Offshore Windparks sind in aller Munde. Auch der Spiegel hat am 21.5 einen ausführlichen Artikel zu diesem Thema veröffentlicht. Lesenswert!
Stromernte auf hoher See
Tausende Windmühlen vor Deutschlands Küsten sollen schon bald Kohlekraftwerke und Atommeiler ersetzen. Investoren liefern sich bereits einen Wettlauf um die besten Standorte. Doch viele technische Probleme beim Aufbau der weltgrößten Offshore-Windfarmen sind noch ungelöst.
In majestätischer Gleichförmigkeit zeichnen die schlanken Flügel ihre Kreise in den Himmel. Sie rotieren Tag und Nacht, wann immer es stürmt, fast 4000 Stunden im Jahr.
Vom Fuß bis zur Flügelspitze rund 160 Meter hoch, überragen die neuartigen Windturbinen die Kathedralen des Mittelalters und die Kühltürme des Atomzeitalters. Doch wer die Riesenräder aus der Nähe sehen will, muss weit fahren - mit dem Schiff hinaus aufs offene Meer.
Eine Zukunftsvision, die in norddeutschen Amtsstuben derzeit konkrete Gestalt annimmt. Schon in wenigen Jahren sollen 30 bis 40 Kilometer vor Deutschlands Küsten die größten Windfarmen der Welt entstehen. Ganze Wälder der Dreiflügler, so der Plan, werden zu Großkraftwerken zusammengekoppelt.
Die Gesamtleistung der bislang schon beantragten Offshore-Kraftwerke in Nord- und Ostsee summiert sich auf 9000 Megawatt. Rund 2000 gigantische Windräder sind geplant. Sie könnten den Strom von vier großen Atomkraftwerken ersetzen.
Unter den Windmüllern herrscht Goldgräberstimmung. Der Wettlauf um die besten Standorte hat längst begonnen. Beim Hamburger Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH), das über mögliche Plätze jenseits der deutschen Zwölf-Seemeilen-Grenze zu entscheiden hat, stapeln sich die Anträge. "Die Konkurrenz um die aussichtsreichsten Areale ist voll im Gange", berichtet BSH-Justiziar Christian Dahlke. Allein 13 Windparkprojekte, 9 für die Nord- und 4 für die Ostsee, warten beim Hamburger Bundesamt auf eine Entscheidung.
Das ist noch längst nicht alles. Rund 30 weitere Anträge liegen bei den Landesregierungen der Küstenländer Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern, die für Genehmigungen innerhalb der Zwölf-Seemeilen-Zone zuständig sind.
Anders als in anderen europäischen Ländern kann sich ein Investor einen Baugrund im Meer selbst aussuchen. Seit einem Jahr werden die Claims abgesteckt. Auf der Landkarte, die BSH-Mann Dahlke vor sich ausbreitet, erscheinen schon große Teile der Deutschen Bucht schraffiert. Die Windparkplaner rangeln um die Filetstücke. Abgelegene Gebiete jenseits von Wattenmeer und Naturschutzzonen und mit Wassertiefen von 15 bis 35 Metern gelten plötzlich als begehrte Bauplätze. Weit draußen vor Helgoland etwa liegt "ein Riesenblock" von 1200 Quadratkilometern - halb so groß wie das Saarland.
Die Windpark-Entwickler müssen nachweisen, dass ihre Riesenräder weder die Seeschifffahrt noch die maritime Umwelt nachhaltig beeinträchtigen. Keine leichte Aufgabe: Antragsteller und Genehmigungsbehörden betreten Neuland. Draußen auf See fehlen eindeutige gesetzliche Vorgaben.
Grenzenlos ist die Freiheit hinter dem Horizont besonders in Deutschland nicht. Mal bremst der Nationalpark Wattenmeer oder ein ausgewiesenes Vogelschutzgebiet den Tatendrang der Windmüller, dann wieder sind es lokale Fischgründe, viel befahrene Schiffsrouten oder Übungsgelände der Bundesmarine.
Nach Abzug solcher "Ausschlussgebiete" bleibt von den begehrten Standorten nur ein Bruchteil übrig. Nördlich von Helgoland etwa legt sich ein kaum acht Kilometer breiter nutzbarer Streifen wie eine Wurst um die Felseninsel. Um dieses schmale Terrain, 15 Kilometer von dem Eiland entfernt, wetteifern gleich drei Antragsteller.
Für die Flucht aufs Meer gibt es gute Gründe. An Land wird der Platz für Windturbinen knapper und der Ärger größer.
Immer häufiger wehren sich genervte Anwohner über Schattenwurf und monotones Flügelpfeifen. Touristen beklagen die Verschandelung der Ferienlandschaft.
