nur ums öl, wäre zu wenig..
Die nahende Tragödie eines vermutlich allein Zehntausende ziviler Opfer fordernden Krieges der USA gegen den Irak läuft in ihrem Vorstadium nicht nur hierzulande, sondern in der westlichen Welt überhaupt, wie in einem Vexierspiegel ab. Politik, Publizistik und Massenmedien belügen übereinstimmend nicht nur ihre Adressaten, die vorgeblich souveränen Staatsbürger, sie belügen sich selbst. Das ist ihnen ebenso bewußt wie der größere Teil der Gesellschaft weiß, daß er belogen wird.
Abendlich dokumentiert die »Tagesschau« eingehend die Arbeit der Waffeninspektoren unter der Leitung des Schweden Hans Blix. Es werden Resultate, Haltung der Irakis, mögliche Verheimlichungen, Vorkommnisse etc. berichtet, gewertet und die Reaktionen von US-Politikern, UNO und anderen Instanzen mitgeteilt und im Hinblick auf die schließliche Konsequenz: Krieg oder (noch) kein Krieg befragt. Aber so gut wie allen ist bekannt, daß die US-Regierung die Wiederaufnahme der Waffensinspektionen für überflüssig hielt und ihr nur zur Befriedung der kriegsskeptischen Alliierten und in der Gewißheit zustimmte, daß sich ein Vorwand zum Zuschlagen allemal finden läßt. Über eine reale Alternative zum Krieg machen sich die Verantwortlichen in den USA denn auch so gut wie keine Gedanken, sind sie doch seit langem zum Krieg entschlossen und bereit, dafür zum fadenscheinigsten Vorwand zu greifen. »Die USA werden tun, was sie können, um eine Konfrontation (mit dem Irak) zu provozieren«, tat Bushs Sicherheitsberater Richard Perle z.B. am 20.11.02 britischen Parlamentariern kund. (The Mirror, 21.11.02)
Alle kennen die wirklichen Motive
Von einer Irreführung der Bürger durch Politiker und Massenmedien kann kaum noch die Rede sein, weil im überwiegenden Teil der global zunehmend gleichformierten Gesellschaften immerhin eine minoritäre kritische Presse wirksam ist, deren Berichte den Realitäten zumindest nahekommen. Ungeachtet dessen halten die Repräsentanten der politischen Klassen nicht nur gegenüber ihre Wählern, sondern auch und gerade in ihren Beziehungen und Verhandlungen untereinander an Fiktionen fest. Dazu gehören vor allem:
1. Im Irak muß ein »Regimewechsel« gewaltsam durchgesetzt werden, weil Saddam Hussein ein brutaler Diktator ist, der sein Volk drangsaliert und unterdrückt, der Beziehungen zu bin Laden und den Al-Qaida-Terroristen unterhält, der durch Erzeugung und Lagerung von »Massenvernichtungswaffen« (WMD) nuklearer, biologischer und chemischer Art die Sicherheit der USA gefährdet und damit zugleich gegen seine Verpflichtungen nach der Niederlage 1991 verstößt.
2. Die Rechtfertigung des zu erzwingenden Abtretens Husseins ist gegeben, wenn die Waffeninspektoren von UNMOVIC den unter 1. bezeichneten Sachverhalt der WMD-Waffen bestätigen.
Zahlreiche Indikatoren, darunter allgemeine, wie der ausdrückliche Anspruch der USA auf Hegemonialmacht nach dem Abtreten des bisherigen Universalfeindes »Sowjetkommunismus« in einer »Neuen Weltordnung«, sowie besondere, z.B. der Verlauf des Umgangs der Bush-jun.-Administration mit der Irak-Frage, verdeutlichen, daß die wirklichen Motive der Regierung der USA nicht jene fiktional aufrechterhaltenen sind. Sie reichen weit über die vorgeschobenen hinaus, was zugleich erklärt, weshalb die Bush-Mannschaft derart fest entschlossen ist, diesen Krieg zu führen.
