Mit der Angst Punkte sammeln
Von Marcus Schymiczek
Es wird eng für die PDS. Drei Wochen vor der Wahl liegt die Linkspartei unter der Fünf-Prozent-Hürde. Da kommt den roten Wahlkämpfern das Kriegsgerassel gerade recht. Der wichtigste Wahlhelfer sitzt in Washington und gilt als alter Kommunistenfresser: US-Vizepräsident Dick Cheney.
Berlin - So einen wie Bastian Entrup zeigen sie gerne vor bei der PDS. Der 18-jährige Schüler mit dem schulterlangen Haar ist der jüngste Direktkandidat seiner Partei. Unverbraucht, unbelastet - dieses Image gibt die PDS sich gerne. Dass der Junge politisch noch etwas grün daher kommt und in seinem Wahlkreis Cloppenburg/Vechta absolut chancenlos ist - was soll's. Gerade mal 0,6 Prozent der Erst- und 0,5 Prozent der Zweitstimmen holte die PDS vor vier Jahren in der niedersächsischen Provinz. Dieses Ergebnis wolle er wiederholen, sagt Bastian bescheiden. Schließlich gehe es um jede Stimme. Wer mag ihm da widersprechen.
Der derzeit erfolgreichste Wahlkämpfer für die PDS ist 61 Jahre alt, trägt Halbglatze und ist über jeden Verdacht erhaben, er könnte den Postkommunisten auch nur nahe stehen. Und genau das macht ihn so wertvoll. Mit jeder Drohung, die der amerikanische Vize-Präsident Dick Cheney in diesen Tagen gen Irak abfeuert, steigen die Chancen der PDS, doch noch in den nächsten Bundestag einzuziehen - so das Kalkül der Parteistrategen im Berliner Karl-Liebknecht-Haus.
Wie ein liebgewonnenes Spielzeug
Drei Wochen vor dem zur Richtungswahl hochstilisierten Urnengang ("Wer Stoiber als Bundeskanzler verhindern will, muss PDS wählen") bemüht sich die Partei mit dem Alleinvertretungsanspruch auf eine pazifistische Grundhaltung um mehr Profil auf einem ihrer zentralen Politikfelder. Das Thema Irak-Krieg sei "der PDS nicht weggenommen worden", sagt Parteichefin Gabi Zimmer, als klammere sie sich an ein liebgewonnenes Spielzeug. Auch nach dem 22. September stehe die PDS dafür, "dass Krieg keine Lösung sein kann".
Krieg? Soviel steht fest: Es wird denkbar knapp für die Sozialisten. Demoskopen sehen die Linkspartei derzeit bei nur vier Prozent und damit im Reichstag nicht mehr vertreten. Vielflieger Gysi und das Jahrhunderthochwasser im Osten haben ihre Spuren hinterlassen. Erst nutzte der schillernste aller PDSler die Bonusmeilen-Affäre für den Absprung aus dem allzu schweren Job als Berliner Wirtschaftssenator. Ausgerechnet Gysi, der einzige der auch bei den Wählern im Westen landen konnte. Dann gingen die Sozialisten in der medialen Bilderflut an der Elbe unter. Mit den Pegelständen sanken die Prozente. Die Einsicht, ob nicht auch die PDS den ein oder anderen Promi auf die Deichkrone hätte schicken sollen, sie reifte zu spät im Karl-Liebknecht-Haus.
So ist die PDS mächtig ins Schwimmen geraten. Denn auch der Einzug in den Bundestag über Direktmandate gilt längst nicht als sicher. Vier Wahlkreise holte "die linke Kraft" 1994 und 1998. Dem neuen Bundestag aber werden statt 656 Abgeordnete nur noch 598 Parlamentarier angehören; die Wahlkreise wurden deshalb neu zugeschnitten. Als sichere Bank gelten für die PDS derzeit nur zwei, die Berliner Wahlkreise Lichtenberg/Hohenschönhausen und Gregor Gysis ehemalige politische Heimat Marzahn/Hellersdorf. In fünf weiteren rechnet sich die PDS gute Chancen aus, darunter in Halle und Rostock. Damit ihre vermeintlichen Asse stechen, pumpt die Zentrale in den Persönlichkeits-Wahlkampf ihrer "glorreichen Sieben" kurz vor Toresschluss 200 000 Euro. "Das ist keine Auffanglinie von was auch immer", bemüht PDS-Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch ungewohnt Generalstabsrethorik, in Anspielung darauf, es könnte seiner Partei angesichts schwächelnder Umfragewerte nur noch darum gehen, das Minimalziel zu erreichen: drei Direktmandate
Eine Frage der Glaubwürdigkeit
Die offizielle Zielmarke liegt bei "sechs Prozent plus x" der Zweitstimmen. Um in den Umfragen verlorenen Boden wieder gutzumachen, bedarf es eines Themas. Da kommt das Kriegsgerassel aus Washington gerade recht. Zu dumm: Auch der Kanzler hat sich längst fest gelegt. Ein Krieg gegen den Irak sei mit ihm nicht zu machen. Eine Frage der Glaubwürdigkeit, kontert Gabi Zimmer. Sie bezweifele ernsthaft, dass sich die Regierung, mit den USA anlegen wird, wenn es darauf ankommt. Ein erste Nagelprobe will die PDS im Bundestag erzwingen. Voraussichtlich am 12. September soll das Parlament über den vorzeitigen Abzug der sechs in Kuweit stationierten Bundeswehr-ABC-Spürpanzer entscheiden.
Erstmals könne ein außenpolitisches Thema bei einer Wahl entscheidend sein, heißt es im Karl-Liebknecht-Haus. Da ist auch der Wunsch Vater des Gedankens. Außenpolitik spielt seit Brandts Ostpolitik bei Wahlentscheidungen keine zentrale Rolle. Dass mit dem Sinken der Pegelstände im Ranking der wichtigsten Themen die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit wieder ganz oben steht, wird im Karl-Liebknecht-Haus lieber ignoriert. Wohl wissend, dass auf diesem Feld eher die Konservativen reüssieren.
Bleibt ein Appell: "In den nächsten drei Wochen geht es um alles", und "jede Minute ist kostbar" sagt Gabi Zimmer, als beschwöre sie Wähler und Wahlhelfer. Ob's reicht? Auf Mitstreiter wie Bastian Entrup aus Cloppenburg/Vechta konnte sich die PDS bislang verlassen. Auf Dick Cheney auch.