Kinoweltuntergang
Von Thomas Clark und Anton Notz, Hamburg
Der hoch verschuldete Münchner Medienkonzern sucht nach einer letzten Rettung. Aber die Banken sind nicht bereit, auf dreistellige Millionenforderungen zu verzichten. Der Konkurs rückt immer näher.
Der kleine Mann mit dem strengen Gesichtsausdruck ließ sich nichts anmerken. Insgeheim freute er sich diebisch. Soeben hatte er ein riesiges Filmpaket mit 245 Hollywood-Streifen und 600 Serienstunden Fernsehware verkauft. Zu einem Preis, der selbst abgebrühten Veteranen im Filmhandelsgeschäft anerkennende Pfeiftöne entlockte.
300 Mio. $ hatte der ihm gegenüberstehende hoch gewachsene Deutsche hingeblättert - für deutsche TV-Rechte an Filmen, die nur wenige Kassenknüller wie "Matrix" mit Keanu Reeves oder die Romantikschnulze "E-Mail für Dich" mit Meg Ryan enthielten, dafür aber jede Menge Ausschussware.
Der kleine Mann hieß Jeffrey Schlesinger und ist beim Hollywood-Studio Warner Brothers für das Auslandsgeschäft zuständig. Das Pendant des Amerikaners war Michael Kölmel, Chef der Kinowelt. Damals, im Sommer 1999, als der Kinowelt-Boss mit Schlesinger das Millionen-Geschäft abschloss, glaubte Kölmel noch, einen großen Coup gelandet zu haben. Heute erweist sich der Deal als Wurzel allen Übels.
Leo Kirchs Revanche
Die Kinowelt, deren Geschäftsfelder sich vom Kinobetrieb über den Verkauf von Videos und DVDs bis zum Filmhandel mit TV-Sendern und dem Merchandising erstreckt, kämpft gegen den Konkurs. 400 Mio. Euro Schulden hat das Unternehmen am Freitagabend bei der Vorlage seiner Halbjahresbilanz offen gelegt und gleichzeitig einen Verlust vor Steuern und Zinsen von 161,9 Mio. Euro präsentiert. Analysten gehen davon aus, dass das Unternehmen bis zum Jahresende 300 Mio. Euro an Krediten zurückzahlen muss. Viele zweifeln am Überleben der Firma. Kinowelt neuerdings auch. "Das Überleben der Gesellschaft ist nicht sichergestellt", heißt es im Halbjahresbericht.
Die Banken sind extrem nervös, die Liquidität des Münchner Medienkonzerns ist fast aufgebraucht. "Es muss dringend eine Lösung gefunden werden", sagt ein Banker. Vor kurzem hatte das Unternehmen den Gläubigerbanken schon einmal ein Konzept vorgelegt. Es sah vor, dass die Kreditinstitute auf Forderungen von mehreren Hundert Millionen Mark verzichten und darüber hinaus frisches Geld in dreistelliger Millionenhöhe zuschießen. Das lehnten die Banken kategorisch ab.
Wie kam es dazu, dass sich ein promovierter Mathematiker wie Michael Kölmel so verkalkuliert hat? Die Antwort ist einfach: Der stets ruhig wirkende Kölmel wurde Opfer seiner eigenen Gigantomanie. "Mein Vorteil ist, dass ich regelmäßig unterschätzt werde", begründete er mit der für ihn typischen salbungsvollen Stimme einst das Geheimnis seines Erfolgs. Nun zeigt sich, dass er sich selbst überschätzt hat.