Solchen Widrigkeiten hoffen die Projektplaner auf dem offenen Meer zu entkommen. Offshore steht der kostenlose Rohstoff Wind zudem viel gleichmäßiger zur Verfügung. Fachleute erwarten, dass die Stromausbeute 40 Prozent höher ausfällt als an Land.
Eine im Oktober vorigen Jahres veröffentlichte Greenpeace-Studie rechnet vor, dass Deutschland 55 Prozent seines Stromverbrauchs allein durch Offshore-Windparks decken kann. Und eine Abschätzung für die Brüsseler EU-Kommission hat ergeben, dass sich Europa theoretisch sogar vollständig mit Windstrom von den umgebenden Meeren versorgen könnte.
Liegt das Ruhrgebiet des 21. Jahrhunderts also zwischen Sylt und Borkum, zwischen Lübecker Bucht und Odermündung?
Immerhin haben die Windmüller zu Lande bewiesen, dass sie alles andere sind als realitätsfremde Träumer. Regelmäßig übertrafen sie in der Vergangenheit ihre eigenen Visionen. Die Branche brummt seit Jahren wie außer ihr allenfalls noch die Unternehmen der Informations-, Kommunikations- und Biotechnologien.
Von 56 Megawatt im Jahr 1990 schnellte die Leistung der entlang der Küsten und auf zugigen Anhöhen installierten Stromgeneratoren auf 6112 Megawatt Ende 2000 hoch (siehe Grafik). Allein seit Jahresbeginn kamen weitere 600 Megawatt hinzu. "Aufschwung ohne Ende", jubelt das Fachblatt "Neue Energie" in seiner Mai-Ausgabe.
In Schleswig-Holstein, nach Niedersachsen das Bundesland mit der höchsten Windkraftleistung, stammten im vergangenen Jahr bereits mehr als 17 Prozent des Elektrizitätsbedarfs aus den mehr als 2000 Windrädern.
Im Norden der Republik stieg die mittelständisch geprägte Branche im Eiltempo zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor auf. Bundesweit beschäftigt der Windkraft-Sektor schon über 30 000 Menschen, mehr als die Atom- oder die Werftindustrie. Der Umsatz kletterte im vorigen Jahr nach Berechnungen des Bundesverbandes Windenergie auf fast vier Milliarden Mark.
An den Börsen steuerten die Kurse der Windparkentwickler und Rotorenhersteller während der letzten zwölf Monate kräftig nach oben - gegen den allgemeinen Abwärtstrend. Mitte Juni steigt der Erkelenzer Energie-Dienstleister Umweltkontor als erstes Unternehmen aus der neuen Energiebranche in den Börsenindex Nemax 50 auf.
Doch das alles soll erst der Anfang gewesen sein. Bis Ende des Jahrzehnts wollen die Windmühlen-Strategen nun einen Quantensprung schaffen, der den Boom der neunziger Jahre nachträglich als gemütlichen Aufgalopp erscheinen lassen soll. Analysten rechnen in den nächsten Jahren allein vor den Küsten Norddeutschlands mit Investitionen in zweistelliger Milliardenhöhe.
Ausgelöst wurde die euphorische Aufbruchstimmung im vergangenen Jahr durch die Novelle des "Erneuerbare-Energien-Gesetzes". Die gegen den Widerstand der etablierten Stromkonzerne durchgepaukte Regelung garantiert den - gegenüber Kohle- und Atomkraftwerken noch immer nicht voll konkurrenzfähigen - Windmüllern gegenwärtig für jede Kilowattstunde eine Vergütung von 17,8 Pfennig - und damit gesicherte Einnahmen.
Für Planungssicherheit bei den Investoren sorgte schließlich Mitte März der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg, der die deutsche Förderpraxis endgültig absegnete. Nun auf einmal wollen auch die Großen der Energiebranche, die die Newcomer auf dem Strommarkt lange Zeit als Subventionsempfänger geschmäht hatten, den Windboom nicht länger den mittelständischen Emporkömmlingen allein überlassen.
So hatte der Energieriese E.on vor dem EuGH noch gegen die deutsche Vergütungsregelung für Windstrom geklagt. Doch zwei Wochen nach dem für das Unternehmen niederschmetternden Urteil bat die Engineering-Abteilung des Konzerns um Aufnahme in den Bundesverband Windenergie.
Der Ölmulti Shell treibt schon seit Jahren seinen Einstieg in die Windtechnologie voran. "Bis 2005", verkündete Pieter Berkhout, Chef der Deutschen Shell, anlässlich der Inbetriebnahme zweier Rotoren vergangenen Herbst im Hamburger Hafen, "wollen wir weltweit eine führende Position im Offshore-Bereich erreichen."
