Wer wird der künftige Regierungschef? Was unterschiedet die Kanzlerkandidaten voneinander? Wer führt welche Partei durch den Wahlkampf? Woher kommen die Spitzenkandidaten und was treibt sie an? Wer wird nicht mehr dabei sein? Die Kandidaten der Parteien im Porträt.
Jens-Peter Marquardt, NDR
Als "Kanzler der Mitte" war Gerhard Schröder bei der Bundestagswahl 1998 angetreten, und er war erfolgreich: Nach 16 Jahren Helmut Kohl gelang es ihm, eine Wechselstimmung zu erzeugen, die Rot-Grün im Bundestag eine stabile Mehrheit bescherte. Jetzt versucht sein Herausforderer Edmund Stoiber, eben diese politische Mitte für sich zu reklamieren und die Union wieder in die Regierung zu bringen. Gerhard Schröder hat den Kampf angenommen, die alte Rauflust des Juso-Vorsitzenden ist wieder in ihm erwacht. Der Machtmensch Schröder hatte sich innerhalb und außerhalb seiner Partei gegen harte Widerstände durchsetzen müssen, ehe er ins Kanzleramt einziehen konnte. Vielleicht auch deshalb bemühte er sich, als Kanzler schwierige gesellschaftliche Fragen in etlichen Kommissionen zu entschärfen.
Gerhard Schröders Gegner nennen ihn den "Kanzler der Beliebigkeit." Ideologien oder Prinzipien stehen ihm jedenfalls selten im Weg. Es ist der politische Instinkt, der ihn leitet. Und es ist seine Herkunft, die ihn bis heute prägt: Ohne Vater aufgewachsen, materielle Not am eigenen Leib erfahren, von dem unbändigen Willen getrieben, von ganz unten nach ganz oben zu kommen. Mit 14 musste er die Schule erst einmal verlassen, um Geld zu verdienen: Die Familie konnte sich Oberschule und Studium nicht leisten, beides holte er später nach. Schröder machte sein Abitur auf dem zweiten Bildungsweg und wurde Rechtsanwalt. Diese Biographie ist es, die Schröder auch in seinen politischen Reden immer wieder zitiert: "Bildungschancen dürfen nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen!" Kaum einer kann diesen Leitsatz sozialdemokratischer Bildungspolitik authentischer formulieren als Gerhard Schröder.
Macht statt Marx
Einer wie er kam nicht wie viele der 68er über die Theorie in die Politik. Auch als Juso-Vorsitzender interessierte er sich weniger für das marxistische Schriftgut als für die Macht. Angeblich wollte Schröder schon als Schüler Bundeskanzler werden. Verbürgt ist auf jeden Fall, dass er in Bonn als einfacher Abgeordneter nachts und leicht angeheitert am Zaun des Bonner Kanzleramts rüttelte und rief: "Ich will hier rein!"
Kämpfe in der SPD
Doch bis er da tatsächlich hineinkam, waren noch einige Umwege nötig: Das Hinterbänkler-Dasein im Bundestag erschien ihm als Sackgasse. Deswegen boxte er sich erst einmal in der niedersächsischen Landespolitik nach oben, behielt aber auch als Ministerpräsident das Kanzleramt im Visier und machte den SPD-Bundespolitikern das Leben schwer. Die Bundestagsfraktion titulierte er als "Kartell der Mittelmäßigkeit". Er mäkelte am SPD-Vorsitzenden Björn Engholm herum, unterlag dann aber in der Mitgliederentscheidung über den nächsten Parteivorsitzenden Rudolf Scharping. Doch Schröder ließ sich von solchen Niederlagen nicht beeindrucken und beteiligte sich an der Demontage Scharpings, die 1995 auf dem Mannheimer Parteitag mit der Wahl Oskar Lafontaines zum Parteichef endete.
Auch das kein Grund zur Resignation für Schröder: Er wollte Kanzler werden, nicht Parteichef. Deshalb brachte er sich nun gegen Lafontaine in Position, als Modernisierer, als Marktwirtschaftler, als Mann der Mitte. Damit eroberte er zwar nicht die Herzen der Parteimitglieder, aber die Sympathien der Meinungsführer in den Medien und schließlich die Stimmen der Wähler. Die "Kohl-muss-weg"-Stimmung und der Sex-Appeal des Machtmenschen trugen Schröder schließlich 1998 ins Kanzleramt.
Im Kanzleramt hat Schröder einen eigenen Stil entwickelt. Er organisiert den gesellschaftlichen Konsens, in Kommissionen für die Zuwanderungspolitik, für die Gentechnologie, für die Reform der Arbeitsämter oder im Bündnis für Arbeit. Für schwierige Missionen wie zum Beispiel die Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter hat er bewusst Oppositionspolitiker ausgewählt, wie in diesem Fall den Liberalen Otto Graf Lambsdorff. Abgeordnete beklagen deshalb die Entmachtung des Parlaments. Schröder ficht das nicht an. Er will mit seiner Konsens-Politik über die eigene Mehrheit hinaus Zustimmung finden, um Reformen durchzusetzen, ohne dabei seine Macht aufs Spiel zu setzen. Doch das ist längst nicht überall gelungen. Das Bündnis für Arbeit hat trotz Schröders Moderation nicht den Schulterschluss zwischen Unternehmern und Gewerkschaften gebracht.
Ideen durch Dialog
"Ich kenne keinen anderen Politiker, der so gut zuhören kann." Das sagt der Unternehmensberater Roland Berger über Schröder. Viele deutsche Spitzenmanager erinnern sich mit Grausen an Helmut Kohl, der jeden Dialog zum Monolog machte. "Der Genosse der Bosse" dagegen braucht den Dialog und nutzt ihn. Schröder saugt dabei die Ideen wie ein Schwamm auf. An seinen Entscheidungen erkennt man häufig, mit wem er kurz zuvor gesprochen hat. So entstand zum Beispiel die Greencard-Idee: da hatte sich IBM-Manager Erwin Staudt beim Kanzler bitter über den Mangel an Computerspezialisten beklagt und schon kündete der Kanzler bei der Eröffnung der Cebit-Messe in Hannover die Einführung einer Greencard an, zur Überraschung seiner Fach-Minister. Plötzlich kam Schwung in die Debatte über ein modernes Ausländerrecht in Deutschland.
Staatsmann Schröder
In vier Jahren Amtszeit hat sich Schröder gewandelt, partiell jedenfalls. Der Instinkt-Politiker ist er geblieben, aber die Aggressivität ist gewichen. Er muss jetzt nichts mehr werden, er ist es bereits geworden. Der Spaß-Kanzler, der Brioni trägt, mit der Cohiba-Zigarre kokettiert und auch noch in "Wetten dass!" auftritt, ist längst Vergangenheit. Staatsmann Schröder, das ist seine neue Rolle. Die außenpolitischen Lektionen hat er gelernt, in einem Crash-Kurs wie keiner seiner Vorgänger. Denn er war kaum im Amt, da musste er als erster Bundeskanzler deutsche Soldaten in einen Krieg schicken, gegen die serbische Kosovo-Politik. Es folgten die Bundeswehr-Einsätze in Mazedonien und in Afghanistan, die dem wenig geliebten grünen Koalitionspartner eine Zerreißprobe bescherten. Doch der Kanzler setzte sich durch. Ausgerechnet Schröder, der früher den NATO-Doppelbeschluss und die Raketen-Nachrüstung Helmut Schmidts kritisiert hatte, sicherte den Amerikanern nach dem Terroranschlag vom 11. September 2001 die "uneingeschränkte Solidarität" Deutschlands zu.
Rauflust noch nicht verloren
Die frühere Unbeschwertheit ist weg. Die Verantwortung, die er jetzt trägt, hat sich tief eingegraben in Schröders Gesichtszüge. Dennoch: seine Spontaneität ist noch da. Von einem Journalisten gefragt, ob er zu einem Fernsehduell mit seinem Herausforderer Edmund Stoiber bereit sei, sagte Schröder sofort Ja. Seine Berater und Wahlkampfstrategen wurden blass vor Schreck und Überraschung. Denn zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik stellt sich ein Kanzler in zwei Fernseh-Duellen seinem Herausforderer – geplant war das nicht. Spontan war in Schröder, der früher als Mittelstürmer des TuS Talle mit dem Spitznamen "Acker" durch die Reihen der Verteidiger pflügte, die alte Rauflust erwacht.
Schröder arbeitet mit einem kleinen Team. Es sind vor allem die "Frogs", die "Friends of Gerd", die er schon in Hannover um sich versammelt hatte und die mit ihm nach Berlin gezogen sind. An der Spitze Frank-Walter Steinmeier, der Chef des Kanzleramts, ein Verwaltungsjurist, still, effizient, kein Mann, der in den Vordergrund drängt, die ideale Ergänzung zu Gerhard Schröder. Er koordiniert die Politik der Ministerien und Koalitionsfraktionen. Seit er die Fäden in der Hand hält, läuft die Regierungsarbeit weitgehend reibungslos. Das Chaos der Anfangszeit, als noch der große Stratege Bodo Hombach mitregierte, ist vorbei.
Die Macht des Sprechers und des Vorzimmers
Uwe-Karsten Heye ist in Berlin Schröders Regierungssprecher und war es auch schon in Hannover. Der ehemalige Redenschreiber Willy Brandts und Ex-Journalist ist immer mehr Berater als Sprecher gewesen. Er wird sich nach der Wahl wahrscheinlich aus dem Kanzler-Team zurückziehen. Zum engsten Kreis gehört Sigrid Krampitz, die Büroleiterin. Loyal und effizient hält sie ihrem Chef den Rücken frei – sie entscheidet, wer zu ihm kommt, sie wacht über seinen prall gefüllten Terminkalender. Neu im Team der Hannoveraner ist Marianne Duden: sie war schon Helmut Schmidts Kanzler-Sekretärin. Der Alt-Kanzler ist Schröders Vorbild, auch deshalb setzt er auf Marianne Dudens Erfahrungen im Kanzler-Vorzimmer.
Anregungen von Grass und Piech
Schröder unterhält im Gegensatz etwa zu Tony Blair keine Denkfabrik. Er hat keine "Spin Doctors", die ihm regelmäßig und zu allen Themen Strategien liefern. Er holt sich seine Anregungen dort, wo er sie kriegen kann, redet mal mit Günther Grass, oder trifft sich mit dem Maler Bruno Bruni. Sein Lieblings-Gewerkschafter ist IG BCE-Chef Hubertus Schmoldt, aber vor allem sind es erfolgreiche Unternehmer, die ihn faszinieren. Darunter natürlich Ferdinand Piech. Der VW-Boss Piech und der VW-Aufsichtsrat Schröder: ein kongeniales Duo, das den Konzern in neue Dimensionen führte. Wer von den beiden da heute wen mehr bewundert, ist kaum zu sagen.
Oskar Lafontaine ist schon Geschichte
Schröder hat auf seinem Weg nach oben vielen Gegnern und Konkurrenten Wunden geschlagen. Doch sie sind nicht zu Feinden geworden. Schröder hat es fast immer geschafft, sie wieder zu integrieren. Peter Struck etwa, den er als "mittelmäßig" abqualifiziert hatte, sorgte dafür, dass die Fraktion auf Kanzler-Kurs blieb. Als Verteidigungsminister löste Struck Rudolf Scharping ab, den Schröder einst als SPD-Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten demontiert hatte. Scharping hatte danach lange seinen Platz im Kabinett, bis er Schröder in ernste Schwierigkeiten zu bringen drohte. Nur Oskar Lafontaine war selbst viel zu ambitioniert, um sich in ein Schröder-Team integrieren zu lassen. Lafontaine arbeitet sich noch heute an Schröder ab, für den Kanzler aber ist Oskar längst Geschichte.
In Sachen Ehe und Familie könnten die Gegensätze zwischen Herausforderer Edmund Stoiber und Gerhard Schröder kaum gegensätzlicher sein: Stoiber rückt stets eine lange, glückliche Ehe in den Vordergrund und präsentiert sich gern als Familienmensch, Schröders Leben weist mehrere Brüche auf: Der Kanzler ist in vierter Ehe verheiratet mit der 19 Jahre jüngeren Journalistin Doris Schröder-Köpf, die ihre Tochter Klara mitbrachte. Gerhard Schröder nennt seine früheren Ehen nüchtern das "Scheitern von Lebensentwürfen" und bekannte einmal humorvoll: "Ich wechsle alle zwölf Jahre." Bei den Wählerinnen und Wählern erwuchsen ihm daraus schon bei der Bundestagswahl 1998 keine Nachteile: Trotz der von Medienrummel begleiteten Scheidung von seiner beliebten Frau Hiltrud bescheinigen ihm Meinungsforscher, besonders unter Frauen sehr populär zu sein.
