Kinder von Mohammed und Coca-Cola
Der neue Terror ist eine Elitebewegung, geboren aus den Gegensätzen der saudi-arabischen Gesellschaft
Von Nikolaus Nowak
Zu den Erkenntnissen aus den Terroranschlägen vom 11. September zählt, dass seine Autoren ein völlig anderes Täterprofil haben als arabische Attentäter oder Dritte-Welt-Guerilleros bisher. Alle hatten ein Leben im Westen hinter sich, hatten Jahre an Hochschulen verbracht, verfügten über Fremdsprachenkenntnisse und finanzielle Mittel, konnten auf Grund ihrer Herkunft und Laufbahn ein Leben in Freiheit und Wohlstand erwarten. Anders als Arafats Al-Fatah-Krieger der siebziger Jahre oder die heutigen Selbstmordbomber der Hamas waren die Massenmörder von New York und Washington keine Sprösslinge aus libanesischen Palästinenserlagern, keine Kinder der Intifada oder von Arbeitslosen aus dem Westjordanland.
Der neue islamische Terrorismus ist vielmehr eine Elitebewegung, und seine Heimat liegt weder in den Bergen des Hindukusch noch in den Elendsvierteln von Kairo oder in den Ebenen von Khoramshar, wo Ayatollah Khomeini einst iranische Freiwillige mit dem Versprechen auf das Paradies in irakische Minenfelder hetzte. Sondern in einem der reichsten Länder der Welt, das binnen zwei Generationen vom Nomadengebiet zur Industrie- und regionalen Hegemonialmacht wurde: Saudi-Arabien. Mindestens neun der 19 Attentäter vom 11. September stammten aus dem Königreich. Osama Bin Laden selbst stammt aus einer der steinreichen und mächtigen Familien dieses Landes.
So scheint der Ursprung dieses neuen Terrorismus nicht im sozialen Aufbegehren oder im Kampf gegen die westliche Wirtschaftsvormacht zu liegen. Sondern vielmehr in der Unvereinbarkeit von technischer Moderne und gesellschaftlichem Mittelalter, von Massenmedien und Alkoholverbot, von Internet und Steinigung. Die Unterhaltungsgesellschaft fordert offenbar doch ein liberales, mit der rigiden Koranauslegung unvereinbares Menschenbild, und der Kampf der Kulturen vollzieht sich nicht zwischen New York und Mekka, zwischen Wall Street und Gaza-Streifen, sondern innerhalb der reichen arabischen Gesellschaften selbst. So ist es ein Trugschluss, zu glauben, was fundamentalistische Vordenker wie der marokkanische Scheich Yassine immer wieder betonen: Westliche Technik und Scharia seien kein Widerspruch, es komme nur darauf an, die Technik im Sinne des Korans einzusetzen. Gerade Saudi-Arabien, das als Land der heiligen Städte Mekka und Medina eine besonders puritanische, den Taliban verwandte Koranauslegung und Rechtsprechung pflegt, befindet sich in einer ständigen Deutungsnot, wie die Moderne mit den Lehren des religiösen Staatsvordenkers Abdel Wahab, wie eine Industriegesellschaft mit dem nomadischen Feudalsystem zu vereinen sei.
Einige Beispiele: Parallel zum Bau moderner Universitäten in den achtziger Jahren wurde diskutiert, ob weibliche Studenten, die mit nicht verwandten Männern nicht in einem Raum sein dürfen, Lehrveranstaltungen hinter einer Trennwand oder nur über Bildschirm verfolgen sollten. Bei der Massenverbreitung des Fernsehens zerbrachen sich Expertengremien den Kopf, wie visuelle Unterhaltung in einem Land zu machen sei, in dem Fenster nicht zuletzt deshalb Sichtblenden haben, weil sich der Gläubige auf spirituelle Inhalte konzentrieren und nicht an Abschweifendem delektieren soll. Im Fußballstadion von Riad wurde moniert, dass bei den Sitzen Kreuzschrauben verwendet wurden - ein verbotenes Symbol. Einen 50-Francs-Schein mit der barbusigen Marianne würde keine Bank einwechseln. Kaum überraschend also, dass die Ankunft der US-Einheiten gegen Saddam Hussein 1990 Riad in argen Rechtfertigungsdruck brachte, zumal mit den Marines auch amerikanische Konsumgewohnheiten und Frauen - die dort nicht einmal Autos lenken dürfen - an der Waffe eintrafen.