Bei den Großprojekten, die den Behörden derzeit zur Prüfung vorliegen, haben bislang jedoch fast ausschließlich junge mittelständische Unternehmen die Nase im Wind. Sie heißen Umweltkontor, Energiekontor, Winkra oder Future Energy.
Der erste schleswig-holsteinische Offshore-Windpark wird wohl vor der Lübecker Bucht errichtet. Ursprünglich wollten die Betreiber von "Sky 2000" ihre 50 Zwei-Megawatt-Windmühlen nur fünf Kilometer vor der Küste auf der Untiefe "Sagas-Bank" aufstellen. Nach Protesten der Fremdenverkehrsgemeinden am Ostseestrand wurde der Standort 19 Kilometer weiter nach Osten verlegt und liegt nun genau zwischen zwei von der Bundesmarine genutzten U-Boot-Schießplätzen.
Mit dem an Land erprobten Konzept eines Bürger-Windparks versucht ein Zusammenschluss vorwiegend nordfriesischer Windenergie-Anhänger namens "Butendiek" (plattdeutsch für "außendeichs"), dem Widerstand die Spitze zu nehmen: 30 Kilometer westlich von Sylt sollen sich 80 Rotoren mit einer Leistung von jeweils drei Megawatt drehen, finanziert von Klein-Kommanditisten vornehmlich aus der Region. Seit Mitte März haben schon fast 8000 Bürger Anteile von je 500 Mark gezeichnet, die zunächst nur die Kosten für Planung und Baugenehmigung abdecken sollen.
Um die Akzeptanz für das insgesamt 800 Millionen Mark teure Vorhaben zu sichern, wollen die Initiatoren auch den lokalen Sylter Energieversorger einbinden. Dennoch formieren sich die Bedenkenträger. Die Sylter Gemeinden Kampen und Wenningstedt lehnen das Projekt wegen einer möglichen "Landschaftsverfremdung und Gefahren für den Schiffsverkehr" bislang strikt ab.
Ökologische und sicherheitstechnische Einwände dämpfen auch anderswo die Euphorie. Naturschützer sehen durch die maritimen Riesenräder Vögel und Meerestiere bedroht, Tourismusmanager warnen vor einer Abwertung der Urlaubsregionen, Fischer sorgen sich um die Fanggründe in den flachen Ge-
wässern, und Reeder fürchten Kollisionen ihrer Frachter mit den künstlichen Hindernissen.
Henning von Nordheim vom Bonner Bundesamt für Naturschutz beschreibt das Dilemma so: "Unser Problem besteht darin, dass wir nur wenig darüber wissen, wie sich die Störungen beim Bau der Anlagen auf das Ökosystem auswirken. Noch weniger wissen wir über den Betrieb."
Der Lärm beim Setzen der Fundamente zum Beispiel schlägt womöglich Schweinswale und Kegelrobben in die Flucht. Wenn die drei Meter dicken Pfeiler oder die gewaltigen dreibeinigen Stahlfundamente mit Explosionsrammen 10 bis 20 Meter tief in den Meeresboden getrieben werden, pflanzen sich die Schallwellen der Detonationen unter Wasser fort. Niemand weiß, wie die Meeressäuger auf die Ruhestörung reagieren.
Ähnlich ungeklärt sind die Auswirkungen auf die Vogelwelt. Die östliche Deutsche Bucht zum Beispiel gilt als wichtigstes Winterquartier für Stern- und Prachttaucher; die flachen Gewässer sind bedeutsame Rastplätze für Trauerenten, Brandseeschwalben und Sturmmöwen. Rotierende Riesenräder, glauben Tierfreunde, könnten sich als gigantische Vogelscheuchen erweisen.
Schlimmstenfalls könnten die Windparks sogar zu tödlichen Fallen für Vögel werden. So fürchtet der Landesnaturschutzverband (LNV) in Schleswig-Holstein ein grausames Gemetzel, sollte nordöstlich von Helgoland ein Offshore-Windpark realisiert werden. Dem "Vogelschredder" könnten nach LNV-Schätzungen 400 000 Zugvögel zum Opfer fallen.
Doch wissenschaftliche Beweise für solche Horrorszenarien gibt es bisher nicht. Erfahrungen mit Windfarmen an Land oder unmittelbar vor den Küsten lassen eher den Schluss zu, dass die Vögel um die Anlagen einen großen Bogen machen.
Eindeutig für die Windparks trommelt Greenpeace. Sven Teske, der Energie-Experte der Öko-Kämpfer, fürchtet um die eigene Glaubwürdigkeit: "Wir können doch nicht Strom aus Uran, Kohle und Windenergie gleichzeitig ablehnen."
