weil es mit der URL einfach nicht klappt.-Aus der FTD vom 10.4.2001 www.ftd.de/neuer-markt
Ochners Vermächtnis
Von Tillmann Prüfer, Stuttgart
Die Börsenstars verlassen das Parkett. Sie hinterlassen ruinierte Kurse und die Hoffnung auf einen reifen Neuen Markt.
Jetzt hat Kurt Ochner ja Zeit. Da könnte er sich in seinem Wohnsitz im odenwäldischen Mosbach zurücklehnen, ein wenig durchs Internet klicken - und schauen, was die Kleinanleger dort so über ihn schreiben.
Etwa eine Dame, die sich "claudia78" nennt: "Ich habe durch diesen Herren meine gesamten Ersparnisse - von Opa, Oma, Mama und Papa und was ich selbst verdient habe - verloren. Dieser Herr gehört an den Strick. Wer richtet diesen Schwerverbrecher?" Und "Mentat" bemerkt: "Ich verstehe nicht, warum der Markt soviel abgegeben hat, wegen Ochner... schließlich ist das Segment dadurch ein Stückchen seriöser geworden", und regt weiter an, Börsengurus zu "verhaften", Vorstände zu "erschießen" und "ein paar Banken abzufackeln", um die Sache noch seriöser zu machen.
Sauerkraut-Charisma
Es gab Zeiten, da sprach man ganz, ganz anders über Ochner. Der Mann, dem ein Charisma unterstellt wird, als hätte man einem Glas Sauerkraut ein Möllemann-Bärtchen angeklebt, war eine Diva. Er führte den "Special German Stock Fund" der Schweizer Privatbank Julius Bär. Ochner hatte den Fonds für Nebenwerte zum größten Neuer-Markt-Fonds gemacht und sich selbst zum Symbol des Schnell-Reich-Werdens. Zur Blütezeit bescherte er seinen Anlegern Gewinne bis zu 500 Prozent. Als der New-Economy-Traum aus war, wurde er Sinnbild des Noch-schneller-arm-Werdens. Wer vor einem Jahr in den "Special German" investiert hat, steht nun schlecht da. Er hat fast drei Viertel seines Einsatzes verloren.
Montag voriger Woche setzte Julius Bär seinen gefallenen Star vor die Tür. Den Fonds übernahm der wenig bekannte Carlo Seregni. "Das Management war wohl nicht der Meinung, dass sich der Neue Markt schnell erholen wird", knurrte Ochner - und schweigt seitdem. Die Kurse seiner Lieblingswerte befinden im freien Fall.
Kurt Ochner ist nicht die einzige entzauberte Legende. Kurz nach seinem Abgang beunruhigte die Finanzwelt die Meldung, dass der Neue-Markt-Fondsmanager Josef Schopf nach sechs Jahren bei der Dresdner-Bank-Tochter Deutscher Investment Trust (DIT) gekündigt hat. Zeitgleich meldete die DWS, Tochter der Deutschen Bank, dass sie die Zusammenarbeit mit der Fondsmanagerin Elisabeth Weisenhorn beim Fonds DWS Neuer Markt Deutschland beendet.
Der Abtritt der Stars weckt Hoffnungen, dass sich das deutsche Wachstumssegment zu einem reifen Markt entwickelt. "In den Anfängen des Neuen Marktes spielte Personenkult eine wichtige Rolle," sagt Thomas Teetz, Chef der Analyseabteilung bei HSBC Trinkaus & Burkhardt: "Aber in den vergangenen Monaten hat sich der Markt immer unabhängiger von Personen entwickelt."
Das Spiel ist aus
Dieser Personenkult ging soweit, dass einst die Nachricht, Ochner habe die Firma Odeon besucht, genügte, deren Kurs 30 Prozent in die Höhe zu katapultieren. Unter Investmentbankern galt Ochner als "Pate" des Neuen Marktes, weil er das Segment beherrschte wie der berüchtigte Neger-Kalle Sankt Pauli. Wer es in seinen Fonds geschafft hatte, galt als gebenedeit unter den Hightech-Werten. Ochner selbst beschrieb seine Deals gerne als "ein Spiel". Nun ist es aus.
Dass einzelne Personen am Neuen Markt eine solche Macht ausüben können, liegt nicht nur an deren vermeintlicher Genialität. Das Segment ist vom Volumen her ein Wasserglas, in dem sich schon ein wenig Geblubber wie ein Sturm ausmacht. Zum Vergleich: Top-Unternehmen an der US-Technologiebörse Nasdaq wie Microsoft oder Cisco haben für sich genommen eine größere Marktkapitalisierung als der gesamte Neue Markt. So ist er ein Dorado für Rechenschiebereien. Ochner wird verdächtigt, die Enge des Marktes ausgenutzt zu haben, um Kurse zu manipulieren.
Der "Spiegel" warf ihm vor, mit einem Netzwerk von Fondsverwaltern gearbeitet zu haben, besonders mit Marian von Korff, einem ehemaligen "Focus"-Redakteur und Inhaber der Investment-Gesellschaft Fair Invest. Gemeinsam habe man bei Werten, von denen nur wenige Aktien im Handel waren, große Positionen aufgekauft.
