Aus der FTD vom 29.11.2001 www.ftd.de/wissen
Maschinen für die Nano-Welt
Von Frank Grotelüschen
Wissenschaftler bauen künstliche Moleküle zu immer neuen Apparaturen zusammen. Doch bis zur Produktreife solcher Kleinstmaschinen dauert es noch.
"
Die Pumpe misst nur einige Milliardstel Meter. Sie zirkuliert in menschlichen Venen und Arterien und schüttet bei Bedarf eine Arznei aus. Diese Apparatur ist die wohl meistgenannte Vision der Nanotechnologie. Noch arbeiten die Forscher an den Grundlagen - mit Erfolg: Chemikern gelingt die Konstruktion von immer mehr künstlichen Molekülen, die sich als Maschinen im Kleinstmaßstab eignen.
Das Auffälligste dieser Designer-Moleküle ist das Rotaxan. Es ähnelt einer Hantel, auf deren Griff sich ein Ring befindet, der hin- und hergleiten kann. Damit der Ring nicht abfällt, sitzen an beiden Stangenenden große Endmoleküle, die Stopper. Mit seinem hin- und herrutschenden Ring gleicht das Rotaxan einem Zylinderkolben im Kleinstformat.
Forscher hoffen, mit dem Nano-Kolben winzige Motoren zu bauen, die zum Beispiel Glasfasern mit enormer Präzision an Computerchips anschließen. Rotaxan könnte auch als Baustein für den "chemischen Computer" dienen - und zwar als winziger Rechenschieber. Dazu versehen die Forscher die Hantelstange mit zwei chemischen "Kerben", zwischen denen der Ring hin- und herspringen kann - ein molekularer Schalter oder Speicher.
Molekularer Muskel
Ein überaus originelles Rotaxan-Gebilde hat Jean-Pierre Sauvage von der Universität Straßburg konstruiert: den molekularen Muskel. "Dafür haben wir zwei Rotaxanmoleküle miteinander verbunden", sagt Sauvage, der die Apparatur kürzlich auf einem Workshop vorstellte. "Wenn wir Zink und Zyanid hinzugeben, verändert sich die chemische Bindung zwischen den Molekülen, sodass sie sich ein Stück ineinander schieben."
Das Gebilde zieht sich in etwa so zusammen, wie es bei der Kontraktion eines richtigen Muskels geschieht. "Setzt man Kupfer hinzu, streckt sich das Molekül wieder." Als Nächstes will Sauvage versuchen, möglichst viele seiner Teleskopmoleküle zu einer Art künstlichen Muskelfaser zu verketten. Mit ihr könnten Wissenschaftler, so die Hoffnung, beweglichere Roboter bauen oder sogar Querschnittgelähmten wieder das Laufen ermöglichen.
Unvorstellbar winzig
Ein ebenso verblüffendes Molekül hat der Chemiker Ben Feringa aus Groningen entwickelt: den Nano-Propeller. "Es besteht aus zwei Teilen, die durch eine Achse verbunden sind", sagt der Niederländer. "Normalerweise steht die Achse still. Aber sobald wir sie mit Licht bestrahlen, wird sie locker, und das eine Teil kann sich wie ein Propeller um die Achse drehen." Der Nanopropeller ist unvorstellbar winzig: Ein Teelöffel voll enthält eine Milliarde mal eine Milliarde Rotoren.
Eine denkbare Anwendung sehen die Chemiker darin, Bildpunkte in Flüssigkristall-Bildschirmen effektiver und batteriesparender anzusteuern als bisher. Eine leichte Drehung der winzigen Rotoren verändert die Farbe eines Bildpunkts. "Wir können uns sogar vorstellen, den Propeller als Antrieb für winzige Gefährte zu nutzen", sagt Feringa. "Vielleicht lassen sie sich mit Kohlenstoffröhrchen, den Nanotubes, kombinieren." Unklar ist nur, wie sich derart winzige U-Boote zum Beispiel durch Blutgefäße navigieren lassen. Nanometergroße Gefährte bekämen die chaotische Eigenbewegung der Wassermoleküle mächtig zu spüren. Statt einer glatten Geradeausfahrt würden sie einem Slalomparcours folgen - wie jemand, der verzweifelt auf einer weißen Linie zu balancieren versucht, während von allen Seiten Medizinbälle auf ihn prasseln.
