Letzte Bastionen fallen Nordallianz erobert Kandahar
Nur einen Tag nach ihrer Flucht aus der afghanischen Hauptstadt Kabul haben die Taliban mit der Stadt Kandahar offenbar auch ihr religiöses und politisches Zentrum verloren. Dies sei mit Hilfe der Bevölkerung gelungen, sagte der Botschafter der afghanischen Exil-Regierung in der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe, Said Ibrahim Hikmat. Der Flughafen von Kandahar war der Nordallianz bereits am Dienstag in die Hände gefallen.
Auch der arabische TV-Sender Al Dschasira meldete die Einnahme Kandahars durch die Nordallianz. Der Sender berief sich auf einen Sprecher der Nordallianz. Die Allianz sei von Stammesführern aus der Region unterstützt worden, hieß es. Die Taliban-Kämpfer hätten sich in die Berge zurückgezogen.
Die Taliban selbst dementierten die Einnahme Kandahars. "Dies sind Lügenberichte", sagte der Sprecher des Taliban-Führers Mullah Omar, Mohamed Tajeb Agha, gegenüber Al Dschasira.
Der von den Taliban entmachtete afghanische Präsident Burhanuddin Rabbani ist unterdessen nach Kabul zurückgekehrt. Hikmat sagte, Rabbani habe "zum Erhalt der Einheit des Staates" eine Generalamnestie verkündet, die für die Angehörigen aller Völker und Nationalitäten des Landes gelte. Ausgenommen seien Kriegsverbrecher.
Neue Taktik: Taliban räumen Dschalalabad
Zuvor hatten die Taliban die ostafghanische Stadt Dschalalabad kampflos geräumt. Sie übergaben die Macht allerdings nicht der Nordallianz, sondern dem Mudschahedin Mohammed Junis Chalis, der der Nordallianz nicht angehört.
Chalis hatte in den achtziger Jahren gegen die sowjetischen Truppen gekämpft. Nach einer Meldung der privaten afghanischen Nachrichtenagentur AIP warnte Chalis die Nordallianz davor, die Provinz Nangarhar zu betreten, in der Dschalalabad liegt.
Beobachter werten die Übergabe der Provinz als neue Taktik der Taliban. Ihr Ziel sei offenbar eine Ethnisierung des Konflikts. Die Taliban hofften demnach, dass paschtunische Milizen, die nicht auf der Seite der Taliban kämpfen, versuchen werden, die Nordallianz zu stoppen. Tatsächlich gehen Beobachter davon aus, dass die paschtunischen Mudschahedin nach dem Abzug der Taliban die Eroberung des ganzen Landes durch die Nordallianz verhindern wollen.
Zur Nordallianz gehören vor allem tadschikische, usbekische und schiitische Milizen. Die Paschtunen, die mit 40 Prozent die größte Bevölkerungsgruppe stellen, stehen der Nordallianz skeptisch bis feindlich gegenüber. Auch lokale paschtunische Milizen kämpfen in einigen Provinzen gegen die Taliban.
Mehrzahl der Provinzen von Nordallianz erobert
Flüchtlinge berichteten, immer mehr Menschen lehnten sich gegen die Taliban auf. Nach derzeitigem Informationsstand beherrschen die Taliban noch sechs der insgesamt 29 Provinzen des Landes. Zu den dramatischen Machtverlusten der Taliban an lokale paschtunische Milizen gehört nach Angaben von AIP die Provinz Orusgan, die Heimat von Taliban-Führer Mullah Mohammed Omar.
Treibjagd geht weiter
Nach dem Fall Kabuls versuchen die USA nun, den Ring um Osama bin Laden enger zu ziehen. Verteidigungsminister Donald Rumsfeld bestätigte, dass sich US-Spezialeinheiten im Süden Afghanistans befänden, der Hochburg der Taliban. Die Kommandogruppen würden dort ohne die Unterstützung einheimischer Taliban-Gegner operieren. Nach Einschätzung der USA halten sich die Taliban-Führung und bin Laden in Höhlen, unterirdischen Bunkern oder unwegsamem Gelände versteckt.
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