Niedrige Bewertungen reizen zur Übernahme - 2002 startet die Auktion der Finanzbeteiligungen
Von Martin Dunzendorfer, Frankfurt
Börsen-Zeitung, 2.11.2001
Während die Erinnerung an die Welle der Mega-Fusionen und -übernahmen zur Zeit der TMT-Rally immer mehr verblasst, und der Eindruck entsteht, als fänden M & A-Transaktionen kaum noch statt, ist in Wahrheit die Serie der Akquisitionen in Deutschland nie abgerissen. Allerdings kam es bislang zu keiner Häufung. Daher werden sie von den meisten Marktteilnehmern nur am Rande wahrgenommen. Darüber hinaus sind von wenigen Ausnahmen abgesehen, Ziele vergleichsweise wenig im öffentlichen Bewusstsein stehende Unternehmen aus der zweiten und dritten Reihe - etwa Schmalbach, Gerresheimer Glas, Friedrich Grohe, Kiekert, Klöckner Werke, Varta.
Zu den nächsten "Opfern" von Finanzinvestoren oder zahlungskräftigen Industrieunternehmen könnten schon bald die MDax-Gesellschaften Bilfinger + Berger, Hochtief, IWKA und Phoenix gehören. Sie gelten in Marktkreisen als besonders "gefährdet"; sei es, weil der Streubesitzanteil besonders hoch ist bzw. die Großaktionäre abgabewillig sind, weil die Unternehmensbewertung im Zuge der Baisse auf ein bezahlbares Niveau gesunken ist oder weil der Kurs unter dem Buchwert der Aktie notiert und eine Zerschlagung der Gesellschaft somit Profit verspricht. Als potenzielle M & A-Kandidaten gelten außerdem Babcock Borsig, Continental, IKB Deutsche Industriebank, Kolbenschmidt Pierburg, MG Technologies und die Norddeutsche Affinerie.
Kauf via Aktientausch passé
Die beiden jüngsten Übernahmeversuche - der eine erfolgreich, der andere nicht - könnten somit den Auftakt zu einer regelrechten M & A-Welle im MDax bilden. Während Bosch mit dem Versuch, Buderus zu übernehmen, vorläufig scheiterte, ergab sich der Vorstand von FAG Kugelfischer in sein Schicksal und stimmte der Akquisition durch den fränkischen Wettbewerber INA zu. Interessant ist hierbei, dass es sich bei Bosch und INA um zwei nicht börsennotierte Unternehmen handelt. Dadurch, dass die Aktie wohl für längere Zeit als Akquisitionswährung ausgedient hat, fühlen sich jetzt auch nicht gelistete Gesellschaften in die Lage versetzt, aktiv am Übernahmepoker teilzunehmen.
Andererseits dürfte aufgrund des historisch niedrigen Zinsniveaus die Finanzierung solcher Transaktionen auch für börsennotierte Firmen kein Hindernis sein. Dabei darf durchaus auf veritable Unterstützung durch die Banken gehofft werden. Angesichts der unbefriedigenden Ertragslage sowie unausgelasteter Kapazitäten in den M & A-Abteilungen dürften viele Institute stark an den mit den Mandaten verbundenen üppigen Provisionen interessiert sein. Stefan Rausch, Kapitalmarktanalyst der Helaba Trust, weist in diesem Zusammenhang auch auf die schwindende Loyalität selbst der Hausbanken gegenüber den über viele Jahre hinweg betreuten Unternehmen hin. In diesem Umfeld, so Rausch, dürfte noch manch "heilige Kuh" geschlachtet werden.
Auch wenn bei vielen möglichen Akquisiteuren große Unsicherheit in Bezug auf die konjunkturelle Zukunft besteht und die Nerven nach der 20-monatigen Baisse blank liegen - die positive Seite der Kursverluste ist, dass das Bewertungsniveau vieler börsennotierter Gesellschaften geradezu nach einer Übernahme schreit. Marktkapitalisierung und Bewertungsrelationen insbesondere von Maschinenbauern, Autozulieferern und Bauunternehmen liegen nach Aussage von Rausch zum Teil deutlich unter früheren Rezessionsniveaus. Dies muss auf strategische Investoren wie die Einladung zum Geldverdienen wirken, zumal sich Restrukturierungsmaßnahmen in der derzeitigen prekären Konjunkturlage vor Gewerkschaftsvertretern oder Politikern leichter rechtfertigen lassen.
