deshalb nochamol...
Heiner Geißler, CDU-Querdenker und Ex-Minister,
plädiert im Vorfeld einer Diskussionsveranstaltung in
dieser Woche für fairere Regeln der Weltwirtschaft und
Änderungen im Sozialwesen.
"DIE PRESSE": Das Thema Globalisierung erzeugt Ängste
in der Bevölkerung, die sich teils sogar in Gewalt
äußern. Warum?
Heiner Geißler: Eine Voraussetzung in der Politik, die
für das friedliche Zusammenleben der Menschen
grundlegend ist, besteht in der globalisierten
Ökonomie nicht: es herrscht keine Ordnung. Wie der
amerikanische Sozialwissenschaftler Benjamin Barber
von der University of Maryland neulich gesagt hat,
gibt es in der globalen Ökonomie keine Regeln und
keine Gesetze. Dadurch kommt es zu Verwerfungen und
auch zu Exzessen. Die globalisierte Wirtschaft besteht
insoweit im Gegensatz zu der sozialen Marktwirtschaft,
die den geordneten Wettbewerb kennt.
Bedeutet Globalisierung das Ende der sozialen
Marktwirtschaft?
Geißler: Die soziale Marktwirtschaft geht dann
verloren, wenn wir dieselben Fehler machen, wie unsere
Vorfahren zur Zeit der Industrialisierung. Die
glaubten nur an die Gesetze des Marktes und ordneten
den Interessen des Kapitals alles unter. Das Ergebnis
war das "Kommunistische Manifest" mit allen
Auswirkungen, die damit verbunden waren. Wir sollten
nicht zu den Zeitgenossen gehören, die Fehler immer
zwei und drei Mal machen, damit man sie besonders gut
beherrscht. Umgekehrt ist es richtig: wir brauchen
eine internationale soziale Marktwirtschaft.
Ist die soziale Marktwirtschaft Ludwig Erhards auch in
einer globalisierten Welt noch ein richtungsweisendes
Muster?
Geißler: Es gibt keine Alternative. Ich glaube nicht,
daß das amerikanische Modell, das auf Neoliberalismus
und Kapitalismus pur oder - anders ausgedrückt - dem
Verfolgen des "Shareholder value" anstelle der
sozialen Marktwirtschaft basiert, eine
zukunftsversprechende Philosophie ist. Der geordnete
Wettbewerb in der sozialen Marktwirtschaft fordert das
Einhalten einiger bestimmter Regeln, vom Steuerrecht
angefangen bis hin zum Tarifrecht. In dem Moment, in
dem sich Ökonomie globalisiert, entzieht sie sich
diesem Ordnungsrahmen, den der Staat und die Politik
garantieren muß. Plötzlich werden Werte
verabsolutiert, die vorher in diese Ordnung
eingebunden waren, die Dividende am Ende eines Jahres,
der Börsenwert eines Unternehmens, der Aktienkurs,
eben shareholder value.
Die Globalisierungsgegner haben in Porto Alegre
betont, man sei nicht gegen die Globalisierung als
solche, sondern allein gegen deren neoliberalistische
Ausprägungen.
Geißler: Ich glaube, das ist der richtige Ansatz. Die
Globalisierung ist eine Folge der technologischen
Revolution und kein Mensch denkt daran, sie wieder
rückgängig zu machen. Aber die Unordnung auf den
Kapitalmärkten führt zu widersinnigen Entwicklungen.
Lassen Sie mich ein Beispiel geben: Einerseits geben
wir viel Geld aus, um entsprechend den Beschlüssen von
Rio die Regenwälder zu schützen, gleichzeitig jedoch
subventionieren dieselben Staaten in Brasilien
Papierfabriken mit der Folge, daß die zu schützenden
Wälder abgeholzt werden.
Worin liegen die Gründe dafür?
