Das Kapital: Morgan Stanley meint es noch gut mit Nokia
Bisweilen ist die Börse an Charme nicht mehr zu überbieten. Die Anleger haben Nokia verprügelt, nachdem Morgan Stanley die Aktie auf reduzieren gestellt und das Kursziel auf 15 Euro gesenkt hat. Nur wieso um Himmels willen?
Es weiß doch sowieso jeder, dass die europäische Vorzeigefirma bei 25 Euro je Aktie im Grunde unbezahlbar ist. Nichts gegen Nokia . Die Finnen werden ausgezeichnet geführt, verfügen über eine hervorragende Stellung am Markt, sind überaus effizient und liefern nachhaltig Gewinne. Das vermerkt auch Morgan Stanley. Aber alles hat seinen Preis. Der von Nokia wird an der Börse durch Stimmungen bestimmt, nicht durch Fundamentaldaten. Allein das macht die Aktie riskant. Aber das Wagnis lässt sich auch messen. Auf täglicher Basis gerechnet, hatte die Aktie über die letzten zwölf Monate ein bereinigtes Beta von 1,94. Das bedeutet übersetzt, dass der Wert etwa doppelt so stark schwankt wie die Börse selbst. Das Zauberwort heißt Momentum.
Unter der Prämisse, dass die Firma immer die Hälfte ihres Gewinns an die Aktionäre zurück gibt, müssten die Finnen bei einem Diskontsatz von zehn Prozent von 2004 bis 2009 mit 20 Prozent jährlich wachsen, um 15 Euro je Aktie wert zu sein. Bei einer angenommenen operativen Marge von 14,5 Prozent - der Morgan Stanley-Schätzung für 2003 - entspricht das einem Umsatz von 115 Mrd. Euro, gegenüber rund 31 Mrd. Euro im letzten Jahr. Sagen wir ruhig, der Anteil der Telefone am gesamten Umsatz gehe bis 2009 von rund drei Vierteln auf die Hälfte zurück. Bei einem mittleren Verkaufspreis von 165 Euro liefe das auf einen Jahresabsatz von knapp 350 Mio. Stück hinaus. Einen Marktanteil von rund 35 Prozent unterstellt, würden dann insgesamt knapp eine Milliarde Handys pro Jahr verkauft. Das kommt einem Sechstel der Weltbevölkerung gleich. Behält jeder sein Handy im Schnitt zwei Jahre lang, würden im Ganzen zwei Milliarden Menschen mobil telefonieren.
Selbst wenn in China demnächst auch Greise und Säuglinge mobil telefonieren, ist das eine vermessene Rechnung. Tatsächlich lässt das Wachstum im Reich der Mitte jetzt schon allmählich nach, weil in den bevölkerungsreichen Küstenregionen bereits etwa ein Viertel der Menschen mobil telefonieren. Handys sind Massengüter, die Preise stehen entsprechend unter Druck. Die Annahme, dass die Marge bei 14,5 Prozent bleibt, ist daher ziemlich generös, trotz der Größenvorteile von Nokia. Morgan Stanley hat es noch gut gemeint mit den Finnen. Und Nokia steht besser da als viele andere Technologie-Höhenflieger, die kein Geld verdienen oder noch höher bewertet sind.
Infineon
Soll noch einmal jemand sagen, Investoren wären nicht lernfähig. Vor gar nicht allzu langer Zeit waren Halbleiter-Aktien so vorhersehbar wie der Schweinezyklus des Chippreises. Nach dem Boom kamen Überinvestition, Preisverfall, Marktbereinigung - und schließlich der nächste Aufschwung. Die Kurse nahmen es jeweils brav vorweg.
Eines effizienten Marktes ist das unwürdig, sagten sich die Investoren diesmal. Bekanntlich jagten sie die Kurse viel früher nach oben, schon mitten im Abschwung. Das hat auch traditionell günstigen Werten wie Infineon inzwischen ziemlich üppige Bewertungen beschert. Der Unternehmenswert der Münchener liegt jetzt beim 3,9fachen der - bis auf weiteres schrumpfenden - Umsätze. Das ist zwar Wahnsinn. Er folgt aber einer nicht uninteressanten Methode.
Bekanntlich erfordert die Halbleitererzeugung hohe Investitionen, die Grenzkosten jeder weiteren Einheit sind dagegen bescheiden. Ein höherer DRAM-Preis schlägt also direkt auf die Marge und damit den Gewinn durch. Merrill Lynch etwa rechnet vor, dass jeder zusätzliche Dollar pro DRAM Infineons Gewinn je Aktie um 0,97 Euro heben könnte.
Vom Tief aus haben sich die Preise bereits verdreifacht. Wenn die Nachfrage mit der Konjunktur wieder anzieht und die Konsolidierung so richtig in Schwung kommt, kann man auf mehr hoffen. Ein historisch nicht einmal besonders hoher Preis von fünf $ für einen 128-MB-DRAM könnte Gewinne von 1,8 Euro pro Aktie bescheren. Das entspräche einem mickrigen KGV von zwölf .
Bloß wird die Rechnung langsam ziemlich riskant. Der Aufschwung steht angesichts der schwachen PC-Nachfrage auf wackligen Beinen. Noch schlimmer sieht es für Halbleiter insgesamt aus. Im dritten Quartal 2001, dem vorläufigen Tiefpunkt dieses Abschwungs, fiel die Auslastung in der Halbleiterbranche weltweit auf 64 Prozent. Bei den vorherigen Tiefs fiel sie laut SICAS nur auf 82 bis 88 Prozent. Die Marktbereinigung müsste diesmal also um einiges kräftiger ausfallen, selbst wenn die Nachfrage anzieht.
Von Hynix abgesehen, haben die meisten Mitbewerber genug Geld, um ohne Werksschließungen weiter zu wurschteln. Infineon etwa weitet nach der Wandelanleihe wacker die Produktion aus. Für wirklich teure Werte wie Micron könnte dieser ungewöhnliche Zyklus doch noch im Schlachthof enden.
© 2002 Financial Times Deutschland