Der Stabilitäts- und Wachstumspakt verhindert, dass die Staaten der Euro-Zone wirksam die Konjunktur ankurbeln können - Gastbeitrag
von J. Bradford DeLong
Angesichts der drängenden Haushaltsprobleme in den meisten Ländern der Euro-Zone und der Aussicht auf nur ,7 Prozent Wachstum 2003 reißt die Debatte um eine Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes nicht ab. Besonders die Regel, dass die Neuverschuldung nicht höher als drei Prozent des Inlandsproduktes ausfallen darf, bedeutet: Selbst in schlechten Konjunkturzeiten müssen Euro-Länder Steuern anheben und Ausgaben kürzen.
Von der amerikanischen Seite des Atlantiks aus erscheint die Diskussion um den Stabilitätspakt als ausgesprochen grotesk. Das letzte Mal, dass eine US-Regierung versucht hatte, angesichts einer Rezession einen ausgeglichenen Haushalt zu gewährleisten, war vor siebzig Jahren - während der Präsidentschaft Herbert Hoovers zu Beginn der Großen Depression. Seitdem ist man sich in den USA weitgehend einig, dass konjunkturelle Schwierigkeiten es verlangen, Haushaltsdefizite in Kauf zu nehmen, um das Leiden zu lindern, die Gesamtnachfrage anzuregen und die Erholung zu beschleunigen.
Ökonomen sprechen bei zyklischen, fiskalischen Ankurbelungen zunächst von automatischen Stabilisatoren. Wenn die Privateinkommen nachgeben, gehen auch die öffentlichen Einnahmen zurück. Doch wichtiger ist: Wenn die Privateinkommen sinken, steigen die Sozialausgaben der Regierung und lösen eine Erholung bei der Nachfrage, den Erträgen, den Investitionen und bei der Beschäftigung aus. Das Schrumpfen der Steuereinnahmen und der Anstieg bei den Ausgaben vergrößern zwar das Haushaltsdefizit, aber auf gesunde und nützliche Weise.
Hier in Amerika wird die Nützlichkeit dieser Stabilisatoren nicht in Frage gestellt. Im Gegenteil, wenn immer eine Rezession droht, dreht sich die politische Diskussion darum, ob es nötig sei, die Stabilisatoren durch zusätzliche Anreize einer expansiven Haushaltspolitik zu verstärken. Niemand denkt daran, durch höhere Steuern und Sparmassnahmen weiteren Druck auf die Wirtschaft auszuüben.
Es handelt sich hierbei sogar nicht einmal um eine Frage der Haushaltsdisziplin. Wann immer Änderungsvorschläge zur US-Verfassung gemacht wurden, die auf eine Art von Haushaltsausgleich abzielten, sahen die Befürworter darin typischerweise Ausnahmen für Kriegsfall und Rezession vor.
Wir kennen den Ursprung für den Stabilitäts- und Wachstumspakt. Länder Nordeuropas, besonders Deutschland und die Niederlande, brüsteten sich mit ihrem traditionell geringen Verhältnis zwischen Staatsverschuldung und Bruttoinlandsprodukt (BIP) und den verhältnismäßig niedrigen Zinssätzen. Diese Länder blickten mit größter Sorge auf die südeuropäischen Länder, auf Italien und Griechenland. Diese hatten üblicherweise ein großes Verhältnis zwischen Schulden und BIP und einen relativ hohen Nominalzins, und zwar - wie man meinte - wegen ihrer Nachgiebigkeit gegenüber der Inflation.
Der Stabilitäts- und Wachstumspakt sollte die Schulden der öffentlichen Hand in Südeuropa und damit auch die Zinsen niedrig halten, indem man Investoren versicherte, man werde keinen so hohen Anstieg der nationalen Schulden dulden, dass ernsthafter Inflationsdruck entstehe.
Doch wenn man sich die wirtschaftlichen Probleme der Euro-Zone ansieht, dann rangiert die Gefahr langfristiger, hoher Nominalzinsen nicht einmal unter den ersten zehn Bedenken der Investoren. Am allerwenigsten fürchten sie offenbar, dass eine hohe Verschuldung Regierungen veranlassen könnte, die Inflation durch das Drucken von mehr Geld zu schüren. Die Probleme der EU bestehen in stagnierenden Erträgen, einer hohen strukturellen Arbeitslosigkeit, einem schwachen Produktivitätsanstieg, der verschwenderischen und ungerechten gemeinsamen Agrarmarktpolitik und in der bevorstehenden EU-Erweiterung.
Es ist gut, wenn die Finanzminister der Euro-Zone ihre nationalen Schulden langfristig gering halten wollen: Ist dies doch ein Zeichen dafür, dass der Sieg, der in den 70er Jahren über die Inflation errungen worden ist, nicht bei Gelegenheit wieder aufgegeben wird. Doch ist es gefährlich, von der Vergangenheit besessen zu sein. Es gibt keinen sichereren Weg in die wirtschaftliche Katastrophe, als sich historische Scheuklappen anzulegen. Wie Herbert Hoover bezeugen könnte, riskieren wir, wenn wir nur die wirtschaftspolitischen Probleme der Generation vor uns sehen, die Bedrohungen vor unseren Augen zu übersehen.
