Nortel (WKN: 929925; NT; $3,07)
Im Oktober ist die Aktie noch bei $0,43 zu haben gewesen.
Inzwischen hat sich der Kurs bereits versiebenfacht. Ist diese
Aktie damit erneut wilden Spekulationen zum Opfer gefallen? Oder
hat sich das Geschaeftsumfeld so dramatisch verbessert? Ich
werde versuchen, eine Antwort auf diese Frage zu finden.
Nortel entwickelt und vertreibt Netzwerkkomponenten. Im Bereich
der Funk-, optischen, Kabel-, Kurzstrecken- oder
Langstreckennetzwerke ist das Unternehmen zu Hause. Loesungen
fuer Daten- und Audiouebertragung werden entwickelt. Damit ist
Nortel Zulieferer der von mir so gemiedenen Telekombranche.
Ich habe mich an dieser Stelle ueber die meiner Ansicht nach
wettbewerbsverzerrende Loesung im Worldcom Skandal ausgelassen.
Gut, nun ist es aber so gelaufen. Also lassen wir die sowohl
unruehmliche Vergangenheit des Unternehmens als auch die meiner
Ansicht nach unfaire Intervention der SEC einmal hinter uns und
schauen auf die aktuelle Situation im Telekombereich.
Worldcom steht wieder als gesunder Marktteilnehmer im Feld. Und
auch die anderen Wettbewerber haben die vergangenen drei Jahre
genutzt, um, teils unter Schmerzen, ihre Bilanzen zu
konsolidieren. Das Geschaeft war eingebrochen, Wachstumsplaene
wurden verfehlt, Investitionen wurden gestrichen, Zulieferer
mussten sicher geglaubte Auftraege aus ihren Auftragsbuechern
streichen.
In den vergangenen Monaten hat die Branche also mit gar nichts
mehr gerechnet. Vielmehr wurde umgeschichtet, refinanziert.
Und in diese Lethargie hinein kommt nun die Meldung, dass
saemtliche Telekomunternehmen wieder Kunden gewinnen. Auf
breiter Front: EchoStar (DISH), der Anbieter digitalen
Fernsehens, freut sich ueber 350.000 Neukunden. Nextel (NXTL),
Anbieter von digitalen Funknetzwerken, konnte 480.000 Neukunden
verzeichnen. Verizon (VZ), mischt in allen Bereichen der
Telekommunikation mit, stellt Telephonbuden auf und erstellt
Telephonbuecher, gewinnt 883.000 Neukunden fuer sein
Mobilfunknetz. AT&T Wireless (AWE) plus 283.000 Kunden, XM
Satellite (XMSR), ein nationaler Radiodienst, verzeichnet ein
Abonnentenplus von 145.000 und schliesslich, der Kabeldienst
ComCast (CMCSK) kann sich ueber 1,3 Mio. Neukunden fuer seinen
Internetzugang ueber das bestehende Kabelfernsehnetz freuen.
Fuer diese Neukunden muss eine Infrastruktur geschaffen werden.
Und die wird bei Lucent (LU), JDS Uniphase (JDSU), Broadcom
(BRCM) und auch Nortel eingekauft.
Selbst die Deutsche Telekom hat in diesen Tagen eine
ueberraschend positive Umsatzentwicklung vermeldet.
Nein, die Probleme der Telekombranche sind noch nicht geloest.
Es zeigt sich hier wieder die Natur der Boerse: Es reicht, wenn
eine Loesung in Sicht ist, um die Kurse wieder anziehen zu
lassen. In den letzten Wochen wurden bei allen
Telekomunternehmen nochmals scharfe Einschnitte vollzogen:
Unternehmensanteile verkauft, Projekte gestoppt, Mitarbeiter
entlassen.
Nachdem all diese Massnahmen in den vergangenen drei Jahren kaum
Wirkungen gezeigt hatten, die Massnahmen wurden der
einbrechenden Nachfrage nicht gerecht, so scheint sich nun ein
Ende der Abwaertsspirale abzuzeichnen.
Natuerlich ist Nortel mit einem KGV 04e von 34 masslos
ueberteuert. Betrachten Sie aber einmal das KUV von 1, so
relativiert sich dieser Wert. Die Profitmargen sind durch den
ruinoesen Wettbewerb in dieser Branche, nicht zuletzt initiiert
durch das verantwortungslose Handeln von Worldcom, nahe Null. An
das Geldverdienen denkt derzeit niemand, es geht darum, im
Geschaeft zu bleiben.
Daher ist das KGV nicht aussagekraeftig. Vielmehr sollte
betrachtet werden, welche Ertragsmoeglichkeiten in den Bilanzen
stecken.
Nortel hat eine Schuldenquote von 1,8. Das ist sehr hoch, aber
fuer die Branche nicht untypisch. Allerdings stehen diesen
Schulden Barreserven von $4 Mrd. gegenueber. Damit ist die
notwendige Liquiditaet gesichert, Nortel muss kaum mit einer
Insolvenz rechnen.
Sofern sich die oben aufgezaehlten Neukunden tatsaechlich in
neue Auftraege fuer die Telekomzulieferer umwandeln lassen,
sollte Nortel es geschafft haben, die Konjunkturschwaeche zu
ueberleben. Anziehende Umsaetze und dadurch dann vielleicht auch
wieder ordentliche Profitmargen wuerden die aktuelle Bewertung
der Aktie schnell rechtfertigen, vielleicht sogar als niedrig
erscheinen lassen.
Allein in den letzten Tagen ist Nortel um 20% gestiegen. Sollten
Sie auf eine nachhaltige Besserung der Konjunktur setzen, so
koennen Sie die Aktie zu Kursen unter $2,7 kaufen. Tritt jedoch
das Schreckgespenst Japan auf die Bildflaeche, so sollten Sie
diesen Wert schnellstens wieder abstossen.