DIE ZEIT
Politik 51/2001
Der Weg nach Kakerbeek
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Helmut Kohls verschwundene Akten: Führt eine neue Spur nach Norddeutschland?
von Martin Klingst & Bruno Schirra
Im entscheidenden Augenblick schweigt Helmut Kohl. Keine Antwort auf die Frage, wie die großzügigen Geldgeber heißen, die ihm zwischen 1993 und 1998 an der offiziellen Parteikasse vorbei rund zwei Millionen Mark zugeschoben haben. Keine Antwort darauf, woher die anderen, auf ehemaligen Schwarzkonten geparkten Millionen stammten. Und damit auch keine Antwort auf die wirklich zentrale Frage: Zahlten einige Geldgeber als Gegenleistung für Mittlerdienste bei Flugzeug-, Waffen- und Ölgeschäften? War die Regierung Kohl also käuflich? Wurden deshalb, zum Zwecke der Spurenverwischung, im September und Oktober 1998, wenige Tage nach der verlorenen Bundestagswahl, im Bonner Kanzleramt zwei Drittel des Datenbestandes zentral gelöscht und wichtige Akten vernichtet oder außer Haus geschafft?
Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss, der am Donnerstag dieser Woche Helmut Kohl zum vierten Mal vernimmt, ist mit seinem Latein am Ende. Die kuriose Folge: Alle Hoffnungen auf Aufklärung ruhen jetzt ausgerechnet auf der Bonner Staatsanwaltschaft, genauer gesagt: auf dem Mann, der das Ermittlungsverfahren wegen der Bundeslöschtage eigentlich schon vor Monaten einstellen wollte. Vermutlich wäre das auch geschehen, hätten nicht knapp 12 000 Menschen dagegen protestiert und hätte nicht der Kölner Generalstaatsanwalt seinen Bonner Kollegen angewiesen weiterzuforschen. Jetzt muss er weiterprüfen, wer im Kanzleramt von Helmut Kohl Daten verändert, Dokumente zerrissen oder fortgebracht hat. Und ob damit mögliche Regierungskriminalität vertuscht werden sollte.
Fündig könnte der Staatsanwalt vielleicht werden, wenn er in die verschwundenen Akten schauen würde. In jene Hunderte Leitz-Ordner, in denen Kohl und sein damaliger Kanzleramtsminister Friedrich Bohl neben privaten Briefen auch Dienstliches und "Privatdienstliches" abgeheftet haben. Die Bohl-Akten befinden sich zum Teil in der Konrad-Adenauer-Stiftung in St. Augustin. Das weiß der Staatsanwalt.
Wo die Kohl-Akten aufbewahrt werden, war bislang unbekannt. Eine mögliche Spur, erfuhr die ZEIT, führt ins norddeutsche Örtchen Kakerbeek: in die Villa des Kohl-Freundes Bacharuddin Jusuf Habibie. Der ehemalige Staatspräsident von Indonesien hat von 1955 bis 1974 in Deutschland gelebt. An der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule in Aachen promovierte er mit summa cum laude zum Dr. Ing., war später Manager bei der Rüstungsschmiede Messerschmitt-Bölkow-Blohm und bei Airbus in Hamburg. Seit damals besitzt er das Haus in Kakerbeek in der Nähe des Elbstädtchens Stade. Bei der Trauerfeier für Helmut Kohls verstorbene Ehefrau Hannelore im Sommer dieses Jahres gehörte der 65jährige Habibie zu den geladenen Gästen.
Kohl-Dokumente in der Villa Habibies? Den Verdacht löste die Putzfrau des Indonesiers aus. Ein Bekannter von ihr berichtete, sie habe in dem Haus Akten aus der Regierungszeit von Kohl vorgefunden. Die Bonner Staatsanwaltschaft weiß von dieser Aussage, sie erfuhr davon bei einem Besuch im Berliner Kanzleramt am 20. und 21. November. Auf Nachfrage der ZEIT bestätigt sie: "Uns ist diese Spur bekannt, und wir sind ihr nachgegangen." Und das Ergebnis? Keine Antwort.
Was aber hat die Staatsanwälte vom Rhein, in den bisherigen Ermittlungen eher durch Vorsicht und Zurückhaltung aufgefallen, veranlasst, die vage Auskunft eines Hörensagen-Zeugen so ernst zu nehmen und dieser Spur "nachzugehen"? Ist es die Furcht vor dem wachsamen Auge des vorgesetzten Generalstaatsanwalts in Köln? Oder ist der Verdacht, ein Teil der Kohl-Akten könnte in Kakerbeek liegen, begründeter, als frühere Hinweise es waren?