Geißler: Hier dominieren die Kapitalinteressen
absolut. Inzwischen hat sich aufgrund dieser
ungeordneten Entwicklungen eine Kluft zwischen Arm und
Reich aufgetan, die nicht akzeptabel ist. Nur 225
Menschen verfügen über ein Vermögen von einer Billion
Dollar, das ist genausoviel wie die Hälfte der
Menschheit, also drei Milliarden, an jährlichem
Einkommen hat. Eine solche Ordnung kann man nicht mehr
als Ordnung bezeichnen, das ist Anarchie.
Droht uns eine Revolution?
Geißler: Nur Phantasten und Lügner können glauben, man
könne auf Dauer Hunderte von Millionen Menschen sozial
ausgrenzen. Es gibt in der Politik keine überflüssigen
Menschen. Die gibt es einmal in einem Unternehmen,
dann bekommen sie eine Kündigung, aber in der Politik
hat jeder eine Stimme und die werden sie nutzen. Wenn
sie keine Stimme haben, weil sie in keiner Demokratie
leben, dann werden sie sich Waffen besorgen. Die
Anschläge auf das World Trade Center haben auch
erhebliche soziale und gesellschaftspolitische
Hintergründe.
War der 11. September vielleicht die Einleitung eines
Paradigmenwechsels in Politik und Wirtschaft?
Geißler: Für den 11. September gibt es sicher viele
Gründe, aber der religiöse Fundamentalismus war allein
nie in der Lage, einen Fanatismus zu produzieren, der
die Fanatisierten dann zu solchen Wahnsinnstaten
treibt. Es ist immer etwas anderes hinzugekommen, was
ein solch explosives Gemisch bewirkt hat. Meistens der
Nationalismus oder das Gefühl von Diskriminierung,
Ausbeutung und Armut. Eine der Konsequenzen, die
gezogen werden müssen - neben der Bekämpfung des
Terrorismus -, ist eine Änderung der Weltpolitik. Was
wir brauchen, ist eine internationale soziale
Marktwirtschaft.
Wie ist eine internationale soziale Marktwirtschaft zu
realisieren?
Geißler: Die Frage ist bereits positiv beantwortet,
und zwar seit der Ostasien-Krise. Die G7-Staaten und
die G8-Staaten sind bereits dabei, international
geltende Regelungen zu vereinbaren. Beispielsweise
eine internationale Bankenaufsicht, nach Möglichkeit
eine gemeinsame Zinspolitik, die Überlegungen einer
Spekulationssteuer, die totale Öffnung der Märkte.
Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang der Abbau
der Handelszölle auf der Seite der westlichen
Demokratien, um den Entwicklungsländern freien Zugang
für ihre Waren auf den Märkten der Industrieländer zu
ermöglichen.
Wodurch verzögert sich dieser Prozeß?
Geißler: Die Europäer sind gar nicht so sehr das
Problem. Die Amerikaner stehen sozusagen auf der
Bremse. Amerika, der autarke Wirtschaftsgigant, hat
bis vor kurzem einen Isolationismus geübt, der durch
die Anschläge vom 11. September einen schweren Schlag
erlitten hat. Amerika ist durch diesen Angriff
verwundbar geworden. Aus dieser Erkenntnis müssen die
Amerikaner Konsequenzen ziehen. Sie dürfen nicht, wie
über Monate hindurch geschehen, das Kyoto-Protokoll
für den ökologischen Schutz der Erde boykottieren.
Diesen Boykott haben sie jetzt nicht aus Überzeugung
aufgegeben, sondern um die Anti-Terror-Koalition
zusammenzubringen.
Hat der Mensch seinen Stellenwert nicht schon
verloren?
Geißler: Wenn wir eine Wirtschaftsordnung haben, die
den Menschen eliminiert, dann haben wir die umgekehrte
Antwort zum Kommunismus. Die Produktionsfaktoren
Kapital und Arbeit bestehen neben den modernen
Produktionsfaktoren Know how, Wissen und moderne
Technologie nach wie vor. Aber es kommt darauf an, wie
man auf diesen Konflikt reagiert. Die Kommunisten
haben versucht, das Problem dadurch zu lösen, daß sie
das Kapital eliminierten und die Kapitaleigner
liquidierten. Jetzt haben wir den umgekehrten Prozeß.