Klappbett für Klara im Kanzleramt
Eigene Kinder hat Gerhard Schröder nicht, doch bemüht er sich, auf die Belange seiner gesamten Familie einzugehen: Für Hiltrud Schröders Tochter Franca wurde er zum Ersatz-Vater und traf sich mit ihr - in seiner Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident - manchmal beim Italiener in der Nähe der Staatskanzlei. Um die Belastungen für Doris Schröder-Köpf und Klara möglichst gering zu halten, entschied er sich bewusst für Hannover als Wohnsitz für die Familie. Als prominente Nachbarn sorgen die Schröders in ihrem Viertel immer wieder für Wirbel: So fürchtet ein Einzelhändler wegen vom Personenschutz blockierter Parkplätze um seine Kunden. Dennoch bleibt Hannover der Mittelpunkt der Familie - Berlin ist nur ein Provisorium. Kommt Tochter Klara zu Besuch ins Kanzleramt, muss ein Klappbett herhalten – die Wohnung dort ist nicht für einen Daueraufenthalt von Kindern eingerichtet.
Bratling statt Curry-Wurst
Dabei ist die Familie durchaus nicht ohne Einfluss auf den Machtmenschen Gerhard Schröder. Ziemlich abrupt geriet die Verwandlung des Curry-Wurst-Essers Schröder zum Freund der Ökobauern: Während der BSE-Krise propagierte der Kanzler plötzlich das Ende der Agrarfabriken in Deutschland. Dahinter steckte seine Frau Doris, die sich Sorgen um die Gesundheit ihrer Tochter machte.
Der Einfluss seiner vierten Frau Doris Schröder-Köpf ist ohnehin groß: als gelernte Journalistin weiß sie, was Schlagzeilen bringt, gute und schlechte. Ganz besonders geprägt hat Schröder auch seine Mutter Erika, die er liebevoll "Löwin" nennt. Als allein Erziehende in den fünfziger Jahren schlug sie sich als Putzfrau und Fabrikarbeiterin durch. Ein Versprechen, das er ihr gab, als der Gerichtsvollzieher vor ihrer Tür stand, konnte er später einlösen: "Eines Tages hole ich dich im Mercedes ab."
Fabian Mohr, BR
Ein Mann, der polarisiert: Edmund Stoiber, Ministerpräsident, CSU-Chef und seit Januar dieses Jahres Kanzlerkandidat der Union. Dass die Union – gut 20 Jahre nach der schweren Wahlniederlage von Franz Josef Strauß – mit Stoiber wieder einem CSU-Politiker den Vortritt lässt, ist für den machtbewussten Bayern-Regenten der vorläufige Höhepunkt seiner politischen Karriere. Ob Hoffnungsträger oder Reizfigur: Edmund Stoiber ist für Gerhard Schröder im Rennen um das Kanzleramt zu einem ebenbürtigen Gegner geworden.
Was früher undenkbar schien – ein Bayer als Bundeskanzler – sehen viele Wähler auch außerhalb der bayerischen Landesgrenzen inzwischen offenbar gelassener. Selbstverständlich ist dies nicht: Lange Jahre galt Stoiber als konservativer Hardliner, der seine politische Heimat am rechten Rand der CSU gefunden hatte. Ein Konservativer ist Stoiber geblieben, allerdings einer mit weicheren Zügen.
Wer nach Parallelen zwischen Edmund Stoiber und Gerhard Schröder sucht, muss genau hinsehen. Doch in einem Punkt ähneln sich beide Lebensläufe: Wie Schröder wächst auch Stoiber in einfachen Verhältnissen auf. 1941 in Oberaudorf im Kreis Rosenheim geboren, absolviert er Gymnasium und Wehrdienst, bevor er zum Studium der Rechtswissenschaften und Politologie nach München geht.
Nach dem ersten juristischen Staatsexamen 1967 wechselt Stoiber als wissenschaftlicher Mitarbeiter an die Universität Regensburg. Dort legt er 1971 das zweite Staatsexamen ab. Titel seiner Doktorarbeit: "Der Hausfriedensbruch im Licht aktueller Probleme". Im gleichen Jahr tritt er eine Stelle als Jurist im bayerischen Umweltministerium an. 1972 wird er Referent des damaligen Staatsministers Max Streibl.
1974 zieht Stoiber für die CSU in den bayerischen Landtag ein. Bereits seit Ende der 50er Jahre für die Junge Union politisch aktiv, stellt ihn die Partei als Kandidat für den Stimmkreis Bad Tölz – Wolfratshausen auf. Vier Jahre später gewinnt Stoiber seinen Wahlkreis erneut und kann – gegen den Landestrend – seinen Stimmenanteil ausbauen.
Strauß als wichtigster Förderer
Franz Josef Strauß, schon damals die politische Leitfigur Stoibers, macht den jungen Abgeordneten daraufhin zum CSU-Generalsekretär und fördert seine Karriere in den folgenden Jahren nach Kräften. Stoiber dankt es ihm mit Loyalität und Kärrnerarbeit – sein Arbeitspensum liegt bei bis zu 16 Stunden pro Tag, sein Hunger nach Akten ist bald sprichwörtlich. In der Partei gewinnt er zusehends an Einfluss.
Als Strauß 1980 für die Union gegen Helmut Schmidt in das Rennen um die Kanzlerkandidatur geht, operiert Stoiber als "rechte Hand" des CSU-Patriarchen. Zwei Jahre später besetzt er eine weitere Schaltstelle: Als Chef der Staatskanzlei greift Stoiber nun von München aus auch vermehrt in bundespolitische Auseinandersetzungen ein.
1988 stirbt Strauß – für Stoiber, der seinem politischen Mentor viel zu verdanken hat, eine schwere Zäsur. Der neue Ministerpräsident Streibl beruft ihn als Innenminister ins bayerische Landeskabinett, unter Parteichef Theo Waigel rückt er innerhalb der CSU als stellvertretender Vorsitzender zur Nummer zwei der Partei auf.
Kampf um Streibl-Nachfolge
Fünf Jahre lang bescheidet sich Stoiber mit der Rolle des Wasserträgers – bis zum unfreiwilligen Abgang Streibls 1993 im Zuge der so genannten Amigo-Affäre. Es folgt ein innerparteilicher Machtkampf um das Amt des Ministerpräsidenten – den Stoiber letztendlich gegen seinen Kontrahenten Waigel für sich entscheiden kann.
In der Folge bemüht Stoiber das Bild des Saubermanns; seine Amtsgeschäfte führt er mit straffer – manche sagen: unbarmherziger – Hand. Demonstrativ legt er als Reaktion auf den Amigo-Sumpf einen Maßnahmen-Katalog vor, mit dem Politiker-Privilegien beschnitten werden sollen.
Zwei ungefährdete Wahlerfolge – 1994 und 1998 fährt die CSU bei Landtagswahlen absolute Mehrheiten ein – festigen die Stellung Stoibers innerhalb der Partei zusätzlich. Ungelöst bleibt über Jahre hinweg jedoch die streckenweise von Dissonanzen geprägte Tandem-Lösung zwischen Stoiber als Ministerpräsident und Waigel als CSU-Chef. 1999 schließlich – monatelange Auseinandersetzungen hinter den Kulissen waren vorausgegangen – übernimmt Stoiber auch den Parteivorsitz.
Eklat um LWS-Affäre
In Turbulenzen gerät Stoiber im Sommer 1999 im Zuge der LWS-Affäre. Hintergrund: Die staatliche Landeswohnungs- und Städtebaugesellschaft macht Verluste in dreistelliger Millionenhöhe. Stoiber - der den Einstieg der LWS ins riskante Bauträgergeschäft in seiner Zeit als Innenminister aktiv voran getrieben hatte - bestreitet jede Verantwortung und entlässt seinen Justizminister Alfred Sauter. Es kommt zum Eklat: Sauter, der sich als Sündenbock sieht, weigert sich zunächst, seine Amtsgeschäfte niederzulegen; Mitte September tritt er zurück und wirft Stoiber mangelnden Anstand und zwischenmenschliche Defizite vor.
Auch die Reihe der Agrarskandale geht an Stoiber nicht spurlos vorüber: Im Zuge der BSE-Krise und des Schweinemast-Skandals wird Kritik an seinen Qualitäten als Krisenmanager laut.
Eine der wichtigsten Wegmarken in Stoibers politischer Vita ist schließlich die Entscheidung, für die Union als Kanzlerkandidat ins Rennen zu gehen. Stoiber, der über Jahre hinweg jegliche Ambitionen auf das Kanzleramt vehement abgestritten hatte, ließ sich von wachsendem Druck innerhalb der Union umstimmen – der Weg war endgültig frei für ihn, als CDU-Chefin Angela Merkel im Januar 2002 ihren Verzicht auf die Kandidatur bekannt gab. Wirklich überraschen kann Stoibers Entschluss, die Kanzlerschaft anzustreben, nicht. Wer den roten Faden in seinem bisherigen Werdegang sucht, stößt immer wieder auf politische Schlüsselpositionen: Stoiber will sie erobern - ob in Bayern oder Berlin.
"Jeder Mensch verändert sich": Auch Edmund Stoiber selbst räumt ein, dass sich einige seiner Positionen im Lauf der Jahre wandelten; viele haben sich auch abgemildert. Nach wie vor steht Stoiber unter den Spitzenpolitikern der Union neben Roland Koch noch am ehesten für den dezidiert konservativen Flügel der Union – doch das Bild des "Wadlbeißers" am äußeren rechten Rand der CSU ist Geschichte.
Der Kanzlerkandidat der Union bemüht sich um moderate Ausstrahlung. Schon als Ministerpräsident erkannte Stoiber, dass mit kompromisslosen und bisweilen reaktionären Positionen - für Schlagzeilen sorgte etwa sein Schlagwort von der "durchrassten Gesellschaft" - allein kein Staat zu machen ist. Gefragt, was für ihn "konservativ" bedeutet, sagt Stoiber: "Die Wirklichkeit als Wirklichkeit anerkennen." Wegen dieser Grundhaltung, die Menschen zu nehmen wie sie sind – und danach auch eigene Positionen auszurichten, haben seine Kritiker ihm wiederholt Populismus vorgeworfen.
Wirtschaftspolitik als zentrales Wahlkampfthema
Im Bundestagswahlkampf hofft Stoiber besonders, durch seine wirtschaftspolitischen Positionen zu punkten – er selbst kann sich auf vergleichsweise gute Wirtschaftsdaten in Bayern stützen, während Bundeskanzler Schröder mit einer durchwachsenen Bilanz – kein Durchbruch am Arbeitsmarkt und konjunkturelles Schlechtwetter - kämpft.
Kennzeichnend für Stoibers Wirtschaftspolitik ist eine Mischung aus Modernisierungs-Anstrengungen und sozialer Flankierung. Vor die Wahl gestellt, alte industrielle Kerne über Wasser zu halten oder "Zukunfts-Branchen" zu fördern, ist die Entscheidung für Stoiber klar: Milliardenschwere Privatisierungserlöse fließen in die Ansiedlung von Hochtechnologie-Firmen, die Stoiber als Motor für mehr und höher qualifizierte Beschäftigung sieht.
Stoiber setzt auf Flexibilisierung
Eine weitere zentrale Position Stoibers ist die Senkung von Einkommensteuer und Sozialabgaben – ebenso der Abbau der Staatsquote unter die 40-Prozent-Marke. Um den Arbeitsmarkt in Schwung zu bringen, setzt der Kanzlerkandidat der Union auf Flexibilisierung: Wo Rot-Grün bei Scheinselbständigkeit und Betriebsverfassung neue Gesetze auf den Weg gebracht hat, will Stoiber umsteuern. Zugleich versucht er aber, Befürchtungen entgegenzutreten, seine Politik lasse die "kleinen Leute" zurück. Mit Gewerkschaften und Arbeitgebern initiiert er ein bayerisches "Bündnis für Arbeit"; Forderungen, auch Kleinverdiener müssten den Gürtel enger schnallen, weist er zurück, Kürzungen bei der Lohnfortzahlung hält er für einen psychologischen Fehlgriff.
"Law and Order" - und Nein zu mehr Zuwanderung
Dezidiert konservativ sind Stoibers Positionen im Bereich Innere Sicherheit und Zuwanderung. Mehr Geld für die Polizei, mögliche Einsätze der Bundeswehr auch im Inneren, repressive Drogenpolitik: Der Kanzlerkandidat der Union gibt sich als Mann von "Law and Order". Das Thema Sicherheit sieht Stoiber dabei in engem Zusammenhang mit der Ausländerpolitik. Ausländische Extremisten, die straffällig werden, will Stoiber abschieben lassen. Rigide auch seine Position zur Zuwanderung: Begrenzung ist das Stichwort bei Stoiber – statt weiter auf den Zuzug von Ausländern zu setzen, propagiert er verstärkte Integrationsbemühungen. Die Anwerbung ausländischer Fachkräfte sieht Stoiber skeptisch: Solange in Deutschland Massenarbeitslosigkeit herrscht, will er Projekte wie die "Green Card" auf wenige, eng umgrenzte Wirtschaftsbereiche begrenzt sehen.
