Mädel, deutsch und rein
Bislang hatte die rechtsextreme Szene ein Problem: Ihr fehlten die Frauen. Viele Neonazis stiegen deshalb aus. Doch nun gibt es Skingirls, nationale Mamis und braune Omas
Der Überlebenskampf der arischen Rasse ist ein bisweilen mühsames Geschäft. "Meine Tochter ist jetzt sechs Monate alt und kann ihren Schnuller nicht halten (im Mund), was kann ich da machen?", klagt eine junge Frau im Internet-Forum Nationale Mamis. "Häääää??? Ich hab noch nie gehört, dass ein Baby seinen Schnuller nicht halten kann", ist die erste Reaktion. In dem Forum - betrieben vom Wikingerversand, einem in rechtsextremen Kreisen beliebten Internet-Handel - entspinnt sich daraufhin eine lebhafte Debatte. Die Teilnehmerinnen nennen sich "Nationalistin", "Freyja", "celticfrica" und "bine1488"; Anspielungen auf germanische Mythen und ideologische Codes: "88" etwa bedeutet "Heil Hitler", "14" bezieht sich auf das Programm der 14 Wörter des US-Rassisten David Lane: "Wir müssen das Überleben unseres Volkes sichern und eine Zukunft für unsere weißen Kinder." Ausgiebig diskutieren die Frauen über Saugreflexe, Schmusedecken und Bettgewohnheiten ihrer Kinder. Schließlich gibt "Aryan Hope" - auf gut Deutsch "Arische Hoffnung" - den Rat: "Versuch es doch mal mit diesen Runden (Kirschsauger), die können die meisten Kinder halten!" Ein paar Tage später schreibt "Nordmark" zurück: "Ich bin begeistert, es klappt. Vielen Dank für diesen super Tipp!!!!" Die nationale Mami und ihr Kind können wieder ruhig schlafen.
Rechtsextremismus gilt gemeinhin als Männersache. Seit einigen Jahren scheint sich das zu ändern, vor allem in Ostdeutschland. Auf Neonazidemonstrationen tauchen immer mehr Mädchen auf. Im Bundesvorstand der NPD sitzen neuerdings zwei Frauen. Der bayerische Verfassungsschutz berichtet, innerhalb eines Jahres sei der Frauenanteil in den rechtsextremistischen Gruppen im Freistaat von 10 auf 16 Prozent gestiegen. Der Thüringer Verfassungsschutz registrierte gar einen Anstieg auf 20 bis 30 Prozent. Und die Göttinger Politologin Renate Bitzan, die sich seit langem mit dem Thema beschäftigt, konstatiert einen "Boom an Frauengruppen im rechtsextremen Lager". Verbindet man Schätzungen aus unterschiedlichen Quellen, so kommt man auf bundesweit mindestens 1500 rechtsradikale Frauen - ein Zuwachs, der die Verhältnisse in der rechten Szene deutlich ändern dürfte.
Es ist also sicher kein Zufall, dass von allen Internet-Foren des Wikingerversandes jenes mit dem Titel Nationale Mamis das meistgenutzte ist. Seit anderthalb Jahren schreiben sich dort Frauen aus Schleswig-Holstein, Hessen, Thüringen, Sachsen und sogar Österreich im Alter zwischen 17 und Mitte 30 - ihre mehr als 500 Einträge gewähren einen tiefen Einblick in das Denken rechter Frauen. Da geht es um Nuckeln, Neurodermitis und nordische Vornamen. Die Frauen zeigen niedliche Kinderfotos, sie erzählen sich von ihren Entbindungen und von den fremdenfeindlichen Witzen, die ihre Kinder später von den Vätern erzählt bekommen, von Alltagsproblemen. "Friggi" aus Wien beklagt, dass sie für ihren Nachwuchs keinen Kindergartenplatz bekomme: "Naja, brauchen ja die ganzen Kanaken und Sozialfälle." In der Folge überlegt das Forum, ob man nicht in Eigeninitiative reinrassige Kindergärten gründen solle. "Es gibt bestimmt auch viele ,normale Eltern', denen der Ausländeranteil in den Kindergärten zu groß ist", schreibt "Triskele" aus Hessen. "Ich war schon auf der Gemeindeverwaltung, doch die sagten mir, das ginge nicht."
