Leitkultur an der Börse

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Dixie:

Leitkultur an der Börse

 
07.11.00 09:43
Ich habe mir erlaubt eine Analyse des Aktienservice-Teams hier zu posten, weil er den Nagel auf den Kopf trifft und ruhig alle ihn lesen sollten, finde ich:


LEITKULTUR AN DER BOERSE

 Nachdem der Begriff "deutsche Leitkultur" in den Medien derzeit
 heiss diskutiert wird, sei die Frage erlaubt, inwiefern dieser
 Begriff auch im Boersengeschehen Anwendung finden sollte. Zu
 allererst ist die primaere Ethik an der Boerse natuerlich auf
 die Kapitalvermehrung ausgerichtet. Sollten hierbei die Leit-
 regeln jedoch zu leger gehandhabt werden, wird das gesamte
 Konstrukt in Frage gestellt, wodurch die Boerse scheinbar an
 Attraktivitaet zu verlieren droht.

 Nach kapitalmarkttechnischer Definition ist der Neue Markt in
 erster Linie ein Wagnis- bzw. Risikokapitalmarkt. Dies sollten
 Investoren nie aus den Augen verlieren:

 Nach Gigabell und teamwork werden die Gefahren insbesondere am
 Neuen Markt erstmals in realistischem Ausmass dokumentiert.

 Grund zum Klagen sehen wir indes nicht, denn sowohl bei Giga-
 bell, als auch bei teamwork - insbesondere bei Gigabell hatten
 wir zwischenzeitlich mehrfach gewarnt bzw. bereits von einer
 Zeichnung abgeraten. Auch bei Allgeier, deren Ende wir ebenfalls
 bald erwarten, hatten wir bereits zum Zeitpunkt des IPO's von
 einem Engagement abgeraten. Alle vorgenannten Unternehmen zeich-
 neten sich durch vollmundige Versprechungen, eine marktschreie-
 risch dilettantische Marktkommunikation und ueber ein defizi-
 taeres Unternehmenskonzept aus.

 Anleger, welche sich regelmaessig ueber den Stand der wirt-
 schaftlichen Verfassung ihrer Depotpositionen informieren,
 duerfte nicht entgangen sein, dass sich vorgenannte Unternehmen
 bereits lange vor dem Eklat in kritischer Verfassung befanden.
 Insofern traf es vornehmlich Anleger, die mit wenig Arbeit viel
 Geld verdienen moechten. In anderen Bereichen schon schwer
 genug, ist dies an der Boerse jedoch bereits von vorneherein
 zum Scheitern verurteilt.

 Gigabell wurde noch kurz vor der Pleite von dem Anlagermagazin
 "Der Aktionaer" empfohlen, das Anlegermagazin "Teleboerse"
 pries teamwork vor einigen Wochen gar als 100%-Chance an. Gut:
 Irren ist menschlich.  

 Bezeichnend allerdings ist hierbei insbesondere, dass auch die
 WestLB-Panmure (beachte: die WestLB war Konsortialfuehrer beim
 IPO von teamwork) das Unternehmen noch vor wenigen Monaten mit
 einem Kursziel von 85 Euro (jetziger Kurs: 3,70 Euro) zum Kauf
 empfahl. Vergleichen Sie hierzu unseren Bericht in Ausgabe #88
 (Marktkommunikation ohne Ethik).

 Kurze Zeit nach der WestLB-Panmure-Empfehlung mit Kursziel 85
 Euro verweigerte die WestLB den teamwork-Angaben zufolge aller-
 dings einen Konsortialkredit ueber 5 Mio DM. Ein fundierter
 Sanierungsplan habe nicht vorgelegen, hiess es hierzu lapidar.
 Diese Doppelmoral ist zwar rechtlich und betriebswirtschaftlich
 einwandfrei zu definieren, der WestLB duerfte es jedoch schwer
 fallen, dem geschaedigten Aktionaer dies ohne Vertrauensverlust
 zu erklaeren.

 Wie Ihnen als Leser mittlerweile bekannt sein duerfte,
 uebernehmen konsortialfuehrende Kreditinstitute meist auch
 die bezahlte Verpflichtung, das Interesse in dem jeweiligen
 Titel auch nach dem IPO durch "gelegentliche Researchberichte"
 aufrecht zu erhalten. Bei dieser Taetigkeit sollten entsprech-
 ende Institute jedoch mehr kaufmaennische Sorgfaltspflicht und
 Realitaet als vermeintlich objektive Instanz - so zumindest
 werden sie vom unbedarften Anleger betrachtet - walten lassen,
 da sie sich ansonsten selbst keinen Gefallen tun.

