Ein Nemax-Spieler schildert seinen Albtraum
23. Nov 10:29, ergänzt 10:34
Andreas Lindenberg Foto: privat
Der Neue Markt als «Albtraum»: Unternehmer Andreas Lindenberg gibt Einblicke in das Geschäftsgebaren von Startups. Ein Interview.
Von tausend Punkten auf über 9000 - und dann in Windeseile wieder abwärts: So könnte die Geschichte des Wachstumssegments der Deutschen Börse beschrieben werden. Der Internet- und Börsenhype machte Banken, Unternehmen und private Anleger gierig auf enorme, kurzfristige Gewinne. In diesem Umfeld kam auch die WWL Internet AG an die Börse. Die Netzeitung sprach mit Andreas Lindenberg, einem Gründer von WWL. Er hat der «New Economy» mittlerweile den Rücken gekehrt - und ist Autor des Buches «Albtraum Neuer Markt».
Netzeitung: Herr Lindenberg, die Unternehmensberatung Kienbaum hat eine einfache Erklärung für den «Albtraum» am Neuen Markt: Es habe bei den Entscheidern ein klares Missverhältnis zwischen Visionären und Realisten gegeben. Auf welcher Seite sehen Sie sich selber?
Andreas Lindenberg: Am Anfang bin ich sicherlich beides gewesen. Doch die realistische Selbsteinschätzung hat während der Phase des Börsengangs ausgesetzt. Die ersten wirklichen Bedenken, ob wir uns mit den neuen Geschäftsfeldern nicht übernommen haben, kamen mir neun Monate nach dem Börsengang.
Netzeitung: Die WWL wurde ohne Businessplan gegründet. «Ein Businessplan hätte die Gründungsphase auch nicht erfolgreicher gemacht», schreiben sie in ihrem Buch. Aber vielleicht wäre der langfristige Erfolg sicher gestellt worden?
Lindenberg: Das glaube ich nicht. Wir haben ja später Pläne erstellt – doch auch die hatten keine große Treffsicherheit. Anfangs lag die WWL immer über den Planzahlen, später nur noch darunter.
Netzeitung: Welche Gründe haben sie dazu bewogen, an die Börse zu gehen?
Lindenberg: Wir waren damals in Deutschland eine von vielen Webagenturen, die sich aus eigener Kraft entwickelt hatte. Wie auch viele andere in der Branche beschäftigten wir 35 Mitarbeiter und unser Umsatz lag bei drei bis fünf Millionen Mark. Wir wollten uns in einem Hauruckverfahren von der Masse absetzen.
Netzeitung: Diese Idee hatte eine Vielzahl von Unternehmen. War die WWL aber wirklich reif für die Börse?
Lindenberg: Diese Frage kann ich rückblickend nicht uneingeschränkt mit Ja beantworten. Doch Tatsache war: Wir hielten uns für reif – und auch die so genannten Experten hielten uns für börsenreif.
Netzeitung: Die Konsortialbanken erhalten heute wie damals für ihre Tätigkeit einen Teil des Emissionserlöses. Haben die Geldinstitute in den damaligen Boomzeiten nicht auch Unternehmen an die Börse verholfen, nur um kurzfristig viel Geld einzunehmen?
Lindenberg: Der Versuchung ist damals sicherlich riesengroß gewesen. Ratings, die die Entwicklung von an die Börse gebrachten Unternehmen aufführen, belegen deutlich, dass viele Unternehmen eben nicht börsenreif gewesen sind. Das ist für die Banken ein schallende Ohrfeige.
Netzeitung: Sie erwähnen in ihrem Buch die erfolgreichen Börsenstories von Netscape, EM.TV und Mobilcom. Spielte beim Gedanke an einen IPO nicht auch das eigene Portemonnaie eine Rolle?
Lindenberg: Das kann ich für mich und meine damaligen Kollegen bei der Grundsteinlegung ausschließen. Nachträglich – als der Börsengang geglückt war – hat der neue Reichtum zu sehr unterschiedlichen Reaktionen bei den einzelnen Gesellschaftern geführt. Manche haben sich überhaupt nicht beeinflussen lassen. Andere waren mit anderen Dingen, wie zum Beispiel dem Hauskauf, beschäftigt.
Netzeitung: Die WWL führte im Rahmen der Vorbereitungen zum Börsengang einen so genannten «Beauty-Contest» durch, um die für den IPO notwendigen Konsortialbanken zu finden. Hätte es aber eigentlich nicht umgekehrt sein müssen: Die Bank sucht sich lukrative Unternehmen, die «reif» für die Börse sind?
