Firmengründer Gerhard Schmid greift zu verzweifelten Manövern, um sein Lebenswerk zu retten.
Die E-Mail von Gerhard Schmid sollte noch vor dem Wochenende für Stimmung sorgen. Punkt 11.45 Uhr setzte sich der Mobilcom-Chef vergangenen Freitag vor seinen PC, ließ die Tiefschläge der vergangenen zwei Tage Revue passieren und schrieb seiner Sicht der Dinge für die „lieben Mitarbeiter und Führungskräfte“ nieder. Die Message bekam einen knackigen Slogan: „Der Mobilcom-Spirit is back.“ Damit es niemand übersieht, gleich zwei Mal – ganz oben und ganz unten auf dem Bildschirm.
Selbst in der größten Not kommen Schmid, dem 49jährigen Marketinggenie, keine Selbstzweifel. In markigen Sätzen legt der Firmengründer dar, was von der „Kriegserklärung“ des Mobilcom-Großaktionärs France Telecom zu halten ist: „Es geht nicht um Aktiengeschäfte meiner Frau. Es geht auch nicht um Investitionen für UMTS. Es geht um die eigenen Probleme der France Télécom. Das Unternehmen ist hoch verschuldet hat offensichtlich nicht alle Verpflichtungen offen gelegt.“
Und dann verfasst er einen Erklärungsansatz, auf den er im Nachhin besonders stolz ist: „Ein anderes Thema heiß fahren ist das Patentrezept der PR-Profis in diesen Fällen. Kennen wir doch alle aus dem Kindergarten. Auch dort haben manche immer dann besonders laut über andere geschimpft, wenn sie selbst die Hosen voll hatten.“
Schmid, mit einem Gesamtvermögen von 1,4 Milliarden Euro beim „Manager-Magazin“ bis auf Platz 65 der reichsten Deutschen aufgestiegen, schlägt ein neues Kapitel im Kampf David gegen Goliath auf. Vor vier Jahren düpierte er die Deutsche Telekom beim Start in den Festnetzwettbewerb. Jetzt geht es um die Vorherrschaft bei Mobilcom – und wieder will David, sprich Schmid, als Sieger das Feld verlassen.
France Telecom hält derzeit 28,5 Prozent an dem Unternehmen, Schmid selbst über 40 Prozent (siehe Grafik Seite 75). Frühestens im Herbst 2003 können die Franzosen ein Vorkaufsrecht einlösen, das ihnen die Mehrheit an Mobilcom sichert. Ob die Vernunftehe solange hält, glaubt heute niemand mehr. Schmid jedenfalls macht sich „Sorgen um einen Partner, der die Reputation und Kreditwürdigkeit von Mobilcom aufs Spiel setzt, um von den eigenen Problemen abzulenken. Ich mache mir keine Sorgen um Mobilcom.“
Szenen einer gescheiterten Mobilfunk-Ehe. Seit mehr als einer Woche fährt France Télécom einen Konfrontationskurs, der seinesgleichen in der Telekommunikation sucht. Zuerst lancierten die Franzosen über die Medien, dass sie eine vorzeitige Mobilcom-Übernahme in Betracht ziehen. Dann entdeckten sie „fundamentale Gegensätze“ bei der Ausgestaltung des UMTS-Businessplans. Zum Schluss zweifelten sie auch noch die Rechtmässigkeit der von Schmids Ehefrau, Sybille Schmid-Sindram, erworbenen Aktienpakete und des damit verbundenen Optionsprogramms für die Händler an. Bis zur nächsten Aufsichtsratssitzung am 6. März wollen die Franzosen geklärt wissen, ob und welche Hilfestellung Schmid oder die Mobilcom AG bei den Aktienkäufen leistete. Um Zeit zu gewinnen, musste Schmid sogar die Bilanzpressekonferenz um zwei Wochen auf den 21. März verschieben.
