Irak - Angst vor Tag X
Von Peter Ehrlich, Silke Mertins und Jens Tartler, Berlin
Ein US-Militärschlag gegen Irak scheint immer unausweichlicher. Im Kanzleramt und in den Fraktionen von SPD und Grünen geht bereits die Furcht um, dass ein solcher Waffengang die Berliner Republik kräftig durchschütteln könnte. Viele Abgeordnete wollen sich schon jetzt als Kriegsgegner outen - und sich so aus der Affäre ziehen.
Der Ratschlag war deutlich: "Wir sind stark genug, etwas zu verhindern", sagte Egon Bahr an seinen Parteichef gewandt. Mit "wir" meinte der erfahrene SPD-Sicherheitspolitiker Bahr Deutschland, mit "etwas" einen US-Angriff auf Irak. Der Angesprochene, Bundeskanzler Gerhard Schröder, hatte Bahr bei einer Feier zu dessen 80. Geburtstag zuvor als einen Mann gelobt, dessen Rat man heute noch gebrauchen könne.
Ob Schröder Bahrs Vorschlag, notfalls auf Konfrontationskurs zur Weltmacht USA zu gehen, beherzigen wird, blieb offen. Bei Irak gilt, was laut Kanzler auch auf Bahr zutrifft: "Egon, von dir sagt man ja, du seist so konspirativ, dass du dir selbst nicht alle Geheimnisse verrätst."
Konspirativ ist das Thema Irak, weil über keine andere Frage in Regierung und Parteien so viel nachgedacht und zugleich so wenig geredet wird. Und wenn geredet würde, käme heraus, dass Deutschland seinem amerikanischen Verbündeten im Falle einer militärischen Aktion am liebsten den Kriegsdienst verweigern würde.
Aufkeimende Kriegsangst
Das gilt nicht nur für die PDS, die mit aufkeimender Kriegsangst massenweise Teilnehmer zu den Ostermärschen der Friedensbewegung locken will, oder die Grünen, deren Spitzenkandidat und Außenminister Joschka Fischer die USA unmissverständlich vor einem Alleingang gewarnt hat. Selbst Unionskanzlerkandidat Edmund Stoiber sprach kürzlich bei einer Veranstaltung in Hamburg Klartext: "Die Europäer sind in besonderem Maße interessiert daran, dass eine mögliche Option der Amerikaner überhaupt nicht Wirklichkeit wird."
Der Mann, der im Ernstfall darüber entscheidet, ob er die USA politisch oder gar militärisch unterstützt, heißt allerdings Schröder. Bislang hat der Kanzler nur vage Andeutungen zum Tag X gemacht: Zum Beispiel, dass er einen Beschluss des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen erwarte oder dass Deutschland die zum Schutz von US-Basen in Kuwait stationierten ABC-Schutzpanzer nicht abziehen würde. Alles andere, beteuert die Regierung, sei Spekulation, zumal es noch keine konkreten Angriffspläne gebe.
Trotz der abwiegelnden Äußerungen sind sich die Strategen im Kanzleramt sicher, dass die USA das Problem Irak irgendwann militärisch lösen wollen. "Wir wissen nur noch nicht, welchen Grund die Amerikaner finden werden", sagt ein Regierungsvertreter.
Inzwischen steht das Thema Irak bei jeder Sitzung des Auswärtigen Ausschusses in Berlin automatisch auf der Tagesordnung. Die Regierungsvertreter "sagen alles, was sie wissen, aber viel ist das nicht", erzählt ein sozialdemokratischer Abgeordneter.
Neue Dimension
Die Stimmung in den Koalitionsfraktionen sei bedrückt, beobachtet die 1998 zur PDS übergelaufene Ex-Grüne Heidi Lippmann. Anders als bei den umstrittenen Einsätzen im Kosovo und in Afghanistan stößt ein Krieg gegen Irak in eine ganz neue Dimension vor.
Drei Viertel der Deutschen lehnen einen solchen Militärschlag ab. "Für die Bevölkerung ist das überhaupt nicht nahe liegend", urteilt Emnid-Meinungsforscher Oliver Krieg. Zumal weder Medien noch Parteien vermittelt haben, dass eine unmittelbare Bedrohung von Bagdad ausgehe. Doch die Amerikaner, so Emnid-Forscher Krieg, "werden nicht danach fragen, ob in Deutschland gerade Wahlkampf ist".
