Pressespiegel Frankreich 20.05.05

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Pressespiegel Frankreich 20.05.05

 
20.05.05 13:32
Pressespiegel vom 20.05.2005

1. Überblick

Die große Mehrheit der heutigen Tageszeitungen (LE MONDE, LE FIGARO, LIBERATION, L'HUMANITE und LE PARISIEN) macht mit europapolitischen Themen auf. LA CROIX titelt mit dem Widerstand der Siedler im Gazastreifen und LES ECHOS mit dem guten Ergebnis von Air France - KLM (20,7% Gewinnsteigerung). Über das Treffen Chirac-Schröder-Kwasniewski in Nancy und ihrem Aufruf an die Franzosen, am 29. Mai dem EU-VV zuzustimmen, wird in allen Zeitungen berichtet.
Die Berichterstattung zu außenpolitischen Themen fällt auch heute sehr unterschiedlich aus: sie reicht von den Problemen beim israelischen Rückzug aus dem Gazastreifen (LE MONDE, LE FIGARO), über den Aufstieg Indiens zur veritablen Großmacht (LE FIGARO), dem "Urteil ohne Ende" im Jukos-Prozess (LIBERATION) bis zum belgischen Sprachenstreit (LE FIGARO).
Innenpolitisch dominieren in der Berichterstattung die Proteste der französischen Rechtsanwälte gegen Teile der Strafrechtsreform "Loi Perben II", die aus deren Sicht eine Schwächung der Verteidigung nach sich ziehe.
Deutschlandberichterstattung findet sich ausführlich über die NRW-Wahl und die unzureichenden Wirkungen von Hartz IV in LE MONDE. In LES ECHOS zwei Sonderseiten über die Wahlen in NRW ("NRW denkt an Wechsel") und die Wirtschaftslage.

2. Im Einzelnen

a) Europa

Referendum und "Weimarer Dreieck"

LE FIGARO und LE MONDE betonen, das Treffen von Nancy sei der erste Auftritt des französischen Staatschefs zum Referendum seit rund zwei Wochen gewesen. Eingerahmt von Bundeskanzler Schröder und vom polnischen Staatspräsidenten Kwasniewski habe sich Chirac als energischer Verfechter des Ja präsentiert, so LE FIGARO. Einigkeit habe bestanden, dass es keine Neuverhandlung des EU-Verfassungsvertrages geben könne. Im Leitartikel begrüßt LE FIGARO das große Interesse der europäischen Nachbarn am französischen Referendum. Manche Äußerungen seien bisweilen unangenehm für Frankreich, aber letztlich enthielten sie fast alle die Botschaft, Frankreich werde in Europa gebraucht. Wie unterschiedlich der EU-Verfassungsvertrag gelesen und interpretiert werden könne, zeige sich an Italien oder Großbritannien, wo man dem EU-Verfassungsvertrag nicht eine zu große Liberalität - wie in Frankreich - attestiere, sondern ihn im Gegenteil zu sozial betont empfinde. Unter Anspielung auf gegenläufige!
Äußerungen Chiracs und Sarkozys wird unterstrichen, dass auch in Frankreich die einen den EU-Verfassungsvertrag als Mittel zur Festschreibung der sozialpolitischen Errungenschaften, andere ihn zur Reform des nicht mehr zeitgemäßen Sozialsystems heranziehen wollen.
LE MONDE konzentriert sich erscheinungsbedingt noch auf die Veranstaltung des PS am 18. Mai, an der u. a. auch Bundesaußenminister Fischer teilgenommen hatte. Die europäische Linke eile zur Hilfe, um das französische Ja zu retten, so der Tenor.
LIBERATION wagt sich in seiner heutigen Europa-Berichterstattung an die Frage, "30. Mai, der Tag nach dem französischen Nein...", und weiter: "Auch wenn die europäischen Führer es nicht zugeben wollen, alle haben das Szenario einer Ablehnung des EU-Verfassungsvertrags durch Frankreich und seiner Konsequenzen durchgespielt." Im Leitartikel heißt es: Diejenigen irren, die glauben, die Franzosen mit einem apokalyptischen Szenario bei einem Nein am 29. Mai beeindrucken zu können. Dafür sitze die Unzufriedenheit mit der Macht zu tief. Die EU werde am 30. Mai nicht von einem Tag auf den anderen wie Atlantis in einem gigantischen Tsunami untergehen. Die europäischen Führer hätten dann auch keine andere Wahl als sich den Realitäten zu stellen. Die Protagonisten des Nein betrieben aber ein Hütchenspiel, wenn sie glauben machen wollten, dass man nach einer Ablehnung des EU-Verfassungsvertrags die anderen Europäer einfach so für einen anderen Plan gewinnen könne. Nicht wenige hätten vi!
elleicht dem EU-Verfassungsvertrag zugestimmt und werden sich nicht von einem gallischen Nein beeindrucken lassen. Ein Nein werfe die EU auf Nizza zurück. Niemand könne den EU-Verfassungsvertrag als Versicherung für ein europäisches Paradies verkaufen, was auch die glühendsten Befürworter nicht tun. Aber man sollte schon zweimal darüber nachdenken, sich auf eine Reise ins Ungewisse mit einem Nein zu begeben, schließt LIBERATION. In einem Interview mit LIBERATION spricht Ratspräsident Juncker von einer Krise im Falle eines Neins, die allerdings keine "heilsame Krise" sei, wie einige Nein-Verfechter meinten. Er weist darauf hin, dass auch nach Ablehnung der EVG 1954 durch Frankreich es keine Neuverhandlungen über dieses Projekt gegeben hätte. Befragt, ob der EU-Verfassungsvertrag auch nur in den Ländern, die zugestimmt hätten, in Kraft treten könnte, gab Juncker zu erkennen, dies sei vorstellbar, aber Luxemburg wolle nicht in einem Boot sitzen, auf dem es keine Franzosen gäbe,!
denn Europa ohne Frankreich sei nicht mehr Europa; im übrigen wäre auch Frankreich nicht mehr Frankreich ohne in Europa zu sein.
LIBERATION spielt darüber hinaus für den Fall eines Nein Szenarien für die Rechte und die Linke durch: Chirac werde auf jeden Fall im Amt bleiben, einen neuen Premierminister ernennen, der de Villepin, Alliot-Marie oder auch Sarkozy heißen könne. Auf der Linken sei die Lage unübersichtlicher, sie könne bis zur Explosion des PS führen. Fabius wolle Kandidat für 2007 werden, nicht so sehr PS-Chef.