Lindenberg: Es war schon eine verdrehte Welt. Die Banken haben sich geradezu um uns gerissen. Wir haben uns unheimlich hofiert gefühlt, was natürlich dazu beigetragen hat, die Realität ein bisschen aus den Augen zu verlieren. Das Bemerkenswerte im Fall WWL war ja, dass uns nicht eine einzige Bank wirklich überprüft hat.
Netzeitung: Die Zulassungsquote der Deutschen Börse für den Neuen Markt betrug in ihren besten Zeiten 60 Prozent. Ende 2000 waren 338 Unternehmen am Neuen Markt notiert. Hätte die Deutsche Börse nicht viel stärker selektieren müssen?
Lindenberg: Man muss sich anschauen, welche Unternehmen zugelassen wurden und welche nicht. Eines der Hauptkriterien war ja, eine überzeugende Wachstumsstory präsentieren zu können. Und Wachstum heißt eben nicht, sich im Jahr um 10 bis 20 Prozent zu verbessern, sondern man musste sehr deutlich zweistellig wachsen. Das ist in der Retrospektive gesehen nur den wenigsten nachhaltig gelungen. Ich behaupte, dass das sicherlich dazu geführt hat, manch eine Story zu tunen.
Netzeitung: Sie beschreiben in ihrem Buch, wie verschiedene Banken zu einer Bewertung von Unternehmen am Neuen Markt gelangt sind. (Anmerkung der Redaktion: Oft wurde die Marktkapitalisierung (Aktienkurs*Aktienanzahl) im Verhältnis zum Umsatz gesetzt. Yahoo kam 1999 auf einen Wert von 97, die WWL auf 14). Wurde ihnen da nie schwindelig?
Lindenberg: Natürlich wurde einem da schwindlig, aber aus dieser Schwindligkeit wurde kein Besorgnis erregender Schluss gezogen. Gerade die Leute in unserem Unternehmen, die aus der «Old Economy» kamen, haben oft die Hände über dem Kopf zusammen geschlagen. Letztendlich hat man es aber akzeptiert und auf den Tag gewartet, an dem man selber in den Genuss einer solchen Bewertung kommt.
Netzeitung: Hielten sie den Börsenkurs der WWL für realistisch?
Lindenberg: Aufgrund der Entstehungsgeschichte und des Umfelds: ja. Aus heutiger Sicht würde ich sagen, dass der Kurs nicht angemessen war.
Netzeitung: Der Börsengang brachte ihnen 29 Millionen Euro, ein Vielfaches des damaligen Umsatzes. Was machen Jungunternehmer mit so einem Haufen Geld?
Lindenberg: Es gab das Ziel, was man den Aktionären versprochen hat: Das Wachstum durch Akquisitionen zu finanzieren. Als Problem stellte sich nur heraus, dass zum damaligen Zeitpunkt fast alles extrem teuer war. Alle die, die man hätte kaufen können, waren gleichfalls sehr hoch bewertet.
Ich behaupte heute, hätte man den Mut gehabt sich von diesem Ziel abzuwenden, wäre vieles anders gelaufen. Diesen Mut hatte damals aber keiner: Anfangs nicht, weil keiner daran geglaubt hat und später stand man noch immer unter dem Druck, seine ehemals ausgegebenen Planzahlen zu erfüllen. In jedem Fall sollte der immense Umsatz durch Gründen und Zukaufen von neuen Geschäftsaktivitäten doch noch erreicht werden.
Netzeitung: Sie waren also Sklave des «Shareholder-Value». Der hohe Aktienkurs musste mangels Gewinnen mit einem extrem hohen Umsatzwachstum gerechtfertigt werden.
Lindenberg: Sicherlich, das trifft es zu einem sehr großen Teil. Man wurde zudem ständig mit den anderen großen «Playern» verglichen. Da gab es die schillernden Namen, die immer an der Spitze der Rankings standen. Und man bekam zu hören: Warum macht Kabel New Media jetzt die zehnte Akquisition und warum schafft ihr das nicht? (Anmerkung der Redaktion: Kabel New Media ist mittlerweile insolvent.)
Zudem gab es immer diverse Kaufempfehlungen von Banken, die die Aktienkurse weiter nach oben getrieben haben und den Druck damit erhöhten.
Netzeitung: Der Jahresfehlbetrag betrug im Jahr 2000 insgesamt 23,5 Millionen Euro. Die Emissionserlöse wurden damit in einem Jahr fast vollständig verpulvert. Wie konnte das passieren?