Medizinisch Interessierte helfen mit beim "Braunen Kreuz"
Muss das Bild von der Männerdomäne Rechtsextremismus korrigiert werden? Richtig ist, dass rechte Gewalt weiterhin fast ausschließlich von Männern ausgeübt wird. Die aktuellste Studie hierzu, erstellt vom Landeskriminalamt Baden-Württemberg, beziffert den Anteil weiblicher Täter auf unter sechs Prozent. Trotzdem sind Frauen oft an Prügeleien beteiligt, berichten Sozialarbeiter aus Skinhead-Cliquen: Die Mädchen beschweren sich bei ihren Jungs über tatsächliche oder eingebildete Beleidigungen, hetzen sie auf, Vergeltung zu üben, und verarzten hinterher die Wunden. Richtig ist außerdem, dass rechtsextreme Parteien bei Wahlen stets doppelt so viele Stimmen von Männern bekommen wie von Frauen. Auch bei den Parteimitgliedern sind Frauen mit zehn bis zwanzig Prozent deutlich unterrepräsentiert. (Was aber in der CSU mit 17 Prozent Frauenanteil kaum anders ist.)
Bei rechtsextremistischen Einstellungen hingegen haben Studien nie wirkliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen finden können. Einige Untersuchungen ergaben sogar bei weiblichen Befragten (und hier vor allem bei den älteren) eine höhere Zustimmung zu fremdenfeindlichen und autoritären Aussagen. Demnach lehnen es Frauen eindeutiger ab als Männer, dass ihr Kind einen Menschen jüdischen Glaubens, türkischer Abstammung oder dunkler Hautfarbe heiratet.
Gemeinschaften rechtsextremistischer Frauen, oft nach dem Vorbild von Hitlers Bund Deutscher Mädel, hat es in der Bundesrepublik immer gegeben, sie konkurrierten miteinander - und befehdeten sich meist. Seit einigen Jahren aber ist es dank Internet einfacher, Kontakte zu knüpfen und auch über große Entfernungen zu halten. Neu ist zudem, dass sich Organisationen mit unterschiedlichen Frauenbildern und unterschiedlicher Ausrichtung bilden. Mittlerweile kann jede rechte Frau eine Gemeinschaft Gleichgesinnter finden: Es gibt altbackene Kaffeekränzchen für braune Omis. Wer für rechtsextremistische Häftlinge Päckchen packen möchte, ist bei der Hilfsgemeinschaft Nationaler Gefangener (HNG) gut aufgehoben. Medizinisch Interessierte können beim "Braunen Kreuz" mitmachen, dem "Nationalen Sanitätsdienst". Speziell auf Mütter zugeschnitten ist die Gemeinschaft Deutscher Frauen (GDF), auf deren Internet-Seite putzige Hündchen mit dem Schwanz wackeln. Wer (noch) keine Kinder hat, kann sich dem Freien Mädelbund anschließen. Und ein paar von den härteren Mädchen haben die Skingirl-Union Deutschland gegründet. Parallel dazu steigt die Zahl so genannter Fanzines, schülerzeitungsähnlicher Szeneblättchen, von und für Frauen, mit Namen wie Triskele, Das treue Mädel, Aryan Sisterhood oder Freyja.
Längst vorbei sind die Zeiten, als es bei der extremen Rechten nur ein Frauenbild gab: die treusorgende Mutter am heimischen Herd, die dem Manne gehorsam zu dienen habe. Inzwischen fordert selbst die NPD "eine Frauenpolitik, die den Frauen und Mädchen volle Gleichberechtigung einräumt". Im Bundestagswahlprogramm 2002 stand - zunächst ganz geschlechtsneutral: "Einer der Partner soll sich vollständig der Kindererziehung widmen können"; doch ein paar Zeilen weiter hieß die staatliche Leistung, die diesem Zweck dienen soll, schon wieder "Muttergehalt".
Karola Nachtigall verkörpert das aufgefrischte Gesicht der NPD. Sie ist 30 Jahre alt und sitzt seit Mai im Bundesvorstand. Zuvor war sie zwei Jahre lang Landeschefin in Berlin-Brandenburg. Sie hat zwei Kinder und ist ledig. Nachtigall ist eine nette Frau mit langen, blonden Haaren und rosa lackierten Fingernägeln. Die gelernte Schneiderin wurde 1990 arbeitslos und hat sich seitdem in verschiedenen Berufen versucht. Seit 1997 engagiert sie sich bei den Nationalen, weil sie das deutsche Volk und seine Kultur dem Untergang nahe sieht. Im Radio gebe es nur noch englische Musik - sie hört am liebsten Reinhard Mey. Niemand kenne mehr das traditionelle Brauchtum - sie hat eine Volkstanzgruppe gegründet. Neulich war Nachtigall mit ihrer Familie beim "Märkischen Kulturtag", den unter anderem die GDF organisiert hatte: In einem Landgasthof nahe Frankfurt/Oder trafen sich 200 gute Deutsche, es gab Laienspiel, Gedichte und Ringelreihen. "Eine wunderbare Veranstaltung", sagt sie.