Zwei miteinander verzahnte Hauptinteressen stehen dahinter: Die Etablierung einer militärisch gestützten dauerhaften Präsenz im politischen Unruheherd Naher Osten mit dem permanenten Israel-Palästina-Konflikt und der enormen Bedeutung der Region für die Kontrolle der politischen Entwicklungen im Mittleren Osten (vom Transkaukasus bis einschließlich der fünf mittelasiatischen Ex-Sowjetrepubliken). Zudem die Kontrolle über die Erdölreserven des Irak, die weltweit zweitgrößten nach den saudiarabischen, deren sichere Verfügbarkeit für die USA die Bush-Regierung neuerlich anzweifelt. »Wir werden die Sicherheit unserer Energieversorgung verstärken und den gemeinsamen Wohlstand der globalen Wirtschaft durch Zusammenarbeit mit unseren Alliierten [...], um die Quellen und Arten des globalen Energieangebots zu erhöhen, besonders in der westlichen Hemisphäre, in Afrika, Zentralasien und in der Kaspischen Region.« (Nationale Sicherheitsstrategie der USA, New York Times, 20.9.02).
Die Lektion Jugoslawien
Schon 1991 wurde in einer neuen Strategiekonzeption bekundet, daß die USA »weltweit« Interessen vertreten und durchzusetzen haben. Das bedeutet in der Tat, daß die von George Bush sen. deklarierte »Neue Weltordnung« eine den US-amerikanischen Vorstellungen und Interessen gemäße Ordnung zu sein hat. Was dem entgegensteht, manifest oder auch nur latent, muß entsprechend korrigiert oder eliminiert werden.
Das wurde z.B. zwischen 1993 und 1999 in der ehemaligen Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien (SFRJ) demonstriert, einer Region, an der die USA zunächst wenig Interesse zeigten. Als sich dort jedoch 1992 territoriale und ethnische Konflikte über die Grenzen der sich verselbständigenden früheren Republiken und Provinzen der SFRJ zuspitzten, identifizierten US-Außenpolitiker einen potentiellen Gefahrenherd: Serbien, das über die größte Militärmacht in Ex-Jugoslawien verfügte, in dem noch Sozialisten an der Regierung und panslawische Traditionen noch virulent waren, die sich u.a. im Bemühen um eine enge Anlehnung an Rußland ausdrückten.
Damals war aus westlicher Sicht dem neuen Rußland aber durchaus noch nicht zu trauen. Weder war sicher, ob sich Jelzin an der Macht halten kann, noch, ob dieser nicht neue Großmachtambitionen entwickeln würde. Slowenien und Kroatien, die beiden SFRJ-Republiken, die die Auflösung der Föderation mit vor allem deutscher Unterstützung erfolgreich betrieben, orientierten sich strikt auf den Westen. Also waren Freund und Feind rasch identifiziert und entsprechend wurde westlicherseits interveniert. Als die sozialen und wirtschaftlichen Probleme und Konflikte in religiöser und ethnischer Verkleidung in Bosnien-Herzegowina eskalierten, demonstrierten die USA mit ihrem Eingreifen aus der Luft den Europäern, wie eine Supermacht erfolgreich agiert und die Kräfteverhältnisse der heimischen Akteure zugunsten der dem Westen genehmen Richtung korrigiert. Der Verlierer Serbien rettete sich 1995 durch Zustimmung zu einem nachteiligen Vertrag; seine bewaffnete Lektion erhielt es 1999, nachdem es zum Schurken im Kosovo-Konflikt erklärt worden war.