Lindenberg: Die Frage wie das passieren konnte, stellt man sich nicht so einfach und findet in ein, zwei Minuten eine Antwort. Letztlich lag es zu einem großen Part an einem teils arroganten, teils sorglosen Umgang mit den Firmenfinanzen. Das Finanzcontrolling war viel zu schwach ausgeprägt und ließ so den recht lockeren Umgang mit dem Geld zu. Erst später hat man angefangen, sich um die Zukunft zu sorgen. Aber die Führung konnte sich nicht einig werden, welche Maßnahmen zu ergreifen sind. Dabei ist viel wertvolle Zeit verstrichen, bis man die wichtigsten Schritte ergriffen hatte.
Netzeitung: War der Börsengang und das viele Geld der Euphorie der Gründungsphase nicht abträglich?
Lindenberg: Das viele Geld hat dafür gesorgt, dass für jeden Handlangerdienst Leute eingestellt worden sind. Um den Vorstand herum sind Posten wie Pilze aus dem Boden geschossen. Man war sich auf einmal zu schade Dinge, die man vorher selber gemacht, weiterhin selber zu machen.
Netzeitung: Das Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel ermittelt wegen des Verdachts auf Insiderhandel mit WWL-Atien. Hat es diesen jemals gegeben?
Lindenberg: Bekannt ist es mir nicht, aber ich würde auch für keinen – außer mir selbst - meine Hand ins Feuer legen. Gerade bei der Veröffentlichung von Ad Hoc-Meldungen gab es oft Probleme: Unsere Marketing-Verantwortlichen konnten nicht mit schlechten Nachrichten umgehen. Mit negativen Nachrichten wurde solange gewartet, bis man sie in gute verpacken konnte.
Netzeitung: Wird die WWL überleben?
Lindenberg: Eigentlich müsste ich jetzt das klare Ja verbreiten, weil ich selbst noch viele Aktien besitze. Es hängen aber immer noch einige Damokles-Schwerter über dem Unternehmen. Ich könnte sie nicht als sichere Anlage empfehlen, aber ich hoffe, dass die WWL überlebt.
Das Gespräch führten Simon Bardt und Marcus Gatzke von www.netzeitung.de
23. Nov 10:29, ergänzt 10:34
Andreas Lindenberg Foto: privat
Der Neue Markt als «Albtraum»: Unternehmer Andreas Lindenberg gibt Einblicke in das Geschäftsgebaren von Startups. Ein Interview.
Von tausend Punkten auf über 9000 - und dann in Windeseile wieder abwärts: So könnte die Geschichte des Wachstumssegments der Deutschen Börse beschrieben werden. Der Internet- und Börsenhype machte Banken, Unternehmen und private Anleger gierig auf enorme, kurzfristige Gewinne. In diesem Umfeld kam auch die WWL Internet AG an die Börse. Die Netzeitung sprach mit Andreas Lindenberg, einem Gründer von WWL. Er hat der «New Economy» mittlerweile den Rücken gekehrt - und ist Autor des Buches «Albtraum Neuer Markt».
Netzeitung: Herr Lindenberg, die Unternehmensberatung Kienbaum hat eine einfache Erklärung für den «Albtraum» am Neuen Markt: Es habe bei den Entscheidern ein klares Missverhältnis zwischen Visionären und Realisten gegeben. Auf welcher Seite sehen Sie sich selber?
Andreas Lindenberg: Am Anfang bin ich sicherlich beides gewesen. Doch die realistische Selbsteinschätzung hat während der Phase des Börsengangs ausgesetzt. Die ersten wirklichen Bedenken, ob wir uns mit den neuen Geschäftsfeldern nicht übernommen haben, kamen mir neun Monate nach dem Börsengang.
Netzeitung: Die WWL wurde ohne Businessplan gegründet. «Ein Businessplan hätte die Gründungsphase auch nicht erfolgreicher gemacht», schreiben sie in ihrem Buch. Aber vielleicht wäre der langfristige Erfolg sicher gestellt worden?
Lindenberg: Das glaube ich nicht. Wir haben ja später Pläne erstellt – doch auch die hatten keine große Treffsicherheit. Anfangs lag die WWL immer über den Planzahlen, später nur noch darunter.
Netzeitung: Welche Gründe haben sie dazu bewogen, an die Börse zu gehen?