Kapital eliminiert die Arbeit und liquidiert die
Menschen am Arbeitsplatz. Der Kapitalismus ist eben
genauso falsch wie der Kommunismus. Diese Erkenntnis
hat sich leider noch nicht durchgesetzt.
Was meinen Sie damit?
Geißler: Die führenden Vertreter global agierender
Unternehmen operieren, als ob es den Faktor
menschliche Arbeit gar nicht gäbe und als ob es auf
ihn gar nicht ankäme. Und das ist ein großer Irrtum.
Außerdem sind erhebliche Fehler gemacht worden. Die
großen globalen Konzerne, wie DaimlerChrysler jetzt
auch, fahren Verluste ein, weil sie sich eben nur am
Kapital orientieren und rein den Marktgesetzen
entsprechen. Aber der Markt ist blind. Markt allein
kann ein positives Ergebnis nicht zustande bringen.
Beim Weltwirtschaftsforum wurde Europa vorgeworfen,
notwendige Strukturanpassungen zur Flexibilisierung
des Arbeitsmarktes zu unterlassen. Was können Sie aus
deutscher Perspektive dazu sagen?
Geißler: Die Strukturverbesserungen, die gemacht
werden müssen, liegen im Bereich der
Sozialversicherungen und natürlich auch im Bereich des
Arbeitsmarktes. Aber bitte nicht nach dem
amerikanischen Modell. Die Amerikaner haben selber
einen hohen Bedarf an Reformen. Armut in Amerika, vor
allem im Mittelstand, nimmt rasant zu. 40 Millionen
Amerikaner haben keine Krankenversicherung. Auf
100.000 Einwohner in Amerika kommen zwölf
Kapitalverbrechen. In Europa sind es zwei. Und der
Drogenkonsum nimmt zu. Das amerikanische
Erziehungsministerium schätzt, daß 27 Prozent der
Amerikaner Analphabeten sind, vor allem Farbige, die
von der Armut besonders betroffen sind. Selbst der
überzeugteste Turbo-Kapitalist erkennt doch, daß die
finanziellen Folgeschäden einer antisozialen Politik
viel höher sind als die Ersparnisse. Natürlich haben
auch die Europäer ihre Hausaufgaben noch nicht
vollständig gemacht.
Welche genau meinen Sie?
Geißler: Das zentrale Problem in Deutschland, ähnlich
wie in Österreich, besteht darin, daß die Beiträge der
großen Sozialversicherungssysteme ausschließlich an
den Lohn gekoppelt sind. Das funktioniert solange, wie
die Arbeitslosigkeit gering ist. Nimmt sie aber zu,
dann sinkt auch die Zahl der Beitragszahler. Dadurch
erhöht sich der Druck in Richtung einer Erhöhung der
Sozialversicherungsbeiträge. Das wiederum führt dazu,
daß Arbeitsplätze möglicherweise abgebaut werden - ein
Teufelskreis.
Gibt es Alternativen?
Geißler: Man müßte das soziale Netz entweder über die
Steuer finanzieren oder - wie es die Schweizer machen
- so ändern, daß die Beiträge von allen Einkommen
erhoben werden. Dann zahlt der Millionär von seinem
Einkommen ebenso wie der Gemeinderat von den
Sitzungsgeldern, der Vermieter von seinen
Mieteinnahmen und der Arbeitnehmer von seinem Lohn.
Dadurch kommen phantastische Ergebnisse zustande.
Daneben brauchen wir auf dem Arbeitsmarkt intelligente
Lösungen.
...................
mfg
hjw
gehe jetzt Blumen kaufen für meine Süsse..