Gründe gibt es viele
In den Researchhäusern werden den übernehmenden Unternehmen unterschiedliche Absichten unterstellt. So konstatiert M. M. Warburg, dass ein Unternehmen durch eine Übernahme seine Marktposition zu verbessern suche, indem ein Konkurrent als Wettbewerber ausgeschaltet werden soll. Voraussetzung hierfür sei, dass die Produktpalette des Akquisitionsobjektes die Wachstums- und Ertragsperspektiven des Übernehmers unter Berücksichtigung der Finanzierungskosten mittelfristig verbessert. Eine komplementäre Produktpalette, hohe technologische Kompetenz in attraktiven Nischensegmenten sowie Synergieeffekte können Begehrlichkeiten wecken.
Klassische Übernahmeziele stellen Gesellschaften mit mehreren weitgehend autonomen Geschäftsbereichen dar (Babcock Borsig, IWKA, MG Technologies, Phoenix). Ein Finanzinvestor oder eine Gruppe kapitalkräftiger Anleger übernimmt in so einem Fall ein günstig bewertetes Unternehmen, um es anschließend zu zerschlagen und die einzelnen Aktivitäten zu einem insgesamt höheren Preis an andere Investoren zu veräußern.
Grundsätzlich eignen sich Unternehmen mit hohem Streubesitzanteil besser für Übernahmen. Nach Ansicht von Helmut Seidenstücker, Chefstratege bei M. M. Warburg, lässt sich eine feindliche Takeover-Operation bei Gesellschaften, die entweder kapitalmäßig in einem Konzern eingebunden sind oder eine Familie als Großaktionär haben, kaum durchsetzen. Helaba-Analyst Rausch weist jedoch darauf hin, dass insbesondere private Großaktionäre nach der Kurserosion der vergangenen Monate neuen unternehmerischen Konzepten aufgeschlossen gegenüberstehen könnten, was einen Aufkauf deutlich erleichtern würde. Selbst bislang loyale Konzernmütter wie Rheinmetall (Kolbenschmidt Pierburg) oder RWE (Hochtief) könnten über eine Veräußerung nachdenken. Darüber hinaus, so die Analysten von M. M. Warburg, sei es aber auch vorstellbar, dass Industrieunternehmen ihre Beteiligungen veräußern, weil diese nicht zu ihrem Kerngeschäft zählen (Preussag/Babcock Borsig; RWE/Heidelberger Druck bzw. Hochtief; BASF/K + S; Eon/Stinnes). Im Rahmen derartiger Verkäufe sind nach Ansicht Seidenstückers parallele oder anschließende feindliche Takeover-Versuche denkbar ("weißer Ritter").
Die Steuerfreiheit für Erlöse aus Beteiligungsverkäufen ab 2002 wird zur Änderung der Eigentümerstrukturen bei vielen Gesellschaften führen. Stille Reserven, die beim Verkauf eines Unternehmens bzw. einer Beteiligung offen gelegt werden, müssen dann nicht mehr versteuert werden. In Marktkreisen geht man davon aus, dass sich insbesondere Banken und Versicherer von ihren langjährigen Industriebeteiligungen trennen und auf ihr Kerngeschäft fokussieren werden, was eine Art "Sonderkonjunktur" im M & A-Geschäft auslösen könnte. Je nachdem, wie die entsprechenden Anteile platziert werden - entweder breit gestreut oder an einen Investor, der bereits in der Branche tätig ist -, steigt die Zahl der Unternehmen, für die theoretisch eine feindliche Übernahme denkbar ist, so Seidenstücker.