Lindenberg: Wir waren damals in Deutschland eine von vielen Webagenturen, die sich aus eigener Kraft entwickelt hatte. Wie auch viele andere in der Branche beschäftigten wir 35 Mitarbeiter und unser Umsatz lag bei drei bis fünf Millionen Mark. Wir wollten uns in einem Hauruckverfahren von der Masse absetzen.
Netzeitung: Diese Idee hatte eine Vielzahl von Unternehmen. War die WWL aber wirklich reif für die Börse?
Lindenberg: Diese Frage kann ich rückblickend nicht uneingeschränkt mit Ja beantworten. Doch Tatsache war: Wir hielten uns für reif – und auch die so genannten Experten hielten uns für börsenreif.
Netzeitung: Die Konsortialbanken erhalten heute wie damals für ihre Tätigkeit einen Teil des Emissionserlöses. Haben die Geldinstitute in den damaligen Boomzeiten nicht auch Unternehmen an die Börse verholfen, nur um kurzfristig viel Geld einzunehmen?
Lindenberg: Der Versuchung ist damals sicherlich riesengroß gewesen. Ratings, die die Entwicklung von an die Börse gebrachten Unternehmen aufführen, belegen deutlich, dass viele Unternehmen eben nicht börsenreif gewesen sind. Das ist für die Banken ein schallende Ohrfeige.
Netzeitung: Sie erwähnen in ihrem Buch die erfolgreichen Börsenstories von Netscape, EM.TV und Mobilcom. Spielte beim Gedanke an einen IPO nicht auch das eigene Portemonnaie eine Rolle?
Lindenberg: Das kann ich für mich und meine damaligen Kollegen bei der Grundsteinlegung ausschließen. Nachträglich – als der Börsengang geglückt war – hat der neue Reichtum zu sehr unterschiedlichen Reaktionen bei den einzelnen Gesellschaftern geführt. Manche haben sich überhaupt nicht beeinflussen lassen. Andere waren mit anderen Dingen, wie zum Beispiel dem Hauskauf, beschäftigt.
Netzeitung: Die WWL führte im Rahmen der Vorbereitungen zum Börsengang einen so genannten «Beauty-Contest» durch, um die für den IPO notwendigen Konsortialbanken zu finden. Hätte es aber eigentlich nicht umgekehrt sein müssen: Die Bank sucht sich lukrative Unternehmen, die «reif» für die Börse sind?
Lindenberg: Es war schon eine verdrehte Welt. Die Banken haben sich geradezu um uns gerissen. Wir haben uns unheimlich hofiert gefühlt, was natürlich dazu beigetragen hat, die Realität ein bisschen aus den Augen zu verlieren. Das Bemerkenswerte im Fall WWL war ja, dass uns nicht eine einzige Bank wirklich überprüft hat.
Netzeitung: Die Zulassungsquote der Deutschen Börse für den Neuen Markt betrug in ihren besten Zeiten 60 Prozent. Ende 2000 waren 338 Unternehmen am Neuen Markt notiert. Hätte die Deutsche Börse nicht viel stärker selektieren müssen?
Lindenberg: Man muss sich anschauen, welche Unternehmen zugelassen wurden und welche nicht. Eines der Hauptkriterien war ja, eine überzeugende Wachstumsstory präsentieren zu können. Und Wachstum heißt eben nicht, sich im Jahr um 10 bis 20 Prozent zu verbessern, sondern man musste sehr deutlich zweistellig wachsen. Das ist in der Retrospektive gesehen nur den wenigsten nachhaltig gelungen. Ich behaupte, dass das sicherlich dazu geführt hat, manch eine Story zu tunen.
Netzeitung: Sie beschreiben in ihrem Buch, wie verschiedene Banken zu einer Bewertung von Unternehmen am Neuen Markt gelangt sind. (Anmerkung der Redaktion: Oft wurde die Marktkapitalisierung (Aktienkurs*Aktienanzahl) im Verhältnis zum Umsatz gesetzt. Yahoo kam 1999 auf einen Wert von 97, die WWL auf 14). Wurde ihnen da nie schwindelig?
Lindenberg: Natürlich wurde einem da schwindlig, aber aus dieser Schwindligkeit wurde kein Besorgnis erregender Schluss gezogen. Gerade die Leute in unserem Unternehmen, die aus der «Old Economy» kamen, haben oft die Hände über dem Kopf zusammen geschlagen. Letztendlich hat man es aber akzeptiert und auf den Tag gewartet, an dem man selber in den Genuss einer solchen Bewertung kommt.