Auf jeden Fall ist die Sache - selbst wenn am Ende keine Akten gefunden werden sollten - nicht ohne Brisanz. Der Name Habibie taucht bei Geschichten aus der "Bananenrepublik Deutschland" immer wieder auf: Zum Beispiel mischte der flugzeugbegeisterte Indonesier kräftig beim Verkauf von Airbus-Maschinen nach Südostasien mit. Aber ausgerechnet die Kanzleramtsakten über Airbus-Geschäfte mit Thailand, ein recht zweifelhafter Deal, sind restlos verschwunden (siehe ZEIT Nr. 46/01).
Habibie hatte vor allem bei einer bestimmten Affäre die Hände im Spiel: der Affäre Ludwig-Holger Pfahls. Der einstige Strauß-Intimus, ehemalige Präsident des Bundesverfassungsschutzes, Exstaatssekretär im Bundesverteidigungsministerium und Mercedes-Benz-Repräsentant tauchte vor gut zwei Jahren unter und wird seitdem mit internationalem Haftbefehl gesucht. Der Grund: Verdacht der Steuerhinterziehung in Millionenhöhe und der Bestechlichkeit im Amt. Pfahls soll, so die Augsburger Staatsanwaltschaft, 1992 beim Verkauf von 36 Fuchs-Spürpanzern nach Saudi-Arabien von dem Waffenhändler Karlheinz Schreiber 3,8 Millionen Mark erhalten haben: als Belohnung dafür, dass er seine Spitzenstellung im Verteidigungsministerium dazu genutzt habe, innerhalb der Kohl-Regierung für die reibungslose Abwicklung des heiklen Geschäfts zu sorgen.
Indonesiens ehemaliger Staatspräsident Habibie und der flüchtige Pfahls sind seit Mitte der achtziger Jahre eng befreundet und haben so manches Geschäft gemeinsam eingefädelt: zum Beispiel den Verkauf von 16 U-Boot-Jagd-Korvetten, 12 Landungsschiffen sowie 9 Minen-Suchbooten aus dem Nachlass der Nationalen Volksarmee an die indonesische Marine. Seither geht das Gerücht um, bei diesem Deal, dessen militärischen Sinn hohe Offiziere in Jakarta von Anfang an infrage gestellt hatten, seien Schmiergelder auch zurück nach Deutschland geflossen - als "Kickback" in Unionskassen. Wie eng die Männerfreundschaft Habibie/Pfahls war, zeigt das Jahr 1999: Der untergetauchte Pfahls wurde in Indonesien gesehen. Geheimdienstkreise sagen, Habibie habe ihm aktiv bei der Flucht geholfen und ihn zeitweise in einem seiner vielen Häuser im Reich der zehntausend Inseln Unterschlupf gewährt.
Ob Helmut Kohl tatsächlich einen Teil seiner Akten ausgerechnet bei seinem Spezi Habibie in Kakerbeek lagern ließ, hat die Bonner Staatsanwaltschaft nun geprüft. Hoffentlich ernsthaft. Zu lange hat sie bei den Ermittlungen in Sachen "Bundeslöschtage" die Hände in den Schoß gelegt. Nordrhein-Westfalens Justizminister Jochen Dieckmann beobachtet das mit Grimm. "Meine Ungeduld ist groß", sagte er in dieser Woche der ZEIT, "und sie wächst von Tag zu Tag."
Die Staatsanwälte wehren sich gegen den Vorwurf der Untätigkeit. In einem Gespräch mit der ZEIT weisen sie darauf hin, wie schwer es sei, in dieser komplizierten Sache einen konkreten Tatverdacht wegen Datenveränderung, Verwahrungsbruch und Urkundenunterdrückung zu begründen. Und noch schwieriger sei es, Tatverdächtige namhaft zu machen. Gegen Kohl selbst, sagen sie, liege bisher nichts vor.