Dennoch kommen die Analysten von M. M. Warburg in einer Studie zu dem Schluss, dass 37 der im MDax vertretenen Unternehmen für eine feindliche Übernahme nicht in Frage kommen, da sie eine Familie oder eine ähnliche Gruppierung (Stifung, Genossenschaft, KGaA) als maßgebliche Großaktionäre haben. Dieses Hindernis könnte dann umgangen werden, wenn - wie im Fall von Beru - keine Pool-Verträge existieren und Familienmitglieder Anteile verkaufen, ohne dass andere Familieneigentümer davon erfahren.
Finden von Auswahlkriterien
Kritisch stehen die M. M. Warburg-Analysten dem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) als Maßstab für die Unterbewertung eines Unternehmens gegenüber. Das KGV erscheine zum gegenwärtigen Zeitpunkt als Bewertungskriterium nicht sinnvoll, da die Ergebnisse vielfach durch negative konjunkturelle Einflüsse verzerrt dargestellt seien und den Wert eines Unternehmens nicht korrekt abbildeten.
Zur Ermittlung einer fundamentalen Unterbewertung greifen die Analysten daher auf das Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV) zurück, wobei die Jahresenddaten 2000 als Basis für die Buchwerte herangezogen wurden. Das Eigenkapital wurde um den aktivierten Goodwill bereinigt. Babcock Borsig weist demnach einen negativen Buchwert aus, weil der Goodwill das Eigenkapital übersteigt. Doch fast die Hälfte der MDax-Unternehmen notiert unter oder nur geringfügig über dem Buchwert.
Seidenstücker warnt jedoch vor voreiligen Schlüssen bei niedrigen KBVs. Diese würden darüber hinweg täuschen, dass einige Unternehmen eine enorme absolute Nettoverschuldung aufgebaut haben, die angesichts der hohen Zinszahlungen nur sehr langsam abgebaut werden kann. So weisen nach Angaben von M. M. Warburg unter anderem Continental (1,9 Mrd. Euro) und IWKA (405 Mill. Euro) eine hohe Verschuldung aus. Diese Bürde stellt für jeden Käufer ein erhebliches Hindernis dar. Andererseits können Babcock Borsig, IWKA, Brau + Brunnen, Deutz und Kolbenschmidt Pierburg Verlustvorträge vorweisen, die einem Käufer die Finanzierung erleichtern würden.
Streubesitz darf sich freuen
Dem Streubesitz kann in aller Regel eine Kaufofferte - ob nun feindlich oder nicht - nur Recht sein. Gerade übernahmegefährdete Unternehmen sind zur Abwehr von unerwünschten Annäherungsversuchen gezwungen, Maßnahmen zu ergreifen, die sich grundsätzlich kurssteigernd auswirken, etwa durch Verbesserung der operativen Ertragskraft, Hebung stiller Reserven, Aktienrückkäufe oder eine hohe Dividendenausschüttung. Dass sie dies wider besseres Wissen oftmals erst zu spät oder gar nicht tun, führt zu der relativ hohen Erfolgsquote von feindlichen Übernahmen. Darüber hinaus profitieren die Aktionäre schon bei Übernahmegerüchten von aufkommenden Kursfantasien oder der Hoffnung auf eine attraktive Übernahmeprämie. Außerdem lösen höhere Gegenangebote eines Wettbewerbers als Reaktion auf eine feindliche Übernahmeofferte Kurssteigerungen aus. Ebenso die Versuche des "angegriffenen" Unternehmens, durch so genannte Poison Pills die Eigenständigkeit zu behalten.
Seit dem zunächst feindlichen Übernahmeversuch von Mannesmann durch Vodafone Airtouch stellt sich die ehemalige Festung Deutschland für ausländische Käufer nur noch als leicht überspringbarer Erdwall dar. Da ein Großteil der Gesellschaften inzwischen auch leicht bezahlbar wurde, dürfte die Gier finanzkräftiger Investoren weiter erhöhen, auch wenn das Geld nicht mehr so locker in den Taschen sitzt, wie zur Jahreswende 1999/2000. Während Übernahmen von üblichen Verdächtigen im Dax - BMW, Commerzbank und Schering - bislang mehr in den Köpfen als in der Realität stattfanden, wird sich das Gesicht des M Dax weiter kontinuierlich verändern.