Ein Ende der Querelen ist nicht in Sicht. Schmid, in die Defensive gedrängt, startet zu einer Gegenoffensive. Der Mobilcom-Chef hat bereits vor Wochen einem Deutschland-Deal von France Télécom seine Zustimmung verwehrt, der bis heute nicht bekannt gegeben worden ist. Mit 29,9 Prozent beteiligte sich die France-Télécom-Tochter TDF, vertreten durch die Digital Future Investments mit Sitz in Amsterdam, an der New Radio Tower GmbH mit Sitz in Mülheim/Ruhr. Für Schmid ein schwerer Verstoß gegen das Mobilcom vertraglich eingeräumte Exklusivrecht, für France Télécom auf den deutschen Markt tätig zu sein.
Zumal noch ein alter Fall anhängig ist: Über Hutchison Telecom sind die Franzosen ohnehin schon an einem direkten Mobilcom-Konkurrenten zu 100 Prozent beteiligt. Schmid: „Wir haben denen mitgeteilt, dass wir das als Vertragsverstöße ansehen und notfalls die Gerichte einschalten.“
Der Machtkampf um Mobilcom erreicht damit eine neue Eskalationsstufe. Schmid pocht weiter auf seine Eigenständigkeit und lässt weiterhin keine Gelegenheit aus, den Franzosen zu zeigen, wer Herr im Hause Mobilcom ist. Die Franzosen dagegen sind Schmids Alleingänge endgültig Leid und wollen nicht länger den Finanzier des teuren UMTS-Abenteuers spielen.
Von einem Scheitern der Ehe mit France Télécom will Schmid trotzdem nicht sprechen. Worte wie „Scheidung“ und „Zerwürfnis“ nimmt er nicht in den Mund. Schmid, der Daueroptimist, geht weiter davon aus, dass die „Schmutzkampagne“ genau so plötzlich endet wie sie begonnen hat. „Es geht France Télécom nur darum, am 21. März die Bilanzpressekonferenz zu überstehen. Danach schauen wir weiter.“
Insbesondere die beiden Chefs stehen sich unversöhnlich gegenüber. Hier, im kleinen Büdelsdorf am Rande von Rendsburg, der Senkrechtstarter Schmid. Dort, in der Weltstadt Paris, der Eliteschüler Michel Bon, der mit France Télécom einen derart aggressiven Expansionskurs steuert, das binnen drei Jahren ein global agierender Telekom-Konzern mit einem Schuldenberg von mindestens 65 Milliarden Euro entstand.
Zwischen den beiden ist der persönliche Kontakt inzwischen abgerissen. Das letzte Gespräch, gibt Schmid zu, fand im Herbst letzten Jahres statt. Die fehlende Chemie zwischen den Chefs spielt er herunter. Auf der Arbeitsebene – so Schmid – funktioniert die Zusammenarbeit bis heute „absolut reibungslos“. Nur das sei wichtig.
Bis zum Sommer, wenn die Refinanzierung von Bankkrediten in Höhe von 4,7 Milliarden Euro ansteht, müssen sich auch die Chefs wieder auf eine Geschäftsgrundlage verständigen. Im Vertrauen auf den Gesellschaftervertrag verzichteten die Banken bei den ersten Milliardenkrediten auf schriftliche Garantien von France Télécom. Das könnte jetzt zum Eigentor für die Franzosen werden. „Je mehr die Verantwortung für den deutschen Markt diskutiert wird,“ prophezeit Schmid, „umso weniger wird France Télécom in der zweiten Finanzierungsrunde an schriftlichen Garantien vorbeikommen.“
Schmid wäre nicht Schmid, wenn er sich nicht auch auf vorzeitige Übernahmeverhandlungen mit den Franzosen einstellt. Zusammen mit seiner Frau Sybille Schmid-Sindram und dem US-Investor Guy Wyser-Pratte hat er in den vergangenen Monaten so viele Aktien über die Börse günstig nachgekauft, dass er - wenn man die Belegschaftsaktionäre mitzählt - längst wieder die Mehrheit an Mobilcom zurückerobert hat. Aktuelle Anteilszahlen will Schmid zwar nicht nennen, geschätzt wird das von ihm kontrollierte Paket bereits auf 43 Prozent. Schmid: „Die Aktionärsstruktur ist so, dass es niemanden gelingen wird, den Preis der Mobilcom-Aktie durch eine Schmutzkampagne nach unten zu drücken und ein Schnäppchen zu machen.“
Was ein guter Preis ist, teilte Wyser-Pratte den Franzosen bereits öffentlich mit. 200 Euro, der Marktpreis im März 2000, als France Télécom bei Mobilcom einstieg, ließ der von New York aus agierende Raider wissen, sei ein angemessener Preis. Der Kurs liegt am Dienstagnachmittag bei knapp über 13 Euro - ein Zeichen für den Realitätsverlust einiger Mobilcom-Aktionäre.