Ein Problem ist sämtlichen molekularen Motoren gemein: Ebenso wie ein Automotor Benzin schluckt, brauchen auch die agilen Winzlinge Energie. "Man sollte annehmen, die beste Energiequelle sei ein Treibstoff", sagt Vincenzo Balzani, Chemiker an der Universität Bologna in Italien. "Ein Brennstoff, der eine chemische Reaktion bewirkt und das Maschinchen antreibt." Der Haken: So wie ein Auto Abgase ausstößt, entstehen auch bei einer molekularen Reaktion Rückstände. "Diese Rückstände loszuwerden, ist bei diesen Nano-Dimensionen äußerst schwierig", sagt Balzani. "Der molekulare Motor droht an seinen eigenen Abgasen zu ersticken."
Forschung braucht Zeit
Also machen die Italiener eine andere Energiequelle nutzbar - das Licht. Der Vorteil: Mit Licht lassen sich Moleküle nicht nur abgasfrei antreiben, sondern auch steuern, also gezielt ein- und ausschalten. Balzani hat bereits die primitive Version einer lichtgesteuerten Pinzette entwickelt.
Anwendungsreif - so schätzen die Experten - werden die ersten molekularen Maschinchen frühestens in fünf, vielleicht auch erst in zehn Jahren sein. Zurzeit ist noch Grundlagenforschung angesagt: Die Chemiker sind vollauf damit beschäftigt, den molekularen Werkzeugkasten zu entwickeln, aus dem man sich dann später einmal bedienen kann.
Harald Fuchs, wissenschaftlicher Leiter des Centrums für Nanotechnologie in Münster, befürchtet dennoch, man könne hier zu Lande schon in diesem frühen Stadium den Zug verpassen. "Die internationale Konkurrenz ist sehr stark, man darf sich nicht zurücklehnen. Deshalb sollte man das sehr bald auch in Deutschland konzertiert machen."
Die langfristigen Perspektiven der molekularen Motoren jedenfalls muten an wie wilde Science-Fiction. "Vielleicht sind wir in 50 Jahren in der Lage, mit Nanorobotern einzelne Zellen zu reparieren", sagt Ben Feringa. "Bis dahin ist es zwar noch ein weiter Weg."
Fraglich ist nur, ob es dann bei einer zivilen Nutzung der Winzlinge bleibt. Denn womöglich könnten geschickte Ingenieurshände den Nanoroboter, der als lebensrettender Miniaturchirurg durch die Eingeweide patrouilliert, in einen unsichtbaren, tödlichen Kampfzwerg verwandeln.
Maschinen für die Nano-Welt
Von Frank Grotelüschen
Wissenschaftler bauen künstliche Moleküle zu immer neuen Apparaturen zusammen. Doch bis zur Produktreife solcher Kleinstmaschinen dauert es noch.
"
Die Pumpe misst nur einige Milliardstel Meter. Sie zirkuliert in menschlichen Venen und Arterien und schüttet bei Bedarf eine Arznei aus. Diese Apparatur ist die wohl meistgenannte Vision der Nanotechnologie. Noch arbeiten die Forscher an den Grundlagen - mit Erfolg: Chemikern gelingt die Konstruktion von immer mehr künstlichen Molekülen, die sich als Maschinen im Kleinstmaßstab eignen.
Das Auffälligste dieser Designer-Moleküle ist das Rotaxan. Es ähnelt einer Hantel, auf deren Griff sich ein Ring befindet, der hin- und hergleiten kann. Damit der Ring nicht abfällt, sitzen an beiden Stangenenden große Endmoleküle, die Stopper. Mit seinem hin- und herrutschenden Ring gleicht das Rotaxan einem Zylinderkolben im Kleinstformat.
Forscher hoffen, mit dem Nano-Kolben winzige Motoren zu bauen, die zum Beispiel Glasfasern mit enormer Präzision an Computerchips anschließen. Rotaxan könnte auch als Baustein für den "chemischen Computer" dienen - und zwar als winziger Rechenschieber. Dazu versehen die Forscher die Hantelstange mit zwei chemischen "Kerben", zwischen denen der Ring hin- und herspringen kann - ein molekularer Schalter oder Speicher.
Molekularer Muskel
Ein überaus originelles Rotaxan-Gebilde hat Jean-Pierre Sauvage von der Universität Straßburg konstruiert: den molekularen Muskel. "Dafür haben wir zwei Rotaxanmoleküle miteinander verbunden", sagt Sauvage, der die Apparatur kürzlich auf einem Workshop vorstellte. "Wenn wir Zink und Zyanid hinzugeben, verändert sich die chemische Bindung zwischen den Molekülen, sodass sie sich ein Stück ineinander schieben."
