nein, nicht Matthäus... Späth!
Mit ihrer Frühjahrsprognose holen uns die Wirtschaftsweisen wieder aus allen Träumen und vereiteln jeden Selbstbetrug in Sachen „ein gutes Stück vorangekommen“. Die im internationalen Vergleich besonders niedrige Wachstumsrate von 0,5 Prozent ist nicht nur an sich schon enttäuschend, sie bringt auch mit den hieraus prognostizierten 3,4 Prozent Defizit das ganze wackelige Kartenhaus der Haushaltsfinanzierung zum Einsturz.
Hinzu kommt noch ein Milliardenloch in der Rentenkasse, was die Haushaltslage um weitere Zehntel verschlechtern und die Einhaltung der europäischen Stabilitätskriterien unmöglich machen wird.
Trotz steter Zunahme des Reformdrucks passiert nichts. Ist der Druck noch immer nicht hoch genug? Wenn man sich die Situation anschaut, kann man das kaum glauben. Schon jetzt haben wir den Punkt längst überschritten, an dem wir einigermaßen unbeschadet und schmerzlos aus dem Schlamassel herauskommen können.
Eine Rentenreform beispielsweise würde selbst für den Fall, dass man sofort eine Umstellung auf Kapitaldeckung vornähme, erst in Jahrzehnten ihre positive Wirkung voll entfalten können. Anhand der eindeutigen demographischen Daten wäre eine Entscheidung zur Reform schon längst möglich und nötig gewesen. Auf die entsprechende Problematik der Gesundheitspolitik habe ich vergangene Woche bereits hingewiesen. Auch in der Bildungspolitik einschließlich der Hochschulpolitik hat sich schon lange vor Pisa ein Veränderungsbedarf abgezeichnet. Das alles war kein Überraschungsereignis. Mit rechtzeitigen Weichenstellungen hätte man dem vernünftig begegnen können.
Kluge Köpfe haben uns frühzeitig über die Notwendigkeit von Reformen in Kenntnis gesetzt. Doch mittlerweile bleibt nur der schmerzhafte Weg, den Problemen im Schweinezyklus hinterherzuhinken. Warum tun wir uns das an?
Die Politik scheint in einer verkrusteten Wohlstandsgesellschaft anders als nach den Regeln vorausschauender Vernunft zu funktionieren. Druck zwingt so schnell keine Lösung herbei, sondern erzeugt lediglich Gegendruck, bis es unter dem Strich zum vollständigen Druckausgleich kommt. Derzeit spielt sich auf der politischen Bühne ein lehrbuchreifes Szenario ab.
Der Meister des Ausgleichs ist der Kanzler. Statt zu entscheiden, moderiert er lieber und stützt damit – wissentlich oder nicht – die Reformgegner. Das funktioniert bekannterweise in der Praxis über die Bildung von Kommissionen: Das Bündnis für Arbeit und die Hartz-Kommission für die Belebung des Arbeitsmarkts, die Kommission zur Reform der Gemeindefinanzen oder Rürups Kommission für die Nachhaltigkeit der Sozialsysteme, um nur die bekanntesten Beispiele zu nennen. Jedesmal scheint die geballte Brain-Power des deutschen Volkes alles Erdenkliche für eine Lösung unserer Probleme zu geben. Doch so vernünftig und sogar sympathisch Schröders Politikstil im ersten Moment wirken mag – er ist in Wirklichkeit ein verhängnisvoller Irrweg, denn er verändert die verfassungsrechtlichen Spielregeln unserer Demokratie.
Der Präsident des Verfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, hat kürzlich in einer Rede die gegenwärtige „Politik mit Kommissionen“ schwer gerügt. Es gewinne „ein sehr selektiver Kreis von Interessenten einen überproportionalen und in seiner Legitimität fragwürdigen Einfluss auf politische Weichenstellungen von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung“. Dieser neue Regierungsstil fördere Verharrung und Besitzstandswahrung und habe letztlich den „kaum erträglichen Reformstau“ zu verantworten.