Traditionelle Werte
In der Familienpolitik steht der Unions-Kanzlerkandidat für traditionelle Werte – die Familie, so betont Stoiber immer wieder, stehe unter dem Schutz des Grundgesetzes. Das bedeutet für ihn konkret: Ein klares Nein zu Abtreibung und Homosexuellen-Ehe. Es ist wohl dem Kampf um die politische Mitte geschuldet, wenn Stoiber neuerdings nach außen mehr familienpolitische Gelassenheit demonstriert. Ob jemand in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebe oder ohne Trauschein – das sei "alles reine Privatsache". Aber auch Stoibers Familie spielt eine Rolle: Tochter Constanze, inzwischen zweifache Mutter, kann ihrem prominenten Vater aus erster Hand über die Schwierigkeiten junger Frauen berichten, Kinder und Beruf unter einen Hut zu bringen.
Kritik an "Parlamentsvorbehalt"
In der Außen– und Sicherheitspolitik steht Stoiber grundsätzlich hinter Einsätzen der Bundeswehr im Ausland – fordert aber mehr Mittel für die Truppe. Dass jedes Mal der Bundestag eingeschaltet werden muss, bevor deutsche Soldaten außer Landes eingesetzt werden können, ist ihm ein Dorn im Auge. Stoiber fordert deshalb, den so genannten "Parlamentsvorbehalt" zu überprüfen. Fixpunkte sind für Stoiber die enge Bindung Deutschlands an die USA wie an die NATO. Reservierter steht er der Europäischen Union und besonders deren Bestrebungen gegenüber, in die Mitgliedsländer hineinzuregieren. Stoiber macht sich für ein "Europa der Regionen" stark – ein Europa, in dem föderale Vielfalt gepflegt wird und Länder wie Bayern in elementaren Politikfeldern Mitspracherechte behalten.
Der Euro: Keine Liebe auf den ersten Blick
Die augenfälligste Kehrtwende hat der bayerische Ministerpräsident beim Thema Euro vollzogen. Zwar ist Stoiber nach wie vor kein glühender Anhänger der neuen Gemeinschaftswährung – doch ein "fanatischer Euro-Gegner", wie ihn Beobachter noch in den 90er Jahren zur Amtszeit seines Parteifreunds Theo Waigel als Bundesfinanzminister sahen, ist er längst nicht mehr. Es sei ihm damals vor allem darum gegangen, die Einhaltung der Stabilitätskriterien durchzusetzen, sagt Stoiber heute. Viele Punkte, in denen er die EU kritisiert habe, seien inzwischen "Mehrheitsmeinung in Europa", ist sich der Unions-Kandidat sicher.
Klar gegen Rot-Grün positioniert sich Stoiber im Bereich Energiepolitik. Als strikter Befürworter und Förderer der Atomenergie ist er sich über die Jahrzehnte treu geblieben. Nur Atomstrom kann nach seiner Einschätzung die Einhaltung der Klimaschutz-Ziele sowie eine sichere und preiswerte Energieversorgung gewährleisten. Die Konsequenz: Bei einem Wahlsieg will Stoiber den Atomausstieg rückgängig machen.
Übermäßige Herzlichkeit wird Edmund Stoiber im Umgang mit politischen Mitstreitern nicht nachgesagt. Mehrere von ihnen können ein Lied davon singen: Theo Waigel, Alfred Sauter, Barbara Stamm. Gerade der ehemalige Bundesfinanzminister hat nicht vergessen, wie Stoiber über Jahre hinweg aus München Querschüsse abfeuerte und in der CSU gegen Waigel opponierte - heute zwingt er sich zu einem Schmunzeln, wenn ihn Stoiber vor großem Publikum lobt: "Ich habe während meiner aktiven Zeit so viel Dankbarkeit erfahren, dass es gar nicht mehr notwendig gewesen wäre."
Zerrüttetes Verhältnis
Für bundesweites Aufsehen sorgte der Konflikt zwischen Stoiber und seinem damaligen Justizminister Sauter wegen der LWS-Affäre. Sauter, 1999 zum Rücktritt gezwungen, richtete schwere Vorwürfe an die Adresse des Ministerpräsidenten. Zwar unternahm Stoiber inzwischen einen Anlauf, das zerrüttete Verhältnis zu kitten – doch Sauter reagiert zurückhaltend.
Noch kühler ist das Verhältnis zwischen Barbara Stamm und Edmund Stoiber. Die ehemalige bayerische Sozialministerin, im Januar 2001 wegen BSE- und Schweinemastskandal vom Ministerpräsidenten fallengelassen, hatte jede politische Verantwortung für die Skandale zurückgewiesen.
Stoiber und Merkel haben sich arrangiert
In der Unionsspitze haben Stoiber und die Vorsitzende der großen Schwesterpartei CDU, Angela Merkel, inzwischen zu einem entspannteren – sie selbst sagen: zu einem guten - Verhältnis gefunden. Stoiber wörtlich: "Wir haben einen Draht zueinander, politisch und menschlich." Die frühere Distanz war durch das monatelange Tauziehen um die Kanzlerkandidatur noch verstärkt worden. Mittlerweile haben sich beide mit ihren Rollen arrangiert – Stoiber als Frontmann gegen Schröder, in seinem Windschatten Merkel als inzwischen wieder unumstrittene Parteivorsitzende der Christdemokraten.
Spannungsfeld Fraktion - Staatskanzlei
Mit dem Chef der CSU-Fraktion im bayerischen Landtag, Alois Glück, verbindet Stoiber geschäftsmäßig-nüchterne Kooperation. Glück, der ihr Verhältnis einmal zurückhaltend als eine "sehr tragfähige Form der Zusammenarbeit" beschrieben hat, musste mehr als einmal zusehen, wie Stoiber ihm bei der Besetzung von Schlüsselpositionen zuvor kam – zuerst beim stellvertretenden CSU-Vorsitz, später als es um das Amt des Ministerpräsidenten ging. Auch Stoibers selbstbewusster Umgang mit der Landtagsfraktion sorgte öfter für Ärger: Glück pocht darauf, dass die Fraktion nicht nur abnickt, was in der Staatskanzlei konzipiert wurde.
Beckstein und Huber gehören zum engsten Zirkel
Als enge Vertraute und politische Stützen Stoibers gelten Innenminister Günther Beckstein und der Chef der Staatskanzlei, Erwin Huber. Stoiber plant auch in Zukunft mit ihnen: Gelingt der Union der Wahlsieg am 22. September, soll Beckstein angeblich als Bundesinnenminister nach Berlin mitziehen. Huber gilt als aussichtsreichster Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten, auch wenn Glück offenbar ebenfalls noch im Rennen ist.
Im so genannten "Kompetenzteam" hat Stoiber prominente Köpfe der Union um sich versammelt, die seinen Wahlkampf unterstützen, darunter Wolfgang Schäuble, Lothar Späth und Annette Schavan.
Ein Journalist als Ratgeber
Besonders hört er aber auf einen Mann, der die Präsenz des Unionskandidaten in TV, Radio und Zeitungen optimieren soll: Michael Spreng, seit Januar Stoibers Medien-Berater. Spreng ist bei allen Sitzungen der Unions-Wahlkampfspitze anwesend, steht in ständigem Kontakt zu Stoiber.
In München verlässt sich Stoiber darüber hinaus auf langjährige, enge Mitarbeiter aus Staatskanzlei und CSU-Zentrale, die ihm zuarbeiten und beratend zur Seite stehen: Michael Höhenberger, Walter Schön, Ulrich Wilhelm und Friedrich Wilhelm Rothenpieler.
Die große Stütze im Leben des Edmund Stoiber ist seine Ehefrau Karin, mit der er seit 1968 verheiratet ist. Das Ehepaar Stoiber hat drei Kinder: Tochter Constanze (geb. 1971, inzwischen selbst zweifache Mutter), Tochter Veronica (geb. 1977) und Sohn Dominic (geb. 1980).
Seit zwanzig Jahren wohnt die Familie im oberbayerischen Wolfratshausen – dort sucht Stoiber auch Ruhe und Ausgleich in den wenigen privaten Stunden, die ihm seine Funktionen als Parteichef, Ministerpräsident und Kanzlerkandidat noch lassen. Mit seinen Enkeln Benedict und Johannes verbringt Stoiber so viel Zeit wie möglich.
Dass die Familie seine größte Kraftquelle ist, daran lässt er keine Zweifel: " Ich beziehe sicher meine psychische Kraft, um mein Amt zu bewältigen, aus der emotionalen Bindung zu meiner Familie, meiner Frau, aber auch den Kindern."
Das große Steckenpferd Stoibers ist der Sport – beim Skifahren und Wandern hält er sich fit, und bei Spielen des FC Bayern München sitzt er – wenn es sein Terminplan erlaubt – auf der Tribüne.
Frank Wahlig, Martin Heuser, SWR
"Ein Grüner hebt ab", so lauteten die Kommentare über "Joschka" Fischer nach der Bildung der rot-grünen Bundesregierung 1998 auch aus der eigenen Partei. In seiner Fraktion schaute der frisch gekürte Außenminister damals eher selten vorbei. In Berlin kursierte das Bonmot: Wenn Hollywood einen Außenministerdarsteller suche, Josef Fischer stünde ganz oben auf der Besetzungsliste. Fischer ist wie viele Spitzenpolitiker ein genialer Selbstdarsteller. Zudem verkörpert er ein Stück deutscher Nachkriegsgeschichte. Vom Schulabbrecher wandelte er sich zum Straßenkämpfer zum Bundestagsabgeordneten und schließlich zum Außenminister und Vizekanzler.
Karriere mit vielen Brüchen
Geboren im April 1948 in Gerabronn (Baden-Württemberg), wird Joschka Fischer von derselben Hebamme auf die Welt gebracht wie Parteifreund Rezzo Schlauch. Er bricht nach der 10. Klasse das Gymnasium ab, macht auch die Fotografenlehre nicht zu Ende. Seine erste Frau heiratet er als Jugendlicher im schottischen Heiratsparadies Gretna Green. In Frankfurt zählt Fischer zur so genannten "Sponti-Szene", hört Vorlesungen von Adorno und Habermas, nimmt an Häuserbesetzungen und Straßenkämpfen teil. Er will als Arbeiter bei Opel Rüsselsheim für die Revolution werben. Die fristlose Entlassung kommt schnell.
Er schlägt sich als Taxifahrer und Buchhändler durch und schlägt auch zu: Ende 2001 taucht ein Foto auf, das den jungen Fischer schwarz vermummt zeigt, wie er auf einen am Boden liegenden Polizisten eintritt. "Ich war nie ein Pazifist", wird Fischer später sagen. Die Attentate der Terroristen der Roten-Armee-Fraktion im Jahre 1977 führten bei ihm zum Umdenken. Er gibt den revolutionären Kampf auf und spricht in der Rückschau von einem "Illusionsverlust".
Gemeinsam mit seinen Freunden aus Straßenkampfzeiten, Daniel Cohn-Bendit und Tom Koenigs, übernimmt Fischer quasi im Handstreich die Frankfurter Grünen und startet damit eine beispiellose Karriere. Nach zwei Jahren als Bundestagsabgeordneter schreibt er 1985 als erster grüner "Turnschuh-Minister" in Hessen Politikgeschichte. Politische Erfolge kann er in seiner ersten 14-monatigen Amtszeit und während der zweiten Auflage der rot-grünen Koalition in Hessen ab 1991 aber kaum vorweisen. Dafür führt er eine öffentlichkeitswirksame Dauerfehde mit Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) um das Brennelemente-Werk in Hanau und den Block A des Atomkraftwerkes Biblis. 1994 wechselt Fischer erneut in den Bundestag und steigt zum Spitzenkandidaten seiner Partei auf. Ohne ihn und seinen enormen Einsatz im Wahlkampf - so glauben Beobachter - wären die Grünen heute wahrscheinlich nicht mehr im Parlament. Fischer, das Ein-Mann Kraftwerk im anthrazitfarbenen Dreiteiler.
Machtmensch ohne Ideologie
Bei der Frage, für welche politischen Positionen Fischer steht, tun sich Beobachter schwer: "Er war Hausbesetzer ohne Interesse an Häusern, Grünenpolitiker ohne Interesse an den Grünen, Umweltminister ohne Interesse an der Umwelt", urteilte jüngst der "Tagesspiegel" (Artikel v. 09.06.02). Klar ist: Fischer ist ein Pragmatiker mit gutem Gespür für das Machbare und die Macht. Und dafür schlachtet er auch die "heiligen Kühe" seiner Partei.
So treibt Fischer schon im Wahljahr 1998 die Grünen zur Annäherung an die außenpolitischen Realitäten. Die im alten Wahlprogramm geforderte Abschaffung der NATO wird auf sein Drängen hin gestrichen. Auch der Verlängerung des SFOR-Mandats der Bundeswehr in Bosnien stimmen die Grünen zu.