Börsen-Zeitung, 2.11.2001
Von Martin Dunzendorfer, Frankfurt
Börsen-Zeitung, 2.11.2001
Während die Erinnerung an die Welle der Mega-Fusionen und -übernahmen zur Zeit der TMT-Rally immer mehr verblasst, und der Eindruck entsteht, als fänden M & A-Transaktionen kaum noch statt, ist in Wahrheit die Serie der Akquisitionen in Deutschland nie abgerissen. Allerdings kam es bislang zu keiner Häufung. Daher werden sie von den meisten Marktteilnehmern nur am Rande wahrgenommen. Darüber hinaus sind von wenigen Ausnahmen abgesehen, Ziele vergleichsweise wenig im öffentlichen Bewusstsein stehende Unternehmen aus der zweiten und dritten Reihe - etwa Schmalbach, Gerresheimer Glas, Friedrich Grohe, Kiekert, Klöckner Werke, Varta.
Zu den nächsten "Opfern" von Finanzinvestoren oder zahlungskräftigen Industrieunternehmen könnten schon bald die MDax-Gesellschaften Bilfinger + Berger, Hochtief, IWKA und Phoenix gehören. Sie gelten in Marktkreisen als besonders "gefährdet"; sei es, weil der Streubesitzanteil besonders hoch ist bzw. die Großaktionäre abgabewillig sind, weil die Unternehmensbewertung im Zuge der Baisse auf ein bezahlbares Niveau gesunken ist oder weil der Kurs unter dem Buchwert der Aktie notiert und eine Zerschlagung der Gesellschaft somit Profit verspricht. Als potenzielle M & A-Kandidaten gelten außerdem Babcock Borsig, Continental, IKB Deutsche Industriebank, Kolbenschmidt Pierburg, MG Technologies und die Norddeutsche Affinerie.
Kauf via Aktientausch passé
Die beiden jüngsten Übernahmeversuche - der eine erfolgreich, der andere nicht - könnten somit den Auftakt zu einer regelrechten M & A-Welle im MDax bilden. Während Bosch mit dem Versuch, Buderus zu übernehmen, vorläufig scheiterte, ergab sich der Vorstand von FAG Kugelfischer in sein Schicksal und stimmte der Akquisition durch den fränkischen Wettbewerber INA zu. Interessant ist hierbei, dass es sich bei Bosch und INA um zwei nicht börsennotierte Unternehmen handelt. Dadurch, dass die Aktie wohl für längere Zeit als Akquisitionswährung ausgedient hat, fühlen sich jetzt auch nicht gelistete Gesellschaften in die Lage versetzt, aktiv am Übernahmepoker teilzunehmen.
Andererseits dürfte aufgrund des historisch niedrigen Zinsniveaus die Finanzierung solcher Transaktionen auch für börsennotierte Firmen kein Hindernis sein. Dabei darf durchaus auf veritable Unterstützung durch die Banken gehofft werden. Angesichts der unbefriedigenden Ertragslage sowie unausgelasteter Kapazitäten in den M & A-Abteilungen dürften viele Institute stark an den mit den Mandaten verbundenen üppigen Provisionen interessiert sein. Stefan Rausch, Kapitalmarktanalyst der Helaba Trust, weist in diesem Zusammenhang auch auf die schwindende Loyalität selbst der Hausbanken gegenüber den über viele Jahre hinweg betreuten Unternehmen hin. In diesem Umfeld, so Rausch, dürfte noch manch "heilige Kuh" geschlachtet werden.
Auch wenn bei vielen möglichen Akquisiteuren große Unsicherheit in Bezug auf die konjunkturelle Zukunft besteht und die Nerven nach der 20-monatigen Baisse blank liegen - die positive Seite der Kursverluste ist, dass das Bewertungsniveau vieler börsennotierter Gesellschaften geradezu nach einer Übernahme schreit. Marktkapitalisierung und Bewertungsrelationen insbesondere von Maschinenbauern, Autozulieferern und Bauunternehmen liegen nach Aussage von Rausch zum Teil deutlich unter früheren Rezessionsniveaus. Dies muss auf strategische Investoren wie die Einladung zum Geldverdienen wirken, zumal sich Restrukturierungsmaßnahmen in der derzeitigen prekären Konjunkturlage vor Gewerkschaftsvertretern oder Politikern leichter rechtfertigen lassen.