Emissionserlös schnell ausgegeben
Gemeinsam mit seinem intellektuellen Filmfreak-Bruder Rainer wollte Michael Kölmel die von Seilschaften und Vetternwirtschaft geplagte Welt des heimischen Filmhandels aufwirbeln. Dabei erkannte er früh das Potenzial der Börse. Als er im Mai 1998 am Frankfurter Parkett seinen Einstand feierte, gehörte die Kinowelt zu den ersten Medienwerten des Neuen Marktes. 55 Mio. DM spülte der Börsengang in die Kasse. Sie waren auch schnell wieder ausgegeben. Eifrig kauften sich die ehrgeizigen Kölmel-Brüder die Verwertungsrechte an Hollywood-Streifen. "Der Börsengang hat uns in einer andere Liga mit mehr Möglichkeiten gehievt", meinte Kölmel damals. Heute bekommt er schmerzhaft zu spüren, dass in dieser Liga auch andere Gesetze gelten.
Durch den Kauf des in der Branche mittlerweile berühmt-berüchtigten Warner-Pakets hatte sich Kölmel mit den Großen der heimischen Branche angelegt. Denn auch die etablierten Filmhändler Leo Kirch und Herbert Kloiber sowie die damalige CLT-Ufa (heute: RTL Group) hatten großes Interesse an einigen der Warner-Streifen. Allerdings nicht zu dem Preis, den der gerissene Geschäftsmann Schlesinger verlangte. Schon gar nicht wollten sie die drittklassigen Fernsehserien, die der Amerikaner in das Filmpaket schnürte. Unbeeindruckt von der Skepsis seiner Konkurrenten, schlug Kölmel schließlich zu und überbot so alle anderen. Sein Kalkül: Das in Teile zerlegte große Filmpaket könnte in den nächsten Jahren gewinnbringend an heimische Sender verkauft werden.
Einkaufsboykott der Privaten
Die Rechnung ging nie auf. Bis heute ist Kölmel auf den meisten TV-Serien und vielen Filmen sitzen geblieben. "Wer glaubt, er könne uns Filme zu überteuerten Preisen verkaufen, irrt sich gewaltig", meinte Pro-Sieben-Chef Urs Rohner einmal. Doch selbst als Kölmel, zunehmend ratlos, die Preise immer tiefer senkte, hielt der Einkaufsboykott der Privatsender an. "Die Kölmels galten bei uns als Tabu, denen sollte ein Denkzettel verpasst werden", sagt ein Filmeinkäufer rückblickend.
Bereits bei einer Kapitalerhöhung im September 1999 konnte die Kinowelt nur noch die Hälfte der geplanten Aktien an die Anleger verkaufen. Damals machte das Management die Deutsche Bank dafür verantwortlich, die den Verkauf managte. Doch ein Jahr später war auch die HypoVereinsbank nicht viel erfolgreicher. Sie sollte für die Kinowelt eine so genannte Wandelanleihe platzieren und damit rund 400 Mio. DM in die Kassen der Firma bringen, die sich dramatisch geleert hatten. Da die Börse auf die Nachricht aber sofort mit einem Kurssturz der Kinowelt-Aktie reagierte, wurde auch dieser Plan fallen gelassen.
Die Spendierlaune der Anleger für Medienwerte war damals schon auf einem Tiefpunkt. Kölmel aber expandierte weiter. Längst ließ er seine Firma, die in einem ehemaligen Kasernengebäude ihren Sitz hat, als Mini-Major bezeichnen - in Anlehnung an die großen Medienkonzerne, die "Majors". Warum auch nicht, der Konzern schien ja mit allem Geld zu machen: Mit DVDs und Videos, Kinoketten, einer Filmzeitschrift, einer Internetsparte, einer Merchandising-Gruppe, selbst mit einem Filmverleih für Passagierflugzeuge.
Kein Zugang zu großem Fernsehsender
Nur das Wichtigste fehlt bis heute: der Zugang zu einem großen TV-Sender als Abspielstation für die rund 10.000 Kinowelt-Filme. "Das Fernsehgeschäft ist Brot und Butter für Filmhändler, nur hier lässt sich anständig kalkulieren", sagt Klaus Hallig, Leiter des Kirch-Büros in Los Angeles, über die Branche. Mit gewissem Wohlwollen betrachtete er, wie sich die Kinowelt in den letzten Monaten notdürftig von Knäckebrot ernähren konnte - dem risikoreichen Kinogeschäft, dem erfolgreichen, aber viel zu kleinen DVD-Verkauf und dem maroden Merchandising-Handel.
