Blamage in der 50000-Euro-Kategorie: Nagelneue Mercedes E-Klasse bleiben liegen, weil die Elektronik über Nacht die Batterie leer saugt. BMW ruft zweimal innerhalb eines Jahres seine X5-Geländewagen zurück, unter anderem weil Bremspedale locker sind. Zwar zeigt die ADAC-Pannenstatistik schon seit Jahren, dass nicht deutsche, sondern japanische Autos die zuverlässigsten sind. Aber eine aktuelle Umfrage weist auf eine neue Krisenqualität hin: Die Kunden sind unzufrieden mit Autos aus Deutschland (siehe Tabelle).
Kaum besser sieht es bei Zügen aus: Der neue ICE mit Neigetechnik wird nach zwei Jahren voller Pannen aus dem Verkehr gezogen. Mal war der unter Federführung von Siemens entwickelte Superzug auf freier Strecke liegen geblieben, weil der Steuerungscomputer versagte, mal brach eine Achse. Italiener schütteln darüber nur den Kopf, bei ihnen neigt sich der „Pendolino“ seit Jahren zuverlässig in die Kurven.
Auch die Schweizer wundern sich: Warum fällt es den Nachbarn schwer, ein drahtloses Mautsystem aufzubauen? Während es in der Schweiz funktioniert, blamierten sich Ikonen wie DaimlerChrysler und die Deutsche Telekom mit Bordcomputern, die schon den Geist aufgaben, wenn der Brummi-Fahrer das Radio anknipste. „Nicht alles ist Toll Collect“, kalauerte darauf der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Michael Rogowski, „manches ist immer noch toll in Deutschland.“
Ein müder Trost. Die besten Autos, Züge, Waschmaschinen: Darauf beruhte das Bild, das Ausländer von den vermeintlich so humorlos und streberhaften Deutschen hatten. Und darauf basierte Deutschlands Wohlstand. „Made in Germany“ wurde zum Wahrzeichen des teutonischen Wirtschaftswunders und – gefräst, lackiert oder aufgeklebt – zum Synonym für Qualität. Ausgerechnet da hapert’s nun.
Womöglich verkehrt sich das nationale Gütesiegel allmählich wieder zu dem Kainsmal, das es einst war. Die Briten führten es 1887 ein, um minderwertige Importe aus Deutschland zu brandmarken. Damals ging der Schuss nach hinten los, weil die Qualität der deutschen Produkte bald die der britischen übertraf. Doch heute scheinen selbst die Deutschen ihrer Ware zu misstrauen. Nach einer vergangene Woche veröffentlichten Umfrage meint mehr als die Hälfte der Bürger, Made in Germany habe in den letzten zehn Jahren an Stellenwert verloren. Ein „erschreckendes“ Ergebnis, wie Wolfgang Kaerkes sagt, Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Qualität. Das Land brauche eine „Qualitätsoffensive“, sonst sei der Lack bald ab vom Gütesiegel.
Dabei scheint – abgesehen von tiefen Kratzern durch Pannen wie Toll Collect – noch viel übrig zu sein vom Glanz der alten Solidität. Gerade mal vor einem Jahr fanden drei Viertel aller Befragten, Deutschland stehe für Qualität. Dass die aktuelle Umfrage so viel schlechter ausfällt, liegt auch an den von den Meinungsforschern gewählten Fragen – und am allgemeinen Kummer-Klima in Deutschland. Eine Untersuchung der GfK in Italien, Großbritannien, Frankreich und den USA aus 2002 ergab dagegen: Zwischen 20 und 40 Prozent der Befragten glauben, das teutonische Qualitätsimage habe sich noch verbessert. Nur fünf bis elf Prozent meinen, es sei verblasst. Und selbst die Experten des World Economic Forum, die das Land gern ob seiner Verkrustungen kritisieren, loben deutsche Unternehmen. Im jüngsten World Competitiveness Report landen sie im Vergleich von 100 Staaten auf Platz eins, genauso wie die hiesige „Qualität der lokalen Zulieferer“ und die „Innovationskraft der Wirtschaft“.
