Zeichen für eine Unterbewertung vieler Aktien mehren sich
Licht am Ende des langen Baisse-Tunnels
Von ULF SOMMER, Handelsblatt
Solange die Erträge der Unternehmen genauso schnell sinken wie deren Kurse, werden Aktien nicht billiger. Doch Investoren sollten die Signale für ein Ende der zweieinhalbjährigen Baisse nicht übersehen.
DÜSSELDORF. „Ich bin ein BEARliner“ bekennt Michael Hartnett von Merrill Lynch. Mit der Anlehnung an die Worte des amerikanischen Ex-Präsidenten John F. Kennedy nach dem Mauerbau ist der Stratege richtig „in“. Kennedys Worte sind vielen Menschen auch nach 40 Jahren noch präsent. Und sich als Bankstratege dem Bärenlager zuzuordnen ist inzwischen ebenso populär, wie im März 2000 „bullish“ gewesen zu sein, als Aktienkurse durchschnittlich 100 % höher als jetzt notierten. Ob Börsenzeitschriften, Fondsmanager, oder private Anleger – Profis und Laien sind gleichermaßen pessimistisch gestimmt.
Angesichts des dramatischen Ausmaßes der aktuellen Baisse ist das auch kein Wunder. Jede Form von Optimismus wird seit zweieinhalb Jahren mit Kurseinbrüchen belohnt. Seit März 2000 verloren die wichtigsten Indizes in Europa gut 50 Prozent. Allein in diesem Jahr steht der Deutsche Aktienindex (Dax) nach zwei vorangegangenen Verlustjahren mit 30 Prozent im Minus.
Nie zuvor mussten Europas Börsen so starke Verluste hinnehmen. Seit Ende der 60er Jahren gab es nach Berechnungen der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) zehn Perioden mit Kursrückgängen von über 20 Prozent. Sollte der Dax das laufende Jahr mit einem Minus abschließen, wäre das sogar ein Novum: Noch nie beendete das Börsenbarometer drei Jahre in Folge mit negativer Performance. Mit dem bisherigen Tiefpunkt bei 3 235,38 Dax-Punkten am 6. August diesen Jahres dauert die momentane Marktschwäche mit 29 Monaten so lange wie noch nie, konstatiert die LBBW in ihrer Baisse-Untersuchung, die dem Handelsblatt exklusiv vorliegt.
Drei Großrisiken
Übertreiben die Märkte angesichts der vielen negativen Rekordzahlen nach unten? Keineswegs, meint eine Reihe von Pessimisten. Ihrer Meinung nach fallen die Aktienkurse im Einklang mit den Unternehmenserträgen. Demzufolge sind europäische und amerikanische Aktien nach wie vor überbewertet, meint etwa Dresdner Kleinwort Wasserstein.
Nach Ansicht von Goldman Sachs belasten drei Großrisiken die Börsen: der Rückfall der US-Wirtschaft in eine Rezession (Double Dip), ein möglicher Angriff der USA und ihrer Verbündeten auf den Irak und die Zahlungsunfähigkeit eines weiteren Schwellenlandes. Das Finanzhaus Pictet in Genf meint, dass sich in Europa die düsteren Wolken hielten. In allen Euroland-Staaten sinke die Stimmung in der Wirtschaft und schwäche sich die Konjunktur weiter ab.
Doch es gibt auch Licht am Ende des langen Baisse-Tunnels. Die LBBW sieht dies in der attraktiven Dividendenrendite bei den Dax-Titeln. Sie liegt derzeit bei durchschnittlich 2,4 %. Das ist zwar noch ordentlich vom Rekordhoch von 3 % entfernt, die nach dem Crash 1987 und der Kurseinbrüche während des Golfkrieges 1991 erreicht wurden. Allerdings ist das derzeitige Zinsniveau deutlich niedriger als damals, merkt LBBW zu Gunsten der Aktien an. Setzt man die Dividendenrendite ins Verhältnis zur Rendite 10jähriger Bundesanleihen, so wird deutlich, dass dieser Quotient im historischen Vergleich jetzt auf einem extrem hohen – und für Aktien günstigen – Niveau notiert. Gut ein Drittel der Dax-Titel weist eine Dividendenrendite aus, die über die Hauptrefinanzierungssatz der Europäischen Zentralbank von 3,25 % liegt.
Positiv stimmt auch, dass zehn der 30 Dax-Titel nahe oder sogar unter ihrem Buchwert (Sach- und Finanzanlagen sowie immateriellen Vermögensgegenstände des Unternehmens bezüglich Schulden) notieren. In Zeiten hoher Unsicherheit und geringer Ertragsstärke der Firmen stellt das ausgewiesene Eigenkapital eine wichtige Indikation für die Substanz dar.
Einiges spricht also dafür, dass viele Aktienkurse doch schneller als die Erträge der Untenehmen gefallen sind. Credit Suisse First Boston meint, dass sich die konjunkturellen Risiken zwar weiter erhöhen mögen. Doch die Bewertung der Aktien stellt die Experten nach der Dauer-Baisse dennoch zufrieden. Deshalb der Rat: Aktien auf Sicht eines halben Jahres übergewichten.
