Lepus timidus bavaricus
Die politischen Spuren des Kandidaten Edmund Stoiber verlaufen im Zick-Zack
Die politischen Spuren des Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber sehen in diesen Wochen so ähnlich aus wie die Fährte eines Hasen auf der Flucht: Er beherrscht das „rechtwinklige Abbiegen vor dem Feind“. Der Feind ist in diesem Fall weniger der politische Gegner, sondern der Stoiber von einst. Immer wenn der Kanzlerkandidat glaubt, die Wähler könnten im neuen Stoiber den alten Edmund entdeckt haben, springt er behände davon. Er flieht vor jeder Kritik, vor jeder neuen Umfrage, vor jedem Angriffspunkt, an dem er gepackt werden könnte, durch schnelles Hakenschlagen. Erst springt er der US- Regierung gegen den Irak zur Seite, dann schlägt er sich ins Lager der Kriegsgegner. Erst beklagt er, dass die Großunternehmer nicht zur Finanzierung der Flutkatastrophenhilfe herangezogen werden; als dies aber geschieht, wendet er sich heftig dagegen. Erst hält er die Homoehe für verfassungswidrig, jetzt will er daran nichts ändern.
Beim Haken schlagenden Hasen ist die lateinische Bezeichnung lepus timidus irreführend. Er ist nicht furchtsam; das Hakenschlagen ist vielmehr seine Form der Überlebensklugheit. Für den Kanzlerkandidaten geht es freilich mehr als ums Überleben: Es geht um den Sieg, und das Zick-Zack-Laufen ist dafür eine fragwürdige Strategie. Bislang hat diese Strategie Stoiber allerdings noch nicht nachhaltig geschadet. Für die konservative Klientel und den harten Kern sind das Wahlprogramm und das 100-Tage-Programm da, in denen die alte Litanei herauf- und heruntergebetet wird und in denen alles steht, für das der alte Stoiber stand: Strafen rauf und Schotten dicht. Für die Wechselwähler aber gibt der entbayerte Edmund Stoiber den altersmilden, flexiblen und watteweichen Kandidaten, dem es darum geht, die Aura der Wirtschaftskompetenz zu erhalten.
Sein Politikstil als Kanzlerkandidat erinnert an Schröders Stil bis zum Ende des ersten Regierungsjahres. Schröder war entschlossen, aber nicht festgelegt. Seine Stärke war die unbestimmte Kompetenz, und sein Motto hatte er bei Shakespeare entliehen: Wie es euch gefällt. An der Zick-Zack-Politik seiner frühen Kanzlerzeit leidet Schröder allerdings bis heute. Er muss im Wahlkampf Rouge auflegen, auf dass ihn die enttäuschte Klientel wieder als echten Sozialdemokraten akzeptiert. Stoiber wird im Fall einer Wahlniederlage in Schwierigkeiten geraten. Sein weicher Stil hat, zumal in der Gesellschaftspolitik, harte Positionen geräumt, deren Wiederbesetzung wohl nur um den Preis seiner eigenen Glaubwürdigkeit gelingen wird.
Was Stoiber selbst im Wahlkampf beflissen vermeidet, das verlangt er von den Freidemokraten: Sie sollen sich festlegen – auf die Union als Koalitionspartner. Das werden die Freidemokraten verweigern, weil ihre angebliche Äquidistanz zu Union und SPD der letzte Glaubwürdigkeits-Indikator für die hochfliegenden Ziele der Partei ist. Wenn die FDP sich schon jetzt im Wahlkampf zum Knappen der Union machte, wäre sie wieder bei der Rolle angelangt, aus der sie sich vor vier Jahren befreien wollte.
Es braucht im übrigen keine Koalitionsaussage um festzustellen, dass die FDP eher zur Union strebt. Zu diesem Zweck muss man nur lesen können: Die trennenden Themen – innere Sicherheit, Zuwanderung, Ausländerpolitik – sind zwar im Wahlprogramm durchaus zu finden, werden aber im Wahlkampf nicht intoniert. Intoniert wird eine kalte Wirtschafts- und Sozialpolitik, und die Klientel, die sich diese Politik wünscht, wünscht sich Stoiber als Kanzler, auch wenn der von der FDP propagierte Wegfall des Kündigungsschutzes für einen Teil der deutschen Arbeitnehmer mit der SPD als Partner leiser durchgesetzt werden könnte; es handelt sich nämlich um den innenpolitischen Ernstfall.
Bei der ersten sozialliberalen Koalition 1969 gab es die Ostpolitik als Treibsatz, der die Parteien zusammenführte. Einen solchen Treibsatz gibt es diesmal nicht. FDP und SPD sind so weit auseinander wie Karl-Hermann Flach und Guido Westerwelle.
SZ