Seit dem Massaker von Srebrenica im Kosovo fordert Fischer von seiner Partei eine Abkehr vom radikalen Pazifismus und treibt die Grünen damit immer wieder in schwere innerparteiliche Krisen. Die schlimmste davon im November 2001: Acht grüne Bundestagsabgeordnete wollen einer deutschen Beteiligung am Anti-Terror-Einsatz der USA gegen Afghanistan nicht zustimmen und gefährden damit die rot-grüne Mehrheit bei der Abstimmung im Bundestag. Erst nachdem Bundeskanzler Schröder die Vertrauensfrage stellt, stimmen vier der acht Wackelkandidaten zu. Auch Fischer droht seiner Partei unverhohlen mit Rücktritt von allen Parteiämtern, falls der Parteitag von Rostock im November 2001 nicht seinem außenpolitischen Kurs zustimmen sollte. Die Partei folgt ihm mal wieder zähneknirschend.
Als innerparteilicher Erfolg Fischers kann gewertet werden, dass der Berliner Programmparteitag der Grünen sich im März dieses Jahres endgültig von einem radikalen Pazifismus verabschiedet: Im neuen Grundsatzprogramm heißt es nun, "dass sich die Anwendung rechtsstaatlich und völkerrechtlich legitimierter militärischer Gewalt nicht ausschließen läßt".
International respektierter Diplomat
International gewinnt Fischer schnell Respekt als Staatsmann. Mit seinen Plädoyers für eine europäische Verfassung (1999) und seinem Werben, die EU zu einer "europäischen Föderation" weiter zu entwickeln, erwirbt er sich den Ruf eines Vordenkers in Europafragen.
Auch in seiner ersten großen außenpolitischen Krise bewährt sich Fischer nach Meinung der Beobachter. Nach dem Beginn der NATO-Luftoffensive auf Jugoslawien am 24. März 1999 mit deutscher Beteiligung sorgt er dafür, dass trotz der umstrittenen Bombardements weiter nach Verhandlungslösungen gesucht wird. Dabei legt Fischer viel Wert darauf, dass Russland - das die Bombenangriffe scharf kritisiert - in die Verhandlungen mit einbezogen wird. Im deutschen Außenministerium entsteht der Kosovo-Friedensplan und der so genannte Balkan-Stabilitätspakt, die beide von den G-8-Staaten verabschiedet werden.
Auch seine Pendeldiplomatie im Nahen Osten findet weltweit Anerkennung. Während sich die USA zurückhalten, verhandelt Fischer im Sommer 2001 als anerkannter Vermittler mit Israelis und Palästinensern.
Viele Feinde - wenig Freunde
Wer die Feinde des ersten grünen Außenministers in Deutschland zählen wollte, müsste sich viel Zeit nehmen. Zu seinen Gegnern zählt zweifellos der gesamte so genannte Fundi-Flügel der Partei, mit dem Fischer schon als Landespolitiker wenig zimperlich umging. So drängte er viele Gründungsmitglieder wie die Frankfurter Politikerin Jutta Ditfurth aus der Partei. Doch im Wahlkampf ist die Kritik dieses Flügels an seiner Person kaum noch wahrnehmbar. Denn ohne die Wahlkampfmaschine Fischer - das wissen auch seine Gegner - wären die Grünen 1998 wahrscheinlich gar nicht mehr in den Bundestag eingezogen.
Zu Fischers Freunden zählen hauptsächlich die Weggefährten aus unruhigen Zeiten in Frankfurt: Der ehemalige RAF-Verteidiger und heutige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) sowie der verstorbene Kabarettist Matthias Beltz. Für die Aufführung eines Beltz-Stückes in Frankfurt übernahm der vielbeschäftigte Diplomat sogar eine kleine Nebenrolle als WG-Bewohner.
Vom barocken Genießer zum schlanken Marathon-Mann
Fischer ist zum vierten Mal verheiratet und hat aus zweiter Ehe zwei Kinder. Über sein Privatleben gibt er keine Auskunft. Nur seine Leidenschaft für den Langstrecken-Lauf teilt er gerne mit: Zu seinen Lauftreffs lädt er immer Journalisten und Fotografen ein.
Einer der vielen Brüche in seinem Leben ereilte ihn vor gerade mal sechs Jahren: Seine dritte Frau verließ ihn. Fischer meisterte diese für ihn wohl schwerste persönliche Krise, indem er sich wieder einmal neu entwarf. Er nahm radikal 35 Kilo ab, wandelte sich vom barocken Genießer zum schlanken Asketen. Es dauerte weniger als ein Jahr.
Hagen Beinhauer, WDR
Keck, so wie die Nation ihn kennt, erklärte Guido Westerwelle auf dem Mannheimer FDP-Parteitag im Mai, er wolle mehr als nur Kanzlermacher werden, er wolle selbst ins Kanzleramt. Und so gehen die Liberalen erstmals mit einem eigenen Kanzlerkandidaten in einen Bundestagswahlkampf. Westerwelle - gerade mal 40 Jahre alt - ist dann auch gleich der bisher jüngste Kanzleraspirant in der Geschichte der Bundesrepublik. Erst vor einem Jahr war er auf dem Düsseldorfer Parteitag zum jüngsten Vorsitzenden einer Partei gewählt worden. Die Wahlerfolge der Liberalen danach in Hamburg, Berlin und zuletzt Sachsen-Anhalt, wo nur noch 4,7 Prozent die FDP vom selbstgewählten Traumziel 18 Prozent trennten, haben Westerwelle seine Mahnung auf dem Düsseldorfer Parteitag vergessen lassen. Dort hatte er noch erklärt, dass der Mut zum Wahlziel von 18 Prozent in Übermut umschlage, wenn noch eine eigene Kanzlerkandidatur drauf gesetzt werde.
Polit-Karriere im Schnelldurchlauf
Wieder einmal war es die Gunst der Stunde, die Westerwelle weitere Sprossen auf seiner politischen Karriereleiter nach oben brachte. Diese Gunst bestimmte den rasanten Aufstieg Westerwelles, der erst seit 1996 dem Bundestag angehört, und das als Nachrücker. Er war da, wenn die Partei in Not war und neue Hoffnungsträger brauchte. Als Vorsitzender der Jungliberalen half er der FDP, sich von den Jungdemokraten zu trennen, der ursprünglichen Jugendorganisation der FDP, die sich während der sozial-liberalen Koalition (1969-82) stark links orientierte. Westerwelle sprang 1994 - gerade mal 32 Jahre alt - als Generalsekretär ein, als die FDP ins Trudeln und ins politische Aus zu geraten drohte. In dieser Zeit begann er, die Partei programmatisch und strategisch neu auszurichten - weg von der Partei der Besserverdienenden und hin zu einer liberalen Volkspartei. Dazu gehörte es auch, dass er die Liberalen aus der Umklammerung der CDU löste und auf Distanz zur Union ging.
Ohne Ellbogenarbeit an die Parteispitze
Gegen manchen Widerstand schaffte Westerwelle einen ersten Durchbruch mit der Verabschiedung eines neuen Programms, den Wiesbadener Grundsätzen für die liberale Bürgergesellschaft im Jahre 1997. Gedrängt von starken Kräften in der FDP löste er Wolfgang Gerhardt auf dem Düsseldorfer Parteitag 2001 im Vorsitz der Partei ab. Zuvor hatte er den Wechsel in einem Vier-Augen-Gespräch mit Gerhardt geklärt. Westerwelle wollte keine Kampfabstimmung.
Denn auch wenn das Bild von ihm in der Öffentlichkeit ein anderes ist, er ist kein Polit-Yuppie, der sich mit kräftiger Ellenbogenarbeit den Weg zum Aufstieg frei kämpft. Er ist eher ein Zauderer, sucht Harmonie. So gab es für seinen Widersacher Möllemann auch nach der harten Auseinandersetzung um dessen antisemitische Äußerungen noch einen freundschaftlichen Stups, und das in aller Öffentlichkeit. Manche sehen darin ein Zeichen von Führungsschwäche.
Selbstbewusst - aber kein Führer
Stark geprägt wurde Westerwelle durch sein Elternhaus. Sein Vater zog die vier Kinder alleine auf. Trotz Wechsels vom Gymnasium auf die Realschule schaffte Westerwelle das Jura-Studium in Bonn, das er mit einer Promotion abschloss, um, wie sein Vater, Rechtsanwalt zu werden. Eloquenz und analytisches Denken sind die Grundlagen seines Erfolges. Und mit dem Erfolg wuchs sein Selbstbewusstsein, das er als Schutzschild nach außen gebraucht, um vielleicht auch zu verdecken, dass er zwar ein Mann des Wortes, ein talentierter Politverkäufer, aber weniger der Führer einer Partei ist.
Dennoch: Der Politaufsteiger der neunziger Jahre mit dem hohen Anspruch, die FDP auf gleiche Augenhöhe mit den beiden großen traditionellen Volksparteien zu bringen, hat die Liberalen mit Überzeugungskraft wieder auf Erfolgskurs gebracht.
Freunde und Feinde
Die kritischste Phase in seiner Politkarriere durchlebte Westerwelle im Wahljahr 1998, als er sich mit seinem Buch "Neuland" auf eigene Faust in den Chor derer einreihte, die das Ende der Ära Kohl forderten. Viele in der Partei sahen ihre Vorbehalte gegen ihn bestätigt. Der Parteivorstand hätte ihn damals am liebsten abgesetzt. Mangels personeller Alternative blieb er aber im Amt.
Die Zustimmung in der Partei ist inzwischen groß. Selbst die notorische Parteikritikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die Westerwelle vorhielt, die Partei in ihre schlimmste Existenzkrise zu führen, sagt heute mit vielen aus der Altherrenriege: Unglaublich, wie der sich gemacht hat.
Doch viele wirkliche Freunde, zumal in den Führungsgremien, hat Westerwelle bislang nicht gewinnen können. Einer, mit dem er sich versteht, wo Signale schon zur Verständigung ausreichen, ist Hermann Otto Solms. Westerwelles größter Widersacher ist Jürgen W. Möllemann, der Vorsitzende seines Landesverbandes, der keine Gelegenheit zu einem Machtkampf auslässt.
Das Privatleben ist tabu
So präsent Westerwelle auch im Fernsehen ist, Privates über ihn ist wenig bekannt. In diese Sphäre lässt er keinen eindringen. Er ist unverheiratet, liebt Italien und Pastagerichte, reitet gern und sammelt Kunst, bevorzugt Bilder vom Sohn des ehemaligen PDS-Chefs Lothar Bisky. Er bewohnt eine Drei-Zimmer-Wohnung in Berlin mit einem Balkon zum Hinterhof. Daheim fühlt er sich nach wie vor in Bonn.
Es ist nicht der Lebensstil eines Turbo-Kapitalisten, eines der zahlreichen Images, die Westerwelle anhaften und nur zu gern mit dem spitzen Stift von Karikaturisten aufgespießt werden, so wie auch das Image des Selbstüberschätzers, des Hoppla, jetzt komm ich.
Judith Nafziger, tagesschau.de
"Es geht auch anders", so lautet der Kurztitel des Wahlprogramms der PDS. Und anders als alle anderen Parteien zieht die PDS nicht mit einem einzigen Spitzenkandidaten in den Bundestagswahlkampf, sondern mit einem Team aus vier Kandidaten: Gabi Zimmer, Petra Pau, Dietmar Bartsch und Roland Claus. Mit dem Kandidaten-Quartett will die PDS bei der Bundestagswahl mindestens 25 Prozent der Stimmen in den neuen Ländern erreichen.
Die Integrationsfigur: Gabi Zimmer
Gabi Zimmer steht innerhalb der PDS für einen Reformkurs und den Dialog mit den innerparteilichen Flügeln. Nach anfänglicher Skepsis hat sie sich in ihrer Partei Ansehen verschafft. In der Wirkung nach außen hat sie es schwer: Sie gilt als spröde und unscheinbar.
Der Schattenmann: Roland Claus
Der eher verhaltene PDS-Fraktionsvorsitzende Roland Claus musste im Oktober 2000 ein schweres Erbe antreten. Ausgerechnet in die Fußstapfen des Kommunikationstalents Gregor Gysi musste er treten. Mittlerweile ist er dabei, sich aus dem Schatten zu befreien und gilt als einer der wichtigsten Reformer.
Die PDS-Botschafterin: Petra Pau
Im Wahlkampf bereist die stellvertretende Parteivorsitzende Petra Pau den Westen, um der PDS als Partei der Bürgerrechte ein Gesicht zu geben. In der eigenen Partei hat sie es schwer: immer wieder versuchte Pau nach ganz oben vorzustoßen, wurde aber kurz vor der Spitze immer gestoppt.
Der Macher: Dietmar Bartsch
Seit April 2002 steuert Dietmar Bartsch den PDS-Bundestagswahlkampf aus einem eigenen Wahlkampf-Hauptquartier in Berlin-Mitte. Sein Ziel: die PDS als stärkste Partei in den neuen Ländern zu etablieren. Sein Stil: pragmatisch und reformorientiert.
...und nun wählt mal schön.....
