Der Crash auf Raten geht weiter, vor allem der Neue Markt scheint kein Halten mehr zu kennen. Für den Finanz-Experten Günter Ogger ist dies die Folge jahrelanger Versäumnisse. Seine These: Nur wenn der Staat die Kontrolle in diesem Bereich übernimmt, ist noch etwas zu retten.
Günter Ogger, Autor der Bücher "Der Börsenschwindel" und "Nieten in Nadelstreifen"
mm.de:* Herr Ogger, die Krise am Neuen Markt hat nach Ansicht vieler Experten damit zu tun, dass viele Unternehmen beim IPO nicht die nötige Börsenreife hatten. Was halten Sie vom geplanten "Kapitalmarktkodex", mit dem die Deutsche Börse die Zulassungsregeln reformieren will?
Ogger: Das Ganze ist ein sehr durchsichtiges Manöver. Außerdem kommt das alles viel zu spät. Wenn es den Organisatoren des Neuen Marktes ernst wäre mit ihrem Bemühen, den Anleger vor Durchstechereien zu schützen, hätte sie lange genug Zeit gehabt, alles Erforderliche in Wege zu leiten. Dass man erst jetzt, nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist, ein Gutachten erstellen lässt und ankündigt, man wolle bis Mitte nächsten Jahres über geeignete Maßnahmen nachdenken, ist ein Witz.
Außerdem ist für mich offensichtlich, dass dieses ganze Vorhaben nur deswegen gestartet wurde, um den Staat davon abzuhalten, sich dieses Themas zu bemächtigen. Denn diese Forderung wird ja nun zunehmend erhoben.
mm.de: Auch von Ihnen?
Ogger: Der Staat lässt der Finanzwirtschaft zu viel Freiraum, gemessen an den anderen Bereichen der Wirtschaft. Denken Sie an die Handwerker oder vergleichbare Berufe: Dort ist jede Kleinigkeit bis ins letzte Detail reglementiert. Übertretungen werden rigoros geahndet.
"Eine angemessene Kontrolle findet nicht statt"
In der Finanzwirtschaft aber finden die Akteure ein Betätigungsfeld vor, das ziemlich unreguliert ist. Das fängt mit den Strukturvertrieben an, die die kompliziertesten Instrumente verkaufen dürfen, ohne dass sie irgendeine Qualifikation nachweisen müssen.
mm.de: Aber im Aktienwesen gibt es das Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel....
Ogger: Das ist richtig, aber das BAWe überwacht nur den Amtlichen Handel. Schon das ist eigenartig, dass nur ein Börsensegment kontrolliert wird – zumindest pro forma. De facto findet dort aber auch keine angemessene Kontrolle statt.
Dazu gibt es verschiedene andere Institutionen wie die Landesämter und das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen. Diese Zersplitterung des Aufsichtswesens hat dazu geführt, dass letztlich keine Aufsicht stattfindet.
mm.de: Was müsste sich ändern?
Ogger: Verbessert werden müsste zum einen die Gesetzeslage, und zwar insofern, dass die Beweisführungspflicht für die Ermittler nicht mehr so streng gehandhabt wird wie bisher. Nach wie vor ist es fast unmöglich, Verstöße wie Insiderhandel ernsthaft zu ahnden, da vor Gericht auch der Vorsatz nachgewiesen werden muss. Folglich gehen fast alle Insiderverfahren aus wie das Hornberger Schießen.
mm.de: Ist das nicht ein Angriff auf das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, nach dem jeder Angeklagte bis zum Nachweis des Gegenteils als unschuldig zu gelten hat?
Ogger: Die Unschuldsvermutung gilt ja primär für das Strafrecht, aber es geht ja bei anlegerschädigendem Verhalten in erster Linie um Vermögensschäden durch unfaires Verhalten gegen über anderen Aktionären. Ich könnte mir vorstellen, dass man hier auch mit zivilrechtlichen Mitteln einiges erreichen könnte. Denken Sie an das deutsche Steuerrecht: Dort ist die Beweislast umgekehrt – zu Ungunsten des Steuerzahlers. Warum sollte das im Sektor des Finanzwesens nicht auch möglich sein - zu Gunsten des Anlegers?