Dies ist zwar im Grunde keine neue Erkenntnis. Sie wurde schon in den sechziger Jahren ausführlich diskutiert. Auch damals standen unter anderem die Gewerkschaften in der Kritik. Von neuer Qualität ist die Offenheit und Selbstverständlichkeit, mit der der Korporatismus unter Schröders Regierung zum konstitutiven Bestandteil des politischen Tagesgeschäfts geworden ist. Hans-Jürgen Papier und viele andere scheint das ebenso zu beunruhigen wie mich.
Indes haben die anhaltenden Probleme Kanzler Schröder mittlerweile klar gemacht, dass er handeln muss. Doch die Geister, die er rief, wird er nun nicht mehr los. Der Bundeskanzler hat einen gefährlich großen Teil seiner Glaubwürdigkeit als politischer Führer im Spiel mit den Kommissionen verwirkt. Mit seinem unverwechselbaren politischen Gespür schätzt Schröder seine Situation richtig ein und fordert einen Sonderparteitag, um seine Führungshoheit wenigstens in der eigenen Partei zurückzugewinnen.
Die SPD-Linke hat unter der Anführung von Ottmar Schreiner ein Antiprogramm entworfen und beansprucht das, was Schröder auch allen anderen Interessengruppen zugesteht: eine stärkere Berücksichtigung. Unterstützung erhält Schreiner von den Gewerkschaften. Der designierte IG-Metall-Chef Jürgen Peters äußerte sich letzte Woche im Interview mit dem Handelsblatt ganz unverblümt: Aus langer Erfahrung heraus sei Druck das einzige, auf das Schröder reagiere. Leider meint Peters damit nicht den Druck aus sachlicher Notwendigkeit, sondern den der Lobbyisten.
Peters bringt das ganze Dilemma ungewollt auf den Punkt: „Die SDP ist kein Kanzlerwahlverein und der Kanzler kann nicht tun, was er will.“ Wie aber will Deutschland sich ernsthaft reformieren, wenn der durch das Volk legitimierte Kanzler nicht innerhalb der Verfassungsgrenzen entscheiden darf, was er für richtig und geboten hält. Das deutsche Volk hat denjenigen Kanzlerkandidaten gewählt, dem es mehr ver- und zugetraut hat. Das wird Schröder selbst nicht müde, in den Auseinandersetzungen mit den eigenen Genossen zu betonen. Man habe nicht die SPD, sondern Gerhard Schröder gewählt. Da hat er wahrscheinlich Recht.
Um so widersprüchlicher ist es, jetzt das wichtigste politische Amt zu einem statischen Verwaltungsjob zu degradieren. Ein Bundeskanzler muss Dynamik durch politische Führung entfachen. Dazu muss er Entscheidungen zum Wohle der Allgemeinheit treffen – genau dafür hat er die Mehrheit der Wählerstimmen bekommen. Für eine reine Moderationstätigkeit wäre nicht einmal der Wahlaufwand zu rechtfertigen. Das reicht nicht aus und eröffnet dem Missbrauch durch Interessengruppen Tür und Tor.
Der Bundeskanzler und Vorsitzende der SPD hat zum Sonderparteitag gerufen, um sich den Rückhalt zu verschaffen, den er braucht, um endlich eine Reform einzuleiten, die den Namen verdient. Ein Spiel mit dem Feuer, das bei aller Kritik Respekt verdient. Nur so kann der Kanzler ohne Gesichtsverlust seine persönliche Reputation retten. Sagt die Basis Nein, bleibt Schröder nur der Abschied.
Vielleicht wird er aber auch die bis zum Parteitag verbleibende Zeit noch dafür nutzen, eine innerparteiliche Kommission zur Sondierung und zum Ausgleich von Interessen ins Leben zu rufen, um eine Mehrheit zu garantieren. Aber welche legitimierende Mehrheit wäre das? Am Schluss bleibt dann nur noch die Verpflichtung, keine weiteren Reformen mehr durchzuführen.
