Nicht schon wieder Muttertag

Beitrag: 1
Zugriffe: 187 / Heute: 1
vega2000:

Nicht schon wieder Muttertag

 
10.05.02 21:50
Wie gut, dass mein Sohn noch ein unkreativer Säugling ist. So werde ich den unerbittlich herannahenden Muttertag unbehelligt überstehen. Er wird meine Frau nicht mit Kartoffeldruckherzen oder Wattebäuschchen-Blumen zu beglücken versuchen. Einer armen Freundin dagegen steht dieser Sonntag drohend bevor: Ihre Kinder stecken nämlich mitten im Bastelalter. Genau wie ihre ambitionierten Kindergärtnerinnen sind sie fest davon überzeugt, dass ihre in Uhu getränkten Klebearbeiten tausendmal mehr wert sind als der andere Schrott, mit dem die Eltern das heimische Wohnzimmer dekoriert haben. Der Original-Penck zum Beispiel, jahrelang Stolz und Krönung der Kunstsammlung, musste schon weichen. An seiner Stelle thront jetzt ein überdimensionierter Papp-Hampelmann, potthässlich. Kein Erziehungsbuch bereitet einen auf diese grauenvolle Periode vor. Das Bastelalter ist für die Eltern nur unwesentlich leichter zu ertragen als die Pubertät. Die Freundin hofft inständig, dass es diesmal nicht schon wieder ein Bild geben wird, denn ihre Wände sind inzwischen flächendeckend mit liebevoll gemeinten Grundschularbeiten tapeziert. Sie ist aber auch viel zu weich und hat sich schon innerlich von ihrer Ingo-Maurer-Stehlampe verabschiedet. Stattdessen wird wohl ein unförmiger Kerzenständer aus Ton oder die Fimo-Schildkrötenfamilie zur Geltung kommen.

Für Außenstehende ist es ernüchternd zu verfolgen, wie eine gestylte Wohnung langsam zukitscht. Ich weiß nicht, wie lange ich es noch schaffe, unsere Freundin zu besuchen, schon jetzt treffe ich sie lieber in neutralen Cafés. Mit Schrecken sehe ich der Zeit entgegen, wenn auch mein Sohn weit genug ist, mich reich zu beschenken. Schweißgebadet wache ich nachts auf, weil ich im Traum unsere Wohnung von Tag zu Tag kinderfreundlicher werden sah. Ich ertrank in einem Meer von Wäscheklammeruntersetzern und erwachte mit dem felsenfesten Vorsatz, nicht in die Bastelfalle zu tappen. Wenn mein Sohn das erste Mal mit einem selbst gemachten Geschenk ankommt, werde ich ihn überzeugen, den Schatz an einen Bedürftigen abzutreten. »Liebling, der braucht das viel nötiger als wir«, werde ich meinem Kind sagen und einem zuvor bestochenen Obdachlosen, der vorgibt, sich zu freuen, die Basteleien überreichen. Das fördert das soziale Gewissen des Kindes und schützt die Wohnung vor der kompletten Vermüllung. Komisch, dass vor mir noch nie einer darauf gekommen ist.

Es gibt keine neuen Beiträge.


Börsen-Forum - Gesamtforum - Antwort einfügen - zum ersten Beitrag springen
--button_text--