Aus der FTD vom 14.8.2002 www.ftd.de/us-konjunktur
Kurssturz bringt Bushs Partei in Bedrängnis
Von Hubert Wetzel, Berlin
US-Präsident George W. Bush und seiner Republikanischen Partei droht wegen der heftigen Kursstürze an der Wall Street eine Niederlage bei der Kongresswahl im November. Nach Ansicht von Wahlforschern könnte die Wählergruppe der Aktienbesitzer - die so genannte "investor class" - die Bush-Partei für die Wertverluste abstrafen.
"Die Anleger sind aus jetziger Sicht der entscheidende Faktor", sagte der Wahlforscher John Zogby der FTD. "Derzeit scheint es so, als begünstige der Trend die Demokraten." Die Umfragen und Prognosen von Zogby gelten als sehr zuverlässig. Bei der Präsidentschaftswahl 2000 war sein Institut das einzige, das den Anstieg der Umfragewerte für den Demokraten Al Gore zwei Tage vor dem Urnengang akkurat erfasste.
Das Thema hat den Wahlkampf längst erreicht. Bush unterbrach am Dienstag seinen Ranch-Urlaub für ein von ihm einberufenes hochrangiges Wirtschaftstreffen. Zweck war, das durch die Bilanzskandale angeschlagene Vertrauen in die US-Börsen zu stärken. "Ich bin unglaublich optimistisch über die Zukunft des Landes", sagte Bush. "Der Trend geht in die richtige Richtung, aber es ist noch viel zu tun." Zudem forderte er bessere Informationen für Anleger. "Die Sprache an der Wall Street muss so klar sein, dass der durchschnittliche Anleger sie versteht."
Am Sinn des Treffens zweifelten selbst Bush-Verbündete. "Ich glaube, es ist eine ziemliche Zeitverschwendung", zitierte die Agentur AP Bruce Bartlett, früher ein Wirtschaftsberater von Bushs Vater. Zogbys Einschätzung bestätigt einen Trend, der sich seit einigen Jahren abzeichnet: Die Frage, ob ein Wähler direkt oder indirekt in Aktien investiert hat, beeinflusst in den USA inzwischen dessen Entscheidung am Wahltag erheblich. In den Boomzeiten profitierten davon die Republikaner: Ihre Forderung nach Steuersenkungen, Deregulierung und Anlegerfreiheit sprach Aktienbesitzer offenbar mehr an als die Sozialstaatskonzepte der Demokraten.
Einige Experten sehen darin sogar den Grund, warum Gore die Präsidentschaftswahl 2000 trotz glänzender Wirtschaftslage gegen Bush verloren hat: Die Wähler, so die Analyse, hätten den Republikaner als besser für die Märkte - und damit ihr Portfolio - eingeschätzt. Selbst demokratische Kernwähler stimmten 2000 für Bush, wenn sie sich als Mitglied der "investor class" definierten.
Ebenso wie konservative Politberater hält Zogby derzeit eine Umkehr dieses Trends für möglich. "Die sinkenden Kurse könnten die Republikaner mitreißen", so Zogby. "Wenn die Kurse fallen, dann flieht die ,investor class‘ in Richtung Sicherheit - eine Flucht, die sie wahrscheinlich zu den Demokraten treibt", schreibt der konservative Kommentator John O’Sullivan. Ähnliche Warnungen finden sich in konservativen Magazinen.
Einige Daten machen das Ausmaß des Problems deutlich: Mehr als die Hälfte der Amerikaner besitzt Aktien. Laut Zogby sehen sich 50 Prozent aller Wahlberechtigten derzeit als Mitglieder der "investor class"; 66 Prozent derer, die als "wahrscheinliche Wähler" gelten, haben ihre Rentenvorsorge direkt oder indirekt über Investitionen in Aktien abgesichert. Das führt laut Zogby zu neuen Prioritäten bei den Bürgern. Die Sicherheit ihrer Altersvorsorge habe die Arbeitslosigkeit als großes Angstthema abgelöst, sagt er. "Die Aktienkurse gehen zwei Drittel aller wahrscheinlichen Wähler direkt etwas an."
Je weiter die Kurse fallen, desto ärmer werden die Wähler - was auf die politische Stimmung durchschlägt. "Der Einbruch bei Bushs Umfragewerten im Juli hatte direkt damit zu tun, dass die Bürger im Juni die Quartalsberichte ihrer Rentenkonten bekommen hatten", meint Zogby. Die Bürger hatten ihre Verluste plötzlich direkt vor Augen. Dass Mitte Oktober - kurz vor der Kongresswahl - neue Quartalsberichte eintreffen, dürfte die Republikaner nervös machen. Auch die jüngsten Kursgewinne können die herben Verluste der letzten Monate nicht wettmachen.
Für die Demokraten ist die Wirtschafts- und Aktienflaute eine politische Steilvorlage. Zwar sollte die Opposition ohnehin im Vorteil sein: traditionell verliert die Partei des Präsidenten bei der so genannten Zwischenwahl. Dieses historische Muster schien nach dem 11. September aber außer Kraft gesetzt. Nun greifen die Demokraten an. In einem internen Memorandum, das vor kurzem an die Öffentlichkeit gelangte, raten Politstrategen der Partei, die Bilanzskandale und die Verbindungen der Bush-Regierung zu Großkonzernen "ins Rampenlicht zu rücken". Eine Garantie für einen Sieg im November ist das freilich nicht. "Die Aktien sind jetzt das Topthema, wichtiger als der Anti-Terror-Krieg. Aber das kann sich ändern", sagt Zogby.