Es gibt noch mehr Grund für Selbstbewusstsein: Deutsche Maschinenbauer halten mit ihrem Anteil von rund 20 Prozent am Welthandel seit Jahren unangefochten den ersten Platz, außerdem führen sie in der globalen Patentstatistik. „Deutsches Ingenieurwesen hat vor allem beim Maschinenbau einen exzellenten Ruf“, bestätigt Kurt Hornschild vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung Berlin. Ebenso begehrt sind nach wie vor Küchen von Miele oder Schmerzmittel von Bayer. So kommt es, dass Deutschland wieder einmal Exportweltmeister ist.
Doch der schöne Titel sagt nur die halbe Wahrheit. Über viele Jahre ist der Anteil am globalen Handel geschrumpft – andere Länder holten auf. „Unsere Zuverlässigkeit hat gelitten, zumindest in Relation zu anderen“, sagt Volker Wanduch, Leiter der Abteilung Technik und Wissenschaft beim Verband Deutscher Ingenieure (VDI). Heute wird jede Schraube darauf abgeklopft, ob sich an ihr noch ein paar Cent sparen lassen. Im Idealfall hält sie keinen Tag länger als unbedingt erforderlich. „Das war nicht immer das hehre Ziel“, sagt Wanduch. Die Waschmaschine, die nach 30 Jahren noch fehlerfrei spült und schleudert und auf diese Weise das Image deutscher Wertarbeit prägte, wird so immer seltener. Zugleich haben die Unternehmen ihre Entwicklungszeiten radikal verkürzt, obwohl viele Produkte – ob Autos oder Handys – immer komplizierter werden. „Früher arbeitete man acht bis zwölf Jahre an der Entwicklung eines Autos, heute müssen vier Jahre reichen, bei kleineren Elektrogeräten nur noch ein paar Monate“, sagt Technik-Experte Wanduch.
Wohin das führt, zeigen die Pannenserien bei den ICE-Zügen. Als die Bahn noch Bundesbahn war und niemand von Privatisierung redete, entwickelte sie ihr rollendes Material selbst und erteilte dann präzise Aufträge. Das wurde zu teuer. Jetzt kauft sie die Züge nur noch ein und setzt aus Kostengründen extrem kurze Lieferfristen. Die neueste ICE-Generation wurde allein von der Industrie entwickelt, noch während des Baus schob die Bahn neue Wünsche nach. Der früher auf zwei Jahre angesetzte Probebetrieb eines derartigen Zugtyps wurde auf sechs Monate reduziert. Erst als die Höchstgeschwindigkeit auf der Neubaustrecke Frankfurt–Köln getestet werden konnte, stieß man auf gravierende Mängel.
Manchmal wird geradezu mutwillig auf eine sorgfältige Entwicklung verzichtet, nur um den Markt nicht der Konkurrenz zu überlassen. Etwa im Fall Toll Collect. Mit der Unterschrift unter einen Vertrag mit praktisch unhaltbarer Lieferfrist reservierte das Konsortium den Markt für sich. Selbst bei Misserfolg waren die Konkurrenten damit ausgeschaltet.
Dass unter steigendem Wettbewerbsdruck die Qualität leidet, ist zwar kein deutsches Phänomen, hat aber den Vorsprung vor der Konkurrenz verringert. Im Automobilbau haben inzwischen andere die Nase vorn: Der Toyota Corolla, der Honda Civic oder der Mazda 323, sie alle lassen in der ADAC-Pannenstatistik deutsche Konkurrenten wie den VW Golf hinter sich liegen. Das gleiche Bild in den USA: Bei Mängeln innerhalb der ersten Monate rangiert dort schon seit sieben Jahren ein Lexus von Toyota als untadelig auf Platz eins.
