Schwierige Suche nach "einfachem Mann"
Bin Laden wechselt ständig Unterschlupf
Sollten sich die USA zu einer Vergeltungsaktion gegen den mutmaßlichen Drahtzieher der Terroranschläge von New York und Washington entschließen, wird es auch für die Supermacht schwierig, Osama bin Laden zu finden. Bin Laden, der 1998 einem amerikanischen Raketenangriff entkam, wird in Afghanistan vermutet.
Allerdings bietet das zerklüftete und unzugängliche Land unzählige Verstecke und ideale Bedingungen für einen Guerillakrieg. Dies bekamen bereits die sowjetischen Invasoren in den 80er Jahren schmerzlich zu spüren.
Bin Laden ist ständig in Bewegung. So weit bekannt ist, reist er mit kleinen Konvois durchs Land, oft in einem unscheinbaren weißen Jeep. Kommandeure der herrschenden Taliban-Miliz, die bin Laden kennen, berichten, er halte sich selten länger als zwei Tage an einem Ort auf. Wie die Nachrichtenagentur AP aus pakistanischen Geheimdienstkreisen erfuhr, wechselte bin Laden am Dienstag nach den Anschlägen binnen weniger Minuten seinen Aufenthaltsort. Er habe aber niemand gesagt, wo er sich zu diesem Zeitpunkt aufgehalten habe oder wohin er gehen wolle, hieß es weiter.
Bin Laden wird von Afghanen als ein "einfacher Mann" beschrieben. Zumeist kleidet er sich in der traditionellen Kleidung seiner Wahlheimat. Begleitet wird er normalerweise von Ayman el Sawari, der wegen des Anschlags auf den ägyptischen Präsidenten Anwar Sadat im Jahre 1981 in Abwesenheit zum Tode verurteilt wurde.
Zuletzt hatte es mehrere Berichte gegeben, wonach zahlreiche Araber einen für sie gebauten Wohnkomplex in der Provinz Kandahar verlassen - offenbar aus Furcht vor einem amerikanischen Vergeltungsschlag. Der Gebäudekomplex wurde erbaut, nachdem Taliban-Führer Mullah Mohammed Omar 1996 bin Laden angewiesen hat, nach Kandahar zu ziehen. Dort hat der Multimillionär bin Laden ein großes Haus für Omar und Gebäude für seine Anhänger errichten lassen.
Osama bin Laden
Vom Partner der USA zum Staatsfeind Nummer eins
Nicht erst seit den Terroranschlägen vom 11. September gilt Osama bin Laden für die USA als Staatsfeind Nummer eins. Die USA sehen in ihm den Drahtzieher einer ganzen Reihe von Attentaten: in dem ersten Anschlag auf das World Trade Center vor acht Jahren, in den Anschlägen auf US-Militärgebäude 1995/1996 in Saudi Arabien und in dem Anschlag auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania 1998.
Bei den Anschlägen in Saudi-Arabien starben mehr als 20 Menschen, bei den Anschlägen auf die diplomatischen Vertretungen in Afrika kamen 224 Personen ums Leben. Beim ersten Anschlag auf das World Trade Center starben sechs Menschen.
Ein Freund der USA
Doch bin Laden galt nicht immer als Feind der Vereinigten Staaten. Ein fanatischer Streiter für einen fundamentalistischen Islam wurde er nach dem Einmarsch der Sowjets 1979 in Afghanistan. Im Kalten Krieg sahen die USA ihn damit als natürlichen Verbündeten.
Die USA unterstützten verschiedene afghanische Mudschaheddin-Gruppen. Die Journalistin Mary Ann Weaver schrieb 1996 in der Zeitschrift "The Atlantic", die CIA habe afghanischen Freischärlern seinerzeit mehr als drei Mrd. Dollar zur Verfügung gestellt. Weaver zufolge wurde bin Laden, der als Sohn eines reichen saudi-arabischen Bauunternehmers auch über beträchtliche eigene Finanzreserven verfügt, von der CIA unterstützt.
Radikalisierung zu Beginn des Golf-Krieges
1989, als die Kämpfe in Afghanistan mit dem Rückzug der sowjetischen Besatzer endeten, kehrte bin Laden in seine Heimat Saudi-Arabien zurück. Sein strategisches Bündnis mit den Amerikanern endete 1990 endgültig, als US-Truppen im Vorfeld des Golf-Krieges gegen den Irak in seinem Heimatland Saudi-Arabien stationiert wurden.
In einem 1997 ausgestrahlten Interview mit dem n-tv Partnersender CNN nannte bin Laden zwei Gründe für seinen "Heiligen Krieg" gegen die USA: die amerikanische Unterstützung Israels und die Stationierung amerikanischer Truppen in Saudi-Arabien - dem Land, in dem sich zwei der drei wichtigsten islamischen Heiligtümer befinden.
Schließlich wurde bin Laden vom saudischen Geheimdienst wegen Beleidigung des Königshauses festgenommen. 1992 kehrte er seiner Heimat den Rücken und ließ sich im Sudan nieder, wo der Fundamentalist Hasan Turabi an der Macht war. Dort nahm Osamas Organisation El Kaida ("Die Basis") Gestalt an. Ideologisch orientierte sich die Gruppierung stark an radikalislamischem Gedankengut aus nordafrikanischen Staaten und den Ländern am Persischen Golf.
Übersiedlung nach Afghanistan
1996 beugte sich der Sudan internationalem Druck und bat bin Laden, das Land zu verlassen. Mit seinen drei Frauen und 180 Anhängern siedelte er nach Afghanistan um und sammelte Kampfgenossen aus den Zeiten des Aufstands gegen die Sowjetunion um sich.
Fatwas gegen die USA
Aus seinem Hass auf die USA macht bin Laden keinen Hehl. In einer Reihe von Fatwas, religiösen Erlassen, die er der Welt von seinem Aufenthaltsort in Afghanistan per Fax zukommen ließ, rief er zum Kampf gegen US-Einrichtungen und gegen US-Bürger auf. In seinen Terroristencamps sollen militante Moslems aus Tschetschenien, Usbekistan, Pakistan, China und den meisten arabischen Ländern zu fanatischen Gotteskriegern herangezogen werden.
Bin Laden lobte die Personen, die 1995 und 1996 die Anschläge auf US-Einrichtungen in Saudi-Arabien verübten, stritt eine Beteiligung aber ab: "Ich habe großen Respekt vor den Menschen, die diese Tat begingen", sagte er CNN. Es sei eine "große Ehre" gewesen, an der er aber nicht beteiligt gewesen sei. Bislang hat bin Laden sich zu keinem Anschlag bekannt.
Bin Laden soll um 1955 in Dschidda zur Welt gekommen sein. Seine Mutter ist Palästinenserin. 1979 schloss er sein Studium an der Universität Dschidda in Wirtschaftswissenschaften ab.
Zu bin Ladens bizarrem Leben passt die Vorliebe für selbst verfasste Gedichte, die vergangene Terroranschläge feiern. So pries er im Februar bei einem seiner seltenen öffentlichen Auftritten anlässlich der Hochzeit seines Sohnes im afghanischen Kandahar den Anschlag auf das US-Kriegsschiff "Cole", bei dem im vergangenen Jahr 17 Soldaten getötet wurden, mit den Worten: "Die Leichenstücke der Ungläubigen wirbelten wie Staubteilchen. Hättet ihr es mit eigenen Augen gesehen, wärt ihr sehr erfreut gewesen, und eure Herzen wären erfüllt mit Freude."