Eine in größerer Dimension in etwa vergleichbare Konstellation machten die USA bald darauf im Nahen Osten (im angelsächsischen Bereich als Mittlerer Osten bezeichnet) aus: Eine Region mit einem dauerhaften und offenkundig nicht befriedbaren Konfliktherd zwischen Israel und den Autonomiegebieten der Palästinenser. Auch hier war keine Frage, wer Freund und wer Feind ist. Diese periodisch immer wieder eskalierende Konfrontation erzeugte und erzeugt Unruhen und Instabilitäten in der gesamten Region. Die vielfältige Diskriminierung der Palästinenser durch sich nur im Intensitätsgrad unterscheidende israelische Regierungen verletzte den nationalen Stolz der Araber und Islamgläubigen überhaupt, besonders der sozial Benachteiligten und der angemessene Beschäftigung entbehrenden Jugendlichen. Hier bildeten sich militante Haltungen aus, die zumeist von den durchweg autoritären Herrschern und deren Machtapparaten im Zaum gehalten wurden.
Die massive militärische, wirtschaftliche und politische Unterstützung Israels durch die USA war natürlich unverkennbar und so war naheliegend, daß sich antiamerikanische Stimmungen im Nahen Osten, insbesondere unter den latent Militanten in dem Maße verstärkten, in dem Israel die politische und wirtschaftliche Niederhaltung der Palästinenser fortsetzte und sich zu keinen ernsthaften Konzessionen im Hinblick auf eine palästinensische Staatenbildung bereit zeigte. Zugleich war und ist die Region jedoch infolge ihres Ölreichtums vorrangiges Interessengebiet der USA. Einige der Führungen der überwiegend nachkolonial in fragwürdiger Weise entstandenen Staaten der Region teilen die Distanz ihrer Bevölkerung gegenüber den USA, andere suchen und praktizieren Anlehnung an diese entgegen der Stimmung im Volke.
Daß eine Regierung der USA wie die derzeitige, die in der Tradition der rechtsrepublikanischen Politik der Stärke steht und die eine ganze Reihe hoher Beamter aufweist, die im Erdölgeschäft engagiert sind oder waren, zu dem Entschluß gelangt, die eigene Präsenz in der Region auszuweiten und zu verstärken, ist nicht eben erstaunlich. In welchen Formen, mit welchen Mitteln und Institutionen diese Präsenz realisiert werden soll, wird an der Spitze der USA aktuell heftig diskutiert, ist aber wohl noch nicht entschieden.
Vorgegebene Argumentationsebene
Für eine Strategie weltweiter Hegemonialmacht ist dieser Schritt der US-Weltpolitik immanent betrachtet absolut einsichtig, ja, geradezu notwendig. Diese Motivation und dieses Ziel der bevorstehenden Intervention der USA im Irak wird von den führenden Politikern der EU- und auch anderer Staaten so gut wie völlig unterschlagen, obgleich sie darüber natürlich im Bilde sind. Weshalb begaben sich und verblieben diese Regierungen auf der von den USA vorgegebenen Argumentationsebene?
Es ist anzunehmen, daß eine Reihe von ihnen, die heute noch das eigenmächtige, aggressive und scheinbar auch willkürliche Vorgehen der USA vorsichtig bis nachdrücklich kritisieren, letztendlich ihre Bedenken aufgeben und den von den USA so sehr gewollten Krieg absegnen. Einige dieser Regierungen, nicht zuletzt arabische, lassen sich diese Wende monetär und natural reichlich vergüten, mag es selbst in einer Welt, in der alles käuflich ist, noch immer etwas anrüchig dünken (»The final means of persuasion...bribes«, The Sunday Herald, 9.2.03). Von den einen widerstrebenden Regierungen wurde dieses Resultat wohl von vornherein angestrebt. Andere werden Bestechung zurückweisen und schließlich auch auf den Kurs der rechtsrepublikanischen Bellizisten einschwenken, um sich die Gunst der allmächtigen Supermacht zu erhalten.
Jene – vermutlich sehr wenigen – Regierungen aber, die, wie möglicherweise die deutsche, beim Dissens bleiben wollen oder müssen, weil sie sich den Rückzug versperrt haben, geraten bei ihrem Verharren im »politisch korrekten« Diskurs immer mehr in Erklärungsnot. Aus dieser könnten sie sich befreien, indem sie das Tabu brechen und die eigentliche Motive und Ziele der USA benennen. Argumentativ wären sie dann kaum angreifbar und sie stünden logisch und moralisch in guten Schuhen da.