Kurssturz bringt Bushs Partei in Bedrängnis
Von Hubert Wetzel, Berlin
US-Präsident George W. Bush und seiner Republikanischen Partei droht wegen der heftigen Kursstürze an der Wall Street eine Niederlage bei der Kongresswahl im November. Nach Ansicht von Wahlforschern könnte die Wählergruppe der Aktienbesitzer - die so genannte "investor class" - die Bush-Partei für die Wertverluste abstrafen.
"Die Anleger sind aus jetziger Sicht der entscheidende Faktor", sagte der Wahlforscher John Zogby der FTD. "Derzeit scheint es so, als begünstige der Trend die Demokraten." Die Umfragen und Prognosen von Zogby gelten als sehr zuverlässig. Bei der Präsidentschaftswahl 2000 war sein Institut das einzige, das den Anstieg der Umfragewerte für den Demokraten Al Gore zwei Tage vor dem Urnengang akkurat erfasste.
Das Thema hat den Wahlkampf längst erreicht. Bush unterbrach am Dienstag seinen Ranch-Urlaub für ein von ihm einberufenes hochrangiges Wirtschaftstreffen. Zweck war, das durch die Bilanzskandale angeschlagene Vertrauen in die US-Börsen zu stärken. "Ich bin unglaublich optimistisch über die Zukunft des Landes", sagte Bush. "Der Trend geht in die richtige Richtung, aber es ist noch viel zu tun." Zudem forderte er bessere Informationen für Anleger. "Die Sprache an der Wall Street muss so klar sein, dass der durchschnittliche Anleger sie versteht."
Am Sinn des Treffens zweifelten selbst Bush-Verbündete. "Ich glaube, es ist eine ziemliche Zeitverschwendung", zitierte die Agentur AP Bruce Bartlett, früher ein Wirtschaftsberater von Bushs Vater. Zogbys Einschätzung bestätigt einen Trend, der sich seit einigen Jahren abzeichnet: Die Frage, ob ein Wähler direkt oder indirekt in Aktien investiert hat, beeinflusst in den USA inzwischen dessen Entscheidung am Wahltag erheblich. In den Boomzeiten profitierten davon die Republikaner: Ihre Forderung nach Steuersenkungen, Deregulierung und Anlegerfreiheit sprach Aktienbesitzer offenbar mehr an als die Sozialstaatskonzepte der Demokraten.
Einige Experten sehen darin sogar den Grund, warum Gore die Präsidentschaftswahl 2000 trotz glänzender Wirtschaftslage gegen Bush verloren hat: Die Wähler, so die Analyse, hätten den Republikaner als besser für die Märkte - und damit ihr Portfolio - eingeschätzt. Selbst demokratische Kernwähler stimmten 2000 für Bush, wenn sie sich als Mitglied der "investor class" definierten.
Ebenso wie konservative Politberater hält Zogby derzeit eine Umkehr dieses Trends für möglich. "Die sinkenden Kurse könnten die Republikaner mitreißen", so Zogby. "Wenn die Kurse fallen, dann flieht die ,investor class‘ in Richtung Sicherheit - eine Flucht, die sie wahrscheinlich zu den Demokraten treibt", schreibt der konservative Kommentator John O’Sullivan. Ähnliche Warnungen finden sich in konservativen Magazinen.
Einige Daten machen das Ausmaß des Problems deutlich: Mehr als die Hälfte der Amerikaner besitzt Aktien. Laut Zogby sehen sich 50 Prozent aller Wahlberechtigten derzeit als Mitglieder der "investor class"; 66 Prozent derer, die als "wahrscheinliche Wähler" gelten, haben ihre Rentenvorsorge direkt oder indirekt über Investitionen in Aktien abgesichert. Das führt laut Zogby zu neuen Prioritäten bei den Bürgern. Die Sicherheit ihrer Altersvorsorge habe die Arbeitslosigkeit als großes Angstthema abgelöst, sagt er. "Die Aktienkurse gehen zwei Drittel aller wahrscheinlichen Wähler direkt etwas an."
Je weiter die Kurse fallen, desto ärmer werden die Wähler - was auf die politische Stimmung durchschlägt. "Der Einbruch bei Bushs Umfragewerten im Juli hatte direkt damit zu tun, dass die Bürger im Juni die Quartalsberichte ihrer Rentenkonten bekommen hatten", meint Zogby. Die Bürger hatten ihre Verluste plötzlich direkt vor Augen. Dass Mitte Oktober - kurz vor der Kongresswahl - neue Quartalsberichte eintreffen, dürfte die Republikaner nervös machen. Auch die jüngsten Kursgewinne können die herben Verluste der letzten Monate nicht wettmachen.
Für die Demokraten ist die Wirtschafts- und Aktienflaute eine politische Steilvorlage. Zwar sollte die Opposition ohnehin im Vorteil sein: traditionell verliert die Partei des Präsidenten bei der so genannten Zwischenwahl. Dieses historische Muster schien nach dem 11. September aber außer Kraft gesetzt. Nun greifen die Demokraten an. In einem internen Memorandum, das vor kurzem an die Öffentlichkeit gelangte, raten Politstrategen der Partei, die Bilanzskandale und die Verbindungen der Bush-Regierung zu Großkonzernen "ins Rampenlicht zu rücken". Eine Garantie für einen Sieg im November ist das freilich nicht. "Die Aktien sind jetzt das Topthema, wichtiger als der Anti-Terror-Krieg. Aber das kann sich ändern", sagt Zogby.