Lange Zeit sah es aber danach aus, als suchten die Staatsanwälte gar nicht nach Beweisen, sondern wollten sich das ungeliebte Verfahren schnell vom Hals schaffen. Bereits am 15. Januar dieses Jahres teilte der in dieser Angelegenheit federführende Staatsanwalt, Mitglied der Politischen Abteilung der Bonner Anklagebehörde, der Bundesregierung in einem Vermerk mit, er beabsichtige, die Akte mangels ausreichenden Tatverdachts zu schließen. Seine Entscheidung beruhte auf der Lektüre des Hirsch-Berichts über die Datenlöschung und Aktenvernichtung sowie dessen Zeugenvernehmungen, auf Gesprächen mit dem Kanzleramt sowie dem Ergebnis der Verwaltungsvorermittlung in der Regierungsbehörde. Eigene Recherchen hatte er nicht angestellt, weder lud er Zeugen vor, noch besuchte er die Konrad-Adenauer-Stiftung und deren "Bohl-Archiv".
In seinem Vermerk an das Kanzleramt bat der Staatsanwalt um Stellungnahme bis Ende März, doch die Antwort aus Berlin ging nach einer Fristverlängerung erst am 6. Juni ein. Das Kanzleramt war mit der Einstellung nicht einverstanden.
Fünf Monate waren ins Land gegangen, ohne dass weiter ermittelt worden war. Fünf Monate, in denen die Bonner auf weiteres stichhaltiges Material aus Berlin hofften. Inzwischen hatte die beabsichtigte Einstellung des Verfahrens einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Der renommierte Politikwissenschaftler Wilhelm Hennis hatte zum Protest beim Generalstaatsanwalt zu Köln aufgerufen (ZEIT Nr. 17/01), 12 000 Bürger waren ihm gefolgt. Am 10. September wies der oberste Ermittler, Siegfried Coenen, die Bonner an, weiterzuforschen: "Da die Staatsanwaltschaft Bonn bereits aufgrund der von ihr im Januar dieses Jahres erbetenen und Anfang Juni bei ihr eingegangenen Stellungnahme des Bundeskanzleramts die Ermittlungen fortsetzt, wird sie den von mir aufgezeigten Ermittlungsansätzen im Rahmen der weiteren Sachaufklärung nachgehen" (ZEIT Nr. 38/01). Kurz: Die Akte 50 Js 816/00 blieb geöffnet.
Die Wunschliste der Ermittler
Doch in den Wochen danach schien wieder nichts zu passieren. Auch dieser Eindruck täusche, sagen die Bonner Staatsanwälte und ihre Kölner Vorgesetzten mit großem Nachdruck. Ihr Argument: Jetzt arbeiten zwei Profis an dem Fall. Neben dem, der von Anfang an dabei ist, auch der Leiter der Politischen Abteilung, der schon in der Flick-Affäre Erfahrungen gesammelt hat. Am 12. Oktober schickten die beiden Ermittler dem Kanzleramt eine Wunschliste. Am 20. und 21. November fuhren sie zu Gesprächen in die Berliner Regierungszentrale. Und inzwischen kamen nach und nach in Bonn auch Weihnachtspakete aus der Hauptstadt an: mit Festplatten, Sicherungsbändern, über hundert Aktenbänden und weiteren schriftlichen Unterlagen aus dem Amt von Helmut Kohl.
Die Bundesregierung hat die Wunschliste der Staatsanwälte zum großen Teil erfüllt, wenn auch bisher lückenhaft und zögerlich. Die Kooperation der Berliner lässt ein wenig zu wünschen übrig. Vor allem fehlt immer noch eine besonders wichtige Festplatte. Sie war zur Zeit des Regierungswechsels im Computer eingebaut und wurde erst, nachdem Gerhard Schröder in die Zentrale eingezogen war, ausgebaut. Seitdem soll sie verschwunden sein.
Überdies: Die Bonner haben mittlerweile diverse Zeugenladungen verschickt und werden demnächst Mitarbeiter des Kanzleramts persönlich befragen. Die Ermittler schließen auch nicht aus, dass sie eines Tages, falls die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen, einen Hausdurchsuchungsbeschluss beantragen könnten. Wenn es dann noch verschwundene Akten zu finden gibt.
"Wir Staatsanwälte arbeiten am liebsten mit primären Beweismitteln", sagt Generalstaatsanwalt Siegfried Coenen, "vor allem bei einem Verfahren von so herausragender Bedeutung." Schade, dass diese Einsicht in Bonn erst jetzt zum Tragen kommt. Bis zum Sommer hatten Sekundärquellen wie das bloße Studium des Hirsch-Berichts offenbar genügt. Aber besser jetzt als nie. Vielleicht sind - siehe Kakerbeek - nicht alle Spuren verwischt und verweht.
