Von Markus Zydra
3. Dez. 2001 Tim Jones (Name von der Redaktion geändert) gibt alles für seinen Arbeitgeber. Täglich 16 Stunden, von neun Uhr morgens bis weit nach Mitternacht, rechnet, kalkuliert und telefoniert der 27-jährige Analyst für eine der ganz großen US-Investmentbanken mit Sitz in London. Mehr geht nicht, möchte man meinen, doch es kommt für Jones noch herber. Urlaub gibt es keinen, ein freies Wochenende auch nicht. Trotz des harten und unbedingten Einsatzes ist sein Job alles andere als sicher. Deshalb zieht er die Anonymität vor. „Ich will der Personalabteilung keinen Anlass geben...“, sagt er und wird genauer: „Bei uns gehen sie gerade mit der Axt durch den Mitarbeiterwald!“
Jones ist Investmentbanker. Er gehört damit einer der angesehensten und umstrittensten Berufsgruppen im Finanzsektor an. Ansehen genießt Jones, weil er sehr viel Geld verdient. Umstritten ist er deshalb, weil das M&A-Geschäft sowie die IPO-Aktivitäten vieler Investmentbanken in die Kritik geraten sind: Die wilden Investmentjahre 1999 und 2000 gehören der Vergangenheit an. Unzählige IPO gingen schief, manche Praktiken der Banken bei Börsengängen werden derzeit gar von der US-Börsenaufsicht SEC unter die Lupe genommen. Viele Fusionen, nicht zuletzt ein Megamerger wie DaimlerChrysler, entwickeln sich problematischer als zu Anfang erwartet. Die aktuelle Konjunkturflaute tut ein Übriges.
Kein Urlaub, kein Wochenende, viel Geld
Die Investmentabteilungen bei den Groß- und Kleinbanken suchen deshalb nun erneut Leute - Leute allerdings, die freiwillig den Finanzkonzern verlassen, gegen ein nicht unerhebliches Abfindungsgeld. „15 bis 20 Prozent bei uns wird gekündigt, wenn sie nicht freiwillig gehen“, sagt Jones. „Derzeit gilt es, möglichst viele Präsentationen bei Firmen zu buchen, um den Kundenkontakt in der Akte zu haben, unabhängig davon, ob daraus ein Geschäft wird“, sagt der junge Finanzexperte.
M&A-Geschäft am Ende
Nun muss man als Normalverdiener, zumindest was die Finanzausstattung angeht, nicht unbedingt Mitleid mit der Branche haben. Überall wird gespart und entlassen, doch kaum jemand erhält Abfindungen in der Größenordnung wie die Banker. Und trotzdem ist das Investmentbanking in der Krise. Besonders betroffen ist die Königsdisziplin: das M&A-Geschäft. Das verwundert auf den ersten Blick: Schließlich sind die Börsenunternehmen derzeit so billig wie schon lange nicht mehr. Doch gerade der Hightech-Abschwung lässt viele Konzernlenker ratlos zurück. Lohnt sich ein Merger überhaupt noch? Ist die Akquise der richtige Schritt, um erfolgreich zu sein? Und vor allem, kann man es sich im derzeitigen Marktumfeld leisten, eine Übernahme zu finanzieren, wenn die eigene Kasse aufgrund rückläufiger Aufträge immer leerer wird ?
Dazu kommt ein technisches Problem. Die Unsicherheit an den Börsen führt zu einer starken Volatilität. Einmal von den Investmentbankern festgelegte Übernahmepreise können binnen Wochenfrist zur Makulatur werden. Kurzum: Selbst führende Investmenthäuser wie Goldman Sachs, Merrill Lynch oder Morgan Stanley haben zu viele Angestellte und zu wenige Aufträge.
Lohnen sich Fusionen wirklich?