Heiner Geißler, CDU-Querdenker und Ex-Minister,
plädiert im Vorfeld einer Diskussionsveranstaltung in
dieser Woche für fairere Regeln der Weltwirtschaft und
Änderungen im Sozialwesen.
"DIE PRESSE": Das Thema Globalisierung erzeugt Ängste
in der Bevölkerung, die sich teils sogar in Gewalt
äußern. Warum?
Heiner Geißler: Eine Voraussetzung in der Politik, die
für das friedliche Zusammenleben der Menschen
grundlegend ist, besteht in der globalisierten
Ökonomie nicht: es herrscht keine Ordnung. Wie der
amerikanische Sozialwissenschaftler Benjamin Barber
von der University of Maryland neulich gesagt hat,
gibt es in der globalen Ökonomie keine Regeln und
keine Gesetze. Dadurch kommt es zu Verwerfungen und
auch zu Exzessen. Die globalisierte Wirtschaft besteht
insoweit im Gegensatz zu der sozialen Marktwirtschaft,
die den geordneten Wettbewerb kennt.
Bedeutet Globalisierung das Ende der sozialen
Marktwirtschaft?
Geißler: Die soziale Marktwirtschaft geht dann
verloren, wenn wir dieselben Fehler machen, wie unsere
Vorfahren zur Zeit der Industrialisierung. Die
glaubten nur an die Gesetze des Marktes und ordneten
den Interessen des Kapitals alles unter. Das Ergebnis
war das "Kommunistische Manifest" mit allen
Auswirkungen, die damit verbunden waren. Wir sollten
nicht zu den Zeitgenossen gehören, die Fehler immer
zwei und drei Mal machen, damit man sie besonders gut
beherrscht. Umgekehrt ist es richtig: wir brauchen
eine internationale soziale Marktwirtschaft.
Ist die soziale Marktwirtschaft Ludwig Erhards auch in
einer globalisierten Welt noch ein richtungsweisendes
Muster?
Geißler: Es gibt keine Alternative. Ich glaube nicht,
daß das amerikanische Modell, das auf Neoliberalismus
und Kapitalismus pur oder - anders ausgedrückt - dem
Verfolgen des "Shareholder value" anstelle der
sozialen Marktwirtschaft basiert, eine
zukunftsversprechende Philosophie ist. Der geordnete
Wettbewerb in der sozialen Marktwirtschaft fordert das
Einhalten einiger bestimmter Regeln, vom Steuerrecht
angefangen bis hin zum Tarifrecht. In dem Moment, in
dem sich Ökonomie globalisiert, entzieht sie sich
diesem Ordnungsrahmen, den der Staat und die Politik
garantieren muß. Plötzlich werden Werte
verabsolutiert, die vorher in diese Ordnung
eingebunden waren, die Dividende am Ende eines Jahres,
der Börsenwert eines Unternehmens, der Aktienkurs,
eben shareholder value.
Die Globalisierungsgegner haben in Porto Alegre
betont, man sei nicht gegen die Globalisierung als
solche, sondern allein gegen deren neoliberalistische
Ausprägungen.
Geißler: Ich glaube, das ist der richtige Ansatz. Die
Globalisierung ist eine Folge der technologischen
Revolution und kein Mensch denkt daran, sie wieder
rückgängig zu machen. Aber die Unordnung auf den
Kapitalmärkten führt zu widersinnigen Entwicklungen.
Lassen Sie mich ein Beispiel geben: Einerseits geben
wir viel Geld aus, um entsprechend den Beschlüssen von
Rio die Regenwälder zu schützen, gleichzeitig jedoch
subventionieren dieselben Staaten in Brasilien
Papierfabriken mit der Folge, daß die zu schützenden
Wälder abgeholzt werden.
Worin liegen die Gründe dafür?
