MI5 schaltet Anzeigen auf Extremistenseiten

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MI5 schaltet Anzeigen auf Extremistenseiten

 
26.10.01 22:02
MI5 schaltet Anzeigen auf Extremistenseiten

Von Frank Patalong

Während in Deutschland und den USA mit dem Holzhammer gegen Extremistenseiten im Web vorgegangen wird, versucht der MI5, seinen Nutzen aus den Angeboten zu ziehen: Wo sonst könnte man so einfach Informanten finden?
 
qoqaz.de

Es war einmal: Die Mudschahidin- Rekrutierungsseite Qoqaz.de ist verschwunden. Das internationale Pendant gibt es noch


Der Name "Qoqaz" machte Schlagzeilen in Deutschland. Nur wenige Wochen ist das her: Die ursprünglich tschechische, als internationales "Franchise" operierende Mudschahidin-Webseite gilt als eine der wichtigsten Informationsquellen für radikale Muslime.

In Deutschland gibt es Qoqaz nicht mehr. Mehr noch, eine Denic-Anfrage zur Adresse qoqaz.de erweckt den Eindruck, es hätte die Seite nie gegeben: "Die Domain 'qoqaz.de' ist noch frei".

Diese Auskunft ist ein Datenbank-Automatismus, keine Geschichts-Klitterung - auch, wenn es so wirkt: Gemeint ist nicht "noch", sondern "wieder". Trotzdem ist das Beispiel symptomatisch: Seit dem 11.9.2001 gibt es "feindliche" Webseiten, gegen die entsprechend vorgegangen wird. Bis zum 11.9. beobachtete der Verfassungsschutz solche Angebote, seit dem 11.9. besucht das BKA ihre Betreiber.

In den Wochen, die auf den 11.September folgten, kam es zu einem erst langsamen, dann aber stetigen Webseiten-Schwund. Zuvorderst in Deutschland und den USA reagierten die Behörden schnell und gründlich, fegten radikalislamische Angebote aus dem Netz. Im extremsten Fall gelang es dem FBI, durch die Schließung eines Providers mehrere Hundert islamische Seiten auf einen Schlag aus dem Web zu tilgen - längst nicht alle waren "radikal".

In Großbritannien geschah dies langsamer und weniger gründlich. Die großen, bekannten radikalislamischen Websites sind aber auch dort mittlerweile zumindest auf Eis gelegt ("suspended until further notice").

Das heißt jedoch nicht, dass die Fahnder beim britischen Geheimdienst MI5 untätig sind: Auch sie suchen potenziell gefährliche Seiten im Web. Doch gehen sie offenbar erheblich "cooler" mit dem Thema um als ihre deutschen und amerikanischen Kollegen: Eine Website, die man als "feindlich" empfindet, kann man aus dem Web entfernen - oder man kann versuchen, sie zu nutzen.

MI5: Appell an den Anstand

Der Gedankengang: Es gibt Leute, die einer radikalen Ideologie oder Religion anhängen, und trotzdem erschüttert und empört darüber sein, dass im Namen dieser Idee über 5000 unschuldige Menschen ermordet werden.

Die Konsequenz ist dann nur logisch: Solche Menschen findet und erreicht man nur dort, wo sie sich freiwillig tummeln und informieren. Ergo entschied sich MI5 dazu, Anzeigen in arabischer Sprache auf radikalislamischen Webseiten zu schalten.

Qoqaz.com und Islah.org, bekannte Extremisten- oder Dissidentenseiten, zeigten in dieser Woche die Anzeigen, in denen MI5 unter offener Nennung des eigenen Namens um sachdienliche Hinweise bittet.

Die Anzeige im Wortlaut:


"Die Greueltaten, die am 11. September in den USA stattfanden, führten zum Tod von rund 5000 Menschen, darunter zahlreiche Muslime und Menschen anderer Glaubensrichtungen. MI5 ist als britischer Inlands-Geheimdienst dafür verantwortlich, gegen Terrorismus vorzugehen und damit alle Bürger des Vereinigten Königreiches zu schützen, welcher Ethnie oder Glaubensrichtung sie auch angehören. Wenn Sie glauben, dass Sie uns dabei helfen könnten, künftige Katastrophen dieser Art zu verhindern, rufen Sie bitte an."
Eine tatsächlich beispiellose Aktion: So offen und gerade heraus hat sich ein Geheimdienst wohl selten an seine eigenen, potenziellen Gegner gewandt.

Hauptquartier des MI5: Der britische Geheimdienst gilt als besonders kompetent in Sachen elektronische Schnüffelei


Das tun viele Behörden noch nicht einmal auf ihren eigenen Seiten. Das Bundeskriminalamt BKA bietet natürlich Informationen zum Thema - zu denen man sich allerdings erst einmal durchklicken muss. Auch dann erwartet den Leser, der in aller Regel wohl kaum aus radikalislamischen Zirkeln kommen dürfte, nicht viel mehr als Pressemitteilungen.

Wie das Bundesinnenministerium zum Thema steht, hat Innenminister Schily in den letzten Wochen hinreichend klar gemacht: Beim BMI scheint man zu glauben, dass man dem Problem am Besten durch Kontrollieren, Verbieten, Zensieren, Bestrafen Herr werden könne.

