"Ein absoluter Alptraum"
Von Michael Sontheimer
Die Bergwüsten Afghanistans haben sich für alle, die das Land erobern wollten, als extrem schwieriges Kampfgebiet erwiesen. Wenn George W. Bush und Tony Blair wirklich die Taliban stürzen wollen, stehen ihre Truppen vor einer Aufgabe, an der die meisten Invasoren scheiterten.
London - "Keine so absolut überwältigende Niederlage ist auf den Seiten der Geschichte verzeichnet." So fasste Sir John William Kaye, der Chronist des ersten Afghanistanfeldzugs der Briten, den Ausgang des Abenteuers zusammen. Und Kaye drückte sich dabei noch zurückhaltend aus.
Die Briten fürchteten im frühen 19. Jahrhundert, dass die russischen Zaren ihr Reich nach Süden ausdehnen, sich in Afghanistan festsetzen und die indische Westgrenze des Empires bedrohen könnten. Im Dezember 1838 setzten sich deshalb mehr als 20.000 Soldaten aus dem Punjab in Richtung Afghanistan in Bewegung, um dort einen den Briten freundlich gesonnenen Emir, der 30 Jahre zuvor gestürzt worden war, wieder auf den Thron in Kabul zu befördern.
Das gelang auch ohne nennenswerten Widerstand, doch bald merkten die Briten, dass sie den größten Teil der Soldaten nicht - wie eigentlich geplant - schnell wieder nach Hause schicken konnten, sondern zum Schutz des unbeliebten Marionetten-Königs brauchten. Die Offiziere holten ihre Familien aus Indien nach, ließen eine Rennbahn bauen, spielten Cricket.
Zeit für solch zivile Zerstreuungen blieb allerdings nicht lange. Zuerst schnitten aufständige Afghanen den Engländern die Nachschubroute aus Indien ab, dann hackten sie den ranghöchsten Briten in Stücke und schlossen die Fremden in einem kleinen Teil Kabuls ein. Für sie waren die Invasoren schlicht Ungläubige und Teufel, der Kampf gegen sie Heiliger Krieg.
Nach monatelanger Belagerung handelten die Briten freien Abzug nach Indien aus; im Dezember 1942 marschierten 4500 Soldaten und 12.000 Zivilisten über tiefverschneite Pässe gen Osten. Am dritten Tag des Marsches massakrierten afghanische Kämpfer allein 3000. Ein einziger Brite, der schottische Arzt William Brydon, kam schwer verletzt durch. "Er sah aus", so Chronist Kaye, "wie der Bote des Todes."
Als die Briten eine Armee zur Vergeltung und zur Befreiung zahlreicher Geiseln losschickten, hatten sie etwas gelernt. Sobald sie Kabul eingenommen und zerstört hatten, verließen sie Afghanistan so schnell wie möglich wieder. Im zweiten afghanischen Krieg im Jahr 1878 unternahmen die Truppen Ihrer Majestät gar nicht mehr den Versuch, das Land dauerhaft zu unterwerfen. Das war auch Alexander dem Großen nur bedingt gelungen, der 327 v. Chr. siegreich durch das heutige Afghanistan zog, aber schon vier Jahre später auf dem Rückweg in seine griechische Heimat in Babylon starb.
"Anarchie im ganzen Lande"
Im zweiten afghanischen Krieg wurden auf ein neues britische Gesandte niedergemetztelt, die Engländer töteten zur Vergeltung tausende von Afghanen. "Alles was erreicht wurde", räumte nach dem Abzug der Truppen der für Indien zuständige Staatssekretär in London ein, "war die Auflösung eines Staates und ein Zustand der Anarchie im ganzen Lande."
In diesen Tagen versuchen die Taliban und ihre Unterstützer die lange Tradition des Kampfes gegen alle Invasoren propagandistisch zu nutzen. Die einfach Rechung lautet: Im 19. Jahrhundert haben die Afghanen die Briten gedemütigt, im 20. die Russen - im 21. sind die Amerikaner dran.