Nur: Allen Statistiken zum Trotz gewinnen Porsche, Mercedes, VW und BMW in den USA immer weitere Marktanteile hinzu. Zehren sie nur noch vom soliden Image der Deutschen? Nein, sagt Jürgen Häusler, Chef der Marken-Agentur Interbrand Zintzmeyer & Lux: „Steigen Sie in einen Mercedes oder einen 5er BMW, fassen Sie um sich, vergleichen Sie den Komfort, probieren Sie das Fahrwerk aus, und setzen Sie sich dann in einen Lexus – da merken Sie einen himmelweiten Unterschied.“ Qualität sei ein „weiches Phänomen“. Es lasse sich nicht nur auf die Pannenhäufigkeit beschränken. Zur Qualität „gehört das technische Niveau“, ergänzt VDI-Experte Wanduch, „und da sind deutsche Autos ihren Konkurrenten noch immer meilenweit voraus“. Vor allem die Bordelektronik, mit der neue Sicherheitssysteme oder der Komfort an jedem einzelnen Sitz gesteuert werde, ist anspruchsvoller – und anfälliger. „Da bleibt dann eben mal ein S-Klasse-Mercedes liegen, nur weil das eingesteckte Handy kaputt ist“, räumt Wanduch ein.
Wandelt sich das Image? „Zuverlässigkeit ist kein deutsches Thema mehr, sondern ein japanisches“, sagt Jörg Ihlau, Partner der Kommunikationsagentur ECC Kohtes und Kleves, die an einem neuen Markenbild für Deutschland arbeitet. „Made in Germany steht heute eher für Ingenieurskunst und Innovationen.“ Das neue deutsche Qualitätsversprechen bewegt sich auf schmalem Grat – überzeugend ist es nur so lange, wie die Lust am Neuen gegenüber dem Frust mit dessen Tücken obsiegt.
Doch die Zukunft des deutschen Gütesiegels hängt nicht allein von der Technik ab. Horst Prießnitz, Hauptgeschäftsführer des Markenverbands, hält es jetzt schon für „ein Opfer der Globalisierung“. Wichtiger als das „made in“ werde zunehmend das „made by“. Die Idee: Niemand durchschaut mehr, was wirklich in welchem Land hergestellt wird. Viele vermeintlich deutsche Produkte stammen längst aus dem Ausland: Ein Opel Agila wird im polnischen Gleiwitz gebaut, Kühlschränke von Bauknecht kommen aus Italien, Boss lässt Anzüge in der Türkei nähen. Sich in solchen Fällen mit Made in Germany zu schmücken kann als irreführende Werbung geahndet werden. Deshalb werden die berühmten drei Worte immer seltener. Selbst der BDI hadert mit dem Traditions-Label. Kürzlich diskutierten Mitarbeiter des Verbands intern einen eigenen Slogan. Der Vorschlag „BDI – Made in Germany“ stieß auf Kritik. Zu global sei die Industrie inzwischen, hieß es.
Trotzdem erwarte man von deutschen Autos einen besonders hohen Qualitätsanspruch und besondere Ingenieurleistungen, sagt Interbrand-Chef Häusler. Viele Experten empfehlen deshalb ein Logo „Engineered in Germany“, bei der Stiftung Warentest kann man sich „German Quality“ vorstellen. Die Initiative „Marke Deutschland“ hat jüngst einen Slogan für die ganze Nation vorgestellt: „Machen wir. DeutschlandTM.“
Für einzelne Marken gibt es aber tausend subtilere Wege, mit der eigenen Herkunft zu werben. So unterstreicht Renault seine französische Identität hierzulande mit dem Zusatz „Créateur d’Automobiles“, die Luftfahrtgesellschaft Swiss trägt die Nation im Namen und die Flagge im Logo, Audi benutzt im Ausland den Slogan „Vorsprung durch Technik“ und kündigte das Spitzenmodell A8 in Großbritannien als „pure Vorsprung“ an.
Solange hinter dem Image ein besonderes Know-how steht, das im Land tatsächlich konzentriert ist, dürfte die Deutschtümelei in der Werbung glaubwürdig und wichtig bleiben. Zwar verschwindet das offizielle Made in Germany, aber in Reklamesprüchen schwingt es weiter mit. Und manchmal klingt es da viel sympathischer als das gusseiserne Original. Der Spaß mit deutschen Autos nennt sich – so haben es die Amerikaner aus einer VW-Reklame längst gelernt – Fahrvergnugen.
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