Das Gebilde zieht sich in etwa so zusammen, wie es bei der Kontraktion eines richtigen Muskels geschieht. "Setzt man Kupfer hinzu, streckt sich das Molekül wieder." Als Nächstes will Sauvage versuchen, möglichst viele seiner Teleskopmoleküle zu einer Art künstlichen Muskelfaser zu verketten. Mit ihr könnten Wissenschaftler, so die Hoffnung, beweglichere Roboter bauen oder sogar Querschnittgelähmten wieder das Laufen ermöglichen.
Unvorstellbar winzig
Ein ebenso verblüffendes Molekül hat der Chemiker Ben Feringa aus Groningen entwickelt: den Nano-Propeller. "Es besteht aus zwei Teilen, die durch eine Achse verbunden sind", sagt der Niederländer. "Normalerweise steht die Achse still. Aber sobald wir sie mit Licht bestrahlen, wird sie locker, und das eine Teil kann sich wie ein Propeller um die Achse drehen." Der Nanopropeller ist unvorstellbar winzig: Ein Teelöffel voll enthält eine Milliarde mal eine Milliarde Rotoren.
Eine denkbare Anwendung sehen die Chemiker darin, Bildpunkte in Flüssigkristall-Bildschirmen effektiver und batteriesparender anzusteuern als bisher. Eine leichte Drehung der winzigen Rotoren verändert die Farbe eines Bildpunkts. "Wir können uns sogar vorstellen, den Propeller als Antrieb für winzige Gefährte zu nutzen", sagt Feringa. "Vielleicht lassen sie sich mit Kohlenstoffröhrchen, den Nanotubes, kombinieren." Unklar ist nur, wie sich derart winzige U-Boote zum Beispiel durch Blutgefäße navigieren lassen. Nanometergroße Gefährte bekämen die chaotische Eigenbewegung der Wassermoleküle mächtig zu spüren. Statt einer glatten Geradeausfahrt würden sie einem Slalomparcours folgen - wie jemand, der verzweifelt auf einer weißen Linie zu balancieren versucht, während von allen Seiten Medizinbälle auf ihn prasseln.
Ein Problem ist sämtlichen molekularen Motoren gemein: Ebenso wie ein Automotor Benzin schluckt, brauchen auch die agilen Winzlinge Energie. "Man sollte annehmen, die beste Energiequelle sei ein Treibstoff", sagt Vincenzo Balzani, Chemiker an der Universität Bologna in Italien. "Ein Brennstoff, der eine chemische Reaktion bewirkt und das Maschinchen antreibt." Der Haken: So wie ein Auto Abgase ausstößt, entstehen auch bei einer molekularen Reaktion Rückstände. "Diese Rückstände loszuwerden, ist bei diesen Nano-Dimensionen äußerst schwierig", sagt Balzani. "Der molekulare Motor droht an seinen eigenen Abgasen zu ersticken."
Forschung braucht Zeit
Also machen die Italiener eine andere Energiequelle nutzbar - das Licht. Der Vorteil: Mit Licht lassen sich Moleküle nicht nur abgasfrei antreiben, sondern auch steuern, also gezielt ein- und ausschalten. Balzani hat bereits die primitive Version einer lichtgesteuerten Pinzette entwickelt.
Anwendungsreif - so schätzen die Experten - werden die ersten molekularen Maschinchen frühestens in fünf, vielleicht auch erst in zehn Jahren sein. Zurzeit ist noch Grundlagenforschung angesagt: Die Chemiker sind vollauf damit beschäftigt, den molekularen Werkzeugkasten zu entwickeln, aus dem man sich dann später einmal bedienen kann.
Harald Fuchs, wissenschaftlicher Leiter des Centrums für Nanotechnologie in Münster, befürchtet dennoch, man könne hier zu Lande schon in diesem frühen Stadium den Zug verpassen. "Die internationale Konkurrenz ist sehr stark, man darf sich nicht zurücklehnen. Deshalb sollte man das sehr bald auch in Deutschland konzertiert machen."
Die langfristigen Perspektiven der molekularen Motoren jedenfalls muten an wie wilde Science-Fiction. "Vielleicht sind wir in 50 Jahren in der Lage, mit Nanorobotern einzelne Zellen zu reparieren", sagt Ben Feringa. "Bis dahin ist es zwar noch ein weiter Weg."
Fraglich ist nur, ob es dann bei einer zivilen Nutzung der Winzlinge bleibt. Denn womöglich könnten geschickte Ingenieurshände den Nanoroboter, der als lebensrettender Miniaturchirurg durch die Eingeweide patrouilliert, in einen unsichtbaren, tödlichen Kampfzwerg verwandeln.