Gruß
Happy End
-> Wahl 2002 im Netz (Zusammenfassung)
Gerhard Schröder
Jens-Peter Marquardt, NDR
Als "Kanzler der Mitte" war Gerhard Schröder bei der Bundestagswahl 1998 angetreten, und er war erfolgreich: Nach 16 Jahren Helmut Kohl gelang es ihm, eine Wechselstimmung zu erzeugen, die Rot-Grün im Bundestag eine stabile Mehrheit bescherte. Jetzt versucht sein Herausforderer Edmund Stoiber, eben diese politische Mitte für sich zu reklamieren und die Union wieder in die Regierung zu bringen. Gerhard Schröder hat den Kampf angenommen, die alte Rauflust des Juso-Vorsitzenden ist wieder in ihm erwacht. Der Machtmensch Schröder hatte sich innerhalb und außerhalb seiner Partei gegen harte Widerstände durchsetzen müssen, ehe er ins Kanzleramt einziehen konnte. Vielleicht auch deshalb bemühte er sich, als Kanzler schwierige gesellschaftliche Fragen in etlichen Kommissionen zu entschärfen.
"Von ganz unten nach ganz oben"
Gerhard Schröders Gegner nennen ihn den "Kanzler der Beliebigkeit." Ideologien oder Prinzipien stehen ihm jedenfalls selten im Weg. Es ist der politische Instinkt, der ihn leitet. Und es ist seine Herkunft, die ihn bis heute prägt: Ohne Vater aufgewachsen, materielle Not am eigenen Leib erfahren, von dem unbändigen Willen getrieben, von ganz unten nach ganz oben zu kommen. Mit 14 musste er die Schule erst einmal verlassen, um Geld zu verdienen: Die Familie konnte sich Oberschule und Studium nicht leisten, beides holte er später nach. Schröder machte sein Abitur auf dem zweiten Bildungsweg und wurde Rechtsanwalt. Diese Biographie ist es, die Schröder auch in seinen politischen Reden immer wieder zitiert: "Bildungschancen dürfen nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen!" Kaum einer kann diesen Leitsatz sozialdemokratischer Bildungspolitik authentischer formulieren als Gerhard Schröder.
Macht statt Marx
Einer wie er kam nicht wie viele der 68er über die Theorie in die Politik. Auch als Juso-Vorsitzender interessierte er sich weniger für das marxistische Schriftgut als für die Macht. Angeblich wollte Schröder schon als Schüler Bundeskanzler werden. Verbürgt ist auf jeden Fall, dass er in Bonn als einfacher Abgeordneter nachts und leicht angeheitert am Zaun des Bonner Kanzleramts rüttelte und rief: "Ich will hier rein!"
Kämpfe in der SPD
Doch bis er da tatsächlich hineinkam, waren noch einige Umwege nötig: Das Hinterbänkler-Dasein im Bundestag erschien ihm als Sackgasse. Deswegen boxte er sich erst einmal in der niedersächsischen Landespolitik nach oben, behielt aber auch als Ministerpräsident das Kanzleramt im Visier und machte den SPD-Bundespolitikern das Leben schwer. Die Bundestagsfraktion titulierte er als "Kartell der Mittelmäßigkeit". Er mäkelte am SPD-Vorsitzenden Björn Engholm herum, unterlag dann aber in der Mitgliederentscheidung über den nächsten Parteivorsitzenden Rudolf Scharping. Doch Schröder ließ sich von solchen Niederlagen nicht beeindrucken und beteiligte sich an der Demontage Scharpings, die 1995 auf dem Mannheimer Parteitag mit der Wahl Oskar Lafontaines zum Parteichef endete.
Auch das kein Grund zur Resignation für Schröder: Er wollte Kanzler werden, nicht Parteichef. Deshalb brachte er sich nun gegen Lafontaine in Position, als Modernisierer, als Marktwirtschaftler, als Mann der Mitte. Damit eroberte er zwar nicht die Herzen der Parteimitglieder, aber die Sympathien der Meinungsführer in den Medien und schließlich die Stimmen der Wähler. Die "Kohl-muss-weg"-Stimmung und der Sex-Appeal des Machtmenschen trugen Schröder schließlich 1998 ins Kanzleramt.
Konsens-Politik und Rauflust
Im Kanzleramt hat Schröder einen eigenen Stil entwickelt. Er organisiert den gesellschaftlichen Konsens, in Kommissionen für die Zuwanderungspolitik, für die Gentechnologie, für die Reform der Arbeitsämter oder im Bündnis für Arbeit. Für schwierige Missionen wie zum Beispiel die Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter hat er bewusst Oppositionspolitiker ausgewählt, wie in diesem Fall den Liberalen Otto Graf Lambsdorff. Abgeordnete beklagen deshalb die Entmachtung des Parlaments. Schröder ficht das nicht an. Er will mit seiner Konsens-Politik über die eigene Mehrheit hinaus Zustimmung finden, um Reformen durchzusetzen, ohne dabei seine Macht aufs Spiel zu setzen. Doch das ist längst nicht überall gelungen. Das Bündnis für Arbeit hat trotz Schröders Moderation nicht den Schulterschluss zwischen Unternehmern und Gewerkschaften gebracht.
Ideen durch Dialog
"Ich kenne keinen anderen Politiker, der so gut zuhören kann." Das sagt der Unternehmensberater Roland Berger über Schröder. Viele deutsche Spitzenmanager erinnern sich mit Grausen an Helmut Kohl, der jeden Dialog zum Monolog machte. "Der Genosse der Bosse" dagegen braucht den Dialog und nutzt ihn. Schröder saugt dabei die Ideen wie ein Schwamm auf. An seinen Entscheidungen erkennt man häufig, mit wem er kurz zuvor gesprochen hat. So entstand zum Beispiel die Greencard-Idee: da hatte sich IBM-Manager Erwin Staudt beim Kanzler bitter über den Mangel an Computerspezialisten beklagt und schon kündete der Kanzler bei der Eröffnung der Cebit-Messe in Hannover die Einführung einer Greencard an, zur Überraschung seiner Fach-Minister. Plötzlich kam Schwung in die Debatte über ein modernes Ausländerrecht in Deutschland.
Staatsmann Schröder
In vier Jahren Amtszeit hat sich Schröder gewandelt, partiell jedenfalls. Der Instinkt-Politiker ist er geblieben, aber die Aggressivität ist gewichen. Er muss jetzt nichts mehr werden, er ist es bereits geworden. Der Spaß-Kanzler, der Brioni trägt, mit der Cohiba-Zigarre kokettiert und auch noch in "Wetten dass!" auftritt, ist längst Vergangenheit. Staatsmann Schröder, das ist seine neue Rolle. Die außenpolitischen Lektionen hat er gelernt, in einem Crash-Kurs wie keiner seiner Vorgänger. Denn er war kaum im Amt, da musste er als erster Bundeskanzler deutsche Soldaten in einen Krieg schicken, gegen die serbische Kosovo-Politik. Es folgten die Bundeswehr-Einsätze in Mazedonien und in Afghanistan, die dem wenig geliebten grünen Koalitionspartner eine Zerreißprobe bescherten. Doch der Kanzler setzte sich durch. Ausgerechnet Schröder, der früher den NATO-Doppelbeschluss und die Raketen-Nachrüstung Helmut Schmidts kritisiert hatte, sicherte den Amerikanern nach dem Terroranschlag vom 11. September 2001 die "uneingeschränkte Solidarität" Deutschlands zu.
Rauflust noch nicht verloren
Die frühere Unbeschwertheit ist weg. Die Verantwortung, die er jetzt trägt, hat sich tief eingegraben in Schröders Gesichtszüge. Dennoch: seine Spontaneität ist noch da. Von einem Journalisten gefragt, ob er zu einem Fernsehduell mit seinem Herausforderer Edmund Stoiber bereit sei, sagte Schröder sofort Ja. Seine Berater und Wahlkampfstrategen wurden blass vor Schreck und Überraschung. Denn zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik stellt sich ein Kanzler in zwei Fernseh-Duellen seinem Herausforderer – geplant war das nicht. Spontan war in Schröder, der früher als Mittelstürmer des TuS Talle mit dem Spitznamen "Acker" durch die Reihen der Verteidiger pflügte, die alte Rauflust erwacht.
"Friends of Gerd" statt Denkfabriken
Schröder arbeitet mit einem kleinen Team. Es sind vor allem die "Frogs", die "Friends of Gerd", die er schon in Hannover um sich versammelt hatte und die mit ihm nach Berlin gezogen sind. An der Spitze Frank-Walter Steinmeier, der Chef des Kanzleramts, ein Verwaltungsjurist, still, effizient, kein Mann, der in den Vordergrund drängt, die ideale Ergänzung zu Gerhard Schröder. Er koordiniert die Politik der Ministerien und Koalitionsfraktionen. Seit er die Fäden in der Hand hält, läuft die Regierungsarbeit weitgehend reibungslos. Das Chaos der Anfangszeit, als noch der große Stratege Bodo Hombach mitregierte, ist vorbei.
Die Macht des Sprechers und des Vorzimmers
Uwe-Karsten Heye ist in Berlin Schröders Regierungssprecher und war es auch schon in Hannover. Der ehemalige Redenschreiber Willy Brandts und Ex-Journalist ist immer mehr Berater als Sprecher gewesen. Er wird sich nach der Wahl wahrscheinlich aus dem Kanzler-Team zurückziehen. Zum engsten Kreis gehört Sigrid Krampitz, die Büroleiterin. Loyal und effizient hält sie ihrem Chef den Rücken frei – sie entscheidet, wer zu ihm kommt, sie wacht über seinen prall gefüllten Terminkalender. Neu im Team der Hannoveraner ist Marianne Duden: sie war schon Helmut Schmidts Kanzler-Sekretärin. Der Alt-Kanzler ist Schröders Vorbild, auch deshalb setzt er auf Marianne Dudens Erfahrungen im Kanzler-Vorzimmer.
Anregungen von Grass und Piech
Schröder unterhält im Gegensatz etwa zu Tony Blair keine Denkfabrik. Er hat keine "Spin Doctors", die ihm regelmäßig und zu allen Themen Strategien liefern. Er holt sich seine Anregungen dort, wo er sie kriegen kann, redet mal mit Günther Grass, oder trifft sich mit dem Maler Bruno Bruni. Sein Lieblings-Gewerkschafter ist IG BCE-Chef Hubertus Schmoldt, aber vor allem sind es erfolgreiche Unternehmer, die ihn faszinieren. Darunter natürlich Ferdinand Piech. Der VW-Boss Piech und der VW-Aufsichtsrat Schröder: ein kongeniales Duo, das den Konzern in neue Dimensionen führte. Wer von den beiden da heute wen mehr bewundert, ist kaum zu sagen.
Oskar Lafontaine ist schon Geschichte
Schröder hat auf seinem Weg nach oben vielen Gegnern und Konkurrenten Wunden geschlagen. Doch sie sind nicht zu Feinden geworden. Schröder hat es fast immer geschafft, sie wieder zu integrieren. Peter Struck etwa, den er als "mittelmäßig" abqualifiziert hatte, sorgte dafür, dass die Fraktion auf Kanzler-Kurs blieb. Als Verteidigungsminister löste Struck Rudolf Scharping ab, den Schröder einst als SPD-Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten demontiert hatte. Scharping hatte danach lange seinen Platz im Kabinett, bis er Schröder in ernste Schwierigkeiten zu bringen drohte. Nur Oskar Lafontaine war selbst viel zu ambitioniert, um sich in ein Schröder-Team integrieren zu lassen. Lafontaine arbeitet sich noch heute an Schröder ab, für den Kanzler aber ist Oskar längst Geschichte.
Hannover bleibt Familiendomizil
In Sachen Ehe und Familie könnten die Gegensätze zwischen Herausforderer Edmund Stoiber und Gerhard Schröder kaum gegensätzlicher sein: Stoiber rückt stets eine lange, glückliche Ehe in den Vordergrund und präsentiert sich gern als Familienmensch, Schröders Leben weist mehrere Brüche auf: Der Kanzler ist in vierter Ehe verheiratet mit der 19 Jahre jüngeren Journalistin Doris Schröder-Köpf, die ihre Tochter Klara mitbrachte. Gerhard Schröder nennt seine früheren Ehen nüchtern das "Scheitern von Lebensentwürfen" und bekannte einmal humorvoll: "Ich wechsle alle zwölf Jahre." Bei den Wählerinnen und Wählern erwuchsen ihm daraus schon bei der Bundestagswahl 1998 keine Nachteile: Trotz der von Medienrummel begleiteten Scheidung von seiner beliebten Frau Hiltrud bescheinigen ihm Meinungsforscher, besonders unter Frauen sehr populär zu sein.