 Absehbare "Fehleinschaetzungen" und Aktionen wie die vorgenannte
 ziehen fuer das entsprechende Kreditinstitut unweigerlich einen
 Vertrauensverlust der Anleger nach sich. Zeitgleich fragt sich
 der Privatanleger mit Recht, inwiefern Banken - die als Konsor-
 tialmitglied eigentlich Einblick in die aktuelle Geschaefts-
 situation des von ihr an die Boerse gebrachten und betreuten
 Unternehmens haben sollten - tatsaechlich in der Lage sind,
 fundierte Empfehlungen auszusprechen. Der Gewissenskonflikt
 der Banken wird hierbei offensichtlich.

 Dies gibt sogenannten unabhaengigen Magazinen, Medien oder
 Analystenhaeusern die Moeglichkeit, ein grosses Interesse zu
 erlangen. Doch auch hier trueben Skandale wie zuletzt das
 Rechtsverfahren gegen den stellvertretenden Chefredakteur der
 Anlegerzeitschift "Der Aktionaer", Sascha Opel, das Bild ein.
 Hierbei deutlich unter Druck geraten ist auch der Herausgeber
 des Magazins, Bernd Foertsch, der zugleich Berater mehrerer
 schwerpunktmaessig am Neuen Markt investierender Investment-
 fonds ist.

 Inwiefern hier nun der Tatbestand des Insiderhandels oder des
 frontrunnings erfuellt ist, halten wir fuer voellig unrelevant.
 Bernd Foertsch, der allgemein als "Mister Dausend" bezeichnet
 wird, bekannte sich unserer Definition nach im letzten Jahr
 indirekt aber oeffentlich zur Kursmanipulation, indem er in
 einem Interview sinngemaess sagte: "Natuerlich testet man dann
 mal an, wie weit die (die empfohlenen Titel) noch laufen koennen".

  Diese Geschaeftsmanier duerfte jedoch jedem Leser des Magazins
 bekannt sein, Foertsch machte hieraus ehrlicherweise nie ein
 Geheimnis. Etwas verwerfliches sehen wir hierbei auch nicht.
 Niemand zwingt den Anleger, offensichtlich und mehrfach gepushte
 Aktien zu kaufen.

 Dies tun Anleger lediglich in der Hoffnung, dass andere Anleger
 auf den fahrenden Zug aufspringen und somit entsprechende
 Gewinne erzielt werden koennen. Die zusaetzlichen Risiken sind
 demnach bekannt. Dementsprechend wenig Relevanz besitzen unserer
 Meinung nach die hierzu publizierte Analysen, ueber die funda-
 mentale Aufstellung eines Unternehmens sagen sie wenig aus. Das
 Ziel ist hierbei ist eben ein anderes. In von Euphorie getrie-
 benen Boersenphasen erzielen einige Leser des Magazins mitunter
 interessante Gewinne.

 So zaehlt Foertsch, dies muss man vorbehaltslos anerkennen, zu
 den erfolgreichsten Fondsberatern weltweit. So erzielte der von
 ihm beratene DAC-UI-Fonds mit einer Dreijahres-Performance von
 knapp 700% zu den erfolgreichsten Investmentfonds weltweit.

 Weitaus irrefuehrender fuer den Anleger sind Statements und
 Analystenkommentare von vergleichsweise renommierten Insti-
 tuten, die von weniger versierten Anlegern aufgrund des bekann-
 ten, dahinterstehenden Namens der entsprechenden Bank, fuer
 bare Muenze genommen werden. Er sollte diese Analysen unbedingt
 auf Objektivitaet hin pruefen. Diese wiederum ist nach unserem
 Verstaendis grundsaetzlich in Frage zu stellen, wenn das empfeh-
 lungsgebende Institut am Boersengang des Berichtsobjekts
 beteiligt war.

 Hierbei sei erwaehnt, dass Banken oder US-Brokerhaeuser mit ent-
 sprechenden Marktempfehlungen vielfach eigene Interessen ver-
 folgen. Dies ist jedoch voellig legitim, da auch diese Banken
 ihren Aktionaeren und Gesellschaftern eine moeglichst attraktive
 Gewinnentwicklung schuldig sind. Insofern traegt der unbedarfte
 Anleger den Hauptteil der Schuld. Unbedarfte Anleger aber
 sind in der Regel die weniger versierten, neuen und meist
 noch entsprechend jungen Aktionaere.