Finanzplanung 2007-2013
Mit der Ankündigung des EU-Ratsvorsitzenden Juncker am 22. Mai seine Vorstellungen für einen Kompromiss im Rat der Außenminister vorzustellen, sieht LE FIGARO die Schlacht um das Budget eröffnet. Zwei heilige Kühe stünden zur Schlacht an: der Britenrabatt und indirekt die gemeinsame Agrarpolitik. Einer Renationalisierung der gemeinsamen Agrarpolitik könne Frankreich mindestens ebenso wenig zustimmen wie mutmaßlich die Briten einer Abschaffung des 4,6 Mrd. Euro teuren Britenrabatts. Bezüglich des Haushaltsvolumens beruft sich LE FIGARO auf eine Kommissionsquelle, die einen Kompromiss bei 1,07 bis 1,1% des BNP sehen.

b) Außenpolitik

Israel/Gazastreifen
LE MONDE und LA CROIX berichten (letztere mehrseitig) über die Schwierigkeiten beim geplanten Rückzug Israels aus dem Gazastreifen. Schwerpunkte der Berichterstattung sind die Widerstände radikaler Siedlergruppen und die heftige innenpolitische Debatte in Israel. Die Hamas-Angriffe und die israelische Vergeltung werden eher als Randerscheinung abgehandelt. In einem Interview mit LA CROIX gab der UMP-Abgeordnete in seiner Eigenschaft als Präsident der parlamentarischen Versammlung der NATO von einer Reise nach Israel zurückgekehrt seiner Befürchtung Ausdruck, dass nach einem israelischen Abzug es im Gazastreifen zu heftigen Gewaltausbrüchen kommen könnte, denen die Palästinenser selbst nicht Herr würden. Er spricht sich für eine "energische europäisch-amerikanische Initiative" aus. Im Leitartikel von LA CROIX sieht man sowohl Scharon als auch Abbas unter erheblichem Druck der eigenen Leute, allerdings gibt sich der Autor (François Ernenwein) hinsichtlich der Friedensaussichte!
n insgesamt optimistisch. Das politische Klima habe sich in Israel nach dem Tode Arafats grundlegend gewandelt.

