Wer hat noch nicht, wer will noch mal
Statt Wirtschaftskompetenz offenbaren die Union und ihr Kandidat Konfusion
Mit Kompetenz, vor allem in Sachen Wirtschaft, will die Union den Wahlsieg erringen. Kaum ist Edmund Stoiber gemeinsamer Kanzlerkandidat, dokumentieren CDU und CSU nur eines: Konfusion. Von abgestimmten – oder gar stimmigen – Konzepten ist nichts zu erkennen. Im Gegenteil. Täglich wechseln die Parolen. Am größten ist das Durcheinander in der Steuer- und Haushaltspolitik, also jenem Felde, auf dem die Opposition Rot-Grün frontal angreifen will.
Ein Rückblick belegt die Widersprüche: Monatelang zogen führende Unionspolitiker durch die Republik und plädierten für ein Vorziehen der Steuerreform. Finanzminister Hans Eichel galt ihnen als hasenfüßiger Buchhalter. Dem Sozialdemokraten, so der Vorwurf, fehlten Visionen. Geflissentlich verschwiegen die Heißsporne, dass ihre Träumereien bei fast allen Landesfinanzministern Alpträume auslösten. Zu keinem Zeitpunkt hätte es für ein solch gigantisches Entlastungsprogramm nur den Hauch einer Erfolgschance gegeben. Die große Mehrheit der Länder – unionsgeführte inklusive – können keine weiteren Steuerausfälle verkraften.
Die zwischenzeitliche Abkehr von diesem Heilsversprechen ist unter anderem dem bayrischen Finanzminister Kurt Faltlhauser zu verdanken, der in seinem Ministerium nachrechnen ließ und intern für mehr Realismus sorgte. Wenig später verabschiedete sich auch Stoiber von der populistischen Forderung. Jedenfalls kurz – bis am vergangenen Wochenende die Nicht-Ökonomin Angela Merkel ein Interview gab und erneut ein Vorziehen der Steuerreform propagierte.
Prompt kam der Kandidat in die Bredouille. In Christiansens Talkshow – dort verkündet die Union neuerdings den aktuellen Stand ihrer Steuer-Debatte – verstieg sich Stoiber zu der kühnen These, notfalls müsse die Neuverschuldung weiter erhöht werden. Welch Ironie und Dreistigkeit zugleich!Ausgerechnet der CSU-Vorsitzende will vermehrt Schulden machen. Es war Stoiber, der in der jahrelangen Euro-Diskussion das Gebot solider Staatsfinanzen exzessiv anmahnte. Nun aber, wo nicht Italiener oder Spanier, sondern die Deutschen dem Drei- Prozent-Kriterium des Maastricht-Vertrages bedrohlich nahe kommen, möchte der Kandidat die Misere verschlimmern und eine Vertragsverletzung riskieren.
Ein solcher Schritt wäre höchst unklug. Mit einigen Milliarden Euro lässt sich keine Rezession überwinden. Noch mehr Schulden – bis ans Limit oder darüber hinaus – würden die Reputation Deutschlands und letztlich des Euro gefährden. Blaue Briefe aus Brüssel kann in der Krise wirklich niemand brauchen. Für traditionell europafreundliche Parteien ist das eigentlich eine Selbstverständlichkeit.Nicht minder klar müsste der Union sein, das ihre Kakophonie die Wahlaussichten mindert.
Aber das scheint sie alle nicht zu stören. Letzte Meldung: Fraktionschef Friedrich Merz will zur Abwechslung die rot-grüne Reform der Körperschaftsteuer korrigieren und Deutschlands Konzerne zur Kasse bitten. Mal sehen, wem bald ein neuer Vorschlag einfällt.
Quelle:Sueddeutsche Zeitung