Der Autor J. Bradford DeLong ist Wirtschaftsprofessor an der Universität von Kalifornien in Berkeley und Regierungsberater © Project Syndicate
Welt.de
von J. Bradford DeLong
Angesichts der drängenden Haushaltsprobleme in den meisten Ländern der Euro-Zone und der Aussicht auf nur ,7 Prozent Wachstum 2003 reißt die Debatte um eine Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes nicht ab. Besonders die Regel, dass die Neuverschuldung nicht höher als drei Prozent des Inlandsproduktes ausfallen darf, bedeutet: Selbst in schlechten Konjunkturzeiten müssen Euro-Länder Steuern anheben und Ausgaben kürzen.
Von der amerikanischen Seite des Atlantiks aus erscheint die Diskussion um den Stabilitätspakt als ausgesprochen grotesk. Das letzte Mal, dass eine US-Regierung versucht hatte, angesichts einer Rezession einen ausgeglichenen Haushalt zu gewährleisten, war vor siebzig Jahren - während der Präsidentschaft Herbert Hoovers zu Beginn der Großen Depression. Seitdem ist man sich in den USA weitgehend einig, dass konjunkturelle Schwierigkeiten es verlangen, Haushaltsdefizite in Kauf zu nehmen, um das Leiden zu lindern, die Gesamtnachfrage anzuregen und die Erholung zu beschleunigen.
Ökonomen sprechen bei zyklischen, fiskalischen Ankurbelungen zunächst von automatischen Stabilisatoren. Wenn die Privateinkommen nachgeben, gehen auch die öffentlichen Einnahmen zurück. Doch wichtiger ist: Wenn die Privateinkommen sinken, steigen die Sozialausgaben der Regierung und lösen eine Erholung bei der Nachfrage, den Erträgen, den Investitionen und bei der Beschäftigung aus. Das Schrumpfen der Steuereinnahmen und der Anstieg bei den Ausgaben vergrößern zwar das Haushaltsdefizit, aber auf gesunde und nützliche Weise.
Hier in Amerika wird die Nützlichkeit dieser Stabilisatoren nicht in Frage gestellt. Im Gegenteil, wenn immer eine Rezession droht, dreht sich die politische Diskussion darum, ob es nötig sei, die Stabilisatoren durch zusätzliche Anreize einer expansiven Haushaltspolitik zu verstärken. Niemand denkt daran, durch höhere Steuern und Sparmassnahmen weiteren Druck auf die Wirtschaft auszuüben.
Es handelt sich hierbei sogar nicht einmal um eine Frage der Haushaltsdisziplin. Wann immer Änderungsvorschläge zur US-Verfassung gemacht wurden, die auf eine Art von Haushaltsausgleich abzielten, sahen die Befürworter darin typischerweise Ausnahmen für Kriegsfall und Rezession vor.
Wir kennen den Ursprung für den Stabilitäts- und Wachstumspakt. Länder Nordeuropas, besonders Deutschland und die Niederlande, brüsteten sich mit ihrem traditionell geringen Verhältnis zwischen Staatsverschuldung und Bruttoinlandsprodukt (BIP) und den verhältnismäßig niedrigen Zinssätzen. Diese Länder blickten mit größter Sorge auf die südeuropäischen Länder, auf Italien und Griechenland. Diese hatten üblicherweise ein großes Verhältnis zwischen Schulden und BIP und einen relativ hohen Nominalzins, und zwar - wie man meinte - wegen ihrer Nachgiebigkeit gegenüber der Inflation.
Der Stabilitäts- und Wachstumspakt sollte die Schulden der öffentlichen Hand in Südeuropa und damit auch die Zinsen niedrig halten, indem man Investoren versicherte, man werde keinen so hohen Anstieg der nationalen Schulden dulden, dass ernsthafter Inflationsdruck entstehe.
Doch wenn man sich die wirtschaftlichen Probleme der Euro-Zone ansieht, dann rangiert die Gefahr langfristiger, hoher Nominalzinsen nicht einmal unter den ersten zehn Bedenken der Investoren. Am allerwenigsten fürchten sie offenbar, dass eine hohe Verschuldung Regierungen veranlassen könnte, die Inflation durch das Drucken von mehr Geld zu schüren. Die Probleme der EU bestehen in stagnierenden Erträgen, einer hohen strukturellen Arbeitslosigkeit, einem schwachen Produktivitätsanstieg, der verschwenderischen und ungerechten gemeinsamen Agrarmarktpolitik und in der bevorstehenden EU-Erweiterung.
Es ist gut, wenn die Finanzminister der Euro-Zone ihre nationalen Schulden langfristig gering halten wollen: Ist dies doch ein Zeichen dafür, dass der Sieg, der in den 70er Jahren über die Inflation errungen worden ist, nicht bei Gelegenheit wieder aufgegeben wird. Doch ist es gefährlich, von der Vergangenheit besessen zu sein. Es gibt keinen sichereren Weg in die wirtschaftliche Katastrophe, als sich historische Scheuklappen anzulegen. Wie Herbert Hoover bezeugen könnte, riskieren wir, wenn wir nur die wirtschaftspolitischen Probleme der Generation vor uns sehen, die Bedrohungen vor unseren Augen zu übersehen.
Der Autor J. Bradford DeLong ist Wirtschaftsprofessor an der Universität von Kalifornien in Berkeley und Regierungsberater © Project Syndicate
Welt.de