Schon vor dem Golfkrieg hatten islamischen Nachbarn versucht, die Saudis ob ihrer Petrodollars der Dekadenz zu zeihen. Iranische Pilger lösten in Mekka eine gezielte Massenpanik aus und veranlassten die überforderten Polizisten zu Schüssen nicht nur in die Luft, was das Herrscherhaus Al Saud als inkompetent und unwürdig, die heiligen Stätten zu hüten, erscheinen lassen sollte. Dass auch manche Saudis dieser Meinung waren und in der Ankunft der Amerikaner eine Entweihung Mekkas sahen, beweist die Hinwendung Bin Ladens zum Terror, den er zunächst auch gegen die eigene Obrigkeit richtete.
Dabei war der heute meistgesuchte Mann der Welt selbst ein Snob gewesen, hatte seine jungen Jahre in mediterranen Yachthäfen und auf lichterbestandenen Boulevards verbracht. Berühmt geworden ist das Bild Bin Ladens als Halbwüchsiger mit seinen vielen Geschwistern in Marbella. Noch heute reist König Faht in das spanische Luxusbad ebenso wie nach Genf - und mit ihm eine Entourage, die abendländische Freizügigkeit zu schätzen weiß. In den siebziger Jahren soll sich Bin Laden im Libanon aufgehalten haben, jener Perle des Ostens, wo neue Filme zu sehen waren, bevor sie die Champs-Elysées erreichten und wo das Casino du Liban legendäre Varieté-Shows inszenierte. An diesen Schnittstellen zwischen Orient und Okzident, Savoir-vivre und Tausendundeine Nacht zerbrach die islamische Moderne, explodierte das Nebeneinander von abendländischer Konsumwelt und rückwärtsgewandtem Islam. Der Terror-Dschihad saudi-arabischer Provenienz ist in vieler Hinsicht eine Bewegung, die im Westen jene Ziele treffen will, die sie als innere Bedrohung ihrer eigenen reaktionären, sektiererischen Herrschaft empfindet.
Der neue Terror ist eine Elitebewegung, geboren aus den Gegensätzen der saudi-arabischen Gesellschaft
Von Nikolaus Nowak
Zu den Erkenntnissen aus den Terroranschlägen vom 11. September zählt, dass seine Autoren ein völlig anderes Täterprofil haben als arabische Attentäter oder Dritte-Welt-Guerilleros bisher. Alle hatten ein Leben im Westen hinter sich, hatten Jahre an Hochschulen verbracht, verfügten über Fremdsprachenkenntnisse und finanzielle Mittel, konnten auf Grund ihrer Herkunft und Laufbahn ein Leben in Freiheit und Wohlstand erwarten. Anders als Arafats Al-Fatah-Krieger der siebziger Jahre oder die heutigen Selbstmordbomber der Hamas waren die Massenmörder von New York und Washington keine Sprösslinge aus libanesischen Palästinenserlagern, keine Kinder der Intifada oder von Arbeitslosen aus dem Westjordanland.
Der neue islamische Terrorismus ist vielmehr eine Elitebewegung, und seine Heimat liegt weder in den Bergen des Hindukusch noch in den Elendsvierteln von Kairo oder in den Ebenen von Khoramshar, wo Ayatollah Khomeini einst iranische Freiwillige mit dem Versprechen auf das Paradies in irakische Minenfelder hetzte. Sondern in einem der reichsten Länder der Welt, das binnen zwei Generationen vom Nomadengebiet zur Industrie- und regionalen Hegemonialmacht wurde: Saudi-Arabien. Mindestens neun der 19 Attentäter vom 11. September stammten aus dem Königreich. Osama Bin Laden selbst stammt aus einer der steinreichen und mächtigen Familien dieses Landes.