Mit ihrer Frühjahrsprognose holen uns die Wirtschaftsweisen wieder aus allen Träumen und vereiteln jeden Selbstbetrug in Sachen „ein gutes Stück vorangekommen“. Die im internationalen Vergleich besonders niedrige Wachstumsrate von 0,5 Prozent ist nicht nur an sich schon enttäuschend, sie bringt auch mit den hieraus prognostizierten 3,4 Prozent Defizit das ganze wackelige Kartenhaus der Haushaltsfinanzierung zum Einsturz.
Hinzu kommt noch ein Milliardenloch in der Rentenkasse, was die Haushaltslage um weitere Zehntel verschlechtern und die Einhaltung der europäischen Stabilitätskriterien unmöglich machen wird.
Trotz steter Zunahme des Reformdrucks passiert nichts. Ist der Druck noch immer nicht hoch genug? Wenn man sich die Situation anschaut, kann man das kaum glauben. Schon jetzt haben wir den Punkt längst überschritten, an dem wir einigermaßen unbeschadet und schmerzlos aus dem Schlamassel herauskommen können.
Eine Rentenreform beispielsweise würde selbst für den Fall, dass man sofort eine Umstellung auf Kapitaldeckung vornähme, erst in Jahrzehnten ihre positive Wirkung voll entfalten können. Anhand der eindeutigen demographischen Daten wäre eine Entscheidung zur Reform schon längst möglich und nötig gewesen. Auf die entsprechende Problematik der Gesundheitspolitik habe ich vergangene Woche bereits hingewiesen. Auch in der Bildungspolitik einschließlich der Hochschulpolitik hat sich schon lange vor Pisa ein Veränderungsbedarf abgezeichnet. Das alles war kein Überraschungsereignis. Mit rechtzeitigen Weichenstellungen hätte man dem vernünftig begegnen können.
Kluge Köpfe haben uns frühzeitig über die Notwendigkeit von Reformen in Kenntnis gesetzt. Doch mittlerweile bleibt nur der schmerzhafte Weg, den Problemen im Schweinezyklus hinterherzuhinken. Warum tun wir uns das an?
Die Politik scheint in einer verkrusteten Wohlstandsgesellschaft anders als nach den Regeln vorausschauender Vernunft zu funktionieren. Druck zwingt so schnell keine Lösung herbei, sondern erzeugt lediglich Gegendruck, bis es unter dem Strich zum vollständigen Druckausgleich kommt. Derzeit spielt sich auf der politischen Bühne ein lehrbuchreifes Szenario ab.
Der Meister des Ausgleichs ist der Kanzler. Statt zu entscheiden, moderiert er lieber und stützt damit – wissentlich oder nicht – die Reformgegner. Das funktioniert bekannterweise in der Praxis über die Bildung von Kommissionen: Das Bündnis für Arbeit und die Hartz-Kommission für die Belebung des Arbeitsmarkts, die Kommission zur Reform der Gemeindefinanzen oder Rürups Kommission für die Nachhaltigkeit der Sozialsysteme, um nur die bekanntesten Beispiele zu nennen. Jedesmal scheint die geballte Brain-Power des deutschen Volkes alles Erdenkliche für eine Lösung unserer Probleme zu geben. Doch so vernünftig und sogar sympathisch Schröders Politikstil im ersten Moment wirken mag – er ist in Wirklichkeit ein verhängnisvoller Irrweg, denn er verändert die verfassungsrechtlichen Spielregeln unserer Demokratie.
Der Präsident des Verfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, hat kürzlich in einer Rede die gegenwärtige „Politik mit Kommissionen“ schwer gerügt. Es gewinne „ein sehr selektiver Kreis von Interessenten einen überproportionalen und in seiner Legitimität fragwürdigen Einfluss auf politische Weichenstellungen von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung“. Dieser neue Regierungsstil fördere Verharrung und Besitzstandswahrung und habe letztlich den „kaum erträglichen Reformstau“ zu verantworten.