Indien
Den Aspirationen Indiens nach einem ständigen Sitz im VN-Sicherheitsrat widmet sich ein Artikel in LE FIGARO. Deutschland wird nicht erwähnt. Indien habe außen- wie innenpolitisch bemerkenswerte Erfolge zu verzeichnen: Modus vivendi mit Pakistan, hochrangige Besucher aus Peking und Washington, US-Vorschlag einer strategischen Partnerschaft durch Außenministerin Rice, Besuch Natwar Singhs in Washington am 18. Juli 2005, starkes Wirtschaftswachstum von 6% p. a. sowie erfolgreiche Umstrukturierungen der Wirtschaft. Sonia Gandhi ziehe die Fäden im Hintergrund, habe aber mit ihrem Verzicht auf das Premierminister-Amt zugunsten des Wirtschaftsreformers Singh eine weise Entscheidung getroffen.

Jukos-Prozess
Das sich lange hinziehende Ende des Prozesses gegen Chodorkowski greift erneut LIBERATION auf. Eine Verurteilung vor allem wegen Steuerhinterzeihung sei wahrscheinlich. Die alleinige Zulassung von Anti-Chodorkowski-Demonstrationen wird hervorgehoben. Ihre Zahl sei bescheiden, im staatlichen Fernsehen würden sie umso ausführlicher gezeigt.

Belgien
LE FIGARO greift den belgischen Sprachenstreit im Raum Brüssel auf. Die Flamen heizten den Streit immer weiter an, der inzwischen auch die föderale Regierung in Brüssel bedrohe. Die Frankophonen seien zu keinen weiteren Zugeständnissen bereit und würden erforderlichenfalls bis zum Europarat gehen, um ihre Rechte zu verteidigen.

c) Innenpolitik

Proteste gegen Strafrechtsreform
Über anhaltende Proteste von Rechtsanwälten gegen eine Beschneidung der Verteidigerrechte im Zuge der Reform des Strafrechts zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität (Loi Perben II) berichten alle Tageszeitungen. In LE FIGARO Interview mit Justizminister Perben, der sich gesprächsbereit zeigt, aber auch darauf verweist, dass der Justiz und der Polizei Mittel zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität in allen Erscheinungsformen (Drogen, Prostitution, internationale Geldwäsche u. ä.) an die Hand gegeben werden müssen. LIBERATION spricht von einer "Kriegserklärung der Rechtsanwälte gegen Perben II".

Lage im PS
Lionel Jospin, zumindest vorübergehend auf die politische Bühne zurückgekehrt, nutzte einen Auftritt für die Annahme des EU-Verfassungsvertrag in Nantes zu einem Frontalangriff auf seinen innerparteilichen Widersacher seit 20 Jahren, Laurent Fabius, was in den Zeitungen breite Beachtung findet. LE FIGARO und LIBERATION berichten am ausführlichsten. Jospin kritisierte heftig das Spielen mit den Ängsten der Bevölkerung ausgerechnet durch sich links gerierende Politiker und warf dem Nein-Lager im PS unsolidarisches Verhalten und "Verfälschungen der Wahrheit" vor. LIBERATION weist darauf hin, dass Jospin mit seiner Kritik Fabius zum "Chef des linken Neins" aufwerte.

d) Deutschland

LE MONDE sieht "die SPD Gerhard Schröders" im "Erbhof" NRW am 22. Mai bedroht. Es sei fraglich, ob Münteferings Kunstgriff, den Gegner durch einen Rückgriff in das Vokabular des Klassenkampfs besser stigmatisieren, als Strategie aufgehe. Die Umfragen sähen mit 7 Prozent Vorsprung weiterhin die CDU vorne. In einem separaten Artikel wird auf die bundespolitischen Auswirkungen eines CDU-Sieges in Düsseldorf eingegangen. Ein Amtsverlust Schröders - wie 1982 bei Helmut Schmidt - sei nicht zu erwarten. Aber die Symbolik des NRW-Verlustes würde eine schwere Belastung bis September 2006 werden. LE MONDE spekuliert über eine Regierungsumbildung in Berlin: Steinbrück könnte Eichel als Finanzminister ersetzen, Platzeck und Tiefensee als Hoffnungsträger ins Kabinett berufen werden. Aber viele hätten keine Lust, 16 Monate vor den nächsten Bundestagswahlen ein Risiko einzugehen. Die unzureichenden Wirkungen von Hartz IV werden in einem weiteren LE MONDE-Beitrag analysiert.
LA CROIX bringt ein Porträt des CDU-Spitzenkandidaten Rüttgers; LES ECHOS widmet NRW, dem Wahlkampf, der Wirtschaft, den Städten Köln, Düsseldorf und Münster zwei Sonderseiten.