Netzeitung: Hielten sie den Börsenkurs der WWL für realistisch?
Lindenberg: Aufgrund der Entstehungsgeschichte und des Umfelds: ja. Aus heutiger Sicht würde ich sagen, dass der Kurs nicht angemessen war.
Netzeitung: Der Börsengang brachte ihnen 29 Millionen Euro, ein Vielfaches des damaligen Umsatzes. Was machen Jungunternehmer mit so einem Haufen Geld?
Lindenberg: Es gab das Ziel, was man den Aktionären versprochen hat: Das Wachstum durch Akquisitionen zu finanzieren. Als Problem stellte sich nur heraus, dass zum damaligen Zeitpunkt fast alles extrem teuer war. Alle die, die man hätte kaufen können, waren gleichfalls sehr hoch bewertet.
Ich behaupte heute, hätte man den Mut gehabt sich von diesem Ziel abzuwenden, wäre vieles anders gelaufen. Diesen Mut hatte damals aber keiner: Anfangs nicht, weil keiner daran geglaubt hat und später stand man noch immer unter dem Druck, seine ehemals ausgegebenen Planzahlen zu erfüllen. In jedem Fall sollte der immense Umsatz durch Gründen und Zukaufen von neuen Geschäftsaktivitäten doch noch erreicht werden.
Netzeitung: Sie waren also Sklave des «Shareholder-Value». Der hohe Aktienkurs musste mangels Gewinnen mit einem extrem hohen Umsatzwachstum gerechtfertigt werden.
Lindenberg: Sicherlich, das trifft es zu einem sehr großen Teil. Man wurde zudem ständig mit den anderen großen «Playern» verglichen. Da gab es die schillernden Namen, die immer an der Spitze der Rankings standen. Und man bekam zu hören: Warum macht Kabel New Media jetzt die zehnte Akquisition und warum schafft ihr das nicht? (Anmerkung der Redaktion: Kabel New Media ist mittlerweile insolvent.)
Zudem gab es immer diverse Kaufempfehlungen von Banken, die die Aktienkurse weiter nach oben getrieben haben und den Druck damit erhöhten.
Netzeitung: Der Jahresfehlbetrag betrug im Jahr 2000 insgesamt 23,5 Millionen Euro. Die Emissionserlöse wurden damit in einem Jahr fast vollständig verpulvert. Wie konnte das passieren?
Lindenberg: Die Frage wie das passieren konnte, stellt man sich nicht so einfach und findet in ein, zwei Minuten eine Antwort. Letztlich lag es zu einem großen Part an einem teils arroganten, teils sorglosen Umgang mit den Firmenfinanzen. Das Finanzcontrolling war viel zu schwach ausgeprägt und ließ so den recht lockeren Umgang mit dem Geld zu. Erst später hat man angefangen, sich um die Zukunft zu sorgen. Aber die Führung konnte sich nicht einig werden, welche Maßnahmen zu ergreifen sind. Dabei ist viel wertvolle Zeit verstrichen, bis man die wichtigsten Schritte ergriffen hatte.
Netzeitung: War der Börsengang und das viele Geld der Euphorie der Gründungsphase nicht abträglich?
Lindenberg: Das viele Geld hat dafür gesorgt, dass für jeden Handlangerdienst Leute eingestellt worden sind. Um den Vorstand herum sind Posten wie Pilze aus dem Boden geschossen. Man war sich auf einmal zu schade Dinge, die man vorher selber gemacht, weiterhin selber zu machen.
Netzeitung: Das Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel ermittelt wegen des Verdachts auf Insiderhandel mit WWL-Atien. Hat es diesen jemals gegeben?
Lindenberg: Bekannt ist es mir nicht, aber ich würde auch für keinen – außer mir selbst - meine Hand ins Feuer legen. Gerade bei der Veröffentlichung von Ad Hoc-Meldungen gab es oft Probleme: Unsere Marketing-Verantwortlichen konnten nicht mit schlechten Nachrichten umgehen. Mit negativen Nachrichten wurde solange gewartet, bis man sie in gute verpacken konnte.
Netzeitung: Wird die WWL überleben?
Lindenberg: Eigentlich müsste ich jetzt das klare Ja verbreiten, weil ich selbst noch viele Aktien besitze. Es hängen aber immer noch einige Damokles-Schwerter über dem Unternehmen. Ich könnte sie nicht als sichere Anlage empfehlen, aber ich hoffe, dass die WWL überlebt.
Das Gespräch führten Simon Bardt und Marcus Gatzke von www.netzeitung.de