Auch die Risiken von Schiffshavarien zeichnen die Gegner der Turbinen auf See in düsteren Farben. "Wir reden hier von dem am intensivsten genutzten Gebiet der Nordsee mit 80 000 bis 100 000 Schiffsbewegungen im Jahr", warnt Hans von Wecheln, der Sprecher der Schutzgemeinschaft Deutsche Nordseeküste.
Zwar versichert die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger, dass sie mit ihren Seenotrettungskreuzern im Ernstfall auch zwischen den Windrädern operieren könne. Skeptiker entgegnen, dass die Luftrettung und die Bergung Verletzter mit Hilfe von Hubschraubern bislang ungeklärt sei: Kein Pilot fliege gern bei stürmischem Wetter und schlechter Sicht Slalom durch einen Stangenwald.
Doch in der Politik gibt es für solche Bedenkenträgerei nicht einmal bei den Grünen eine Mehrheit. Nicht zuletzt um die eigenen Klimaschutzziele zu erreichen, drückt die Bundesregierung aufs Tempo. Weil eine Klausel im Erneuerbare-Energien-Gesetz die maximale Förderung nur solchen Offshore-Anlagen gewährt, die spätestens Ende 2006 ihren Betrieb aufnehmen, steht die Zunft unter Zeitdruck.
Für die Ingenieure und Techniker in den Windkraft-Schmieden bedeutet das eine ungeheure technische Herausforderung. Denn wegen der beträchtlichen Mehrkosten auf hoher See rechnen sich Offshore-Windkraftwerke nur dann, wenn sie die Leistung der Rotoren an Land weit übertreffen. Unter Hochdruck entwickeln die Unternehmen deshalb gewaltige Strommühlen, höher als der Kölner Dom.
Heutige Standardmaschinen bringen es auf gut eineinhalb Megawatt. Jetzt tüfteln die Entwicklungsabteilungen der führenden Hersteller an Anlagen mit drei bis fünf Megawatt Leistung. Aloys Wobben, Chef und Firmengründer des Branchenführers Enercon im ostfriesischen Aurich (Marktanteil: 27,5 Prozent), will Anfang nächsten Jahres nahe Magdeburg den Prototyp eines 4,5-Megawatt-Rotors aufstellen. Nach einem mindestens zweijährigen Testlauf auf festem Boden will das Unternehmen den Sprung aufs Meer wagen.
Zwar errichteten Dänen, Niederländer und Schweden schon seit 1991 eine Reihe kleinerer Offshore-Anlagen vor ihren Küsten. Aber die Investoren dort setzten ausschließlich auf küstennahe Standorte im flachen Wasser und auf an Land bewährte Standardturbinen.
Vor der deutschen Nordseeküste herrschen andere Bedingungen:
* Aufwendige Fundamente bei bis zu 40 Meter Wassertiefe müssen Stürmen, Eisschollen und haushohen Wellen trotzen;
* zum Schutz von Hightech-Getriebe und Steuerelektronik vor Meerwasser-Korrosion sind neuartige Kapsel-Techniken erforderlich;
* um den Windstrom ins Festlandnetz einzuspeisen, müssen Seekabel verlegt werden, die allein ein Viertel der Kosten eines Offshore-Windparks ausmachen können;
* auf hoher See muss jeder Windpark mit einer vollständigen Wartungs- und Reparaturlogistik ausgestattet sein.
Die größte Herausforderung sieht Jens Peter Molly, der Leiter des Deutschen Windenergie-Instituts in Wilhelmshaven, in der technischen Zuverlässigkeit der Anlagen: "Sie entscheidet über Erfolg und Misserfolg der Offshore-Entwicklung."
Störfälle häufen sich erfahrungsgemäß bei heftigen Stürmen - also gerade dann, wenn Windfarmen auf See tage- oder gar wochenlang für Reparaturtrupps kaum zugänglich sind. "Das geht schnell ins Geld", mahnt Molly.
Ob die Zeit für gründliche Tests der neuen Riesenturbinen an Land ausreicht, bleibt dennoch fraglich. Alle Hersteller stehen unter enormem Druck der Projektplaner und Investoren. Wer jetzt den Wettlauf um die besten Startplätze verliert, verspielt mehr als nur ein paar Aufträge.
Offshore-Windmühlen der Multi-Megawatt-Klasse drehen sich bisher nirgendwo auf der Welt. Die geplanten Kraftwerke in Nord- und Ostsee werden so automatisch zu Schaufenstern für den Weltmarkt. Wer da zu spät kommt oder die Störfall-Statistik anführt, den bestraft der Konkursrichter.
Oder wie es Windenergie-Pionier Wobben ausdrückt: "Wer sich Offshore nasse Füße holt, hat schnell einen Schnupfen - und dann eine ausgewachsene Lungenentzündung."