit könnte das System der vor zehn Jahren eingeführten Dollar-Bindung des Peso im Verhältnis von eins zu eins - das der Zentralbank die Ausgabe neuen Geldes ohne entsprechenden Gegenwert in ausländischen Devisen untersagt - beendet werden. Präsident Duhalde hatte zuvor die Abwertung des Peso bereits als selbstverständlich bezeichnet.

Um die Bevölkerung von den negativen Auswirkungen einer Peso-Abwertung zu schützen, soll eine staatliche Preiskontrolle eingeführt, Teile der auf Dollar lautenden Kredite eins zu eins auf Peso umgestellt sowie eine inflationsgebundene Steigerung von Steuern, Zöllen und Krediten verboten werden. Zur Deckung der Kosten des Bankensystems solle es eine Steuer auf Ölexporte geben.

In einer Umfrage sagten 52 Prozent der befragten Argentinier am Wochenende, dass sie Duhaldes Programm weitgehend unterstützten, 34 Prozent signalisierten eine vorsichtigere Zustimmung. Proteste der Bevölkerung hatten sowohl zum Sturz von Übergangspräsident Adolfo Rodriguez Saa geführt, als auch zuvor zum Ende einer Mitte-Links-Regierung unter Präsident Fernando de la Rua. In Erwartung der Peso-Abwertung haben inzwischen die Warenpreise in Argentinien massiv angezogen. Auch Grundnahrungsmittel wie Brot wurden teurer, Medikamente wie Insulin werden knapp.

Der Chef-Wirtschaftsberater von US-Präsident George W. Bush stellte Argentinien unterdessen Hilfe der USA in Aussicht, falls das Land durch politische Reformen langfristig die Rentabilität seines Wirtschaftssystems sichere. Der Vorsitzende des Wirtschaftsrats des US-Präsidialamtes, Lawrence Lindsey, sagte am Sonntag dem Sender Fox, Argentinien habe sich durch seine Ausgabenpolitik und die Staatsverschuldung selbst an den Rand des wirtschaftlichen Zusammenbruchs manövriert. Wenn nun jedoch die nötigen politischen Reformen umgesetzt würden, habe er keinen Zweifel daran, dass die US-Regierung und der private Sektor Argentinien unterstützen würden.

Argentinien steckt seit Jahren in einer schweren Wirtschafts- und Finanzkrise. Ende Dezember setzte das Land offiziell die Zahlung seiner Auslandsschulden in Höhe von 141 Milliarden Dollar aus. Am Donnerstag leistete das Land eine fällige Zahlung von 28 Millionen Dollar für eine Lira-Anleihe nicht.

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