Ein Feind, den man nicht sehen kann
Sie setzen dabei auf zwei Faktoren, den menschlichen und den geografischen. Schon die Soldaten des britischen Empires fürchteten die Kriegskunst der als extrem freiheitsliebend beschriebenen Afghanen. "Zur Wildheit des Zulu gesellt sich die List des Indianers und die Schießkunst des Buren", charakterisierte sie Winston Churchill 1897 als junger Kriegsreporter im "Daily Telegraph". Gleichzeitig siedelte der spätere Premierminister sie "unter den elendsten und grausamsten Kreaturen dieser Erde" an. Die Briten litten bereits unter der Guerilla-Taktik, mit der die Afghanen operierten, etwa sich tagsüber nicht blicken lassen, um dann nachts anzugreifen.
"Es ist schwer zu beschreiben", erinnert sich Oberst Yuri Malishew, "wie es ist, mit einem Feind zu tun zu haben, den man nicht sehen kann." Der Ex-Sowjetoffizier, der sich mit Schaudern an die "entsetzlichen afghanischen killing fields" aus den achtziger Jahren erinnert, hält die Kombination aus erfahrenen Guerillakriegern und für motorisierte Armeen besonders widrigen Berglandschaft für verhängnisvoll. "Sie sind einem ständig einen Schritt voraus", erinnert sich der Veteran. "Und dann treffen sie dich, immer wieder." Immerhin verloren die Russen in zehn Jahren mehr als 50.000 Mann in Afghanistan, ungefähr ebenso viele wie die Amerikaner in Vietnam.
Eine sehr kritische Einschätzung hat auch Tom Carey, der für die britische Eliteeinheit SAS nach dem Einmarsch der Sowjet-Armee Ende 1979 Mudschahidin ausbildete und mit ihnen in Afghanistan kämpfte. "Als Kampfgebiet", so Carey, sei das Land "ein absoluter Alptraum. Wenn wir jetzt reingehen, wenn der Winter beginnt, wäre das Irrsinn, reiner Irrsinn."
Von Michael Sontheimer
Die Bergwüsten Afghanistans haben sich für alle, die das Land erobern wollten, als extrem schwieriges Kampfgebiet erwiesen. Wenn George W. Bush und Tony Blair wirklich die Taliban stürzen wollen, stehen ihre Truppen vor einer Aufgabe, an der die meisten Invasoren scheiterten.
London - "Keine so absolut überwältigende Niederlage ist auf den Seiten der Geschichte verzeichnet." So fasste Sir John William Kaye, der Chronist des ersten Afghanistanfeldzugs der Briten, den Ausgang des Abenteuers zusammen. Und Kaye drückte sich dabei noch zurückhaltend aus.
Die Briten fürchteten im frühen 19. Jahrhundert, dass die russischen Zaren ihr Reich nach Süden ausdehnen, sich in Afghanistan festsetzen und die indische Westgrenze des Empires bedrohen könnten. Im Dezember 1838 setzten sich deshalb mehr als 20.000 Soldaten aus dem Punjab in Richtung Afghanistan in Bewegung, um dort einen den Briten freundlich gesonnenen Emir, der 30 Jahre zuvor gestürzt worden war, wieder auf den Thron in Kabul zu befördern.
Das gelang auch ohne nennenswerten Widerstand, doch bald merkten die Briten, dass sie den größten Teil der Soldaten nicht - wie eigentlich geplant - schnell wieder nach Hause schicken konnten, sondern zum Schutz des unbeliebten Marionetten-Königs brauchten. Die Offiziere holten ihre Familien aus Indien nach, ließen eine Rennbahn bauen, spielten Cricket.
Zeit für solch zivile Zerstreuungen blieb allerdings nicht lange. Zuerst schnitten aufständige Afghanen den Engländern die Nachschubroute aus Indien ab, dann hackten sie den ranghöchsten Briten in Stücke und schlossen die Fremden in einem kleinen Teil Kabuls ein. Für sie waren die Invasoren schlicht Ungläubige und Teufel, der Kampf gegen sie Heiliger Krieg.
