NM: Wie der Albtraum begann

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DerNeueWorl.:

NM: Wie der Albtraum begann

 
06.03.02 03:56


   
Alle wollten das schnelle Geld machen: Unternehmen, Banken und Anleger. Auch die WWL Internet AG. Wie sich das Internetunternehmen auf den Börsengang vorbereitete, was mit den Geldströmen geschah und wie der Traum platzte, erzählt WWL-Gründer Andreas Lindenberg. Den Erlebnisbericht über den "Albtraum Neuer Markt" präsentiert Ihnen sharper.de in den kommenden zehn Wochen. In der ersten Folge schildert Lindenberg, wie alles begann.

 
 
Andreas Lindenberg: "Albtraum Neuer Markt". Jetzt bestellen für 22,- Euro.  
Im April 1995, gut vier Wochen vor der Gründung der WWL, wurde ich das erste Mal mit dem Internet konfrontiert. Allerdings gleich mit der Frage, ob ich mich an der Gründung eines Unternehmens beteiligen würde, welches zum Geschäftsgegenstand die Erstellung von Internetapplikationen hat. Zwei Studenten, die sich ein gutes Jahr vor dem Ende ihres Studiums befanden, wollten mit der Unterstützung meines Bruders und mir, die wir schon fünf Jahre selbstständig waren, eine Firma aufbauen, die ihnen nach dem Studium einen Arbeitsplatz in diesem Umfeld bieten könnte.

Ich kann heute getrost zugeben, dass wir die WWL gründeten, ohne zuvor mit einem Businessplan die Regeln wirtschaftlicher Betriebsführung beachtet zu haben. Ich halte dies für völlig legitim und bin überzeugt, dass ein Businessplan unsere Gründungsphase auch nicht erfolgreicher gemacht hätte, als sie ohnehin war. Grundsätzlich muss es erlaubt sein, eine gute Idee im unternehmerischen Sinne auch spontan umsetzen zu dürfen. Immerhin vergingen von der Idee bis zur notariellen Gründung nicht einmal drei Wochen. (...)

Start ohne jeden Geschäftsplan

Einerseits war es sicher die lockere Vorgehensweise, die uns einen erfolgreichen Start bescherte. Wir konnten in den ersten Monaten ohne jeglichen existentiellen Druck ganz eisern unseren eingeschlagenen Weg gehen. Wir kamen nie in die Versuchung, unsere beiden Kerngeschäftsfelder – Erstellen von Internetpräsenzen und Netzwerklösungen – zu verlassen, nur um zusätzlichen Umsatz zu generieren.

Andererseits kamen wir genau zur richtigen Zeit mit der Geschäftsidee der WWL im Nürnberger Raum. Das ist das unternehmerische Glück, das man auch schon mal für sich in Anspruch nehmen muss. Nürnberg war 1995 tatsächlich noch ein weißer Fleck auf der Landkarte einiger bundesweit operierender Provider, die auf regionaler Ebene Partner für den Betrieb von Einwahlknoten suchten. (...)

Internet als Experiment

Es war unglaublich, was man seinen Kunden damals zumuten konnte – und wegen technischer Probleme der Ausrüstung auch musste –, ohne dass sich einer beschwert hätte. Offenbar war allen bewusst, dass sich das Internet in einer Art Erprobungsphase befand, und ein bis zwei Stunden Betriebsstörung beim Provider mehrfach pro Woche wurden in Kauf genommen. (...)

Wochentags blieben die Abstürze des Verbindungsrechners nach München vom Kunden meist unbemerkt. Binnen Sekunden war der Rechner nach einem manuell ausgelösten Neustart wieder im Einsatz. Nachts und am Wochenende allerdings war meist niemand von uns in der Firma, um den Reset des Rechners durchzuführen, wenn er sich einmal mehr "aufgehängt" hatte. Als Einziger von uns vier Gründern hatte ich das Pech, in Nürnberg zu wohnen und die Firma binnen einer Viertelstunde von zu Hause aus erreichen zu können.

Irgendwann hatte ich aufgegeben mitzuzählen, wie oft ich nachts aus dem Schlaf und am Wochenende aus dem Familienleben gerissen wurde, um in die Firma zu fahren, nur um dort eine klitzekleine Handbewegung auszuführen: einen kurzen Druck auf den Reset-Schalter des Rechners. Manchmal musste ich gleich wieder umdrehen, kaum dass ich zu Hause angekommen war. (...)

Verbesserung der Qualität

Nach Überwindung ihrer technischen Anfangsschwierigkeiten konnte sich die WWL durch qualitativ hochwertige Zugänge deutlich von der Konkurrenz abheben. Auch mit der Geschwindigkeit klappte es ab März 1996 bestens, nachdem wir direkt an Hamburg über eine breitbandige Verbindung mit der 30fachen Kapazität (2 Mbit/s) unserer Münchener Leitung angeschlossen wurden. Damals waren neben dem Preis vor allem die Verfügbarkeit des Providers (Besetztzeichen versus freie Leitungen), die Geschwindigkeit des Seitenaufbaus beim Surfen und die Stabilität der aufgebauten Leitungen noch echte Unterscheidungskriterien.

Heute sind die Qualitätsunterschiede fast völlig verschwunden und die Abgrenzung gegenüber Wettbewerbern findet ausschließlich über schlecht vergleichbare Preismodelle statt. Bei der WWL war das Megabyte zuletzt ab zwei Eurocent zu haben – ein Preisverfall von mehr als 99 Prozent gegenüber unserer ersten Preisliste.

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