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Wie gut, dass unsere Staatsanwaltschaften nicht Weisungsgebunden arbeiten....
hehehehe
Politik 51/2001
Der Weg nach Kakerbeek
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Helmut Kohls verschwundene Akten: Führt eine neue Spur nach Norddeutschland?
von Martin Klingst & Bruno Schirra
Im entscheidenden Augenblick schweigt Helmut Kohl. Keine Antwort auf die Frage, wie die großzügigen Geldgeber heißen, die ihm zwischen 1993 und 1998 an der offiziellen Parteikasse vorbei rund zwei Millionen Mark zugeschoben haben. Keine Antwort darauf, woher die anderen, auf ehemaligen Schwarzkonten geparkten Millionen stammten. Und damit auch keine Antwort auf die wirklich zentrale Frage: Zahlten einige Geldgeber als Gegenleistung für Mittlerdienste bei Flugzeug-, Waffen- und Ölgeschäften? War die Regierung Kohl also käuflich? Wurden deshalb, zum Zwecke der Spurenverwischung, im September und Oktober 1998, wenige Tage nach der verlorenen Bundestagswahl, im Bonner Kanzleramt zwei Drittel des Datenbestandes zentral gelöscht und wichtige Akten vernichtet oder außer Haus geschafft?
Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss, der am Donnerstag dieser Woche Helmut Kohl zum vierten Mal vernimmt, ist mit seinem Latein am Ende. Die kuriose Folge: Alle Hoffnungen auf Aufklärung ruhen jetzt ausgerechnet auf der Bonner Staatsanwaltschaft, genauer gesagt: auf dem Mann, der das Ermittlungsverfahren wegen der Bundeslöschtage eigentlich schon vor Monaten einstellen wollte. Vermutlich wäre das auch geschehen, hätten nicht knapp 12 000 Menschen dagegen protestiert und hätte nicht der Kölner Generalstaatsanwalt seinen Bonner Kollegen angewiesen weiterzuforschen. Jetzt muss er weiterprüfen, wer im Kanzleramt von Helmut Kohl Daten verändert, Dokumente zerrissen oder fortgebracht hat. Und ob damit mögliche Regierungskriminalität vertuscht werden sollte.
Fündig könnte der Staatsanwalt vielleicht werden, wenn er in die verschwundenen Akten schauen würde. In jene Hunderte Leitz-Ordner, in denen Kohl und sein damaliger Kanzleramtsminister Friedrich Bohl neben privaten Briefen auch Dienstliches und "Privatdienstliches" abgeheftet haben. Die Bohl-Akten befinden sich zum Teil in der Konrad-Adenauer-Stiftung in St. Augustin. Das weiß der Staatsanwalt.
Wo die Kohl-Akten aufbewahrt werden, war bislang unbekannt. Eine mögliche Spur, erfuhr die ZEIT, führt ins norddeutsche Örtchen Kakerbeek: in die Villa des Kohl-Freundes Bacharuddin Jusuf Habibie. Der ehemalige Staatspräsident von Indonesien hat von 1955 bis 1974 in Deutschland gelebt. An der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule in Aachen promovierte er mit summa cum laude zum Dr. Ing., war später Manager bei der Rüstungsschmiede Messerschmitt-Bölkow-Blohm und bei Airbus in Hamburg. Seit damals besitzt er das Haus in Kakerbeek in der Nähe des Elbstädtchens Stade. Bei der Trauerfeier für Helmut Kohls verstorbene Ehefrau Hannelore im Sommer dieses Jahres gehörte der 65jährige Habibie zu den geladenen Gästen.
Kohl-Dokumente in der Villa Habibies? Den Verdacht löste die Putzfrau des Indonesiers aus. Ein Bekannter von ihr berichtete, sie habe in dem Haus Akten aus der Regierungszeit von Kohl vorgefunden. Die Bonner Staatsanwaltschaft weiß von dieser Aussage, sie erfuhr davon bei einem Besuch im Berliner Kanzleramt am 20. und 21. November. Auf Nachfrage der ZEIT bestätigt sie: "Uns ist diese Spur bekannt, und wir sind ihr nachgegangen." Und das Ergebnis? Keine Antwort.
Was aber hat die Staatsanwälte vom Rhein, in den bisherigen Ermittlungen eher durch Vorsicht und Zurückhaltung aufgefallen, veranlasst, die vage Auskunft eines Hörensagen-Zeugen so ernst zu nehmen und dieser Spur "nachzugehen"? Ist es die Furcht vor dem wachsamen Auge des vorgesetzten Generalstaatsanwalts in Köln? Oder ist der Verdacht, ein Teil der Kohl-Akten könnte in Kakerbeek liegen, begründeter, als frühere Hinweise es waren?