(Quelle: Pressereferat der deutschen Botschaft in Paris)

Parocorp:

Pressespiegel vom 23.05.2005

 
24.05.05 08:37
1. Aufmacher und Überblick

Die überraschende Ankündigung von Neuwahlen durch Bundeskanzler wird aufmerksam sowohl von den elektronischen Medien als auch prominent in den Printmedien wahrgenommen. LE FIGARO macht sogar damit auf: "Deutschland: Schröder verlangt vorgezogene Wahlen". LES ECHOS, LA TRIBUNE und LIBERATION erwähnen die "schwere Wahlniederlage Schröders" im zweiten Aufmacher. Daneben ist der Countdown vor dem Referendum am nächsten Sonntag zentrales Thema: LE PARISIEN titelt: "Tag 6 - Sie reden nur noch davon". Für LES ECHOS stehen sich die beiden Lager mit ihren Szenarien nach dem 29. Mai gegenüber. LE MONDE kündigt ein Interview von Fabius an, in dem dieser den geheimen "Plan C" der Rechten nach dem Referendum vorstellt. LIBERATION stellt eine neue Louis-Harris-Umfrage vor, nach der sich das Nein bei 52% hält; Tenor: Die Linke entscheidet. Für l'HUMANITÉ ist diese Entscheidung bereits gefallen; das Blatt macht mit der Massenkundgebung am Samstag auf: "Das Nein macht bei den Linken das Fass!
voll". LA CROIX titelt abweichend mit den "unsicheren Grenzen der genetischen Forschung".

Innenpolitik: Im Endspurt der Referendumsdebatte ist mit neuen Umfragen und Spekulationen über personelle und inhaltliche Konsequenzen nach dem Referendum zunehmende Nervosität zu verzeichnen: Fabius verunsichert mit einem Drohszenario unpopulärer Maßnahmen nach einem Sieg des Ja (LE MONDE), Hollande reagiert in LIBERATION. Ministerpräsident Raffarin wiederholt seine Bereitschaft, einen Rücktritt gehorsam zu akzeptieren, wenn der Staatspräsident sich denn dazu entscheiden sollte (LE FIGARO). Die Großkundgebung der Verfassungsvertrags-Gegner am Samstag wird von l'HUMANITÉ, LE FIGARO, LIBERATION, LES ECHOS breit beachtet. Der spanische Ministerpräsident Zapatero schaltet sich in die Referendumsdebatte mit einem Gastbeitrag für LE FIGARO ein. Häufig Zitate aus der Ifop-Umfrage des Journal du Dimanche (52% dagegen, 20% noch unentschlossen), sowie neue Louis-Harris-Umfrage in LIBERATION (ebenfalls 52% dagegen). LE FIGARO kündigt eine neue Intervention von Staatspräsident Chirac u!
nd von Jospin an, ohne den jeweiligen Sender oder die Sendung zu präzisieren. Weitere Berichte über Auftritte prominenter Politiker in LE FIGARO (Raffarin, gemeinsam mit Sarkozy in Poitiers, Bayrou am Samstag vor UDF-Vertretern in Paris, de Villiers am Samstag im Palais des Sports vor 5.000 Verfassungsvertrags-Gegnern). In LE FIGARO und LES ECHOS wird die Ankündigung zur Bereitschaft eines 'Service minimum' bei RATP und SNCF diskutiert. LE FIGARO-Wirtschaftsteil meldet Stagnation bei der Gesundheitsreform, LES ECHOS Einbußen beim Wirtschaftswachstum.