HANDELSBLATT, Dienstag, 03. September 2002, 06:02 Uhr
Licht am Ende des langen Baisse-Tunnels
Von ULF SOMMER, Handelsblatt
Solange die Erträge der Unternehmen genauso schnell sinken wie deren Kurse, werden Aktien nicht billiger. Doch Investoren sollten die Signale für ein Ende der zweieinhalbjährigen Baisse nicht übersehen.
DÜSSELDORF. „Ich bin ein BEARliner“ bekennt Michael Hartnett von Merrill Lynch. Mit der Anlehnung an die Worte des amerikanischen Ex-Präsidenten John F. Kennedy nach dem Mauerbau ist der Stratege richtig „in“. Kennedys Worte sind vielen Menschen auch nach 40 Jahren noch präsent. Und sich als Bankstratege dem Bärenlager zuzuordnen ist inzwischen ebenso populär, wie im März 2000 „bullish“ gewesen zu sein, als Aktienkurse durchschnittlich 100 % höher als jetzt notierten. Ob Börsenzeitschriften, Fondsmanager, oder private Anleger – Profis und Laien sind gleichermaßen pessimistisch gestimmt.
Angesichts des dramatischen Ausmaßes der aktuellen Baisse ist das auch kein Wunder. Jede Form von Optimismus wird seit zweieinhalb Jahren mit Kurseinbrüchen belohnt. Seit März 2000 verloren die wichtigsten Indizes in Europa gut 50 Prozent. Allein in diesem Jahr steht der Deutsche Aktienindex (Dax) nach zwei vorangegangenen Verlustjahren mit 30 Prozent im Minus.
Nie zuvor mussten Europas Börsen so starke Verluste hinnehmen. Seit Ende der 60er Jahren gab es nach Berechnungen der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) zehn Perioden mit Kursrückgängen von über 20 Prozent. Sollte der Dax das laufende Jahr mit einem Minus abschließen, wäre das sogar ein Novum: Noch nie beendete das Börsenbarometer drei Jahre in Folge mit negativer Performance. Mit dem bisherigen Tiefpunkt bei 3 235,38 Dax-Punkten am 6. August diesen Jahres dauert die momentane Marktschwäche mit 29 Monaten so lange wie noch nie, konstatiert die LBBW in ihrer Baisse-Untersuchung, die dem Handelsblatt exklusiv vorliegt.
Drei Großrisiken
Übertreiben die Märkte angesichts der vielen negativen Rekordzahlen nach unten? Keineswegs, meint eine Reihe von Pessimisten. Ihrer Meinung nach fallen die Aktienkurse im Einklang mit den Unternehmenserträgen. Demzufolge sind europäische und amerikanische Aktien nach wie vor überbewertet, meint etwa Dresdner Kleinwort Wasserstein.
Nach Ansicht von Goldman Sachs belasten drei Großrisiken die Börsen: der Rückfall der US-Wirtschaft in eine Rezession (Double Dip), ein möglicher Angriff der USA und ihrer Verbündeten auf den Irak und die Zahlungsunfähigkeit eines weiteren Schwellenlandes. Das Finanzhaus Pictet in Genf meint, dass sich in Europa die düsteren Wolken hielten. In allen Euroland-Staaten sinke die Stimmung in der Wirtschaft und schwäche sich die Konjunktur weiter ab.
Doch es gibt auch Licht am Ende des langen Baisse-Tunnels. Die LBBW sieht dies in der attraktiven Dividendenrendite bei den Dax-Titeln. Sie liegt derzeit bei durchschnittlich 2,4 %. Das ist zwar noch ordentlich vom Rekordhoch von 3 % entfernt, die nach dem Crash 1987 und der Kurseinbrüche während des Golfkrieges 1991 erreicht wurden. Allerdings ist das derzeitige Zinsniveau deutlich niedriger als damals, merkt LBBW zu Gunsten der Aktien an. Setzt man die Dividendenrendite ins Verhältnis zur Rendite 10jähriger Bundesanleihen, so wird deutlich, dass dieser Quotient im historischen Vergleich jetzt auf einem extrem hohen – und für Aktien günstigen – Niveau notiert. Gut ein Drittel der Dax-Titel weist eine Dividendenrendite aus, die über die Hauptrefinanzierungssatz der Europäischen Zentralbank von 3,25 % liegt.
Positiv stimmt auch, dass zehn der 30 Dax-Titel nahe oder sogar unter ihrem Buchwert (Sach- und Finanzanlagen sowie immateriellen Vermögensgegenstände des Unternehmens bezüglich Schulden) notieren. In Zeiten hoher Unsicherheit und geringer Ertragsstärke der Firmen stellt das ausgewiesene Eigenkapital eine wichtige Indikation für die Substanz dar.
Einiges spricht also dafür, dass viele Aktienkurse doch schneller als die Erträge der Untenehmen gefallen sind. Credit Suisse First Boston meint, dass sich die konjunkturellen Risiken zwar weiter erhöhen mögen. Doch die Bewertung der Aktien stellt die Experten nach der Dauer-Baisse dennoch zufrieden. Deshalb der Rat: Aktien auf Sicht eines halben Jahres übergewichten.
HANDELSBLATT, Dienstag, 03. September 2002, 06:02 Uhr