So scheint der Ursprung dieses neuen Terrorismus nicht im sozialen Aufbegehren oder im Kampf gegen die westliche Wirtschaftsvormacht zu liegen. Sondern vielmehr in der Unvereinbarkeit von technischer Moderne und gesellschaftlichem Mittelalter, von Massenmedien und Alkoholverbot, von Internet und Steinigung. Die Unterhaltungsgesellschaft fordert offenbar doch ein liberales, mit der rigiden Koranauslegung unvereinbares Menschenbild, und der Kampf der Kulturen vollzieht sich nicht zwischen New York und Mekka, zwischen Wall Street und Gaza-Streifen, sondern innerhalb der reichen arabischen Gesellschaften selbst. So ist es ein Trugschluss, zu glauben, was fundamentalistische Vordenker wie der marokkanische Scheich Yassine immer wieder betonen: Westliche Technik und Scharia seien kein Widerspruch, es komme nur darauf an, die Technik im Sinne des Korans einzusetzen. Gerade Saudi-Arabien, das als Land der heiligen Städte Mekka und Medina eine besonders puritanische, den Taliban verwandte Koranauslegung und Rechtsprechung pflegt, befindet sich in einer ständigen Deutungsnot, wie die Moderne mit den Lehren des religiösen Staatsvordenkers Abdel Wahab, wie eine Industriegesellschaft mit dem nomadischen Feudalsystem zu vereinen sei.
Einige Beispiele: Parallel zum Bau moderner Universitäten in den achtziger Jahren wurde diskutiert, ob weibliche Studenten, die mit nicht verwandten Männern nicht in einem Raum sein dürfen, Lehrveranstaltungen hinter einer Trennwand oder nur über Bildschirm verfolgen sollten. Bei der Massenverbreitung des Fernsehens zerbrachen sich Expertengremien den Kopf, wie visuelle Unterhaltung in einem Land zu machen sei, in dem Fenster nicht zuletzt deshalb Sichtblenden haben, weil sich der Gläubige auf spirituelle Inhalte konzentrieren und nicht an Abschweifendem delektieren soll. Im Fußballstadion von Riad wurde moniert, dass bei den Sitzen Kreuzschrauben verwendet wurden - ein verbotenes Symbol. Einen 50-Francs-Schein mit der barbusigen Marianne würde keine Bank einwechseln. Kaum überraschend also, dass die Ankunft der US-Einheiten gegen Saddam Hussein 1990 Riad in argen Rechtfertigungsdruck brachte, zumal mit den Marines auch amerikanische Konsumgewohnheiten und Frauen - die dort nicht einmal Autos lenken dürfen - an der Waffe eintrafen.
Schon vor dem Golfkrieg hatten islamischen Nachbarn versucht, die Saudis ob ihrer Petrodollars der Dekadenz zu zeihen. Iranische Pilger lösten in Mekka eine gezielte Massenpanik aus und veranlassten die überforderten Polizisten zu Schüssen nicht nur in die Luft, was das Herrscherhaus Al Saud als inkompetent und unwürdig, die heiligen Stätten zu hüten, erscheinen lassen sollte. Dass auch manche Saudis dieser Meinung waren und in der Ankunft der Amerikaner eine Entweihung Mekkas sahen, beweist die Hinwendung Bin Ladens zum Terror, den er zunächst auch gegen die eigene Obrigkeit richtete.
Dabei war der heute meistgesuchte Mann der Welt selbst ein Snob gewesen, hatte seine jungen Jahre in mediterranen Yachthäfen und auf lichterbestandenen Boulevards verbracht. Berühmt geworden ist das Bild Bin Ladens als Halbwüchsiger mit seinen vielen Geschwistern in Marbella. Noch heute reist König Faht in das spanische Luxusbad ebenso wie nach Genf - und mit ihm eine Entourage, die abendländische Freizügigkeit zu schätzen weiß. In den siebziger Jahren soll sich Bin Laden im Libanon aufgehalten haben, jener Perle des Ostens, wo neue Filme zu sehen waren, bevor sie die Champs-Elysées erreichten und wo das Casino du Liban legendäre Varieté-Shows inszenierte. An diesen Schnittstellen zwischen Orient und Okzident, Savoir-vivre und Tausendundeine Nacht zerbrach die islamische Moderne, explodierte das Nebeneinander von abendländischer Konsumwelt und rückwärtsgewandtem Islam. Der Terror-Dschihad saudi-arabischer Provenienz ist in vieler Hinsicht eine Bewegung, die im Westen jene Ziele treffen will, die sie als innere Bedrohung ihrer eigenen reaktionären, sektiererischen Herrschaft empfindet.