Geißler: Hier dominieren die Kapitalinteressen
absolut. Inzwischen hat sich aufgrund dieser
ungeordneten Entwicklungen eine Kluft zwischen Arm und
Reich aufgetan, die nicht akzeptabel ist. Nur 225
Menschen verfügen über ein Vermögen von einer Billion
Dollar, das ist genausoviel wie die Hälfte der
Menschheit, also drei Milliarden, an jährlichem
Einkommen hat. Eine solche Ordnung kann man nicht mehr
als Ordnung bezeichnen, das ist Anarchie.
Droht uns eine Revolution?
Geißler: Nur Phantasten und Lügner können glauben, man
könne auf Dauer Hunderte von Millionen Menschen sozial
ausgrenzen. Es gibt in der Politik keine überflüssigen
Menschen. Die gibt es einmal in einem Unternehmen,
dann bekommen sie eine Kündigung, aber in der Politik
hat jeder eine Stimme und die werden sie nutzen. Wenn
sie keine Stimme haben, weil sie in keiner Demokratie
leben, dann werden sie sich Waffen besorgen. Die
Anschläge auf das World Trade Center haben auch
erhebliche soziale und gesellschaftspolitische
Hintergründe.
War der 11. September vielleicht die Einleitung eines
Paradigmenwechsels in Politik und Wirtschaft?
Geißler: Für den 11. September gibt es sicher viele
Gründe, aber der religiöse Fundamentalismus war allein
nie in der Lage, einen Fanatismus zu produzieren, der
die Fanatisierten dann zu solchen Wahnsinnstaten
treibt. Es ist immer etwas anderes hinzugekommen, was
ein solch explosives Gemisch bewirkt hat. Meistens der
Nationalismus oder das Gefühl von Diskriminierung,
Ausbeutung und Armut. Eine der Konsequenzen, die
gezogen werden müssen - neben der Bekämpfung des
Terrorismus -, ist eine Änderung der Weltpolitik. Was
wir brauchen, ist eine internationale soziale
Marktwirtschaft.
Wie ist eine internationale soziale Marktwirtschaft zu
realisieren?
Geißler: Die Frage ist bereits positiv beantwortet,
und zwar seit der Ostasien-Krise. Die G7-Staaten und
die G8-Staaten sind bereits dabei, international
geltende Regelungen zu vereinbaren. Beispielsweise
eine internationale Bankenaufsicht, nach Möglichkeit
eine gemeinsame Zinspolitik, die Überlegungen einer
Spekulationssteuer, die totale Öffnung der Märkte.
Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang der Abbau
der Handelszölle auf der Seite der westlichen
Demokratien, um den Entwicklungsländern freien Zugang
für ihre Waren auf den Märkten der Industrieländer zu
ermöglichen.
Wodurch verzögert sich dieser Prozeß?
Geißler: Die Europäer sind gar nicht so sehr das
Problem. Die Amerikaner stehen sozusagen auf der
Bremse. Amerika, der autarke Wirtschaftsgigant, hat
bis vor kurzem einen Isolationismus geübt, der durch
die Anschläge vom 11. September einen schweren Schlag
erlitten hat. Amerika ist durch diesen Angriff
verwundbar geworden. Aus dieser Erkenntnis müssen die
Amerikaner Konsequenzen ziehen. Sie dürfen nicht, wie
über Monate hindurch geschehen, das Kyoto-Protokoll
für den ökologischen Schutz der Erde boykottieren.
Diesen Boykott haben sie jetzt nicht aus Überzeugung
aufgegeben, sondern um die Anti-Terror-Koalition
zusammenzubringen.
Hat der Mensch seinen Stellenwert nicht schon
verloren?
Geißler: Wenn wir eine Wirtschaftsordnung haben, die
den Menschen eliminiert, dann haben wir die umgekehrte
Antwort zum Kommunismus. Die Produktionsfaktoren
Kapital und Arbeit bestehen neben den modernen
Produktionsfaktoren Know how, Wissen und moderne
Technologie nach wie vor. Aber es kommt darauf an, wie
man auf diesen Konflikt reagiert. Die Kommunisten
haben versucht, das Problem dadurch zu lösen, daß sie
das Kapital eliminierten und die Kapitaleigner
liquidierten. Jetzt haben wir den umgekehrten Prozeß.