Europa: LE FIGARO und LES ECHOS mit Vorberichten zum heutigen EU-Außenminister-Treffen über sicherheitspolitische Fragen in Brüssel (Themen: Darfour, Usbekistan sowie Brittenrabatt). LA CROIX bringt ein Interview mit EU-Außenkommissarin Ferroro-Waldner über Fragen der EU-Außenpolitik und den möglichen Posten eines EU-Außenministers.

International: Mit Erleichterung und mit neuer Hoffnung für Florence Aubenas wird über die Freilassung der rumänischen Geiseln im Irak berichtet (LIBERATION, LE FIGARO). Gestrige Wahlen in der Mongolei (LE FIGARO) und Kritik an den Amerikanern im Vorfeld der Karzai-Reise nach Washington (LE FIGARO) sind weitere Themen.

2. Im Einzelnen

a) Deutschland - NRW-Wahl
Die von Bundeskanzler Schröder angekündigten Neuwahlen wurden bereits gestern Abend als überraschende Initiative dargestellt, durch die der Bundeskanzler sein Mandat aufs Spiel setze, indem er es mit der Akzeptanz seines "ultraliberalen und unbeliebten Reformprogramms" verknüpfe (FRANCE 2, FRANCE INFO). Wie in den deutschen Medien verdrängt auch hier dieser "coup de thé'tre" (FRANCE INTER, "coup de Poker électoral de Gerhard Schröder") den Wahlsieg der Opposition bei der Landtags-Wahl in NRW (Nordrhein-Westfalen). Die "historische Niederlage" der Regierungspartei wird auch unter dem Aspekt des internationalen Images von Bundeskanzler Schröder und möglicher Auswirkungen auf das französische Referendum gesehen, für das der Bundeskanzler sich "sehr engagiert" habe (FRANCE INFO). Sowohl die Hauptnachrichten der großen privaten und öffentlich-rechtlichen TV-Sender (breit in FRANCE 2) als auch die Radio-Nachrichten bringen ausführliche Zitate aus der gestrigen Pressekonferenz des !
Bundeskanzlers. FRANCE INFO lässt auch MdB (Mitglied des Bundestages)/CDU Schockenhoff zu Wort kommen.
Alle Tageszeitungen berichten ebenfalls aktuell, besonders ausführlich LE FIGARO und LIBERATION. Bocev / LE FIGARO fasst die Berichte und Kommentare der gestrigen Wahlsendungen zusammen. Er schildert Einzelheiten der Wahlergebnisse ("die letzte rot-grüne Landesregierung"), die geplanten Gespräche mit den SPD-Ministerpräsidenten über den Wahltermin und - in Erinnerung an den Präzedenzfall von 1982 - die verfassungsrechtlichen Vorraussetzungen für eine Vertrauensfrage und Neuwahlen. Auch die Rolle NRWs als Vorläufer für einen Politikwechsel im Bund (Rückblicke auf 1966 und 1995) wird erwähnt. Mit Blick auf Popularitätswerte bezeichnet Bocev das Duo Schröder - Fischer als immer noch beliebter als die Alternative Merkel - Westerwelle. Allerdings werde es trotz der Meinungsunterschiede zwischen SPD und Grünen keinen Kurswechsel im Reformprogramm geben. Einzige Zeitung mit Kommentar sind die DERNIERES NOUVELLES D'ALSACE: "Nachdem die Wähler Schröder in der historischen Hochburg se!
iner Partei zwischen Rhein und Ruhr eine Abfuhr erteilt haben, und dies nach einer langen Serie von Wahlniederlagen, blieb dem Kanzler nur die Flucht nach vorne. Indem er Neuwahlen ankündigte, sucht er nach einer neuen Legitimation für seine Reformpolitik. Und er fordert die oppositionelle CDU heraus, die gestern siegreich war, aber noch nicht auf das große Duell von morgen vorbereitet ist. Das Spiel ist riskant, aber der Überraschungscoup ist nicht ohne. Mit der gestrigen Niederlage in Nordrhein-Westfalen hat die letzte Stunde des Kanzlers noch nicht geschlagen."

