"Weltjudentum"
Wer mitreden will und wissen will, warum es keine ungläubigen Moslems geben kann, der wird wohl um unteren text nicht herum kommen. Und warum es nie Frieden geben kann mit Israel.
Radikale Islamisten bekämpfen das kapitalistische Amerika wie die Nazis das „Weltjudentum“
Von Ian Buruma (SZ. 19.09.01)
Lebt in London und publiziert regelmäßig zu Themen der europäischen und asiatischen
Kulturen.
Der Bolschewismus war der eine der beiden Dämonen der Nazipropaganda. Der andere war das "Weltjudentum". In der Vorstellung der Nazis war das eine die Manifestation des anderen: Der Bolschewismus gehörte zum jüdischen Plan, die westliche Zivilisation zu zerstören. Der Kapitalismus eigentlich auch, aber wenn die Nazipropagandisten sich einer Parole verschrieben, nahmen sie auf Schlüssigkeit wenig Rücksicht. Nun kann man islamistische Extremisten nicht mit den Nationalsozialisten gleichsetzen. Weder haben sie in einem der weitest entwickelten und mächtigsten Staaten der Welt die Macht übernommen, noch sieht es danach aus, dass sie das in naher Zukunft tun werden. Sie verfügen über keine großen Armeen, und ihre Ideologie scheint noch inkohärenter zu sein als die der Nationalsozialisten. Aber in zweierlei Hinsicht gleichen sie den Nazis doch: Sie repräsentieren die muslimische Zivilisation und deren Werte genauso wenig, wie die Nazis die westliche Zivilisation verteidigt haben. Und ihre Dämonen sind ebenso rein symbolischer Natur wie die der Nazis. Und wenn es ihnen darum geht, in ihren jeweiligen Ländern an die Macht zu kommen, ist es auch bei ihnen der beste Weg, um Prestige und Rekruten zu erlangen, diese Dämonen aufzubauschen und ihnen den Weg zu erklären. Die meisten Staaten des Mittleren Osten werden von mehr oder weniger säkularen Autokraten regiert. Radikaler Islamismus ist eine Option der Unterworfenen, ihre Frustration abzureagieren, Die Dämonen der Nazis und die der Muslime laben sehr viel miteinander gemein: Das ,Weltjudentum" hat den Zweiten Weltkrieg als der Große Satan überlebt, Sein Hauptquartier liegt jetzt in New York, nicht mehr in Moskau - dort wo es noch für die Nazis lag, die in der Sowjetunion noch die Zentrale von Zion sahen, wohl auch sie die Neue Welt bereits als jüdische Bastion wahrnahmen.
Es gehört zu den meistzitierten Ironien der jüngeren Geschichte, dass Amerika mit Osama bin Laden und dessen Gesinnungsgenossen seine heutigen erbittertsten muslimischen Feinde im Kampf gegen den Kommunismus selbst gezüchtet hat. Als sich dann aber die einstigen Proteges gegen Amerika wandten, griffen sie damit zugleich das „Weltjudentum" an. Die Nazis behaupteten, Amerika hätte eine seelenlose, materialistische, entwurzelte Kultur, die sich einzig ums Geld und sonst gar nichts dreht. Extremistische Muslime teilen diese Ansicht - und stehen damit, wie man weiß, keineswegs allein. Letzte Woche tauchte, der wenn es darum ging, den Amerikanern selbst die Schuld an dem Unglück zu geben, die Phrase vom "räuberischen Kapitalismus" auf. Mit demselben Bild wurden über Jahrhunderte die Juden charakterisiert.
Deshalb fallen Antiamerikanismus und Antisemitismus so oft in eins. Auch Juden wird häufig vorgeworfen, sie hätten den Antisemitismus selbst zu verantworten. Das Argument lautet im altehrwürdigen Timbre des typisch bornierten Antisemiten ungefähr so: Wenn die Juden nur ein klein bisschen weniger penetrant wären oder weniger Seilschaften bilden würden, wenn sie nur ein bisschen weniger arrogant oder raffgierig wären oder was auch immer, dann wären die Leute sicher dazu bereit, ihre Abneigung ihnen gegenüber abzubauen. Ganz ähnlich lautet es diese Tage häufig über Amerika: Wenn doch die Amerikaner ein bisschen weniger penetrant, raffgierig und arrogante Machthaber wären, dann würde sich vielleicht auch der Antiamerikanismus legen.
