21. Juli 2003 Drei Jahre nach dem Platzen der Aktienblase gibt es Bestrebungen, das erschütterte Vertrauen der Anleger durch eine unabhängige Ratingagentur für Aktien wiederzugewinnen. Entsprechende Pläne bestätigte Rüdiger von Rosen, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Deutschen Aktieninstituts (DAI), gegenüber dieser Zeitung. Über dieses Vorhaben sind dem Vernehmen nach bereits Gespräche mit großen börsennotierten Unternehmen, der Deutschen Börse und anderen wichtigen Kapitalmarktakteuren geführt worden. Nähere Details wurden aber noch nicht bekannt. Eine Sprecherin der Deutschen Börse erklärte auf Anfrage: "Wir begrüßen jede Initiative, die der Stärkung des Kapitalmarktes dient, sind aber aus Gründen unserer Marktneutralität grundsätzlich kein aktiver Teilnehmer an solchen Vorhaben."
Die Finanzierung und damit die Schlüsselfrage eines unabhängigen Analyse-Unternehmens ist aber noch nicht geklärt. Offensichtlich stellt eine Mitfinanzierung durch Unternehmen, die dann selbst von der Ratingagentur beurteilt würden, die Glaubwürdigkeit eines solchen Vorhabens von vornherein in Frage. Das gesteht von Rosen zu: "Mit der Frage der Finanzierung steht und fällt die Glaubwürdigkeit einer solchen Ratingagentur", erklärte er. Eine teilweise Mitfinanzierung durch börsennotierte Unternehmen erachtet er aber als nicht problematisch. Von Rosen verweist auf das Beispiel der "Telebörse", die auch lange Jahre von der deutschen Wirtschaft finanziert wurde. Freilich zeigt gerade dieses Beispiel, wie schmal der Grat ist, wenn Unternehmen diejenigen, die über sie berichten oder sie analysieren, bezahlen.
Die jetzigen Pläne sind nicht die ersten. So ging im Mai beispielsweise die "F.A.I. Research" an den Start. Das von erfahrenen Analysten gegründete Unternehmen hat sich auf die unabhängige Aktienanalyse spezialisiert. Hintergrund solcher Bestrebungen ist das erschütterte Vertrauen in die Unabhängigkeit der von Banken angebotenen Aktienanalysen. Für viele Unternehmen, die von den Aktienanalysten der Banken betreut werden, arbeiteten die Geldinstitute oft zugleich als Berater bei Kapitalmarkttransaktionen - mit den fast zwangsläufigen Interessenskonflikten.
"Viele Unternehmen werden von den etablierten Großbanken nicht mehr abgedeckt in der Wertpapieranalyse. Diese Unternehmen sehen aber unverändert Bedarf für eine Analyse ihrer Aktie", ergänzt Dieter Hein, einer der Gründer von F.A.I. Research. Aber auch F.A.I. Research hängt in der Finanzierung zum Teil von den analysierten Unternehmen ab. Hein und seine Kollegen wollen diese Firmen aber maximal für ein Jahr auf deren Veranlassung und Kosten betreuen. "Auch in diesem Fall sprechen wir eine unabhängige Empfehlung für Investoren aus", sagt er. Hauptkunden seien aber institutionelle Investoren und Banken, die ihre eigenen Research-Abteilungen oft geschlossen haben. Diese bräuchten aber weiter solche Analysen.
Auch an Wall Street ist unabhängiges Research seit dem Skandal um geschönte Aktienanalysen bei Investmentbanken ein großes Thema. Im Rahmen des Ende April geschlossenen außergerichtlichen Vergleichs zwischen 10 Investmentbanken und den Aufsichtsbehörden müssen die Banken ihren Kunden neben eigenen Empfehlungen auch die Bewertungen von mindestens drei unabhängigen Research-Häusern zur Verfügung stellen. Für die Finanzierung dieser Analysen über einen Zeitraum von fünf Jahren müssen die Banken 432,5 Millionen Dollar zahlen. "Unabhängig" bedeutet in Amerika, daß die Research-Anbieter kein Investmentbankgeschäft machen dürfen. Die unabhängigen Häuser sind kleine, oft unbekannte Firmen, die ihre Analysen bisher meist an institutionelle Investoren verkauften. Daneben gibt es Informationsdienste und Verlage, die sich auch bisher schon an Privatinvestoren richteten wie Standard & Poor's oder Value Line.
Für die Auswahl der unabhängigen Analysehäuser müssen die Investmentbanken einen Berater von außen anstellen. Zu den Kriterien für die Auswahl zählen Geschäftserfahrung, Umfang der bewerteten Aktien und die Reputation. Weder die Investmentbank noch der Berater wird für möglicherweise schlechte Beratung der unabhängigen Firmen haften müssen. Nach Aussage des Informationsdienstes Investars.com lieferten unabhängige Häuser in den Jahren 1999 bis 2002 die besten Resultate bei Aktienempfehlungen. Allerdings ist Unabhängigkeit keine Garantie für eine gute Aktienbewertung. Kritiker dieses Modells sehen zudem einen potentiellen Interessenkonflikt darin, daß die vermeintlich unabhängigen Analysen von Investmentbanken an der Wall Street verbreitet werden.
FAZ.de