 Diesen gegenueber sollte man jedoch ein wenig mehr Fairness und
 Transparenz entgegenbringen, da diese schlussendlich die notwen-
 digen Liquiditaetssteigerungen an die Markte bringen, von denen
 versierte Aktionaere, Bankinstitute, Wertpapierhandelshaeuser
 und Institutionelle gleichermassen profitieren.

 Letztlich jedoch ist der Aktionaer allein verantwortlich, auch
 ist es keineswegs Pflicht der Banken und Brokerhaeuser, auch die
 Anlegerschaft, die nicht hauseigene Kunden sind, zu bereichern.
 Das Geldverdienen an den Boersen ist schwieriger geworden. Dies
 betrifft allerdings nur solche Anleger, die viel Geld verdienen
 wollen, gleichzeitig aber nicht bereit sind, das hierzu erfor-
 derliche Arbeitspensum zu leisten.

 Beispielsweise mit der Entwicklung unseres Musterdepots wollen
 wir unseren Lesern dokumentieren, dass es durchaus moeglich ist,
 bei geringem Risikocharakter (restriktive Stop-Loss-Technik)
 eine weit ueber dem Gesamtmarkt liegende Performance zu erwirt-
 schaften, was uns mit einer Outperformance des Referenzindexes
 Nemax all share von rund 50% im laufenden Jahr auch gelungen
 ist. Dies ist jedoch keineswegs das Produkt von Zufall oder
 Glueck, es ist aber auch nicht unbedingtes Zeichen besonderer
 Intelligenz oder Kompetenz, sondern in erster Linie das Resultat
 von harter, zeitaufwendiger und disziplinierter Arbeit.

 Ein gutes Beispiel hierfuer ist der Fondsmanager, der nicht
 selten einem Arbeitstag von 16 Stunden hat. Will der Anleger
 aehnlich erfolgreich an den Maerkten agieren, ist dies ohne
 aedequaten Zeitaufwand schlichtweg unmoeglich. Trefflich unter-
 mauert wird dies zudem durch die Statistik, dass es ungeachtet
 des Arbeitsaufwandes kaum mehr als 10% aller Fondsmanager
 gelingt, die Performance des zugrundeliegenden Referenzindexes
 dauerhaft zu uebertreffen.

 Ist der Anleger jedoch gewillt, ein entsprechendes Arbeitspen-
 sum an kontinuierlichem Research und Analysetaetigkeit zu leis-
 ten, besitzt er die besten Voraussetzungen, um langfristig
 erfolgreich an den Maerkten zu agieren. Ist er hingegen hierzu
 nicht bereit - oder verfuegt er schlichtweg nicht ueber die
 erforderliche Zeit - sollte er sein Geld lieber den Fonds-
 managern anvertrauen.

 Im Gegensatz zu zweifellos begruessenswerten Initiativen wie
 bspw. die SdK (Schutzgemeinschaft der Kleinaktionaere), plae-
 dieren wir nicht auf definiertere und juristisch konsequenter
 beachtete gesetzliche Richtlinien, Auflagen und Restriktionen,
 sondern appellieren an die Eigenverantwortlichkeit der Aktio-
 naere. Diese ist fuer den einzelnen naemlich durchaus steuer-
 und kontrollierbar, waehrend Korruption und Missbrauch niemals
 ausgemerzt werden koennen, zumal die Strukturen am Aktienmarkt
 sowie das vereinte Interesse an der Kapitalvermehrung Ueber-
 vorteilung zwangslaeufig beguenstigen.

 Dies ist jedoch mit einem entsprechenden Engagement verbunden.
 In diesem Zusammenhang sollte sich jeder Anleger selbstkritisch
 die Frage stellen, inwiefern er in Bezug auf sein geleistetes
 Arbeitspensum tatsaechlich "gewinnberechtigt" ist.

 Herzlichst, Ihre Redaktion von Aktienservice.de

Harry P.:

Lei - D - kultur an der Börse !

 
07.11.00 10:18
Ein wirklich gelungener Artikel, sollte jeden zum Nachdenken anregen !!!

Ein (manchmal) nachdenkender

Harry P.
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