"Überwachung der Gesetze müsste verbessert werden"
Zum anderen müsste aber auch die Überwachung der Gesetze verbessert werden. Da liegt immer noch einiges im Argen. Was nützen die schärfsten Gesetze, wenn man nicht sicherstellt, dass sie eingehalten werden? Und da sind wir wieder bei der Wertpapieraufsicht. Die wird zu einem erheblichen Teil aus Mitteln finanziert, die von den Banken gestellt werden. Da wundert es mich überhaupt nicht, wenn so wenig dabei rauskommt.
mm.de: Wäre eine Aufsicht nach dem Muster der amerikanischen SEC die Lösung des Problems?
Ogger: Das wird ja immer wieder von Aktionärsschützern gefordert, aber bislang leider ohne jeden Erfolg. Mir kommt das seltsam vor, dass das Bundesfinanzministerium da nichts unternimmt. Völlig unverständlich.
mm.de: Warum ist das so?
Ogger: Ich habe mich über dieses Thema schon mit zahlreichen Experten unterhalten, und da taucht immer wieder die gleiche Erklärung auf: Die Banken hätten dem Finanzministerium beizeiten damit gedroht, sie würden Bundeswertpapiere nicht mehr an den Schaltern verkaufen, wenn man sie zu sehr an die kurze Leine nähme. Ähnlich die großen Versicherer. Sie sollen, als es um die geplante Besteuerung von Lebensversicherungen ging, mit der Drohung gearbeitet haben, in Zukunft keine Bundeswertpapiere mehr zu kaufen. Prompt waren die Pläne vom Tisch.
mm.de:* mm.de: Überschätzen Sie mit dieser Kritik nicht den Einfluss der Banken?
Ogger: Das glaube ich nicht. Man darf nicht vergessen, dass von allen Lobbys im politischen Leben die Interessenvertretung der Finanzkonzerne den größten Einfluss hat. Nur so ist zu erklären, dass es diese eklatante Ungleichbehandlung von Vermögensschäden einerseits und Steuerdelikten andererseits gibt. Wer den Staat um seinen Einnahmen betrügt, steht mit einem Bein im Gefängnis, wer aber Anleger am Neuen Markt schädigt, kann sich unbehelligt mit seiner Segelyacht absetzen.
mm.de: Worauf ist das Ihrer Ansicht nach zurückzuführen?
Ogger: Wir haben in Deutschland das System der Universalbanken, und das verleiht den Geldhäusern sehr viel mehr Macht und Einfluss als in vielen anderen Ländern. Durch diese Bündelung der Macht steht der Privatanleger einer Phalanx gegenüber, der er völlig hilflos ausgeliefert ist. Und der Staat lässt ihn dabei konsequent im Stich.
"Ausgebuffte Profis gegen Amateure"
mm.de: Was verlangen Sie vom Staat? Einen Bruch mit der sozialen Marktwirtschaft und dirigistische Eingriffe in das freie Spiel der Kräfte?
Ogger: Ich habe nichts gegen das freie Spiel der Kräfte, aber in der Finanzwirtschaft steht der Kleinanleger als Amateur ausgebufften Profis gegenüber. Der Neue Markt ist ein gutes Beispiel dafür. Hier lief es immer nach dem gleichen Muster: Man brachte eine Firma an die Börse, die nach außen gut aussah; dabei wurde geschickt verhindert, dass zu viele Aktien auf den Markt kamen. Deswegen hat man einen Großteil der Papiere an Fonds und die Abteilung "Friends & Family" gegeben. Dadurch hatte man von vornherein Knappheitspreise, und es war ein Leichtes, den Kurs kräftig zu pushen. Sobald die Aktie stieg, haben sich die Profis klammheimlich verabschiedet.
mm.de: Wie könnte der Staat solche Machenschaften verhindern?
Ogger: Zum Beispiel dadurch, dass er für eine strikte Trennung von Banken und Fonds sorgt. Dank ihrer Investmentfonds haben die Finanzkonzerne eine derartige Macht, dass sie die Kurse massiv nach Belieben pushen können. Notwendig wären auch Maßnahmen, um innerhalb der Banken Interaktionen zwischen Research und Handel zu verhindern.
mm.de: Aber dafür gibt es doch die berühmten "Chinesischen Mauern" zwischen den Abteilungen...