Kapital eliminiert die Arbeit und liquidiert die
Menschen am Arbeitsplatz. Der Kapitalismus ist eben
genauso falsch wie der Kommunismus. Diese Erkenntnis
hat sich leider noch nicht durchgesetzt.
Was meinen Sie damit?
Geißler: Die führenden Vertreter global agierender
Unternehmen operieren, als ob es den Faktor
menschliche Arbeit gar nicht gäbe und als ob es auf
ihn gar nicht ankäme. Und das ist ein großer Irrtum.
Außerdem sind erhebliche Fehler gemacht worden. Die
großen globalen Konzerne, wie DaimlerChrysler jetzt
auch, fahren Verluste ein, weil sie sich eben nur am
Kapital orientieren und rein den Marktgesetzen
entsprechen. Aber der Markt ist blind. Markt allein
kann ein positives Ergebnis nicht zustande bringen.
Beim Weltwirtschaftsforum wurde Europa vorgeworfen,
notwendige Strukturanpassungen zur Flexibilisierung
des Arbeitsmarktes zu unterlassen. Was können Sie aus
deutscher Perspektive dazu sagen?
Geißler: Die Strukturverbesserungen, die gemacht
werden müssen, liegen im Bereich der
Sozialversicherungen und natürlich auch im Bereich des
Arbeitsmarktes. Aber bitte nicht nach dem
amerikanischen Modell. Die Amerikaner haben selber
einen hohen Bedarf an Reformen. Armut in Amerika, vor
allem im Mittelstand, nimmt rasant zu. 40 Millionen
Amerikaner haben keine Krankenversicherung. Auf
100.000 Einwohner in Amerika kommen zwölf
Kapitalverbrechen. In Europa sind es zwei. Und der
Drogenkonsum nimmt zu. Das amerikanische
Erziehungsministerium schätzt, daß 27 Prozent der
Amerikaner Analphabeten sind, vor allem Farbige, die
von der Armut besonders betroffen sind. Selbst der
überzeugteste Turbo-Kapitalist erkennt doch, daß die
finanziellen Folgeschäden einer antisozialen Politik
viel höher sind als die Ersparnisse. Natürlich haben
auch die Europäer ihre Hausaufgaben noch nicht
vollständig gemacht.
Welche genau meinen Sie?
Geißler: Das zentrale Problem in Deutschland, ähnlich
wie in Österreich, besteht darin, daß die Beiträge der
großen Sozialversicherungssysteme ausschließlich an
den Lohn gekoppelt sind. Das funktioniert solange, wie
die Arbeitslosigkeit gering ist. Nimmt sie aber zu,
dann sinkt auch die Zahl der Beitragszahler. Dadurch
erhöht sich der Druck in Richtung einer Erhöhung der
Sozialversicherungsbeiträge. Das wiederum führt dazu,
daß Arbeitsplätze möglicherweise abgebaut werden - ein
Teufelskreis.
Gibt es Alternativen?
Geißler: Man müßte das soziale Netz entweder über die
Steuer finanzieren oder - wie es die Schweizer machen
- so ändern, daß die Beiträge von allen Einkommen
erhoben werden. Dann zahlt der Millionär von seinem
Einkommen ebenso wie der Gemeinderat von den
Sitzungsgeldern, der Vermieter von seinen
Mieteinnahmen und der Arbeitnehmer von seinem Lohn.
Dadurch kommen phantastische Ergebnisse zustande.
Daneben brauchen wir auf dem Arbeitsmarkt intelligente
Lösungen.
...................
mfg
hjw
gehe jetzt Blumen kaufen für meine Süsse..