Klappbett für Klara im Kanzleramt
Eigene Kinder hat Gerhard Schröder nicht, doch bemüht er sich, auf die Belange seiner gesamten Familie einzugehen: Für Hiltrud Schröders Tochter Franca wurde er zum Ersatz-Vater und traf sich mit ihr - in seiner Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident - manchmal beim Italiener in der Nähe der Staatskanzlei. Um die Belastungen für Doris Schröder-Köpf und Klara möglichst gering zu halten, entschied er sich bewusst für Hannover als Wohnsitz für die Familie. Als prominente Nachbarn sorgen die Schröders in ihrem Viertel immer wieder für Wirbel: So fürchtet ein Einzelhändler wegen vom Personenschutz blockierter Parkplätze um seine Kunden. Dennoch bleibt Hannover der Mittelpunkt der Familie - Berlin ist nur ein Provisorium. Kommt Tochter Klara zu Besuch ins Kanzleramt, muss ein Klappbett herhalten – die Wohnung dort ist nicht für einen Daueraufenthalt von Kindern eingerichtet.
Bratling statt Curry-Wurst
Dabei ist die Familie durchaus nicht ohne Einfluss auf den Machtmenschen Gerhard Schröder. Ziemlich abrupt geriet die Verwandlung des Curry-Wurst-Essers Schröder zum Freund der Ökobauern: Während der BSE-Krise propagierte der Kanzler plötzlich das Ende der Agrarfabriken in Deutschland. Dahinter steckte seine Frau Doris, die sich Sorgen um die Gesundheit ihrer Tochter machte.
Der Einfluss seiner vierten Frau Doris Schröder-Köpf ist ohnehin groß: als gelernte Journalistin weiß sie, was Schlagzeilen bringt, gute und schlechte. Ganz besonders geprägt hat Schröder auch seine Mutter Erika, die er liebevoll "Löwin" nennt. Als allein Erziehende in den fünfziger Jahren schlug sie sich als Putzfrau und Fabrikarbeiterin durch. Ein Versprechen, das er ihr gab, als der Gerichtsvollzieher vor ihrer Tür stand, konnte er später einlösen: "Eines Tages hole ich dich im Mercedes ab."
Edmund Stoiber
Fabian Mohr, BR
Ein Mann, der polarisiert: Edmund Stoiber, Ministerpräsident, CSU-Chef und seit Januar dieses Jahres Kanzlerkandidat der Union. Dass die Union – gut 20 Jahre nach der schweren Wahlniederlage von Franz Josef Strauß – mit Stoiber wieder einem CSU-Politiker den Vortritt lässt, ist für den machtbewussten Bayern-Regenten der vorläufige Höhepunkt seiner politischen Karriere. Ob Hoffnungsträger oder Reizfigur: Edmund Stoiber ist für Gerhard Schröder im Rennen um das Kanzleramt zu einem ebenbürtigen Gegner geworden.
Was früher undenkbar schien – ein Bayer als Bundeskanzler – sehen viele Wähler auch außerhalb der bayerischen Landesgrenzen inzwischen offenbar gelassener. Selbstverständlich ist dies nicht: Lange Jahre galt Stoiber als konservativer Hardliner, der seine politische Heimat am rechten Rand der CSU gefunden hatte. Ein Konservativer ist Stoiber geblieben, allerdings einer mit weicheren Zügen.
Stationen: Der Werdegang Edmund Stoibers
Wer nach Parallelen zwischen Edmund Stoiber und Gerhard Schröder sucht, muss genau hinsehen. Doch in einem Punkt ähneln sich beide Lebensläufe: Wie Schröder wächst auch Stoiber in einfachen Verhältnissen auf. 1941 in Oberaudorf im Kreis Rosenheim geboren, absolviert er Gymnasium und Wehrdienst, bevor er zum Studium der Rechtswissenschaften und Politologie nach München geht.
Nach dem ersten juristischen Staatsexamen 1967 wechselt Stoiber als wissenschaftlicher Mitarbeiter an die Universität Regensburg. Dort legt er 1971 das zweite Staatsexamen ab. Titel seiner Doktorarbeit: "Der Hausfriedensbruch im Licht aktueller Probleme". Im gleichen Jahr tritt er eine Stelle als Jurist im bayerischen Umweltministerium an. 1972 wird er Referent des damaligen Staatsministers Max Streibl.
1974 zieht Stoiber für die CSU in den bayerischen Landtag ein. Bereits seit Ende der 50er Jahre für die Junge Union politisch aktiv, stellt ihn die Partei als Kandidat für den Stimmkreis Bad Tölz – Wolfratshausen auf. Vier Jahre später gewinnt Stoiber seinen Wahlkreis erneut und kann – gegen den Landestrend – seinen Stimmenanteil ausbauen.
Strauß als wichtigster Förderer
Franz Josef Strauß, schon damals die politische Leitfigur Stoibers, macht den jungen Abgeordneten daraufhin zum CSU-Generalsekretär und fördert seine Karriere in den folgenden Jahren nach Kräften. Stoiber dankt es ihm mit Loyalität und Kärrnerarbeit – sein Arbeitspensum liegt bei bis zu 16 Stunden pro Tag, sein Hunger nach Akten ist bald sprichwörtlich. In der Partei gewinnt er zusehends an Einfluss.
Als Strauß 1980 für die Union gegen Helmut Schmidt in das Rennen um die Kanzlerkandidatur geht, operiert Stoiber als "rechte Hand" des CSU-Patriarchen. Zwei Jahre später besetzt er eine weitere Schaltstelle: Als Chef der Staatskanzlei greift Stoiber nun von München aus auch vermehrt in bundespolitische Auseinandersetzungen ein.
1988 stirbt Strauß – für Stoiber, der seinem politischen Mentor viel zu verdanken hat, eine schwere Zäsur. Der neue Ministerpräsident Streibl beruft ihn als Innenminister ins bayerische Landeskabinett, unter Parteichef Theo Waigel rückt er innerhalb der CSU als stellvertretender Vorsitzender zur Nummer zwei der Partei auf.
Kampf um Streibl-Nachfolge
Fünf Jahre lang bescheidet sich Stoiber mit der Rolle des Wasserträgers – bis zum unfreiwilligen Abgang Streibls 1993 im Zuge der so genannten Amigo-Affäre. Es folgt ein innerparteilicher Machtkampf um das Amt des Ministerpräsidenten – den Stoiber letztendlich gegen seinen Kontrahenten Waigel für sich entscheiden kann.
In der Folge bemüht Stoiber das Bild des Saubermanns; seine Amtsgeschäfte führt er mit straffer – manche sagen: unbarmherziger – Hand. Demonstrativ legt er als Reaktion auf den Amigo-Sumpf einen Maßnahmen-Katalog vor, mit dem Politiker-Privilegien beschnitten werden sollen.
Zwei ungefährdete Wahlerfolge – 1994 und 1998 fährt die CSU bei Landtagswahlen absolute Mehrheiten ein – festigen die Stellung Stoibers innerhalb der Partei zusätzlich. Ungelöst bleibt über Jahre hinweg jedoch die streckenweise von Dissonanzen geprägte Tandem-Lösung zwischen Stoiber als Ministerpräsident und Waigel als CSU-Chef. 1999 schließlich – monatelange Auseinandersetzungen hinter den Kulissen waren vorausgegangen – übernimmt Stoiber auch den Parteivorsitz.
Eklat um LWS-Affäre
In Turbulenzen gerät Stoiber im Sommer 1999 im Zuge der LWS-Affäre. Hintergrund: Die staatliche Landeswohnungs- und Städtebaugesellschaft macht Verluste in dreistelliger Millionenhöhe. Stoiber - der den Einstieg der LWS ins riskante Bauträgergeschäft in seiner Zeit als Innenminister aktiv voran getrieben hatte - bestreitet jede Verantwortung und entlässt seinen Justizminister Alfred Sauter. Es kommt zum Eklat: Sauter, der sich als Sündenbock sieht, weigert sich zunächst, seine Amtsgeschäfte niederzulegen; Mitte September tritt er zurück und wirft Stoiber mangelnden Anstand und zwischenmenschliche Defizite vor.
Auch die Reihe der Agrarskandale geht an Stoiber nicht spurlos vorüber: Im Zuge der BSE-Krise und des Schweinemast-Skandals wird Kritik an seinen Qualitäten als Krisenmanager laut.
Eine der wichtigsten Wegmarken in Stoibers politischer Vita ist schließlich die Entscheidung, für die Union als Kanzlerkandidat ins Rennen zu gehen. Stoiber, der über Jahre hinweg jegliche Ambitionen auf das Kanzleramt vehement abgestritten hatte, ließ sich von wachsendem Druck innerhalb der Union umstimmen – der Weg war endgültig frei für ihn, als CDU-Chefin Angela Merkel im Januar 2002 ihren Verzicht auf die Kandidatur bekannt gab. Wirklich überraschen kann Stoibers Entschluss, die Kanzlerschaft anzustreben, nicht. Wer den roten Faden in seinem bisherigen Werdegang sucht, stößt immer wieder auf politische Schlüsselpositionen: Stoiber will sie erobern - ob in Bayern oder Berlin.
Positionen: Wofür Stoiber steht
"Jeder Mensch verändert sich": Auch Edmund Stoiber selbst räumt ein, dass sich einige seiner Positionen im Lauf der Jahre wandelten; viele haben sich auch abgemildert. Nach wie vor steht Stoiber unter den Spitzenpolitikern der Union neben Roland Koch noch am ehesten für den dezidiert konservativen Flügel der Union – doch das Bild des "Wadlbeißers" am äußeren rechten Rand der CSU ist Geschichte.
Der Kanzlerkandidat der Union bemüht sich um moderate Ausstrahlung. Schon als Ministerpräsident erkannte Stoiber, dass mit kompromisslosen und bisweilen reaktionären Positionen - für Schlagzeilen sorgte etwa sein Schlagwort von der "durchrassten Gesellschaft" - allein kein Staat zu machen ist. Gefragt, was für ihn "konservativ" bedeutet, sagt Stoiber: "Die Wirklichkeit als Wirklichkeit anerkennen." Wegen dieser Grundhaltung, die Menschen zu nehmen wie sie sind – und danach auch eigene Positionen auszurichten, haben seine Kritiker ihm wiederholt Populismus vorgeworfen.
Wirtschaftspolitik als zentrales Wahlkampfthema
Im Bundestagswahlkampf hofft Stoiber besonders, durch seine wirtschaftspolitischen Positionen zu punkten – er selbst kann sich auf vergleichsweise gute Wirtschaftsdaten in Bayern stützen, während Bundeskanzler Schröder mit einer durchwachsenen Bilanz – kein Durchbruch am Arbeitsmarkt und konjunkturelles Schlechtwetter - kämpft.
Kennzeichnend für Stoibers Wirtschaftspolitik ist eine Mischung aus Modernisierungs-Anstrengungen und sozialer Flankierung. Vor die Wahl gestellt, alte industrielle Kerne über Wasser zu halten oder "Zukunfts-Branchen" zu fördern, ist die Entscheidung für Stoiber klar: Milliardenschwere Privatisierungserlöse fließen in die Ansiedlung von Hochtechnologie-Firmen, die Stoiber als Motor für mehr und höher qualifizierte Beschäftigung sieht.
Stoiber setzt auf Flexibilisierung
Eine weitere zentrale Position Stoibers ist die Senkung von Einkommensteuer und Sozialabgaben – ebenso der Abbau der Staatsquote unter die 40-Prozent-Marke. Um den Arbeitsmarkt in Schwung zu bringen, setzt der Kanzlerkandidat der Union auf Flexibilisierung: Wo Rot-Grün bei Scheinselbständigkeit und Betriebsverfassung neue Gesetze auf den Weg gebracht hat, will Stoiber umsteuern. Zugleich versucht er aber, Befürchtungen entgegenzutreten, seine Politik lasse die "kleinen Leute" zurück. Mit Gewerkschaften und Arbeitgebern initiiert er ein bayerisches "Bündnis für Arbeit"; Forderungen, auch Kleinverdiener müssten den Gürtel enger schnallen, weist er zurück, Kürzungen bei der Lohnfortzahlung hält er für einen psychologischen Fehlgriff.
"Law and Order" - und Nein zu mehr Zuwanderung
Dezidiert konservativ sind Stoibers Positionen im Bereich Innere Sicherheit und Zuwanderung. Mehr Geld für die Polizei, mögliche Einsätze der Bundeswehr auch im Inneren, repressive Drogenpolitik: Der Kanzlerkandidat der Union gibt sich als Mann von "Law and Order". Das Thema Sicherheit sieht Stoiber dabei in engem Zusammenhang mit der Ausländerpolitik. Ausländische Extremisten, die straffällig werden, will Stoiber abschieben lassen. Rigide auch seine Position zur Zuwanderung: Begrenzung ist das Stichwort bei Stoiber – statt weiter auf den Zuzug von Ausländern zu setzen, propagiert er verstärkte Integrationsbemühungen. Die Anwerbung ausländischer Fachkräfte sieht Stoiber skeptisch: Solange in Deutschland Massenarbeitslosigkeit herrscht, will er Projekte wie die "Green Card" auf wenige, eng umgrenzte Wirtschaftsbereiche begrenzt sehen.