Das gibt auch der Branche Zeit, einmal über die eigene Arbeit nachzudenken. Rund Dreiviertel aller Fusionen gehen bekanntlich schief, das heißt, prognostizierte Umsatzsteigerungen, Synergieeffekte oder Marktzuwächse liegen weit unter den Erwartungen. „Niemand kann in die Zukunft sehen“, sagt Investmentbanker Jones, „und wenn sich die Rahmenbedingungen ändern, stimmen natürlich auch die Rechenmodelle nicht mehr!“ Hintergrund: Analysten der Investmentbanken berechnen die finanziellen Vorteile einer Fusion auch anhand von Prognosen. Grundlage sind neben vielen anderen Faktoren natürlich Markteinschätzungen - und wie falsch da selbst Experten liegen können, zeigten die vergangenen Monate, als ein Konjunkturforschungsinstitut nach dem anderen die Wachstumsprognosen nach unten schrauben musste: Mit der harten Landung in eine globale Rezession hat kaum jemand gerechnet.
Synergieeffekte - ein Wort, wenig Inhalt
Zudem sind die Werte vieler Fusionen durch eine Variable aufgebläht worden, die mittlerweile zu einer beliebten verbalen Allzweckwaffe mutiert ist: die Synergieeffekte. Die entstehen beispielsweise, wenn das fusionierte Unternehmen eine der beiden Personalabteilungen zumindest teilweise einsparen kann. Oft können Synergien jedoch aufgrund verschiedener Firmenkulturen und offenkundiger Rivalitäten zwischen den Angestellten nicht umgesetzt werden. Potenzielle Synergieeffekte werden auch gerne nach oben abgerundet, um zumindest auf dem Papier die Finanzeffekte einer Fusion noch positiver darzustellen.
Selbst bei Closing dinners wird nun gespart
Die Zukunft von Tim Jones wird sich in den nächsten Wochen entscheiden. Er will weitermachen als Investmentbanker. „Die Gehaltszahlungen sind enorm, ansonsten ist es kein Traumjob, wie er immer dargestellt wird. Es ist hauptsächlich harte Arbeit.“ Und der Ruf der Investmentbanker, in der knapp bemessenen Freizeit auch noch wilde Partynächte zu verbringen? „Nach einem Auftrag geht man natürlich feiern, aber der Arbeitgeber hat die Kosten für die so genannten Closing dinners mittlerweile auch gedeckelt - früher spielte das Geld keine Rolle!“ Ein besseres Indiz für die Krise der Branche gibt es nicht.
Text: @zyd
Bildmaterial: Andreas Koerner/STOCK4B
3. Dez. 2001 Tim Jones (Name von der Redaktion geändert) gibt alles für seinen Arbeitgeber. Täglich 16 Stunden, von neun Uhr morgens bis weit nach Mitternacht, rechnet, kalkuliert und telefoniert der 27-jährige Analyst für eine der ganz großen US-Investmentbanken mit Sitz in London. Mehr geht nicht, möchte man meinen, doch es kommt für Jones noch herber. Urlaub gibt es keinen, ein freies Wochenende auch nicht. Trotz des harten und unbedingten Einsatzes ist sein Job alles andere als sicher. Deshalb zieht er die Anonymität vor. „Ich will der Personalabteilung keinen Anlass geben...“, sagt er und wird genauer: „Bei uns gehen sie gerade mit der Axt durch den Mitarbeiterwald!“
Jones ist Investmentbanker. Er gehört damit einer der angesehensten und umstrittensten Berufsgruppen im Finanzsektor an. Ansehen genießt Jones, weil er sehr viel Geld verdient. Umstritten ist er deshalb, weil das M&A-Geschäft sowie die IPO-Aktivitäten vieler Investmentbanken in die Kritik geraten sind: Die wilden Investmentjahre 1999 und 2000 gehören der Vergangenheit an. Unzählige IPO gingen schief, manche Praktiken der Banken bei Börsengängen werden derzeit gar von der US-Börsenaufsicht SEC unter die Lupe genommen. Viele Fusionen, nicht zuletzt ein Megamerger wie DaimlerChrysler, entwickeln sich problematischer als zu Anfang erwartet. Die aktuelle Konjunkturflaute tut ein Übriges.
Kein Urlaub, kein Wochenende, viel Geld
Die Investmentabteilungen bei den Groß- und Kleinbanken suchen deshalb nun erneut Leute - Leute allerdings, die freiwillig den Finanzkonzern verlassen, gegen ein nicht unerhebliches Abfindungsgeld. „15 bis 20 Prozent bei uns wird gekündigt, wenn sie nicht freiwillig gehen“, sagt Jones. „Derzeit gilt es, möglichst viele Präsentationen bei Firmen zu buchen, um den Kundenkontakt in der Akte zu haben, unabhängig davon, ob daraus ein Geschäft wird“, sagt der junge Finanzexperte.