Gründe gibt es viele
In den Researchhäusern werden den übernehmenden Unternehmen unterschiedliche Absichten unterstellt. So konstatiert M. M. Warburg, dass ein Unternehmen durch eine Übernahme seine Marktposition zu verbessern suche, indem ein Konkurrent als Wettbewerber ausgeschaltet werden soll. Voraussetzung hierfür sei, dass die Produktpalette des Akquisitionsobjektes die Wachstums- und Ertragsperspektiven des Übernehmers unter Berücksichtigung der Finanzierungskosten mittelfristig verbessert. Eine komplementäre Produktpalette, hohe technologische Kompetenz in attraktiven Nischensegmenten sowie Synergieeffekte können Begehrlichkeiten wecken.
Klassische Übernahmeziele stellen Gesellschaften mit mehreren weitgehend autonomen Geschäftsbereichen dar (Babcock Borsig, IWKA, MG Technologies, Phoenix). Ein Finanzinvestor oder eine Gruppe kapitalkräftiger Anleger übernimmt in so einem Fall ein günstig bewertetes Unternehmen, um es anschließend zu zerschlagen und die einzelnen Aktivitäten zu einem insgesamt höheren Preis an andere Investoren zu veräußern.
Grundsätzlich eignen sich Unternehmen mit hohem Streubesitzanteil besser für Übernahmen. Nach Ansicht von Helmut Seidenstücker, Chefstratege bei M. M. Warburg, lässt sich eine feindliche Takeover-Operation bei Gesellschaften, die entweder kapitalmäßig in einem Konzern eingebunden sind oder eine Familie als Großaktionär haben, kaum durchsetzen. Helaba-Analyst Rausch weist jedoch darauf hin, dass insbesondere private Großaktionäre nach der Kurserosion der vergangenen Monate neuen unternehmerischen Konzepten aufgeschlossen gegenüberstehen könnten, was einen Aufkauf deutlich erleichtern würde. Selbst bislang loyale Konzernmütter wie Rheinmetall (Kolbenschmidt Pierburg) oder RWE (Hochtief) könnten über eine Veräußerung nachdenken. Darüber hinaus, so die Analysten von M. M. Warburg, sei es aber auch vorstellbar, dass Industrieunternehmen ihre Beteiligungen veräußern, weil diese nicht zu ihrem Kerngeschäft zählen (Preussag/Babcock Borsig; RWE/Heidelberger Druck bzw. Hochtief; BASF/K + S; Eon/Stinnes). Im Rahmen derartiger Verkäufe sind nach Ansicht Seidenstückers parallele oder anschließende feindliche Takeover-Versuche denkbar ("weißer Ritter").
Die Steuerfreiheit für Erlöse aus Beteiligungsverkäufen ab 2002 wird zur Änderung der Eigentümerstrukturen bei vielen Gesellschaften führen. Stille Reserven, die beim Verkauf eines Unternehmens bzw. einer Beteiligung offen gelegt werden, müssen dann nicht mehr versteuert werden. In Marktkreisen geht man davon aus, dass sich insbesondere Banken und Versicherer von ihren langjährigen Industriebeteiligungen trennen und auf ihr Kerngeschäft fokussieren werden, was eine Art "Sonderkonjunktur" im M & A-Geschäft auslösen könnte. Je nachdem, wie die entsprechenden Anteile platziert werden - entweder breit gestreut oder an einen Investor, der bereits in der Branche tätig ist -, steigt die Zahl der Unternehmen, für die theoretisch eine feindliche Übernahme denkbar ist, so Seidenstücker.