Auf jeden Fall ist die Sache - selbst wenn am Ende keine Akten gefunden werden sollten - nicht ohne Brisanz. Der Name Habibie taucht bei Geschichten aus der "Bananenrepublik Deutschland" immer wieder auf: Zum Beispiel mischte der flugzeugbegeisterte Indonesier kräftig beim Verkauf von Airbus-Maschinen nach Südostasien mit. Aber ausgerechnet die Kanzleramtsakten über Airbus-Geschäfte mit Thailand, ein recht zweifelhafter Deal, sind restlos verschwunden (siehe ZEIT Nr. 46/01).
Habibie hatte vor allem bei einer bestimmten Affäre die Hände im Spiel: der Affäre Ludwig-Holger Pfahls. Der einstige Strauß-Intimus, ehemalige Präsident des Bundesverfassungsschutzes, Exstaatssekretär im Bundesverteidigungsministerium und Mercedes-Benz-Repräsentant tauchte vor gut zwei Jahren unter und wird seitdem mit internationalem Haftbefehl gesucht. Der Grund: Verdacht der Steuerhinterziehung in Millionenhöhe und der Bestechlichkeit im Amt. Pfahls soll, so die Augsburger Staatsanwaltschaft, 1992 beim Verkauf von 36 Fuchs-Spürpanzern nach Saudi-Arabien von dem Waffenhändler Karlheinz Schreiber 3,8 Millionen Mark erhalten haben: als Belohnung dafür, dass er seine Spitzenstellung im Verteidigungsministerium dazu genutzt habe, innerhalb der Kohl-Regierung für die reibungslose Abwicklung des heiklen Geschäfts zu sorgen.
Indonesiens ehemaliger Staatspräsident Habibie und der flüchtige Pfahls sind seit Mitte der achtziger Jahre eng befreundet und haben so manches Geschäft gemeinsam eingefädelt: zum Beispiel den Verkauf von 16 U-Boot-Jagd-Korvetten, 12 Landungsschiffen sowie 9 Minen-Suchbooten aus dem Nachlass der Nationalen Volksarmee an die indonesische Marine. Seither geht das Gerücht um, bei diesem Deal, dessen militärischen Sinn hohe Offiziere in Jakarta von Anfang an infrage gestellt hatten, seien Schmiergelder auch zurück nach Deutschland geflossen - als "Kickback" in Unionskassen. Wie eng die Männerfreundschaft Habibie/Pfahls war, zeigt das Jahr 1999: Der untergetauchte Pfahls wurde in Indonesien gesehen. Geheimdienstkreise sagen, Habibie habe ihm aktiv bei der Flucht geholfen und ihn zeitweise in einem seiner vielen Häuser im Reich der zehntausend Inseln Unterschlupf gewährt.
Ob Helmut Kohl tatsächlich einen Teil seiner Akten ausgerechnet bei seinem Spezi Habibie in Kakerbeek lagern ließ, hat die Bonner Staatsanwaltschaft nun geprüft. Hoffentlich ernsthaft. Zu lange hat sie bei den Ermittlungen in Sachen "Bundeslöschtage" die Hände in den Schoß gelegt. Nordrhein-Westfalens Justizminister Jochen Dieckmann beobachtet das mit Grimm. "Meine Ungeduld ist groß", sagte er in dieser Woche der ZEIT, "und sie wächst von Tag zu Tag."
Die Staatsanwälte wehren sich gegen den Vorwurf der Untätigkeit. In einem Gespräch mit der ZEIT weisen sie darauf hin, wie schwer es sei, in dieser komplizierten Sache einen konkreten Tatverdacht wegen Datenveränderung, Verwahrungsbruch und Urkundenunterdrückung zu begründen. Und noch schwieriger sei es, Tatverdächtige namhaft zu machen. Gegen Kohl selbst, sagen sie, liege bisher nichts vor.