Ogger: Die sind in Deutschland offenbar aus Glas. Die Banken lassen sich von niemandem beim Abschluss guter Geschäfte stören - weder durch subalterne Kontrolleure noch durch imaginäre Mauern. Insofern muss man einfach über die grundsätzliche Berechtigung dieser Allfinanz-Konzerne nachdenken. Die Amerikaner sind gut gefahren mit der Trennung von Investment- und Kreditbanken. Es spräche also nichts dagegen, bei uns mit einer Trennung von Bank und Fonds anzufangen.
mm.de: Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass der Staat über derartige Maßnahmen nachdenkt?
Ogger: Man darf nicht vergessen, dass durch die Baisse seit Anfang letzten Jahres ein unglaubliches Vermögen vernichtet wurde. Experten schätzen diese Summe auf über 1.200 Milliarden Mark – volkswirtschaftlich ein Desaster, auch wenn es sich streng genommen zum Teil "nur" um Buchverluste handelt. Aber es ist ja nicht nur das Geld weg, sondern auch das Vertrauen. Wer investiert denn heute noch in den Neuen Markt? Die Folge: Den Unternehmen fließt kein Kapital mehr zu, sie gehen pleite und müssen ihre Mitarbeiter auf die Strasse schicken. Wenn der Staat diese Schäden bilanzieren würde, müsste er umgehend handeln.
"Großartige historischen Chance kaputtgemacht"
mm.de: Zurück zum Neuen Markt: Welche Lösung würden sie hier vorschlagen?
Ogger: Am Neuen Markt wurde eine großartige historischen Chance kaputtgemacht. Man muss die Urheber dieses Debakels zur Verantwortung ziehen. Angerichtet wurde der Schaden letztlich von Herrn Seifert und seiner Mannschaft. Die Börse ist eine zu wichtige Einrichtung, als dass man sie zum Profit-Vehikel für eine privatwirtschaftliche Einrichtung verkommen lassen dürfte.
mm.de: Das klingt nach massiven staatlichen Eingriffen.
Ogger: Ich bin auch kein Freund von Verstaatlichung, aber wir brauchen dringend eine Lösung. Wenn der Finanzminister sich jetzt zu der Einsicht durchringen würde, dass der Neue Markt so nicht funktioniert und zu einem Tummelplatz für Betrüger geworden ist, gäbe es eigentlich nur eine Konsequenz: Der Staat müsste in diesem Bereich die Kontrolle übernehmen und mit aller Härte durchgreifen. Erst dann würde das Vertrauen der Anleger zurückkehren. Alles andere ist aussichtslos.
*Das Interview führte manager-magazin.de-Redakteur Clemens von Frentz
Günter Ogger, Autor der Bücher "Der Börsenschwindel" und "Nieten in Nadelstreifen"
mm.de:* Herr Ogger, die Krise am Neuen Markt hat nach Ansicht vieler Experten damit zu tun, dass viele Unternehmen beim IPO nicht die nötige Börsenreife hatten. Was halten Sie vom geplanten "Kapitalmarktkodex", mit dem die Deutsche Börse die Zulassungsregeln reformieren will?
Ogger: Das Ganze ist ein sehr durchsichtiges Manöver. Außerdem kommt das alles viel zu spät. Wenn es den Organisatoren des Neuen Marktes ernst wäre mit ihrem Bemühen, den Anleger vor Durchstechereien zu schützen, hätte sie lange genug Zeit gehabt, alles Erforderliche in Wege zu leiten. Dass man erst jetzt, nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist, ein Gutachten erstellen lässt und ankündigt, man wolle bis Mitte nächsten Jahres über geeignete Maßnahmen nachdenken, ist ein Witz.
Außerdem ist für mich offensichtlich, dass dieses ganze Vorhaben nur deswegen gestartet wurde, um den Staat davon abzuhalten, sich dieses Themas zu bemächtigen. Denn diese Forderung wird ja nun zunehmend erhoben.
mm.de: Auch von Ihnen?
Ogger: Der Staat lässt der Finanzwirtschaft zu viel Freiraum, gemessen an den anderen Bereichen der Wirtschaft. Denken Sie an die Handwerker oder vergleichbare Berufe: Dort ist jede Kleinigkeit bis ins letzte Detail reglementiert. Übertretungen werden rigoros geahndet.
"Eine angemessene Kontrolle findet nicht statt"
In der Finanzwirtschaft aber finden die Akteure ein Betätigungsfeld vor, das ziemlich unreguliert ist. Das fängt mit den Strukturvertrieben an, die die kompliziertesten Instrumente verkaufen dürfen, ohne dass sie irgendeine Qualifikation nachweisen müssen.
mm.de: Aber im Aktienwesen gibt es das Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel....