Denn was verpflichtet souveräne Staaten, die hypertrophen Ansprüche einer hegemonialen Supermacht zu bedienen, deren Vorgehensweise Völkerrecht und Menschenrechte selbstherrlich ignoriert und damit für nichtig erklärt? Das brächte derart konsequent kritische Regierungen gar in eine Position, mit der sie die willfährigen regierungsamtlichen Trittbrettfahrer beschämten. Aber eine solche Haltung, die Mut, politische und persönliche Stärke und Stehvermögen verlangt, verspricht keine Sympathien seitens der Mehrheit. Wer es leichter haben will, findet im Verbleiben beim heimlichen Konsens der von den USA eröffneten irreführenden Erklärungs-, Argumentations- und Verhandlungsebene mehrfachen Nutzen, weil
– es erlaubt, den Krieg noch immer mit Scheinargumenten zu legitimieren, wenn den Waffeninspekteuren Vorwände geliefert werden, Saddam Hussein Vertragsverletzungen nachzuweisen;
– die Offenlegung der wahren Motive und Ziele der USA den bereits jetzt hohen Anteil der gegen den Krieg votierenden Bevölkerung weiter verstärken würde;
– die Fiktion der Berechtigung des Krieges den europäischen Partnern der USA offenläßt, sich an dem Krieg in der einen oder anderen Weise zu beteiligen;
– das Eingeständnis der wahren Absichten deren Völkerrechtswidrigkeit evident werden ließ, mithin nicht länger erlauben würde, diesen Sachverhalt zu leugnen.
Trick des »Antiterrorkrieges«
Ginge es »nur« darum, sich eines unbequemen, weil israel- und USA-feindlichen Autokraten zu entledigen und US-Konzernen Anteile am Erdöl des Irak zu verschaffen, wäre der Krieg in den USA kaum mehrheitsfähig und die Regierung womöglich in Anbetracht der ablehnenden Position der Verbündeten zum – wie immer vorläufigen – Verzicht bereit. Indem jedoch der vorbereitete Militärschlag als Teil des »Krieges gegen den Terror« deklariert wird, steigt die Zustimmung im Lande, und die Freunde in Europa können nachdrücklich auf ihre Gelöbnisse nach dem 11.September 2001 festgelegt werden. Geht es gar um Beseitigung eines beträchtlichen politischen Konfliktherdes in einer geopolitisch und ökonomisch brisanten, strategisch relevanten, von den USA reklamierten Region, erscheinen in der Sicht der Machtpolitiker alle Bedenken gegen den Krieg als kleinlich und irrelevant. »Heute ist das neue Ziel (der USA), ihre Vorteile dauerhaft zu machen, eine vollendete Tatsache, die andere Staaten veranlassen wird, nicht einmal zu versuchen, aufzuschließen. Einige Denker haben diese Strategie als ›Ausbrechen‹ beschrieben, indem die USA so schnell technologische Innovationen entwickeln [...], daß kein Staat oder keine Koalition sie jemals als globale Führungs-, Schutz- und Durchsetzungsmacht herausfordern kann.« (G.I. Ikenberry, Foreign Affairs, Sept./Okt. 2002).
Den Regierenden der USA gilt bereits China als Aspirant einer möglichen Gegenmacht, eine nicht ganz abwegige Perspektive, die einmal mehr die geopolitische Bedeutung Zentralasiens belegt, wo die USA derzeit verstärkt Fuß fassen. Neben der tatsächlichen Terroristenbekämpfung (über deren Methoden und Legitimität an dieser Stelle nicht zu disputieren ist), ist die Formel eines weltweiten und langdauernden »Krieges gegen den Terrorismus« jedenfalls zugleich Deckmantel für alle verdeckten und offenbaren militärischen, politischen und geheimdienstlichen Aktionen der USA zur Etablierung und Festigung ihrer Weltmachtposition.