M&A-Geschäft am Ende
Nun muss man als Normalverdiener, zumindest was die Finanzausstattung angeht, nicht unbedingt Mitleid mit der Branche haben. Überall wird gespart und entlassen, doch kaum jemand erhält Abfindungen in der Größenordnung wie die Banker. Und trotzdem ist das Investmentbanking in der Krise. Besonders betroffen ist die Königsdisziplin: das M&A-Geschäft. Das verwundert auf den ersten Blick: Schließlich sind die Börsenunternehmen derzeit so billig wie schon lange nicht mehr. Doch gerade der Hightech-Abschwung lässt viele Konzernlenker ratlos zurück. Lohnt sich ein Merger überhaupt noch? Ist die Akquise der richtige Schritt, um erfolgreich zu sein? Und vor allem, kann man es sich im derzeitigen Marktumfeld leisten, eine Übernahme zu finanzieren, wenn die eigene Kasse aufgrund rückläufiger Aufträge immer leerer wird ?
Dazu kommt ein technisches Problem. Die Unsicherheit an den Börsen führt zu einer starken Volatilität. Einmal von den Investmentbankern festgelegte Übernahmepreise können binnen Wochenfrist zur Makulatur werden. Kurzum: Selbst führende Investmenthäuser wie Goldman Sachs, Merrill Lynch oder Morgan Stanley haben zu viele Angestellte und zu wenige Aufträge.
Lohnen sich Fusionen wirklich?
Das gibt auch der Branche Zeit, einmal über die eigene Arbeit nachzudenken. Rund Dreiviertel aller Fusionen gehen bekanntlich schief, das heißt, prognostizierte Umsatzsteigerungen, Synergieeffekte oder Marktzuwächse liegen weit unter den Erwartungen. „Niemand kann in die Zukunft sehen“, sagt Investmentbanker Jones, „und wenn sich die Rahmenbedingungen ändern, stimmen natürlich auch die Rechenmodelle nicht mehr!“ Hintergrund: Analysten der Investmentbanken berechnen die finanziellen Vorteile einer Fusion auch anhand von Prognosen. Grundlage sind neben vielen anderen Faktoren natürlich Markteinschätzungen - und wie falsch da selbst Experten liegen können, zeigten die vergangenen Monate, als ein Konjunkturforschungsinstitut nach dem anderen die Wachstumsprognosen nach unten schrauben musste: Mit der harten Landung in eine globale Rezession hat kaum jemand gerechnet.
Synergieeffekte - ein Wort, wenig Inhalt
Zudem sind die Werte vieler Fusionen durch eine Variable aufgebläht worden, die mittlerweile zu einer beliebten verbalen Allzweckwaffe mutiert ist: die Synergieeffekte. Die entstehen beispielsweise, wenn das fusionierte Unternehmen eine der beiden Personalabteilungen zumindest teilweise einsparen kann. Oft können Synergien jedoch aufgrund verschiedener Firmenkulturen und offenkundiger Rivalitäten zwischen den Angestellten nicht umgesetzt werden. Potenzielle Synergieeffekte werden auch gerne nach oben abgerundet, um zumindest auf dem Papier die Finanzeffekte einer Fusion noch positiver darzustellen.
Selbst bei Closing dinners wird nun gespart
Die Zukunft von Tim Jones wird sich in den nächsten Wochen entscheiden. Er will weitermachen als Investmentbanker. „Die Gehaltszahlungen sind enorm, ansonsten ist es kein Traumjob, wie er immer dargestellt wird. Es ist hauptsächlich harte Arbeit.“ Und der Ruf der Investmentbanker, in der knapp bemessenen Freizeit auch noch wilde Partynächte zu verbringen? „Nach einem Auftrag geht man natürlich feiern, aber der Arbeitgeber hat die Kosten für die so genannten Closing dinners mittlerweile auch gedeckelt - früher spielte das Geld keine Rolle!“ Ein besseres Indiz für die Krise der Branche gibt es nicht.
Text: @zyd
Bildmaterial: Andreas Koerner/STOCK4B