b) Innenpolitik

Umfragen
Nach einer Louis-Harris-Umfrage für LIBERATION liegt das Nein bei 52%, das Ja bei 48%. Wenn das Nein auch bei den Linken bei 57% liege, so halte es sich bei den PS-Wählern die Waage mit dem Ja. 71% haben sich laut Umfrage entschieden. Dem stehen 20% Unentschiedene gegenüber (11% bei den Befürwortern und 17% bei den Gegnern). 49% sehen (nach negativem Ausgang) Frankreichs Gewicht in Europa geschwächt und 47% erwarten eine politische Krise. Für LE PARISIEN ist noch nichts entschieden. Auch wenn die Gegner in Führung seien, so würden doch die Befürworter auf die Unentschlossenen bzw. diejenigen, die im letzten Augenblick ihre Meinung änderten, setzen. Auf jeden Fall sei die Debatte so heftig und so leidenschaftlich entbrannt, das überall - in den Fabriken, Familien, Universitäten, Altersheimen, usw. - nur noch von Europa, Frankreich und der Zukunft geredet werde.

Referendum
In einem Interview mit LE MONDE (Wochenendausgabe) enthüllt Fabius den "geheimen Plan, den Plan C" der Rechten für den Fall, dass der EU-Verfassungsvertrag ratifiziert wird. Er stellt eine Liste von zurückgehaltenen Maßnahmen vor, die von der Bestrafung derer, die sich weigern, einen Allgemeinmediziner aufzusuchen, über Abbau von Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst, Verhandlungen mit Gewerkschaften über Kontrolle und Sanktionen für Streikende sowie Neuverhandlung der "Bolkestein-Barroso-Richtlinie" bis zur Erhöhung der Gaspreise reichten. In LE PARISIEN geht Fabius über zwei ganze Seiten auf Fragen von Bürgern ein; seine Botschaft hier: Europa hat sich gewandelt. Der EU-Verfassungsvertrag entspricht nicht den neuen Gegebenheiten und begünstigt Sozialdumping. Hollande wird von LE FIGARO mit Gegenaussagen zitiert: "Die Rechte hat keinen geheimen Plan. Sie verbirgt nichts. Sie macht seit 2002 eine liberale Politik, die sie bis 2007 fortsetzt". In seinem Interview mit LIBERATI!
ON betont Hollande, dass es "dieses Mal keinen zweiten Wahlgang gibt". Das Nein sei nicht wesensmäßig an die Linke gebunden, wie Fabius es behaupte. Die linken Gegner könnten nur gemeinsam mit den Souveränisten gewinnen. LES ECHOS bringt ein Interview mit Wirtschaftsminister Breton, in dem dieser die negativen Folgen eines Nein für die Wirtschaft hervorhebt. Ex-Kommissar Monti bezeichnet gegenüber LES ECHOS den Plan B als "Nebelplan". Das Blatt ist des Weiteren der Meinung, der PS stehe vor dem Risiko einer Implosion. Die Kampagne sei v. a. durch Hintergedanken bezüglich möglicher Kandidaturen für die Präsidentschaft geprägt. Eine Neustrukturierung der Linken nach dem Referendum werde schwierig. LIBERATION stellt in einem gesonderten Artikel die beiden linken Lager einander gegenüber und berichtet über den gemeinsamen Auftritt von Hollande und Wehrling im 18. Arrondissement. Auffray/LIBERATION widmet sich der Stimmungslage bei den französischen Grünen. Aktivisten seien zu 53!
% für den EU-Verfassungsvertrag, während die Mehrheit der Grünen-Wähler ihn ablehne. Im Editorial warnt Herausgeber Serge July vor einem Scheitern des Referendums, droht mit dem Sieg neoliberaler Strömungen: "Frankreich ist wütend und das ist sein gutes Recht; es kann dafür sorgen, dass seine gesamte politische Klasse ausgetauscht wird, morgen schon, wenn es sein muss. Doch wenn die Franzosen heute aus Wut wählen, also 'Nein', dann laufen sie Gefahr, die Gründe für ihren Zorn noch zu verstärken, Europa noch zerbrechlicher, noch weniger organisiert zu machen; sie würden die Chance opfern, die verrückte Welt zumindest ein wenig wieder ins Lot zu bringen." Für L'HUMANITÉ ist die "vereinte Linke" gegen den EU-Verfassungsvertrag. Ihre Debatte ziehe die Aufmerksamkeit ganz Europas an. Die Zeitung berichtet, Raffarin werbe für Abstinenz: Ein Nein, das sich enthalte, sei ein gutes Nein. In einem Interview mit der Zeitung würdigt ein Politologe von Sciences Po "den großen Augenblick !
der Demokratie, den das Land erlebt".