Mit dem Kirch-Konzern hatte es sich Kölmel endgültig verscherzt, als er im Frühjahr 2000 um die Übertragungsrechte der Fußball-Bundesliga mitbot. "Das war sowieso aussichtslos", meinte ein Beteiligter über diesen Versuch, "aber es führte dazu, dass der Preis letztendlich noch höher wurde." 3 Mrd. DM kosten Kirch jetzt die Übertragungsrechte für vier Jahre Bundesliga, ein Betrag, der schmerzt. "Wie kann man nur so ungeschickt sein und es sich mit seinem potenziell besten Kunden so verscherzen", wundert sich Bernhard Tubeileh, Analyst bei Merrill Lynch, über die Strategie des Michael Kölmel. Doch der Kinowelt-Chef war zu diesem Zeitpunkt wohl schon getrieben von schierer Verzweiflung.
Wie muss es jetzt erst um die Kinowelt und ihr Management bestellt sein, nachdem Finanzchef Eduard Unzeitig im August das Haus verließ und die Kinowelt-Aktie, vor einem Jahr noch rund 60 Euro wert, inzwischen zum Penny Stock verkommen ist? Michael Kölmel schweigt sich aus. Der Vorstand, so der Halbjahresbericht, sei zuversichtlich, im zweiten Quartal schwarze Zahlen zu schreiben - "bei einer gelungenen Finanzierung", wie es einschränkend heißt. Aber aus Finanzkreisen ist zu hören, die Banken hätten die Suche nach einem Investor aufgegeben.
Gegen die Insolvenz-Uhr anrennend, versuchen die Kinowelt-Manager ihr Heil im Verkauf von Geschäftsbereichen. Beispielsweise will sich das Unternehmen vom gesamten Kinogeschäft trennen. Erst im November 2000 war die Kinowelt mit acht Lichtspieltheatern ins Multiplexgeschäft eingestiegen.
Auch Fußballvereine bangen
Einen finanzkräftigen Partner sucht Michael Kölmel nach FTD-Informationen auch für das Unternehmen Sportwelt, an dem er mit Bruder Rainer 90 Prozent und die Kinowelt zehn Prozent der Anteile hält. Wie Leo Kirch in den 90er Jahren wollte auch Michael Kölmel mit dem Sportrechtehandel neben dem Film und TV-Bereich ein zweites Standbein aufbauen. Die 1999 gegründete Sportwelt hat 14 Fußballvereine unter Vertrag, darunter den Erstligisten Borussia Mönchengladbach, die Zweitligisten Union Berlin, Karlsruher SC, Alemannia Aachen und Waldhof Mannheim sowie eine Reihe von Traditionsvereinen, Fortuna Düsseldorf beispielsweise.
Rund 120 Mio. DM hat die Sportwelt nach eigenen Angaben bisher in den Fußball gesteckt. Die Rückflüsse sind bisher bescheiden. Und der Undank ist groß. Union Berlin, von der Sportwelt vor dem Ruin gerettet, hat die Rechte an seinem ersten Uefa-Cup-Heimspiel nicht etwa an seinen Retter verkauft, sondern an den Konkurrenten Ufa. Vereine wie der FC Magdeburg warten auf Millionenbeträge aus Sportwelt-Darlehen. "Bis Saisonende könnten wir große Probleme bekommen, wenn das Geld nicht wie vereinbart fließt", sagt Präsidiumsmitglied Andreas Müller. Auch bei Borussia Mönchengladbach ist die Vereinsführung nach den neuesten Hiobsbotschaften der Kinowelt nervös. Im Frühjahr soll für 155 Mio. DM ein WM-taugliches Stadion gebaut werden. Die Sportwelt hat vertraglich zugesichert, sich mit 30 Mio. zu beteiligen. Aber momentan denkt Michael Kölmel mehr in Tagen als in Wochen oder gar Monaten.