Mit ihrem Lebensgefährten, ebenfalls NPD-Mitglied, hat sie sich geeinigt, dass sie die Parteikarriere macht: "Jeder tut, wofür er am besten geeignet ist." Nun muss Nachtigall aber nach Hause, denn die Familie wartet auf das Abendessen. Ihrem Mann, sagt sie, "brennt sogar das Kaffeewasser an". Und lacht.
Die nationale Frau ist modern, anständig und "führerfrei"
Ähnlich scheitert der emanzipatorische Versuch des Frauenblättchens Triskele. Die aktuelle Ausgabe will "zeigen, dass Frauen genauso am politischen Kampf teilnehmen wie Männer. Auch sie kämpft wie er für unsere Heimat" - und weiter: "Wenn es auch nicht immer der Kampf auf der Straße ist, so erfüllt sie doch daheim ihre Pflicht als deutsche Mutter." Im Internet-Forum Nationale Mamis ist seitenweise nachzulesen, wie tröstlich der Mythos sein kann, bei den alten Germanen seien die Mütter quasi heilig gewesen.
Doch vielen Frauen in der rechtsextremen Szene ist das nicht mehr genug. Eva und Magda klingen fast wie Feministinnen, wenn sie in einem Interview mit dem Fanzine Landser klagen, dass in der Szene "Frauen und Mädel bisher meist als Anhängsel der Männer wahrgenommen" wurden. Die beiden sprechen für die "Frauen in der F. A. F.", die weibliche Sektion in der Skinhead-Kameradschaft Fränkische Aktonsfront. Eva und Magda hätten sich vorgenommen, "einen politischen Freiraum nur für Frauen und Mädels zu schaffen, um diese reaktionären Strukturen aufzubrechen". Die beiden gehen in der Kritik an der eigenen Szene noch weiter: "Auch Gewalt in der Beziehung und wie gehen wir damit um, sind ganz bedeutende Fragen, die bisher in männerdominierten Zusammenhängen seltenst besprochen wurden." Die Gruppe wolle sich "führerfrei" und "ohne Hierarchie" organisieren, sagen Eva und Magda. "Die moderne, anständige, revolutionäre, selbstbewusste, nationale, deutsche Frau ist es, die wir als Ideal anstreben."
Sollten diese Frauen für ihr Ideal einen pseudo-philosophischen Unterbau suchen, können sie ihn in den Schriften von Sigrid Hunke finden. Die 1999 gestorbene Orientalistin wurde als Bestsellerautorin über die arabische Welt bekannt, weitgehend verborgen blieb ihr Wirken als rechte Ideologin. In ihren Schriften verknüpfte sie emanzipatorische Forderungen mit altgermanischen Mythen und formulierte eine Art völkischen Feminismus. In vorchristlicher Zeit, meint Hunke, seien die Frauen hochgeschätzt, gar als "göttliche Mütter" verehrt worden. Dann aber sei den Germanen das "artfremde" Christentum aufgezungen worden samt der "seit Jahrtausenden im Orient bestehenden Unterordnung der Frau". Damit habe der weibliche Leidensweg begonnen.
Wer heute für Gleichberechtigung eintrete, betreibe also nichts anderes als die "Wiederergreifung unseres unvergänglichen Erbes germanischen Frauentums". So kommt Hunke zu einem Postulat, das wie geschaffen scheint für rechtsfeministische Flugblätter: "Der germanische Mann will die Frau selbständig n e b e n sich, und er will sie ebenbürtig." Dass es für derartige Thesen keinerlei verlässliche Quellen gibt, tut der Beliebtheit von Hunkes Gedankengut in der Neonaziszene keinerlei Abbruch.