Raffarin und Matignon
LE FIGARO zitiert aus einem Interview Raffarins mit CENTRE PRESSE; dem zufolge Raffarin gesagt haben soll: "Ich bin mutig und scharfsinnig genug, um die Entscheidungen des Staatschefs, egal welchen Inhalt und welchen Zeitplan sie vorsehen, auf mich zu nehmen". Nach der IFOP-Umfrage von JOURNAL DU DIMANCHE habe Raffarin mit 24% seinen bislang niedrigsten Wert auf der Beliebtheitsskala (5 Punkte weniger als im Vormonat) erreicht. Im Wirtschaftsteil widmet Anne Rovan sich ausführlich der Stimmung im Matignon. Große wirtschafts- und reformpolitische Dossiers "versickern in den Mäandern des Referendums"; man wolle jetzt keine Entscheidungen treffen, die man dann wieder rückgängig machen müsse. Raffarins haushaltspolitischer Berater habe sogar Mitarbeiter in die Ferien geschickt, damit sie nach dem Referendum einen Zahn zulegen könnten. Nach dem Druck aus dem Bercy habe er seine Meinung dann aber wieder geändert. Das sage viel aus über die Stimmung und die Lähmung der Regierung. G!
ewisse Regierungsmitglieder weigerten sich öffentlich hartnäckig, die Unbeweglichkeit im Zuge der Referendumsdebatte zu kommentieren und nähmen dabei in Kauf, den EU-Verfassungsvertrags-Gegnern Argumente zu liefern. Matignon gehe ein hohes Risiko ein.

Wachstum
LES ECHOS und LA TRIBUNE berichten prominent über das schwache Wirtschaftswachstum im 1. Trimester ("kalte Dusche" von nur 0,2%) und sehen infolgedessen düstere Perspektiven auf Frankreich zukommen. Der Binnenkonsum habe sich halbiert und der Export sei weiter zurückgegangen.

c) Europa

Außenminister-Treffen in Brüssel
LE FIGARO meldet im Wirtschaftsteil, Straw und Brown würden den Britenrabatt mit "Klauen und Zähnen verteidigt" und hätten ein britisches Veto angekündigt gegen den Plan der Präsidentschaft, den Rabatt in 2007 einzufrieren und dann progressiv abzubauen. Im politischen Teil stellt das Blatt den Wettlauf zwischen EU und NATO in Darfour in den Vordergrund: Die EU, seit 6 Monaten vor Ort, aber wenig sichtbar, wolle sich nicht die Show von der NATO stehlen lassen. Dieser Eifer werde zwei Tage vor dem NATO-Rat an den Tag gelegt, an dem grünes Licht gegeben werden soll für die erste Unterstützungsmission der NATO in Afrika. Durch Washington angeregt, sei diese Mission, auch wenn sie sich diskret ankündige, ein diplomatischer Erfolg von Außenministerin Rice. Frankreich habe - wenn auch sehr widerwillig - letztendlich zugestimmt, da es nicht aus Darfour einen neuen 'casus belli' mit den USA machen wolle.

EADS
Der Schatten des Referendums schwebe auch über EADS, meint LE FIGARO. Eine französische Quelle wird mit der Aussage zitiert, man biete in einer Einheitsfront (französischer Staat und Lagardère, die Ende letzten Jahres noch entzweit waren) den deutschen Aktionären die Stirn. Diese hätten auf Zeit gesetzt und eine Entscheidung über die Airbus-Präsidentschaft vor dem französischen Referendum herbeiführen wollen. Die Franzosen blockierten v. a. deshalb, weil unter den Favoriten immer häufiger der Name von Gustav Humbert falle. So kompetent er auch sei, so könne man sich nicht vorstellen, dass ein Nicht-Franzose den in Frankreich so beliebten Airbus-Zweig des Unternehmens anführe. Das hätte die Thesen der Nein-Anhänger gestützt. Andererseits könnte durch die Wahl eines deutschen Airbus-Chefs ein starkes Signal guten französischen Willens nach Berlin geschickt werden und die deutsche Position in Sachen Thales aufweichen.

(Quelle: Pressereferat der deutschen Botschaft in Paris)

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