Nach monatelanger Belagerung handelten die Briten freien Abzug nach Indien aus; im Dezember 1942 marschierten 4500 Soldaten und 12.000 Zivilisten über tiefverschneite Pässe gen Osten. Am dritten Tag des Marsches massakrierten afghanische Kämpfer allein 3000. Ein einziger Brite, der schottische Arzt William Brydon, kam schwer verletzt durch. "Er sah aus", so Chronist Kaye, "wie der Bote des Todes."
Als die Briten eine Armee zur Vergeltung und zur Befreiung zahlreicher Geiseln losschickten, hatten sie etwas gelernt. Sobald sie Kabul eingenommen und zerstört hatten, verließen sie Afghanistan so schnell wie möglich wieder. Im zweiten afghanischen Krieg im Jahr 1878 unternahmen die Truppen Ihrer Majestät gar nicht mehr den Versuch, das Land dauerhaft zu unterwerfen. Das war auch Alexander dem Großen nur bedingt gelungen, der 327 v. Chr. siegreich durch das heutige Afghanistan zog, aber schon vier Jahre später auf dem Rückweg in seine griechische Heimat in Babylon starb.
"Anarchie im ganzen Lande"
Im zweiten afghanischen Krieg wurden auf ein neues britische Gesandte niedergemetztelt, die Engländer töteten zur Vergeltung tausende von Afghanen. "Alles was erreicht wurde", räumte nach dem Abzug der Truppen der für Indien zuständige Staatssekretär in London ein, "war die Auflösung eines Staates und ein Zustand der Anarchie im ganzen Lande."
In diesen Tagen versuchen die Taliban und ihre Unterstützer die lange Tradition des Kampfes gegen alle Invasoren propagandistisch zu nutzen. Die einfach Rechung lautet: Im 19. Jahrhundert haben die Afghanen die Briten gedemütigt, im 20. die Russen - im 21. sind die Amerikaner dran.
Ein Feind, den man nicht sehen kann
Sie setzen dabei auf zwei Faktoren, den menschlichen und den geografischen. Schon die Soldaten des britischen Empires fürchteten die Kriegskunst der als extrem freiheitsliebend beschriebenen Afghanen. "Zur Wildheit des Zulu gesellt sich die List des Indianers und die Schießkunst des Buren", charakterisierte sie Winston Churchill 1897 als junger Kriegsreporter im "Daily Telegraph". Gleichzeitig siedelte der spätere Premierminister sie "unter den elendsten und grausamsten Kreaturen dieser Erde" an. Die Briten litten bereits unter der Guerilla-Taktik, mit der die Afghanen operierten, etwa sich tagsüber nicht blicken lassen, um dann nachts anzugreifen.
"Es ist schwer zu beschreiben", erinnert sich Oberst Yuri Malishew, "wie es ist, mit einem Feind zu tun zu haben, den man nicht sehen kann." Der Ex-Sowjetoffizier, der sich mit Schaudern an die "entsetzlichen afghanischen killing fields" aus den achtziger Jahren erinnert, hält die Kombination aus erfahrenen Guerillakriegern und für motorisierte Armeen besonders widrigen Berglandschaft für verhängnisvoll. "Sie sind einem ständig einen Schritt voraus", erinnert sich der Veteran. "Und dann treffen sie dich, immer wieder." Immerhin verloren die Russen in zehn Jahren mehr als 50.000 Mann in Afghanistan, ungefähr ebenso viele wie die Amerikaner in Vietnam.
Eine sehr kritische Einschätzung hat auch Tom Carey, der für die britische Eliteeinheit SAS nach dem Einmarsch der Sowjet-Armee Ende 1979 Mudschahidin ausbildete und mit ihnen in Afghanistan kämpfte. "Als Kampfgebiet", so Carey, sei das Land "ein absoluter Alptraum. Wenn wir jetzt reingehen, wenn der Winter beginnt, wäre das Irrsinn, reiner Irrsinn."