Schmid selbst entwirft noch ein anderes Szenario. Auch wenn man France Télécom Vertragsverletzungen nachweisen könne, lohnt sich ein Einlösen der vorzeitigen Verkaufsoption unter Umständen nicht. „Es könnte sein, dass wir über Schadensersatzklagen mehr für die Mobilcom-Aktionäre tun können.“
Gut zehn Jahre nach ihrem Start 1991 fände die Mobilcom-Schmid-Story damit ein jähes Ende. Solange Schmid in der Regionalliga spielte, schien es, als gäbe es für Mobilcom nur eine Richtung – nach oben. Der Aufstieg ins Establishment durch den Gang an den Neuen Markt (1997), der schnelle Einstieg in den Festnetz-Wettbewerb mit frechen Werbesprüchen und Call-by-call-Vorwahl 01019 machten Schmid zum Helden der New Econony.
Erst in den vergangenen zwei Jahren, als Mobilcom mit France Télécom anbändelte und mit dem Erwerb der teuren UMTS-Lizenz alles auf die Mobiltelefon-Karte setzte, ging es bergab. Die Ersteigerung einer UMTS-Lizenz für 8,4 Milliarden Euro bedeutete für ihn den „Aufstieg in die erste Liga“. Immer wieder rechnete er vor, was das für den Börsenwert von Mobilcom bedeutet. Beim Netzbetreiber wird jeder Kunde mit bis 8000 Euro bewertet, ein Service Provider erreicht gerade mal 1000 Euro. Ein fataler Irrtum, wie sich nach dem Absturz der Telekom-Werte inzwischen herausstellt.
So optimistisch wie Schmid kalkuliert keiner der Konkurrenten mehr mit den UMTS-Umsätzen. Bis 2010 sollen nicht nur 11,7 Millionen Deutsche einen UMTS-Vertrag mit Mobilcom unterschreiben, die Multimedia-Umsätze sollen bis dahin sogar so schnell steigen, dass sie die Telefonumsätze deutlich übertreffen. Ein Szenario, dass kaum noch ein Analyst für realistisch hält.
Plötzlich steckt Schmid in der Zwickmühle. Steigen die Franzosen aus, müssen die Milliarden-Zusagen für den UMTS-Ausbau vor Gericht eingeklagt werden. Übernehmen sie die Mehrheit, wird Schmid als Vorstandsvorsitzender sofort abgelöst.
Doch Schmid hat vorgesorgt. Die in der Nacht zum 23. März 2000 ausgehandelten Verträge mit France Télécom, die den Einstieg bei Mobilcom an eine ganze Palette von Garantien, Kauf- und Verkaufsoptionen knüpfen, könnten sich für Schmid und die anderen Aktionäre als Glücksfall erweisen.
Eine Schlüsselrolle spielte dabei der Kölner Rechtsanwalt Gerhard Picot, ein Experte für Mergers & Akquisitions mit Lehrstuhl an der Universität Witten-Herdecke. Schmid vertraut seit Jahren bei allen Vertragsverhandlungen auf dessen Rat. Zusammen führten beide in Paris ein perfekt inszeniertes Rollenspiel vor, das die Franzosen zu weitgehenden Zugeständnissen zwang.
Schmid spielte die Rolle des Bösen, der immer wieder drohte, die Verhandlungen scheitern zu lassen. Picot dagegen übernahm den Part des Kompromissbereiten, der Schmid in letzter Sekunde zur Vernunft brachte. Am Ende kam ein Vertragswerk heraus, das France Télécom wie das Ausstellen eines Blanko-Schecks vorkommen mußte. Schmid behält das Sagen und France Télécom finanziert den gesamten Aufbau des UMTS-Geschäfts.
Quelle: wiwo.de / JÜRGEN BERKE