Aus der FTD
Versicherungswirtschaft: Die Versicherer lernen ihre Lektionen
Von Herbert Fromme, Köln
Die Terroranschläge vom 11. September haben zu einem Paradigmenwechsel geführt. Vor dem US District Court für Süd-New-York beginnt heute eine Verhandlung, die von der internationalen Versicherungsbranche mit großer Aufmerksamkeit verfolgt wird.
Die Swiss Re will von dem amerikanischen Gericht feststellen lassen, dass es sich bei dem Angriff auf das World Trade Center (WTC) um einen und nicht um zwei Schäden handelt. Larry Silverstein, der den Gebäudekomplex auf 99 Jahre geleast hatte, besteht darauf, dass es sich um zwei separate Schäden handelt. Dann wäre die Entschädigung von 3,5 Mrd. $ zweimal fällig.
Die Versicherungswirtschaft zieht Konsequenzen aus dem Terroranschlag, der sie wahrscheinlich deutlich über 40 Mrd. $ kostet. Dazu gehört die Überprüfung der weltweit gängigen Praxis, schnelle Deckung auf Grund provisorischer Deckungsbenachrichtigungen zu erteilen. Die Überlegungen gehen aber viel weiter. Vor allem muss sich die Assekuranz fragen, ob sie Großrisiken wirklich richtig bewertet hat.
In der Feuerversicherung ist das nicht der Fall. Rolf Pohlhausen, Chef des Ausschusses für Sachversicherung beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft, sieht eine "Katastrophe in den Bilanzen". Die Ursache: "Die Versicherer haben die Kumulgefahr in der Feuerversicherung dramatisch unterschätzt."
Schmerzliche Lehre
Anders als bei Sturm- und Erdbebendeckungen habe man sich hier nicht vorstellen können, dass zahlreiche nebeneinander liegende Häuser gleichzeitig zum Versicherungsfall werden. New York hat sie eines Besseren belehrt.
In der Naturgefahrendeckung sind große Summen nichts Neues. "Wir werden uns die Erfahrungen aus New York auch für Naturkatastrophen-Deckungen nutzbar machen", sagt Anselm Smolka von der Münchener Rück. Dabei erweist sich vor allem die Betriebsunterbrechung als eine der größten Schadenquellen aus dem WTC. Die Policen sind oft so weich formuliert, dass viel mehr Kunden als erwartet Ansprüche stellen können. "Die Versicherungsbranche hat gigantische, spartenübergreifende Kumule zu verkraften", sagt Arno Junke von der General Cologne Re. Sach-, Haftpflicht- und Personenschäden kommen beim WTC zusammen. Das war bisher im Preis nicht eingerechnet. "Wir müssen die Schaden- und Kumulpotenziale neu bewerten, auch im Preis."
Der Ausschluss von Terrorrisiken, zumindest bei Großschäden, ist eine weitere Konsequenz. Allerdings gilt er nicht vollständig. Für die Luftfahrt gibt es private Terrorschaden-Deckungen bis eine Mrd. $. Auch Kernkraftwerke sind innerhalb des Deutschen Atompools bis 500 Mio. DM ohne Terrorausschluss privat haftpflichtversichert. Wollten die Versicherer hier den Ausschluss durchsetzen, würden die Betriebsgenehmigungen der Atommeiler erlöschen.
© 2001 Financial Times Deutschland