Ogger: Das ist richtig, aber das BAWe überwacht nur den Amtlichen Handel. Schon das ist eigenartig, dass nur ein Börsensegment kontrolliert wird – zumindest pro forma. De facto findet dort aber auch keine angemessene Kontrolle statt.
Dazu gibt es verschiedene andere Institutionen wie die Landesämter und das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen. Diese Zersplitterung des Aufsichtswesens hat dazu geführt, dass letztlich keine Aufsicht stattfindet.
mm.de: Was müsste sich ändern?
Ogger: Verbessert werden müsste zum einen die Gesetzeslage, und zwar insofern, dass die Beweisführungspflicht für die Ermittler nicht mehr so streng gehandhabt wird wie bisher. Nach wie vor ist es fast unmöglich, Verstöße wie Insiderhandel ernsthaft zu ahnden, da vor Gericht auch der Vorsatz nachgewiesen werden muss. Folglich gehen fast alle Insiderverfahren aus wie das Hornberger Schießen.
mm.de: Ist das nicht ein Angriff auf das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, nach dem jeder Angeklagte bis zum Nachweis des Gegenteils als unschuldig zu gelten hat?
Ogger: Die Unschuldsvermutung gilt ja primär für das Strafrecht, aber es geht ja bei anlegerschädigendem Verhalten in erster Linie um Vermögensschäden durch unfaires Verhalten gegen über anderen Aktionären. Ich könnte mir vorstellen, dass man hier auch mit zivilrechtlichen Mitteln einiges erreichen könnte. Denken Sie an das deutsche Steuerrecht: Dort ist die Beweislast umgekehrt – zu Ungunsten des Steuerzahlers. Warum sollte das im Sektor des Finanzwesens nicht auch möglich sein - zu Gunsten des Anlegers?
"Überwachung der Gesetze müsste verbessert werden"
Zum anderen müsste aber auch die Überwachung der Gesetze verbessert werden. Da liegt immer noch einiges im Argen. Was nützen die schärfsten Gesetze, wenn man nicht sicherstellt, dass sie eingehalten werden? Und da sind wir wieder bei der Wertpapieraufsicht. Die wird zu einem erheblichen Teil aus Mitteln finanziert, die von den Banken gestellt werden. Da wundert es mich überhaupt nicht, wenn so wenig dabei rauskommt.
mm.de: Wäre eine Aufsicht nach dem Muster der amerikanischen SEC die Lösung des Problems?
Ogger: Das wird ja immer wieder von Aktionärsschützern gefordert, aber bislang leider ohne jeden Erfolg. Mir kommt das seltsam vor, dass das Bundesfinanzministerium da nichts unternimmt. Völlig unverständlich.
mm.de: Warum ist das so?
Ogger: Ich habe mich über dieses Thema schon mit zahlreichen Experten unterhalten, und da taucht immer wieder die gleiche Erklärung auf: Die Banken hätten dem Finanzministerium beizeiten damit gedroht, sie würden Bundeswertpapiere nicht mehr an den Schaltern verkaufen, wenn man sie zu sehr an die kurze Leine nähme. Ähnlich die großen Versicherer. Sie sollen, als es um die geplante Besteuerung von Lebensversicherungen ging, mit der Drohung gearbeitet haben, in Zukunft keine Bundeswertpapiere mehr zu kaufen. Prompt waren die Pläne vom Tisch.
mm.de:* mm.de: Überschätzen Sie mit dieser Kritik nicht den Einfluss der Banken?
Ogger: Das glaube ich nicht. Man darf nicht vergessen, dass von allen Lobbys im politischen Leben die Interessenvertretung der Finanzkonzerne den größten Einfluss hat. Nur so ist zu erklären, dass es diese eklatante Ungleichbehandlung von Vermögensschäden einerseits und Steuerdelikten andererseits gibt. Wer den Staat um seinen Einnahmen betrügt, steht mit einem Bein im Gefängnis, wer aber Anleger am Neuen Markt schädigt, kann sich unbehelligt mit seiner Segelyacht absetzen.
mm.de: Worauf ist das Ihrer Ansicht nach zurückzuführen?
Ogger: Wir haben in Deutschland das System der Universalbanken, und das verleiht den Geldhäusern sehr viel mehr Macht und Einfluss als in vielen anderen Ländern. Durch diese Bündelung der Macht steht der Privatanleger einer Phalanx gegenüber, der er völlig hilflos ausgeliefert ist. Und der Staat lässt ihn dabei konsequent im Stich.