Traditionelle Werte
In der Familienpolitik steht der Unions-Kanzlerkandidat für traditionelle Werte – die Familie, so betont Stoiber immer wieder, stehe unter dem Schutz des Grundgesetzes. Das bedeutet für ihn konkret: Ein klares Nein zu Abtreibung und Homosexuellen-Ehe. Es ist wohl dem Kampf um die politische Mitte geschuldet, wenn Stoiber neuerdings nach außen mehr familienpolitische Gelassenheit demonstriert. Ob jemand in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebe oder ohne Trauschein – das sei "alles reine Privatsache". Aber auch Stoibers Familie spielt eine Rolle: Tochter Constanze, inzwischen zweifache Mutter, kann ihrem prominenten Vater aus erster Hand über die Schwierigkeiten junger Frauen berichten, Kinder und Beruf unter einen Hut zu bringen.
Kritik an "Parlamentsvorbehalt"
In der Außen– und Sicherheitspolitik steht Stoiber grundsätzlich hinter Einsätzen der Bundeswehr im Ausland – fordert aber mehr Mittel für die Truppe. Dass jedes Mal der Bundestag eingeschaltet werden muss, bevor deutsche Soldaten außer Landes eingesetzt werden können, ist ihm ein Dorn im Auge. Stoiber fordert deshalb, den so genannten "Parlamentsvorbehalt" zu überprüfen. Fixpunkte sind für Stoiber die enge Bindung Deutschlands an die USA wie an die NATO. Reservierter steht er der Europäischen Union und besonders deren Bestrebungen gegenüber, in die Mitgliedsländer hineinzuregieren. Stoiber macht sich für ein "Europa der Regionen" stark – ein Europa, in dem föderale Vielfalt gepflegt wird und Länder wie Bayern in elementaren Politikfeldern Mitspracherechte behalten.
Der Euro: Keine Liebe auf den ersten Blick
Die augenfälligste Kehrtwende hat der bayerische Ministerpräsident beim Thema Euro vollzogen. Zwar ist Stoiber nach wie vor kein glühender Anhänger der neuen Gemeinschaftswährung – doch ein "fanatischer Euro-Gegner", wie ihn Beobachter noch in den 90er Jahren zur Amtszeit seines Parteifreunds Theo Waigel als Bundesfinanzminister sahen, ist er längst nicht mehr. Es sei ihm damals vor allem darum gegangen, die Einhaltung der Stabilitätskriterien durchzusetzen, sagt Stoiber heute. Viele Punkte, in denen er die EU kritisiert habe, seien inzwischen "Mehrheitsmeinung in Europa", ist sich der Unions-Kandidat sicher.
Klar gegen Rot-Grün positioniert sich Stoiber im Bereich Energiepolitik. Als strikter Befürworter und Förderer der Atomenergie ist er sich über die Jahrzehnte treu geblieben. Nur Atomstrom kann nach seiner Einschätzung die Einhaltung der Klimaschutz-Ziele sowie eine sichere und preiswerte Energieversorgung gewährleisten. Die Konsequenz: Bei einem Wahlsieg will Stoiber den Atomausstieg rückgängig machen.
Stoibers Berater, Freunde und Gegner
Übermäßige Herzlichkeit wird Edmund Stoiber im Umgang mit politischen Mitstreitern nicht nachgesagt. Mehrere von ihnen können ein Lied davon singen: Theo Waigel, Alfred Sauter, Barbara Stamm. Gerade der ehemalige Bundesfinanzminister hat nicht vergessen, wie Stoiber über Jahre hinweg aus München Querschüsse abfeuerte und in der CSU gegen Waigel opponierte - heute zwingt er sich zu einem Schmunzeln, wenn ihn Stoiber vor großem Publikum lobt: "Ich habe während meiner aktiven Zeit so viel Dankbarkeit erfahren, dass es gar nicht mehr notwendig gewesen wäre."
Zerrüttetes Verhältnis
Für bundesweites Aufsehen sorgte der Konflikt zwischen Stoiber und seinem damaligen Justizminister Sauter wegen der LWS-Affäre. Sauter, 1999 zum Rücktritt gezwungen, richtete schwere Vorwürfe an die Adresse des Ministerpräsidenten. Zwar unternahm Stoiber inzwischen einen Anlauf, das zerrüttete Verhältnis zu kitten – doch Sauter reagiert zurückhaltend.
Noch kühler ist das Verhältnis zwischen Barbara Stamm und Edmund Stoiber. Die ehemalige bayerische Sozialministerin, im Januar 2001 wegen BSE- und Schweinemastskandal vom Ministerpräsidenten fallengelassen, hatte jede politische Verantwortung für die Skandale zurückgewiesen.
Stoiber und Merkel haben sich arrangiert
In der Unionsspitze haben Stoiber und die Vorsitzende der großen Schwesterpartei CDU, Angela Merkel, inzwischen zu einem entspannteren – sie selbst sagen: zu einem guten - Verhältnis gefunden. Stoiber wörtlich: "Wir haben einen Draht zueinander, politisch und menschlich." Die frühere Distanz war durch das monatelange Tauziehen um die Kanzlerkandidatur noch verstärkt worden. Mittlerweile haben sich beide mit ihren Rollen arrangiert – Stoiber als Frontmann gegen Schröder, in seinem Windschatten Merkel als inzwischen wieder unumstrittene Parteivorsitzende der Christdemokraten.
Spannungsfeld Fraktion - Staatskanzlei
Mit dem Chef der CSU-Fraktion im bayerischen Landtag, Alois Glück, verbindet Stoiber geschäftsmäßig-nüchterne Kooperation. Glück, der ihr Verhältnis einmal zurückhaltend als eine "sehr tragfähige Form der Zusammenarbeit" beschrieben hat, musste mehr als einmal zusehen, wie Stoiber ihm bei der Besetzung von Schlüsselpositionen zuvor kam – zuerst beim stellvertretenden CSU-Vorsitz, später als es um das Amt des Ministerpräsidenten ging. Auch Stoibers selbstbewusster Umgang mit der Landtagsfraktion sorgte öfter für Ärger: Glück pocht darauf, dass die Fraktion nicht nur abnickt, was in der Staatskanzlei konzipiert wurde.
Beckstein und Huber gehören zum engsten Zirkel
Als enge Vertraute und politische Stützen Stoibers gelten Innenminister Günther Beckstein und der Chef der Staatskanzlei, Erwin Huber. Stoiber plant auch in Zukunft mit ihnen: Gelingt der Union der Wahlsieg am 22. September, soll Beckstein angeblich als Bundesinnenminister nach Berlin mitziehen. Huber gilt als aussichtsreichster Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten, auch wenn Glück offenbar ebenfalls noch im Rennen ist.
Im so genannten "Kompetenzteam" hat Stoiber prominente Köpfe der Union um sich versammelt, die seinen Wahlkampf unterstützen, darunter Wolfgang Schäuble, Lothar Späth und Annette Schavan.
Ein Journalist als Ratgeber
Besonders hört er aber auf einen Mann, der die Präsenz des Unionskandidaten in TV, Radio und Zeitungen optimieren soll: Michael Spreng, seit Januar Stoibers Medien-Berater. Spreng ist bei allen Sitzungen der Unions-Wahlkampfspitze anwesend, steht in ständigem Kontakt zu Stoiber.
In München verlässt sich Stoiber darüber hinaus auf langjährige, enge Mitarbeiter aus Staatskanzlei und CSU-Zentrale, die ihm zuarbeiten und beratend zur Seite stehen: Michael Höhenberger, Walter Schön, Ulrich Wilhelm und Friedrich Wilhelm Rothenpieler.
Edmund Stoiber privat
Die große Stütze im Leben des Edmund Stoiber ist seine Ehefrau Karin, mit der er seit 1968 verheiratet ist. Das Ehepaar Stoiber hat drei Kinder: Tochter Constanze (geb. 1971, inzwischen selbst zweifache Mutter), Tochter Veronica (geb. 1977) und Sohn Dominic (geb. 1980).
Seit zwanzig Jahren wohnt die Familie im oberbayerischen Wolfratshausen – dort sucht Stoiber auch Ruhe und Ausgleich in den wenigen privaten Stunden, die ihm seine Funktionen als Parteichef, Ministerpräsident und Kanzlerkandidat noch lassen. Mit seinen Enkeln Benedict und Johannes verbringt Stoiber so viel Zeit wie möglich.
Dass die Familie seine größte Kraftquelle ist, daran lässt er keine Zweifel: " Ich beziehe sicher meine psychische Kraft, um mein Amt zu bewältigen, aus der emotionalen Bindung zu meiner Familie, meiner Frau, aber auch den Kindern."
Das große Steckenpferd Stoibers ist der Sport – beim Skifahren und Wandern hält er sich fit, und bei Spielen des FC Bayern München sitzt er – wenn es sein Terminplan erlaubt – auf der Tribüne.
Josef Martin Fischer
Frank Wahlig, Martin Heuser, SWR
"Ein Grüner hebt ab", so lauteten die Kommentare über "Joschka" Fischer nach der Bildung der rot-grünen Bundesregierung 1998 auch aus der eigenen Partei. In seiner Fraktion schaute der frisch gekürte Außenminister damals eher selten vorbei. In Berlin kursierte das Bonmot: Wenn Hollywood einen Außenministerdarsteller suche, Josef Fischer stünde ganz oben auf der Besetzungsliste. Fischer ist wie viele Spitzenpolitiker ein genialer Selbstdarsteller. Zudem verkörpert er ein Stück deutscher Nachkriegsgeschichte. Vom Schulabbrecher wandelte er sich zum Straßenkämpfer zum Bundestagsabgeordneten und schließlich zum Außenminister und Vizekanzler.
Karriere mit vielen Brüchen
Geboren im April 1948 in Gerabronn (Baden-Württemberg), wird Joschka Fischer von derselben Hebamme auf die Welt gebracht wie Parteifreund Rezzo Schlauch. Er bricht nach der 10. Klasse das Gymnasium ab, macht auch die Fotografenlehre nicht zu Ende. Seine erste Frau heiratet er als Jugendlicher im schottischen Heiratsparadies Gretna Green. In Frankfurt zählt Fischer zur so genannten "Sponti-Szene", hört Vorlesungen von Adorno und Habermas, nimmt an Häuserbesetzungen und Straßenkämpfen teil. Er will als Arbeiter bei Opel Rüsselsheim für die Revolution werben. Die fristlose Entlassung kommt schnell.
Er schlägt sich als Taxifahrer und Buchhändler durch und schlägt auch zu: Ende 2001 taucht ein Foto auf, das den jungen Fischer schwarz vermummt zeigt, wie er auf einen am Boden liegenden Polizisten eintritt. "Ich war nie ein Pazifist", wird Fischer später sagen. Die Attentate der Terroristen der Roten-Armee-Fraktion im Jahre 1977 führten bei ihm zum Umdenken. Er gibt den revolutionären Kampf auf und spricht in der Rückschau von einem "Illusionsverlust".
Gemeinsam mit seinen Freunden aus Straßenkampfzeiten, Daniel Cohn-Bendit und Tom Koenigs, übernimmt Fischer quasi im Handstreich die Frankfurter Grünen und startet damit eine beispiellose Karriere. Nach zwei Jahren als Bundestagsabgeordneter schreibt er 1985 als erster grüner "Turnschuh-Minister" in Hessen Politikgeschichte. Politische Erfolge kann er in seiner ersten 14-monatigen Amtszeit und während der zweiten Auflage der rot-grünen Koalition in Hessen ab 1991 aber kaum vorweisen. Dafür führt er eine öffentlichkeitswirksame Dauerfehde mit Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) um das Brennelemente-Werk in Hanau und den Block A des Atomkraftwerkes Biblis. 1994 wechselt Fischer erneut in den Bundestag und steigt zum Spitzenkandidaten seiner Partei auf. Ohne ihn und seinen enormen Einsatz im Wahlkampf - so glauben Beobachter - wären die Grünen heute wahrscheinlich nicht mehr im Parlament. Fischer, das Ein-Mann Kraftwerk im anthrazitfarbenen Dreiteiler.
Machtmensch ohne Ideologie
Bei der Frage, für welche politischen Positionen Fischer steht, tun sich Beobachter schwer: "Er war Hausbesetzer ohne Interesse an Häusern, Grünenpolitiker ohne Interesse an den Grünen, Umweltminister ohne Interesse an der Umwelt", urteilte jüngst der "Tagesspiegel" (Artikel v. 09.06.02). Klar ist: Fischer ist ein Pragmatiker mit gutem Gespür für das Machbare und die Macht. Und dafür schlachtet er auch die "heiligen Kühe" seiner Partei.
So treibt Fischer schon im Wahljahr 1998 die Grünen zur Annäherung an die außenpolitischen Realitäten. Die im alten Wahlprogramm geforderte Abschaffung der NATO wird auf sein Drängen hin gestrichen. Auch der Verlängerung des SFOR-Mandats der Bundeswehr in Bosnien stimmen die Grünen zu.