Im Gegensatz zum "Weltjudentum" sind die USA ein Staat. Ein Staat macht Politik, und es ist rechtmäßig, diese Politik zu kritisieren. Die Palästinenser haben Recht, wenn sie sagen, dass Washington noch nie auf ihrer Seite war. Aber wären bin Laden und seine Freunde zufrieden, wenn Präsident Bush Ariel Scharon zwingen würde, alle israelischen Siedler aus den palästinensischen Gebieten zurückzuziehen und Yassir Arafat zu erlauben, einen palästinensischen Staat nach eigenen Vorstellungen zu etablieren? Natürlich wird das nicht geschehen, aber selbst wenn: Machte es wirklich einen Unterschied? Wohl kaum, denn eine Politik des appeasement hat noch nie Dämonen zum Verschwinden gebracht. Keine "reinen Arier" ohne das "Weltjudentum" , kein "rein islamischer Staat" ohne den amerikanischen Satan. Es gehört zur genuinen Taktik solcher Bewegungen, eine ausländische Bedrohung der eigenen Nation an die Wand zu malen. Stets stellen die Erneuerer sich als rein dar und die bekämpfte Herrschaft als korrupte Lakaien fremder Interessen.
Die Tatsache, dass die USA sich offen zu Israel bekennen, erzürnt die Muslime zwar gewaltig, aber allein daraus leitet sich kein rasender Antiamerikanismus ab. Fanatiker, ob es sich dabei um serbische Nationalisten, christliche Fundamentalisten, japanische Militaristen oder chinesische Kommunisten handelt, brauchen das Gefühl, Opfer von Kräften zu sein, die stärker sind als sie selbst. Es liegt seit je im Interesse derer, die absolute Macht erlangen oder erhalten wollen, sich als Opfer zu stilisieren.
Amerika oder andere Länder des reichen Westens können daran wenig ändern. Wir stecken in einem hässlichen Dilemma. Wenn wir den "Krieg gegen den Terrorismus" als Clash of Civilizations interpretieren, als Krieg des Westens gegen den Rest oder des Christentums gegen den Islam, dann sehen wir die Welt nicht anders, als bin Laden sie wahrnimmt. In einer solchen Perspektive wartet am Ende nichts als der Tod.
Aber wenn muslimischer Extremismus eine Form der Rebellion gegen säkulare arabische Diktaturen ist, werden sich in der jetzt geplanten "Koalition der Alliierten" einige ziemlich sinistre Partner finden. Es ist sicher nicht die intelligenteste Strategie, die "zivilisierte Welt" zu verteidigen, indem man Ölscheichs, Militärregime und absolute Monarchen unterstützt, zumal bei einer Sache, die viele ihrer Untertanen erzürnen wird.
Vielleicht haben wir keine Wahl, Winston Churchill hat einmal erklärt, er würde selbst mit dem Teufel einen Pakt schließen, um die Nazis zu besiegen. Gut. Aber lassen wir dann das ganze Geschwätz von Zivilisation und Demokratie und machen einfach unsere dreckige Arbeit.
Gruß
Wer mitreden will und wissen will, warum es keine ungläubigen Moslems geben kann, der wird wohl um unteren text nicht herum kommen. Und warum es nie Frieden geben kann mit Israel.
Radikale Islamisten bekämpfen das kapitalistische Amerika wie die Nazis das „Weltjudentum“
Von Ian Buruma (SZ. 19.09.01)
Lebt in London und publiziert regelmäßig zu Themen der europäischen und asiatischen
Kulturen.
Der Bolschewismus war der eine der beiden Dämonen der Nazipropaganda. Der andere war das "Weltjudentum". In der Vorstellung der Nazis war das eine die Manifestation des anderen: Der Bolschewismus gehörte zum jüdischen Plan, die westliche Zivilisation zu zerstören. Der Kapitalismus eigentlich auch, aber wenn die Nazipropagandisten sich einer Parole verschrieben, nahmen sie auf Schlüssigkeit wenig Rücksicht. Nun kann man islamistische Extremisten nicht mit den Nationalsozialisten gleichsetzen. Weder haben sie in einem der weitest entwickelten und mächtigsten Staaten der Welt die Macht übernommen, noch sieht es danach aus, dass sie das in naher Zukunft tun werden. Sie verfügen über keine großen Armeen, und ihre Ideologie scheint noch inkohärenter zu sein als die der Nationalsozialisten. Aber in zweierlei Hinsicht gleichen sie den Nazis doch: Sie repräsentieren die muslimische Zivilisation und deren Werte genauso wenig, wie die Nazis die westliche Zivilisation verteidigt haben. Und ihre Dämonen sind ebenso rein symbolischer Natur wie die der Nazis. Und wenn es ihnen darum geht, in ihren jeweiligen Ländern an die Macht zu kommen, ist es auch bei ihnen der beste Weg, um Prestige und Rekruten zu erlangen, diese Dämonen aufzubauschen und ihnen den Weg zu erklären. Die meisten Staaten des Mittleren Osten werden von mehr oder weniger säkularen Autokraten regiert. Radikaler Islamismus ist eine Option der Unterworfenen, ihre Frustration abzureagieren, Die Dämonen der Nazis und die der Muslime laben sehr viel miteinander gemein: Das ,Weltjudentum" hat den Zweiten Weltkrieg als der Große Satan überlebt, Sein Hauptquartier liegt jetzt in New York, nicht mehr in Moskau - dort wo es noch für die Nazis lag, die in der Sowjetunion noch die Zentrale von Zion sahen, wohl auch sie die Neue Welt bereits als jüdische Bastion wahrnahmen.