Lange Zeit sah es aber danach aus, als suchten die Staatsanwälte gar nicht nach Beweisen, sondern wollten sich das ungeliebte Verfahren schnell vom Hals schaffen. Bereits am 15. Januar dieses Jahres teilte der in dieser Angelegenheit federführende Staatsanwalt, Mitglied der Politischen Abteilung der Bonner Anklagebehörde, der Bundesregierung in einem Vermerk mit, er beabsichtige, die Akte mangels ausreichenden Tatverdachts zu schließen. Seine Entscheidung beruhte auf der Lektüre des Hirsch-Berichts über die Datenlöschung und Aktenvernichtung sowie dessen Zeugenvernehmungen, auf Gesprächen mit dem Kanzleramt sowie dem Ergebnis der Verwaltungsvorermittlung in der Regierungsbehörde. Eigene Recherchen hatte er nicht angestellt, weder lud er Zeugen vor, noch besuchte er die Konrad-Adenauer-Stiftung und deren "Bohl-Archiv".
In seinem Vermerk an das Kanzleramt bat der Staatsanwalt um Stellungnahme bis Ende März, doch die Antwort aus Berlin ging nach einer Fristverlängerung erst am 6. Juni ein. Das Kanzleramt war mit der Einstellung nicht einverstanden.
Fünf Monate waren ins Land gegangen, ohne dass weiter ermittelt worden war. Fünf Monate, in denen die Bonner auf weiteres stichhaltiges Material aus Berlin hofften. Inzwischen hatte die beabsichtigte Einstellung des Verfahrens einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Der renommierte Politikwissenschaftler Wilhelm Hennis hatte zum Protest beim Generalstaatsanwalt zu Köln aufgerufen (ZEIT Nr. 17/01), 12 000 Bürger waren ihm gefolgt. Am 10. September wies der oberste Ermittler, Siegfried Coenen, die Bonner an, weiterzuforschen: "Da die Staatsanwaltschaft Bonn bereits aufgrund der von ihr im Januar dieses Jahres erbetenen und Anfang Juni bei ihr eingegangenen Stellungnahme des Bundeskanzleramts die Ermittlungen fortsetzt, wird sie den von mir aufgezeigten Ermittlungsansätzen im Rahmen der weiteren Sachaufklärung nachgehen" (ZEIT Nr. 38/01). Kurz: Die Akte 50 Js 816/00 blieb geöffnet.
Die Wunschliste der Ermittler
Doch in den Wochen danach schien wieder nichts zu passieren. Auch dieser Eindruck täusche, sagen die Bonner Staatsanwälte und ihre Kölner Vorgesetzten mit großem Nachdruck. Ihr Argument: Jetzt arbeiten zwei Profis an dem Fall. Neben dem, der von Anfang an dabei ist, auch der Leiter der Politischen Abteilung, der schon in der Flick-Affäre Erfahrungen gesammelt hat. Am 12. Oktober schickten die beiden Ermittler dem Kanzleramt eine Wunschliste. Am 20. und 21. November fuhren sie zu Gesprächen in die Berliner Regierungszentrale. Und inzwischen kamen nach und nach in Bonn auch Weihnachtspakete aus der Hauptstadt an: mit Festplatten, Sicherungsbändern, über hundert Aktenbänden und weiteren schriftlichen Unterlagen aus dem Amt von Helmut Kohl.
Die Bundesregierung hat die Wunschliste der Staatsanwälte zum großen Teil erfüllt, wenn auch bisher lückenhaft und zögerlich. Die Kooperation der Berliner lässt ein wenig zu wünschen übrig. Vor allem fehlt immer noch eine besonders wichtige Festplatte. Sie war zur Zeit des Regierungswechsels im Computer eingebaut und wurde erst, nachdem Gerhard Schröder in die Zentrale eingezogen war, ausgebaut. Seitdem soll sie verschwunden sein.
Überdies: Die Bonner haben mittlerweile diverse Zeugenladungen verschickt und werden demnächst Mitarbeiter des Kanzleramts persönlich befragen. Die Ermittler schließen auch nicht aus, dass sie eines Tages, falls die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen, einen Hausdurchsuchungsbeschluss beantragen könnten. Wenn es dann noch verschwundene Akten zu finden gibt.
"Wir Staatsanwälte arbeiten am liebsten mit primären Beweismitteln", sagt Generalstaatsanwalt Siegfried Coenen, "vor allem bei einem Verfahren von so herausragender Bedeutung." Schade, dass diese Einsicht in Bonn erst jetzt zum Tragen kommt. Bis zum Sommer hatten Sekundärquellen wie das bloße Studium des Hirsch-Berichts offenbar genügt. Aber besser jetzt als nie. Vielleicht sind - siehe Kakerbeek - nicht alle Spuren verwischt und verweht.
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Wie gut, dass unsere Staatsanwaltschaften nicht Weisungsgebunden arbeiten....
hehehehe