Im Ergebnis findet sich ein verblüffendes Nebeneinander von Frauenbildern bei den Rechtsextremisten. Einerseits grölt die Skinheadband Radikahl: "Weiber sind bei uns nichts wert/Auch wenn man sie nicht gern entbehrt." Andererseits schmachten die Musiker von Munin: "Ich möchte ein Mädel, deutsch und rein/In Schönheit und Stolz beispielhaft sein." Breit gefächert ist auch das Angebot des Wikingerversandes: Bomberjacken mit dem Schriftzug "Skingirl" gibt es dort ebenso wie knapp geschnittene Girlie-Tops mit Spaghettiträgern und dezent aufgestickter Odalsrune. Und die nationale Mami kann Kinderhemden ordern, auf denen "German Child" steht oder "Walhalla".
Ganz im Osten Deutschlands, auf einer NPD-Demo in Greifswald trifft man die nationale Frauenszene: stramme Fahnenträgerinnen, das kleinkarierte Hemd bis ganz oben zugeknöpft; "Renees", weibliche Skinheads, und Nazigirls; brave Schulmädchen mit tief hängendem Eastpak-Rucksack und blondem Pferdeschwanz, Girlies in bauchfreiem T-Shirt und ausgefransten Jeans. Während die Jungs Parolen grölen, tippen manche Mädels schnell eine SMS in ihr poppig buntes Handy.
Claudia, 23, Krankenpflegerin, hat die NPD über ihren Bruder kennen gelernt. Sie sieht aus wie eine absolut normale junge Frau, fährt einen gelben Ford Fiesta mit kleinem, grauem Plüschnilpferd auf dem Armaturenbrett. Claudia sagt, sie sei dafür, dass Frauen abtreiben dürfen. Das ist der einzige Punkt, wo sie das Wahlprogramm der NPD nicht versteht: beim strikten Verbot des Schwangerschaftsabbruchs. Andere Forderungen sind ihr offensichtlich wichtiger. Sie hockt sich neben ihr Auto, steckt sich eine PallMall an und seufzt: "Es gibt so viel Pack hier, das abgeschoben gehört."
Es sind die jungen, vor allem ostdeutschen Frauen, welche die rechtsextremistische Szene verändern. "Klar haben die ein anderes Bild von Gleichberechtigung", sagt Doris Zutt, 47, seit Jahrzehnten in der NPD und zweite Frau im Bundesvorstand. Sie lebt die traditionelle Mutterrolle und wundert sich: "Die Frauen in Mitteldeutschland sind voll begeistert, auf Demos zu gehen." Im Westen, berichtet sie, "bleiben die Frauen lieber zu Hause, sagen den Männern: ,Ruft von unterwegs an, wenn ihr heimkommt, ist das Essen auf dem Tisch.'" Es waren Frauen aus dem Osten, die 1996 auf dem Programmparteitag der NPD nach heftigen Diskussionen eine sachte Modernisierung des Familienkapitels durchsetzten.
Der Frauenboom könnte die männerlastige rechtsextremistische Szene langfristig stabilisieren. Bisher war der häufigste Anlass für einen Ausstieg aus rechten Cliquen oder Parteien, dass die Männer "draußen" eine Frau fanden. Nun aber steigt die Zahl potenzieller Partnerinnen in der Szene. Außerdem könnte sich der Umgangston in rechtsextremistischen Parteien und Vereinen zivilisieren, wodurch sie für ein weiteres Publikum interessant würden. Bislang wurden die männerbündischen Sitten der Gruppen kaum von Frauen gestört. Wenn sie jetzt aber genauso aktiv werden wie Männer, müssen die sich - zumindest etwas - zurückhalten.
So wie im Internetforum Nationale Mamis. Dort jammert "Friggi" aus Wien, sie würde gern mal wieder ausgehen, aber ihr Mann weigere sich, auch mal das Kind zu hüten. Da motzt "headhunter", ein Mann, der sich auf die Seite verirrt hat: "Was ist euch wichtiger? Euren Spaß zu haben, oder für eure Kinder da zu sein? ihr wißt schon ... 14 WORDS!!!" Die Reaktion ist heftig: "Wir können ja mal tauschen, ich mach Deinen Job und Du spielst Hausfrau und Mutter! Mal sehen, wie lange Du durchhältst", schreibt "Holstein-Renee". "Der Vater meiner Kleinen war immer vorne dabei wenn es um Volk und Vaterland ging. Und dann macht er sich nach 5 Jahren aus dem Staub", klagt "Triskele" aus Hessen. Und "Limit" aus Wien schimpft: "Männer machen Dreck, aber kommen nicht auf die Idee, vielleicht mal den Dreck wieder wegzuräumen".
Woraufhin "headhunter" die weiße Fahne hisst: "Ok, mein Beitrag war wirklich überflüssig."
Die Zeit