Es gehört zu den meistzitierten Ironien der jüngeren Geschichte, dass Amerika mit Osama bin Laden und dessen Gesinnungsgenossen seine heutigen erbittertsten muslimischen Feinde im Kampf gegen den Kommunismus selbst gezüchtet hat. Als sich dann aber die einstigen Proteges gegen Amerika wandten, griffen sie damit zugleich das „Weltjudentum" an. Die Nazis behaupteten, Amerika hätte eine seelenlose, materialistische, entwurzelte Kultur, die sich einzig ums Geld und sonst gar nichts dreht. Extremistische Muslime teilen diese Ansicht - und stehen damit, wie man weiß, keineswegs allein. Letzte Woche tauchte, der wenn es darum ging, den Amerikanern selbst die Schuld an dem Unglück zu geben, die Phrase vom "räuberischen Kapitalismus" auf. Mit demselben Bild wurden über Jahrhunderte die Juden charakterisiert.
Deshalb fallen Antiamerikanismus und Antisemitismus so oft in eins. Auch Juden wird häufig vorgeworfen, sie hätten den Antisemitismus selbst zu verantworten. Das Argument lautet im altehrwürdigen Timbre des typisch bornierten Antisemiten ungefähr so: Wenn die Juden nur ein klein bisschen weniger penetrant wären oder weniger Seilschaften bilden würden, wenn sie nur ein bisschen weniger arrogant oder raffgierig wären oder was auch immer, dann wären die Leute sicher dazu bereit, ihre Abneigung ihnen gegenüber abzubauen. Ganz ähnlich lautet es diese Tage häufig über Amerika: Wenn doch die Amerikaner ein bisschen weniger penetrant, raffgierig und arrogante Machthaber wären, dann würde sich vielleicht auch der Antiamerikanismus legen.
Im Gegensatz zum "Weltjudentum" sind die USA ein Staat. Ein Staat macht Politik, und es ist rechtmäßig, diese Politik zu kritisieren. Die Palästinenser haben Recht, wenn sie sagen, dass Washington noch nie auf ihrer Seite war. Aber wären bin Laden und seine Freunde zufrieden, wenn Präsident Bush Ariel Scharon zwingen würde, alle israelischen Siedler aus den palästinensischen Gebieten zurückzuziehen und Yassir Arafat zu erlauben, einen palästinensischen Staat nach eigenen Vorstellungen zu etablieren? Natürlich wird das nicht geschehen, aber selbst wenn: Machte es wirklich einen Unterschied? Wohl kaum, denn eine Politik des appeasement hat noch nie Dämonen zum Verschwinden gebracht. Keine "reinen Arier" ohne das "Weltjudentum" , kein "rein islamischer Staat" ohne den amerikanischen Satan. Es gehört zur genuinen Taktik solcher Bewegungen, eine ausländische Bedrohung der eigenen Nation an die Wand zu malen. Stets stellen die Erneuerer sich als rein dar und die bekämpfte Herrschaft als korrupte Lakaien fremder Interessen.
Die Tatsache, dass die USA sich offen zu Israel bekennen, erzürnt die Muslime zwar gewaltig, aber allein daraus leitet sich kein rasender Antiamerikanismus ab. Fanatiker, ob es sich dabei um serbische Nationalisten, christliche Fundamentalisten, japanische Militaristen oder chinesische Kommunisten handelt, brauchen das Gefühl, Opfer von Kräften zu sein, die stärker sind als sie selbst. Es liegt seit je im Interesse derer, die absolute Macht erlangen oder erhalten wollen, sich als Opfer zu stilisieren.
Amerika oder andere Länder des reichen Westens können daran wenig ändern. Wir stecken in einem hässlichen Dilemma. Wenn wir den "Krieg gegen den Terrorismus" als Clash of Civilizations interpretieren, als Krieg des Westens gegen den Rest oder des Christentums gegen den Islam, dann sehen wir die Welt nicht anders, als bin Laden sie wahrnimmt. In einer solchen Perspektive wartet am Ende nichts als der Tod.
Aber wenn muslimischer Extremismus eine Form der Rebellion gegen säkulare arabische Diktaturen ist, werden sich in der jetzt geplanten "Koalition der Alliierten" einige ziemlich sinistre Partner finden. Es ist sicher nicht die intelligenteste Strategie, die "zivilisierte Welt" zu verteidigen, indem man Ölscheichs, Militärregime und absolute Monarchen unterstützt, zumal bei einer Sache, die viele ihrer Untertanen erzürnen wird.
Vielleicht haben wir keine Wahl, Winston Churchill hat einmal erklärt, er würde selbst mit dem Teufel einen Pakt schließen, um die Nazis zu besiegen. Gut. Aber lassen wir dann das ganze Geschwätz von Zivilisation und Demokratie und machen einfach unsere dreckige Arbeit.
Gruß