Seit dem Massaker von Srebrenica im Kosovo fordert Fischer von seiner Partei eine Abkehr vom radikalen Pazifismus und treibt die Grünen damit immer wieder in schwere innerparteiliche Krisen. Die schlimmste davon im November 2001: Acht grüne Bundestagsabgeordnete wollen einer deutschen Beteiligung am Anti-Terror-Einsatz der USA gegen Afghanistan nicht zustimmen und gefährden damit die rot-grüne Mehrheit bei der Abstimmung im Bundestag. Erst nachdem Bundeskanzler Schröder die Vertrauensfrage stellt, stimmen vier der acht Wackelkandidaten zu. Auch Fischer droht seiner Partei unverhohlen mit Rücktritt von allen Parteiämtern, falls der Parteitag von Rostock im November 2001 nicht seinem außenpolitischen Kurs zustimmen sollte. Die Partei folgt ihm mal wieder zähneknirschend.
Als innerparteilicher Erfolg Fischers kann gewertet werden, dass der Berliner Programmparteitag der Grünen sich im März dieses Jahres endgültig von einem radikalen Pazifismus verabschiedet: Im neuen Grundsatzprogramm heißt es nun, "dass sich die Anwendung rechtsstaatlich und völkerrechtlich legitimierter militärischer Gewalt nicht ausschließen läßt".
International respektierter Diplomat
International gewinnt Fischer schnell Respekt als Staatsmann. Mit seinen Plädoyers für eine europäische Verfassung (1999) und seinem Werben, die EU zu einer "europäischen Föderation" weiter zu entwickeln, erwirbt er sich den Ruf eines Vordenkers in Europafragen.
Auch in seiner ersten großen außenpolitischen Krise bewährt sich Fischer nach Meinung der Beobachter. Nach dem Beginn der NATO-Luftoffensive auf Jugoslawien am 24. März 1999 mit deutscher Beteiligung sorgt er dafür, dass trotz der umstrittenen Bombardements weiter nach Verhandlungslösungen gesucht wird. Dabei legt Fischer viel Wert darauf, dass Russland - das die Bombenangriffe scharf kritisiert - in die Verhandlungen mit einbezogen wird. Im deutschen Außenministerium entsteht der Kosovo-Friedensplan und der so genannte Balkan-Stabilitätspakt, die beide von den G-8-Staaten verabschiedet werden.
Auch seine Pendeldiplomatie im Nahen Osten findet weltweit Anerkennung. Während sich die USA zurückhalten, verhandelt Fischer im Sommer 2001 als anerkannter Vermittler mit Israelis und Palästinensern.
Viele Feinde - wenig Freunde
Wer die Feinde des ersten grünen Außenministers in Deutschland zählen wollte, müsste sich viel Zeit nehmen. Zu seinen Gegnern zählt zweifellos der gesamte so genannte Fundi-Flügel der Partei, mit dem Fischer schon als Landespolitiker wenig zimperlich umging. So drängte er viele Gründungsmitglieder wie die Frankfurter Politikerin Jutta Ditfurth aus der Partei. Doch im Wahlkampf ist die Kritik dieses Flügels an seiner Person kaum noch wahrnehmbar. Denn ohne die Wahlkampfmaschine Fischer - das wissen auch seine Gegner - wären die Grünen 1998 wahrscheinlich gar nicht mehr in den Bundestag eingezogen.
Zu Fischers Freunden zählen hauptsächlich die Weggefährten aus unruhigen Zeiten in Frankfurt: Der ehemalige RAF-Verteidiger und heutige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) sowie der verstorbene Kabarettist Matthias Beltz. Für die Aufführung eines Beltz-Stückes in Frankfurt übernahm der vielbeschäftigte Diplomat sogar eine kleine Nebenrolle als WG-Bewohner.
Vom barocken Genießer zum schlanken Marathon-Mann
Fischer ist zum vierten Mal verheiratet und hat aus zweiter Ehe zwei Kinder. Über sein Privatleben gibt er keine Auskunft. Nur seine Leidenschaft für den Langstrecken-Lauf teilt er gerne mit: Zu seinen Lauftreffs lädt er immer Journalisten und Fotografen ein.
Einer der vielen Brüche in seinem Leben ereilte ihn vor gerade mal sechs Jahren: Seine dritte Frau verließ ihn. Fischer meisterte diese für ihn wohl schwerste persönliche Krise, indem er sich wieder einmal neu entwarf. Er nahm radikal 35 Kilo ab, wandelte sich vom barocken Genießer zum schlanken Asketen. Es dauerte weniger als ein Jahr.
Guido Westerwelle
Hagen Beinhauer, WDR
Keck, so wie die Nation ihn kennt, erklärte Guido Westerwelle auf dem Mannheimer FDP-Parteitag im Mai, er wolle mehr als nur Kanzlermacher werden, er wolle selbst ins Kanzleramt. Und so gehen die Liberalen erstmals mit einem eigenen Kanzlerkandidaten in einen Bundestagswahlkampf. Westerwelle - gerade mal 40 Jahre alt - ist dann auch gleich der bisher jüngste Kanzleraspirant in der Geschichte der Bundesrepublik. Erst vor einem Jahr war er auf dem Düsseldorfer Parteitag zum jüngsten Vorsitzenden einer Partei gewählt worden. Die Wahlerfolge der Liberalen danach in Hamburg, Berlin und zuletzt Sachsen-Anhalt, wo nur noch 4,7 Prozent die FDP vom selbstgewählten Traumziel 18 Prozent trennten, haben Westerwelle seine Mahnung auf dem Düsseldorfer Parteitag vergessen lassen. Dort hatte er noch erklärt, dass der Mut zum Wahlziel von 18 Prozent in Übermut umschlage, wenn noch eine eigene Kanzlerkandidatur drauf gesetzt werde.
Polit-Karriere im Schnelldurchlauf
Wieder einmal war es die Gunst der Stunde, die Westerwelle weitere Sprossen auf seiner politischen Karriereleiter nach oben brachte. Diese Gunst bestimmte den rasanten Aufstieg Westerwelles, der erst seit 1996 dem Bundestag angehört, und das als Nachrücker. Er war da, wenn die Partei in Not war und neue Hoffnungsträger brauchte. Als Vorsitzender der Jungliberalen half er der FDP, sich von den Jungdemokraten zu trennen, der ursprünglichen Jugendorganisation der FDP, die sich während der sozial-liberalen Koalition (1969-82) stark links orientierte. Westerwelle sprang 1994 - gerade mal 32 Jahre alt - als Generalsekretär ein, als die FDP ins Trudeln und ins politische Aus zu geraten drohte. In dieser Zeit begann er, die Partei programmatisch und strategisch neu auszurichten - weg von der Partei der Besserverdienenden und hin zu einer liberalen Volkspartei. Dazu gehörte es auch, dass er die Liberalen aus der Umklammerung der CDU löste und auf Distanz zur Union ging.
Ohne Ellbogenarbeit an die Parteispitze
Gegen manchen Widerstand schaffte Westerwelle einen ersten Durchbruch mit der Verabschiedung eines neuen Programms, den Wiesbadener Grundsätzen für die liberale Bürgergesellschaft im Jahre 1997. Gedrängt von starken Kräften in der FDP löste er Wolfgang Gerhardt auf dem Düsseldorfer Parteitag 2001 im Vorsitz der Partei ab. Zuvor hatte er den Wechsel in einem Vier-Augen-Gespräch mit Gerhardt geklärt. Westerwelle wollte keine Kampfabstimmung.
Denn auch wenn das Bild von ihm in der Öffentlichkeit ein anderes ist, er ist kein Polit-Yuppie, der sich mit kräftiger Ellenbogenarbeit den Weg zum Aufstieg frei kämpft. Er ist eher ein Zauderer, sucht Harmonie. So gab es für seinen Widersacher Möllemann auch nach der harten Auseinandersetzung um dessen antisemitische Äußerungen noch einen freundschaftlichen Stups, und das in aller Öffentlichkeit. Manche sehen darin ein Zeichen von Führungsschwäche.
Selbstbewusst - aber kein Führer
Stark geprägt wurde Westerwelle durch sein Elternhaus. Sein Vater zog die vier Kinder alleine auf. Trotz Wechsels vom Gymnasium auf die Realschule schaffte Westerwelle das Jura-Studium in Bonn, das er mit einer Promotion abschloss, um, wie sein Vater, Rechtsanwalt zu werden. Eloquenz und analytisches Denken sind die Grundlagen seines Erfolges. Und mit dem Erfolg wuchs sein Selbstbewusstsein, das er als Schutzschild nach außen gebraucht, um vielleicht auch zu verdecken, dass er zwar ein Mann des Wortes, ein talentierter Politverkäufer, aber weniger der Führer einer Partei ist.
Dennoch: Der Politaufsteiger der neunziger Jahre mit dem hohen Anspruch, die FDP auf gleiche Augenhöhe mit den beiden großen traditionellen Volksparteien zu bringen, hat die Liberalen mit Überzeugungskraft wieder auf Erfolgskurs gebracht.
Freunde und Feinde
Die kritischste Phase in seiner Politkarriere durchlebte Westerwelle im Wahljahr 1998, als er sich mit seinem Buch "Neuland" auf eigene Faust in den Chor derer einreihte, die das Ende der Ära Kohl forderten. Viele in der Partei sahen ihre Vorbehalte gegen ihn bestätigt. Der Parteivorstand hätte ihn damals am liebsten abgesetzt. Mangels personeller Alternative blieb er aber im Amt.
Die Zustimmung in der Partei ist inzwischen groß. Selbst die notorische Parteikritikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die Westerwelle vorhielt, die Partei in ihre schlimmste Existenzkrise zu führen, sagt heute mit vielen aus der Altherrenriege: Unglaublich, wie der sich gemacht hat.
Doch viele wirkliche Freunde, zumal in den Führungsgremien, hat Westerwelle bislang nicht gewinnen können. Einer, mit dem er sich versteht, wo Signale schon zur Verständigung ausreichen, ist Hermann Otto Solms. Westerwelles größter Widersacher ist Jürgen W. Möllemann, der Vorsitzende seines Landesverbandes, der keine Gelegenheit zu einem Machtkampf auslässt.
Das Privatleben ist tabu
So präsent Westerwelle auch im Fernsehen ist, Privates über ihn ist wenig bekannt. In diese Sphäre lässt er keinen eindringen. Er ist unverheiratet, liebt Italien und Pastagerichte, reitet gern und sammelt Kunst, bevorzugt Bilder vom Sohn des ehemaligen PDS-Chefs Lothar Bisky. Er bewohnt eine Drei-Zimmer-Wohnung in Berlin mit einem Balkon zum Hinterhof. Daheim fühlt er sich nach wie vor in Bonn.
Es ist nicht der Lebensstil eines Turbo-Kapitalisten, eines der zahlreichen Images, die Westerwelle anhaften und nur zu gern mit dem spitzen Stift von Karikaturisten aufgespießt werden, so wie auch das Image des Selbstüberschätzers, des Hoppla, jetzt komm ich.
Vier Spitzenkandidaten für die PDS
Judith Nafziger, tagesschau.de
"Es geht auch anders", so lautet der Kurztitel des Wahlprogramms der PDS. Und anders als alle anderen Parteien zieht die PDS nicht mit einem einzigen Spitzenkandidaten in den Bundestagswahlkampf, sondern mit einem Team aus vier Kandidaten: Gabi Zimmer, Petra Pau, Dietmar Bartsch und Roland Claus. Mit dem Kandidaten-Quartett will die PDS bei der Bundestagswahl mindestens 25 Prozent der Stimmen in den neuen Ländern erreichen.
Die Integrationsfigur: Gabi Zimmer
Gabi Zimmer steht innerhalb der PDS für einen Reformkurs und den Dialog mit den innerparteilichen Flügeln. Nach anfänglicher Skepsis hat sie sich in ihrer Partei Ansehen verschafft. In der Wirkung nach außen hat sie es schwer: Sie gilt als spröde und unscheinbar.
Der Schattenmann: Roland Claus
Der eher verhaltene PDS-Fraktionsvorsitzende Roland Claus musste im Oktober 2000 ein schweres Erbe antreten. Ausgerechnet in die Fußstapfen des Kommunikationstalents Gregor Gysi musste er treten. Mittlerweile ist er dabei, sich aus dem Schatten zu befreien und gilt als einer der wichtigsten Reformer.
Die PDS-Botschafterin: Petra Pau
Im Wahlkampf bereist die stellvertretende Parteivorsitzende Petra Pau den Westen, um der PDS als Partei der Bürgerrechte ein Gesicht zu geben. In der eigenen Partei hat sie es schwer: immer wieder versuchte Pau nach ganz oben vorzustoßen, wurde aber kurz vor der Spitze immer gestoppt.
Der Macher: Dietmar Bartsch
Seit April 2002 steuert Dietmar Bartsch den PDS-Bundestagswahlkampf aus einem eigenen Wahlkampf-Hauptquartier in Berlin-Mitte. Sein Ziel: die PDS als stärkste Partei in den neuen Ländern zu etablieren. Sein Stil: pragmatisch und reformorientiert.
...und nun wählt mal schön.....
Gruß
Happy End
-> Wahl 2002 im Netz (Zusammenfassung)