Tiefer Fall
Danach genügte schon eine Stimulation durch geringe Umsätze an der Börse, um die in den Fonds gebunkerten Werte hochzujubeln. Ochner soll zeitweise ein Drittel aller handelbaren Aktien der Medienfirma EM.TV besessen und so zu ihrer steten Wertsteigerung beigetragen haben. Solch ein System funktioniert allerdings nur, solange die Stimmung am Neuen Markt gut ist. Kippt sie, fallen die Kurse um so tiefer.
So erging es EM.TV. Und so erging es den Topwerten aus Ochners Portfolio, als sein Sturz bekannt wurde. Am schlimmsten traf es die Stuttgarter Softwarefirma Caatoosee. Ihr Kurs fiel innerhalb weniger Stunden um 56,2 Prozent auf 14,60 Euro und sinkt seither weiter. Auch die übrigen Ochner-Favoriten wurden verprügelt: Der Biotech-Anlagenbauer Cybio musste 22,7 Prozent abgeben, die Netzwerk-Sicherheitsfirma Biodata 15,7 Prozent. Novasoft fiel um 19,7 Prozent, Augusta Technologie um 12,7 Prozent. Medion büßte immerhin noch 9,8 Prozent ein.
"Wir wissen nicht, wer wann wie viele Aktien von uns kauft", sagt Caatoosee-Chef Guido Alt; von einem Kalkül der Fondsmanager will er nichts wissen. In den Räumen der Softwarefirma sind die Wände so bunt, als wäre das hier der Beatlesfilm "Yellow Submarine". Selbst Alt erinnert mit Wuschelfrisur und Nickelbrille an John Lennon.
Im obersten Stockwerk ist Alts Büro. Auf seinem Schreibtisch steht ein Bergkristall. Der soll schlechte Schwingungen abhalten. Er hat wohl allerhand zu tun. Alt schaut zweckoptimistisch drein, lehnt sich zurück: "Wenn ich in zehn Jahren zurückblicke, wird das nur eine Periode sein, durch die ich gegangen bin." Nur 15 Minuten habe er gebraucht, um sich nach der Nachricht des Kurssturzes wieder zu fangen. Die Telefone in der Investor Relations-Abteilung schrillten noch länger. "Wenn es einen Zusammenhang zwischen Ochners Abgang und dem Kurssturz gibt, ist das interessant", sagt er.
Der ist offensichtlich. "Es war allen klar, dass die Werte einbrechen würden, sobald Ochner gehen muss. Das sagt viel über die Qualität seines Portfolios", sagt ein Analyst. Julius Bär ist schon vor dem Börsengang bei Caatoosee eingestiegen, zusammen mit von Korffs Fair Invest. Ochners Fonds hielt als Altgesellschafter fast sieben Prozent.
Nach der Börseneinführung im Oktober 2000 stieg das Papier zunächst bis auf 60 Euro. Damit war die Firma mit 2 Mrd. DM bewertet, dem 127-fachen des geplanten 2000er-Umsatzes. "Die Bewertung macht die Börse, nicht wir", sagt Alt dazu.
Gezielte Stützungskäufe
Wohl nicht nur die Börse: Obgleich der Nemax schnell abschmierte, sackte der Caatoosee-Kurs nur langsam ab und hielt sich lange bei etwa 40 Euro. Händler vermuten, dass der Wert gezielt durch Stützungskäufe oben gehalten wurde. Da beim Börsengang von Caatoosee ohnehin nur 22 Prozent der Aktien in den freien Handel gegeben wurden, dürften schon kleine Umsätze genügt haben.
Das Vertrauen in Ochner war bis zuletzt unerschütterlich: Die "Wirtschaftswoche" schrieb in ihrer Online-Ausgabe noch Ende März zur Caatoosee-Aktie: "Gibt die Notierung auf 30 Euro nach, sollten Sie zuschlagen."
Dass dieses System auch umgekehrt funktioniert, wurde den Anlegern nun schmerzlich bewusst. Von Caatoosee sind 3,6 Mio. Aktien platziert worden. Um den Kurs ins Bodenlose stürzen zu lassen, genügte ein Umsatz von einigen hunderttausend Papieren. Nun könne Ochner eben nicht mehr seine schützende Hand über die Firma halten, meint ein Händler.
Jetzt hoffen die Analysten auf rationale Zeiten am Neuen Markt. "Für die Konsolidierung des Segments brauchen wir keine Stars", sagt Trinkaus-Analyse-Chef Teetz. Der Bank Julius Bär dürfte der Spaß an schillernden Figuren ohnehin vergangen sein. Ochner-Nachfolger Seregni hat schon versichert, er werde sich in der Öffentlichkeit "eher zurückhalten". Dafür soll er den "Special German" künftig mit solideren M- und S-Dax-Werten anfüttern. "Wir wollen ein bisschen Risiko rausnehmen", sagt Marketing-Vorstand Patrick Roeder.