Dennoch kommen die Analysten von M. M. Warburg in einer Studie zu dem Schluss, dass 37 der im MDax vertretenen Unternehmen für eine feindliche Übernahme nicht in Frage kommen, da sie eine Familie oder eine ähnliche Gruppierung (Stifung, Genossenschaft, KGaA) als maßgebliche Großaktionäre haben. Dieses Hindernis könnte dann umgangen werden, wenn - wie im Fall von Beru - keine Pool-Verträge existieren und Familienmitglieder Anteile verkaufen, ohne dass andere Familieneigentümer davon erfahren.
Finden von Auswahlkriterien
Kritisch stehen die M. M. Warburg-Analysten dem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) als Maßstab für die Unterbewertung eines Unternehmens gegenüber. Das KGV erscheine zum gegenwärtigen Zeitpunkt als Bewertungskriterium nicht sinnvoll, da die Ergebnisse vielfach durch negative konjunkturelle Einflüsse verzerrt dargestellt seien und den Wert eines Unternehmens nicht korrekt abbildeten.
Zur Ermittlung einer fundamentalen Unterbewertung greifen die Analysten daher auf das Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV) zurück, wobei die Jahresenddaten 2000 als Basis für die Buchwerte herangezogen wurden. Das Eigenkapital wurde um den aktivierten Goodwill bereinigt. Babcock Borsig weist demnach einen negativen Buchwert aus, weil der Goodwill das Eigenkapital übersteigt. Doch fast die Hälfte der MDax-Unternehmen notiert unter oder nur geringfügig über dem Buchwert.
Seidenstücker warnt jedoch vor voreiligen Schlüssen bei niedrigen KBVs. Diese würden darüber hinweg täuschen, dass einige Unternehmen eine enorme absolute Nettoverschuldung aufgebaut haben, die angesichts der hohen Zinszahlungen nur sehr langsam abgebaut werden kann. So weisen nach Angaben von M. M. Warburg unter anderem Continental (1,9 Mrd. Euro) und IWKA (405 Mill. Euro) eine hohe Verschuldung aus. Diese Bürde stellt für jeden Käufer ein erhebliches Hindernis dar. Andererseits können Babcock Borsig, IWKA, Brau + Brunnen, Deutz und Kolbenschmidt Pierburg Verlustvorträge vorweisen, die einem Käufer die Finanzierung erleichtern würden.
Streubesitz darf sich freuen
Dem Streubesitz kann in aller Regel eine Kaufofferte - ob nun feindlich oder nicht - nur Recht sein. Gerade übernahmegefährdete Unternehmen sind zur Abwehr von unerwünschten Annäherungsversuchen gezwungen, Maßnahmen zu ergreifen, die sich grundsätzlich kurssteigernd auswirken, etwa durch Verbesserung der operativen Ertragskraft, Hebung stiller Reserven, Aktienrückkäufe oder eine hohe Dividendenausschüttung. Dass sie dies wider besseres Wissen oftmals erst zu spät oder gar nicht tun, führt zu der relativ hohen Erfolgsquote von feindlichen Übernahmen. Darüber hinaus profitieren die Aktionäre schon bei Übernahmegerüchten von aufkommenden Kursfantasien oder der Hoffnung auf eine attraktive Übernahmeprämie. Außerdem lösen höhere Gegenangebote eines Wettbewerbers als Reaktion auf eine feindliche Übernahmeofferte Kurssteigerungen aus. Ebenso die Versuche des "angegriffenen" Unternehmens, durch so genannte Poison Pills die Eigenständigkeit zu behalten.
Seit dem zunächst feindlichen Übernahmeversuch von Mannesmann durch Vodafone Airtouch stellt sich die ehemalige Festung Deutschland für ausländische Käufer nur noch als leicht überspringbarer Erdwall dar. Da ein Großteil der Gesellschaften inzwischen auch leicht bezahlbar wurde, dürfte die Gier finanzkräftiger Investoren weiter erhöhen, auch wenn das Geld nicht mehr so locker in den Taschen sitzt, wie zur Jahreswende 1999/2000. Während Übernahmen von üblichen Verdächtigen im Dax - BMW, Commerzbank und Schering - bislang mehr in den Köpfen als in der Realität stattfanden, wird sich das Gesicht des M Dax weiter kontinuierlich verändern.
Börsen-Zeitung, 2.11.2001