Bei Europol ist von dem ganzen Thema soweit nichts zu finden - wobei nicht auszuschließen ist, dass irgendwo auf dem Server noch Infos warten, wenn man mehr als zehn Minuten darauf verwendet, danach zu suchen. Doch wer tut das schon?

Transparenz Fehlanzeige

Was man vom Thema der "Transparenz" beim Bundesnachrichtendienst BND hält, macht die Website des Dienstes schnell klar: Da finden sich aalglatte Basisinformationen ohne jede Vertiefung, ohne jeden Aktualitätsbezug. Einzige Möglichkeit des Dialoges: Die Anforderung von "mehr Informationen" - und von Bewerbungsunterlagen.

Am Dialog mit dem Bürger, geschweige denn mit dem potenziellen Gegner, hat der BND hingegen keinerlei Interesse.

Das sieht auch beim Verfassungsschutz nicht viel anders aus. Da ist das Thema "Terror" seit dem 11.9. zumindest ein Top-Thema in den "News", doch auch dahinter erwarten den Surfer vor allem Informationen, die eher auf die Beschwichtigung von Ängsten in der Öffentlichkeit zielen. Die Hauptquelle, aus der zitiert wird, ist der Verfassungsschutzbericht - was immerhin dahingehend wertvoll ist, dass man sich hier Faktenmaterial und Argumente gegen die schwachsinnigen Bedrohungs-Phantasien des Stammtisches abholen kann.

Doch Reaktionen auf aktuelle Geschehnisse? Dialog mit dem Bürger gar? Fehlanzeige: Die Bitte um Mithilfe führt gerade einmal zu einem aktuellen Fahndungsplakat des BKA.

Denunzieren ja, diskutieren nein: Für den Dialog gibt es bei deutschen Behörden offenbar keinen Raum. Eine interessante zeitliche Koinzidenz ist, dass just in dieser Woche sowohl in Deutschland, als auch in den USA Gesetze auf den Weg gebracht wurden, die das Abhorchen und Überwachen elektronischer Kommunikation per Telefon, Fax, E-Mail und SMS erleichtern sollen.

In England glauben die Geheimdienstler im krassen Gegensatz zu all dem scheinbar daran, dass man Menschen nicht unbedingt abhören muss, um ihre Stimmen zu hören.

Mit Abhören hat kein Geheimdienst in Europa mehr Erfahrung als der MI5, der mit diversen Anti-Terror-Gesetzen seit den Siebzigern quasi über einen Freibrief verfügt - und auch darum weiß, wie fruchtlos dieser Ansatz sein kann. Die größten Erfolge im Kampf gegen den Terrorismus in Nordirland feiern die britischen Dienste, seit sie das "Confidential Telefone", den "vertraulichen Anruf", in Anzeigen- und Werbekampagnen hoffähig gemacht haben. Heute trägt jedes Polizei- und Army-Fahrzeug in Nordirland einen entsprechenden Werbeaufdruck.

Getreu diesem Muster wolle MI5, sagte ein Sprecher der Organisation dem "Guardian", auch in diesem Fall "Menschen am Rande des extremistischen Spektrums" erreichen, die "hinreichend schockiert" sind über die Terroranschläge, um tatsächlich sachdienliche Hinweise geben zu wollen.

Mit Erfolg?

Der Erfolg der Aktion lässt sich noch nicht abmessen. Immerhin, heißt es bei MI5, hätten in den ersten 24 Stunden rund 700 Menschen die Botschaft angeklickt, und angeblich gingen nur 16 Hassbriefe bei M5 ein. Über die Gefahr, dass die ungewöhnlich offene Ansprache an das vermeintlich gegnerische Lager zu Bluffs, Falschinformationen und ähnlichem führen könnte, ist man sich auch bei MI5 bewusst.

Der Geheimdienst hofft, durch die Aktion sein Netz von Informanten substanziell ausweiten zu können. Anrufern, die man so einschätzt, dass sie tatsächlich wertvolle Informationen zu bieten hätten, bietet MI5 persönliche Treffen mit Agenten an. Anrufern aus dem Ausland wird angeboten, sich an die Botschaften zu wenden. Dort - auch das ein außergewöhnlich offenes Zugeständnis - säßen ausgebildete Agenten des Auslandsgeheimdienstes MI6, die ebenfalls auf eine Belebung ihrer Kontakte hoffen.

Den ersten zwei Anzeigen auf radikalislamischen Seiten sollen weitere folgen. Das wird wohl nicht ganz so einfach: Die meisten in der westlichen Welt beheimateten Seiten sind längst verschwunden.

SPIEGEL ONLINE - 26. Oktober 2001, 11:16
URL: www.spiegel.de/netzwelt/politik/0,1518,164540,00.html



DarkKnight:

sehr interessant, danke

 
26.10.01 22:51
das Problem bei dt. Behörden ist: politische Vorgaben ... wer sich querstellt, hat plötzlich einen Autounfall oder die Bank kündigt Kredite oder, noch schlimmer: er wird weggelobt nach Cottbus oder Hoyersverda.

Zumindest ist das in Bayern so.
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