"Ausgebuffte Profis gegen Amateure"
mm.de: Was verlangen Sie vom Staat? Einen Bruch mit der sozialen Marktwirtschaft und dirigistische Eingriffe in das freie Spiel der Kräfte?
Ogger: Ich habe nichts gegen das freie Spiel der Kräfte, aber in der Finanzwirtschaft steht der Kleinanleger als Amateur ausgebufften Profis gegenüber. Der Neue Markt ist ein gutes Beispiel dafür. Hier lief es immer nach dem gleichen Muster: Man brachte eine Firma an die Börse, die nach außen gut aussah; dabei wurde geschickt verhindert, dass zu viele Aktien auf den Markt kamen. Deswegen hat man einen Großteil der Papiere an Fonds und die Abteilung "Friends & Family" gegeben. Dadurch hatte man von vornherein Knappheitspreise, und es war ein Leichtes, den Kurs kräftig zu pushen. Sobald die Aktie stieg, haben sich die Profis klammheimlich verabschiedet.
mm.de: Wie könnte der Staat solche Machenschaften verhindern?
Ogger: Zum Beispiel dadurch, dass er für eine strikte Trennung von Banken und Fonds sorgt. Dank ihrer Investmentfonds haben die Finanzkonzerne eine derartige Macht, dass sie die Kurse massiv nach Belieben pushen können. Notwendig wären auch Maßnahmen, um innerhalb der Banken Interaktionen zwischen Research und Handel zu verhindern.
mm.de: Aber dafür gibt es doch die berühmten "Chinesischen Mauern" zwischen den Abteilungen...
Ogger: Die sind in Deutschland offenbar aus Glas. Die Banken lassen sich von niemandem beim Abschluss guter Geschäfte stören - weder durch subalterne Kontrolleure noch durch imaginäre Mauern. Insofern muss man einfach über die grundsätzliche Berechtigung dieser Allfinanz-Konzerne nachdenken. Die Amerikaner sind gut gefahren mit der Trennung von Investment- und Kreditbanken. Es spräche also nichts dagegen, bei uns mit einer Trennung von Bank und Fonds anzufangen.
mm.de: Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass der Staat über derartige Maßnahmen nachdenkt?
Ogger: Man darf nicht vergessen, dass durch die Baisse seit Anfang letzten Jahres ein unglaubliches Vermögen vernichtet wurde. Experten schätzen diese Summe auf über 1.200 Milliarden Mark – volkswirtschaftlich ein Desaster, auch wenn es sich streng genommen zum Teil "nur" um Buchverluste handelt. Aber es ist ja nicht nur das Geld weg, sondern auch das Vertrauen. Wer investiert denn heute noch in den Neuen Markt? Die Folge: Den Unternehmen fließt kein Kapital mehr zu, sie gehen pleite und müssen ihre Mitarbeiter auf die Strasse schicken. Wenn der Staat diese Schäden bilanzieren würde, müsste er umgehend handeln.
"Großartige historischen Chance kaputtgemacht"
mm.de: Zurück zum Neuen Markt: Welche Lösung würden sie hier vorschlagen?
Ogger: Am Neuen Markt wurde eine großartige historischen Chance kaputtgemacht. Man muss die Urheber dieses Debakels zur Verantwortung ziehen. Angerichtet wurde der Schaden letztlich von Herrn Seifert und seiner Mannschaft. Die Börse ist eine zu wichtige Einrichtung, als dass man sie zum Profit-Vehikel für eine privatwirtschaftliche Einrichtung verkommen lassen dürfte.
mm.de: Das klingt nach massiven staatlichen Eingriffen.
Ogger: Ich bin auch kein Freund von Verstaatlichung, aber wir brauchen dringend eine Lösung. Wenn der Finanzminister sich jetzt zu der Einsicht durchringen würde, dass der Neue Markt so nicht funktioniert und zu einem Tummelplatz für Betrüger geworden ist, gäbe es eigentlich nur eine Konsequenz: Der Staat müsste in diesem Bereich die Kontrolle übernehmen und mit aller Härte durchgreifen. Erst dann würde das Vertrauen der Anleger zurückkehren. Alles andere ist aussichtslos.
*Das Interview führte manager-magazin.de-Redakteur Clemens von Frentz