04.12.02 11:44
Kommentar: Wims Giftpille für den Aktienmarkt
Experten rechnen mit einer Zinssenkung durch die EZB am Donnerstag. Das könnte den Märkten einen Schlag versetzen: Die Zinssenkungsphantasie, Hauptantriebskraft der letzten Rallye, wäre aus dem Markt.
„Seit unserem Treffen im November zeigt sich, dass der Inflationsdruck weicht. Zugleich bestehen die Abschwungrisiken der Wirtschaft noch.“ Die Worte des EZB-Präsidenten Wim Duisenberg vor einem Ausschuss des EU-Parlaments in Brüssel machen Experten sicher: Am Donnerstag kommt sie, die Zinssenkung. Allein die Frage, wie hoch diese ausfallen wird, beschäftigt die Experten noch. Bei 3,25 Prozent liegt die Rate derzeit, und es erscheint fraglich, ob die stets um die Inflation besorgten Währungshüter die magische Marke von 3 Prozent kippen werden.
Zumal nach wie vor Risiken zu sehen sind. Duisenberg hat die Gelegenheit natürlich nicht ausgelassen, darauf hinzuweisen. Einer dieser großen Gefahren – und gleichzeitig großen Unbekannten – ist der Ölpreis. Das Inflationsziel, das die EZB bei Raten von 2 Prozent und weniger sieht, gerate in Gefahr, wenn der Ölpreis sich nicht stabil verhalte. Dies dürfte sich in der Sekunde erledigt haben, wo es am Golf zu einer größeren militärischen Konfrontation kommt. Vorboten sind allerorts zu sehen: Die USA drängen die UN-Waffeninspekteure zu einer immer härteren Vorgehensweise und greifen – im Duett mit den Briten – irakische Stellungen an. Der Irak beschießt kuwaitische Küstenwachboote und kritisiert die Arbeit der Inspekteure. Die Lunte am Pulverfass ist gelegt, ob sie brennt, wird sich in den kommenden Wochen zeigen.
Die Erwartung, dass die Zinsen gesenkt werden, ist nicht neu: Die Börse hat die Karte bereits ausgespielt, abzulesen bereits seit einiger Zeit an den Kursen der Börse, die eine Zinssenkung in der Rallye der vergangenen Wochen mindestens vorweggenommen haben. Der REX ist seit Mitte Oktober angestiegen, während der Euro gegenüber dem Dollar seit dem November-Hoch deutlich Boden verloren hat. Und wie so oft könnte es daher am Donnerstag, sofern die EZB die Zinsen tatsächlich senkt, deshalb auch zu einem „sell on good news“ kommen. Auf einen erneuten Kaufdruck am Aktienmarkt zu spekulieren ist daher gewagt. Seit einigen Tagen sind aber Gegenbewegungen zu beobachten, welche die vorherige Zinssenkungseuphorie haben abklingen lassen. Macht sich am Ende gar Skepsis breit?
Die EZB muss sich fragen lassen, warum sie mit dem längst fälligen Schritt so lange gewartet hat. Dass die Zinsen für die wirtschaftliche wenig erbauliche Situation Europas zu hoch sind, dürfte kaum jemand bestreiten - Inflationsgefahren hin oder her. Zumal man überlegen muss, ob eine Inflationsrate mit einer 2 vor dem Komma eine größere soziale Ungerechtigkeit ist als die hohe Arbeitslosigkeit in vielen Teilen Europas. Der kaninchengleiche Blick auf die Schlange Inflation hat neben der weltweiten Wirtschaftsflaute noch zusätzlichen Druck auf die Konjunktur ausgeübt. Die starren Maastricht-Kriterien haben ihr übriges zur Situation beigetragen. Senkt die EZB nun die Zinsen, werden sich die Effekte frühestens in neun bis zwölf Monaten zeigen. Etwas spät, um gegen die heutigen Probleme anzukämpfen.
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