Dies ist zwar im Grunde keine neue Erkenntnis. Sie wurde schon in den sechziger Jahren ausführlich diskutiert. Auch damals standen unter anderem die Gewerkschaften in der Kritik. Von neuer Qualität ist die Offenheit und Selbstverständlichkeit, mit der der Korporatismus unter Schröders Regierung zum konstitutiven Bestandteil des politischen Tagesgeschäfts geworden ist. Hans-Jürgen Papier und viele andere scheint das ebenso zu beunruhigen wie mich.
Indes haben die anhaltenden Probleme Kanzler Schröder mittlerweile klar gemacht, dass er handeln muss. Doch die Geister, die er rief, wird er nun nicht mehr los. Der Bundeskanzler hat einen gefährlich großen Teil seiner Glaubwürdigkeit als politischer Führer im Spiel mit den Kommissionen verwirkt. Mit seinem unverwechselbaren politischen Gespür schätzt Schröder seine Situation richtig ein und fordert einen Sonderparteitag, um seine Führungshoheit wenigstens in der eigenen Partei zurückzugewinnen.
Die SPD-Linke hat unter der Anführung von Ottmar Schreiner ein Antiprogramm entworfen und beansprucht das, was Schröder auch allen anderen Interessengruppen zugesteht: eine stärkere Berücksichtigung. Unterstützung erhält Schreiner von den Gewerkschaften. Der designierte IG-Metall-Chef Jürgen Peters äußerte sich letzte Woche im Interview mit dem Handelsblatt ganz unverblümt: Aus langer Erfahrung heraus sei Druck das einzige, auf das Schröder reagiere. Leider meint Peters damit nicht den Druck aus sachlicher Notwendigkeit, sondern den der Lobbyisten.
Peters bringt das ganze Dilemma ungewollt auf den Punkt: „Die SDP ist kein Kanzlerwahlverein und der Kanzler kann nicht tun, was er will.“ Wie aber will Deutschland sich ernsthaft reformieren, wenn der durch das Volk legitimierte Kanzler nicht innerhalb der Verfassungsgrenzen entscheiden darf, was er für richtig und geboten hält. Das deutsche Volk hat denjenigen Kanzlerkandidaten gewählt, dem es mehr ver- und zugetraut hat. Das wird Schröder selbst nicht müde, in den Auseinandersetzungen mit den eigenen Genossen zu betonen. Man habe nicht die SPD, sondern Gerhard Schröder gewählt. Da hat er wahrscheinlich Recht.
Um so widersprüchlicher ist es, jetzt das wichtigste politische Amt zu einem statischen Verwaltungsjob zu degradieren. Ein Bundeskanzler muss Dynamik durch politische Führung entfachen. Dazu muss er Entscheidungen zum Wohle der Allgemeinheit treffen – genau dafür hat er die Mehrheit der Wählerstimmen bekommen. Für eine reine Moderationstätigkeit wäre nicht einmal der Wahlaufwand zu rechtfertigen. Das reicht nicht aus und eröffnet dem Missbrauch durch Interessengruppen Tür und Tor.
Der Bundeskanzler und Vorsitzende der SPD hat zum Sonderparteitag gerufen, um sich den Rückhalt zu verschaffen, den er braucht, um endlich eine Reform einzuleiten, die den Namen verdient. Ein Spiel mit dem Feuer, das bei aller Kritik Respekt verdient. Nur so kann der Kanzler ohne Gesichtsverlust seine persönliche Reputation retten. Sagt die Basis Nein, bleibt Schröder nur der Abschied.
Vielleicht wird er aber auch die bis zum Parteitag verbleibende Zeit noch dafür nutzen, eine innerparteiliche Kommission zur Sondierung und zum Ausgleich von Interessen ins Leben zu rufen, um eine Mehrheit zu garantieren. Aber welche legitimierende Mehrheit wäre das? Am Schluss bleibt dann nur noch die Verpflichtung, keine weiteren Reformen mehr durchzuführen.