In den Koalitionsfraktionen nimmt die Angst vor einem Militärschlag zu. "Das wird uns Stimmen kosten", stöhnt der SPD-Abgeordnete Christoph Moosbauer. Der 32-jährige Außenpolitiker muss in München ein Direktmandat gewinnen, will er wieder in den Bundestag einziehen. Erst kürzlich habe ihm ein Genosse aus seinem Wahlkreis mitgeteilt, die SPD sei nicht mehr seine Partei. Nach 50 Jahren Mitgliedschaft. "Und das ist kein Einzelfall", klagt Moosbauer. Bereits wegen des Afghanistan-Krieges seien in München Hunderte von Genossen ausgetreten.
Einen Militärschlag gegen Irak, daran lässt der Nahost-Experte keinen Zweifel, wird er bekämpfen. Den Widerstand gegen einen solchen Waffengang werde er "nicht den "Herz-Jesu-Pazifisten" bei SPD und Grünen überlassen. "Diesmal wird es nicht ein Protest aus dem Bauch, sondern aus dem Kopf heraus".
Glaubwürdigkeit der Grünen steht auf dem Spiel
Die Annahme, dass "die handelnde Regierung, wenn sie es nicht ganz dumm anstellt, in Krisen immer einen Vorteil hat" (Dieter Roth von der Forschungsgruppe Wahlen), könnte sich bei einem Militärschlag gegen Irak als Trugschluss herausstellen. Die Glaubwürdigkeit der Grünen jedenfalls wäre bei einer derartigen Aktion endgültig dahin.
Christian Sterzing, Außenpolitiker bei den Grünen, glaubt, dass es für beide Regierungsparteien schwierig wird, wenn sich der Konflikt zuspitzt. Schließlich habe die von den USA behauptete Verbindung zwischen Bagdad und der Terrororganisation al-Kaida niemand wirklich ernst genommen. Würden sich die Angriffspläne der USA konkretisieren, hätte das "im Wahljahr außerordentliche Brisanz." Der SPD-Abgeordnete Joachim Tappe hofft, "dass die Bundesregierung klug genug ist, sich auf keine Abenteuer einzulassen". Keine Abenteuer, das hat der Kanzler versprochen, nachdem er den USA am 11. September "uneingeschränkte Solidarität" zugesichert hatte. Auf diese Zusage wollen sich jedoch nicht alle verlassen.
Inspiriert von einer Gruppe britischer Labour-Abgeordneter, die sich in einer Erklärung gegen Regierungschef Tony Blairs eifrige Unterstützung für Washington aussprechen, wird nun auch in Berlin ein politischer Präventivschlag diskutiert. Am Rande der zahlreichen Sitzungen vor der Osterpause wurde erörtert, wie eine solche Anti-Kriegs-Erklärung zu bewerkstelligen sei. "Es müsste auf jeden Fall von SPD und Grünen gemeinsam gemacht werden", sagt ein Grüner.
Eiertanz für den Kanzler
Der Regierung ist indes wenig gedient, wenn die Parlamentarier sich mittels kriegsverweigernder Erklärung vorbeugend aus der Affäre ziehen. Im Gegenteil: Dem Kanzler wird die Wahl eher erschwert. Im "Eiertanz zwischen Solidarität mit den USA und der öffentlichen Meinung" werde sich der Kanzler dann am Ende wohl für Letzteres entscheiden, unkt der Göttinger Parteienforscher Peter Lösche.
Noch mehr in die Bredouille geraten als die Regierung könnte die Opposition. "CDU und CSU bekennen sich viel stärker zum Bündnis mit den USA", argumentiert Lösche. Als sich Schröder und Fischer vor Wochen kritisch zu der von US-Präsident George W. Bush heraufbeschworenen "Achse des Bösen" äußerten, warfen sie Rot-Grün eine zu Amerika-kritische Haltung vor.
Anders als früher können sich die Deutschen diesmal nur bedingt hinter der Formulierung "wir und unsere europäischen Partner" verstecken. Denn in der Alten Welt zeichnet sich keine einheitliche Linie gegenüber Washington ab, Blair will weiter an der Seite Bushs kämpfen. Die Bundesregierung wird sich also nicht auf die besondere historische Rolle Deutschlands zurückziehen können, wie noch im Golfkrieg vor elf Jahren.
In einigen Belangen wird der Kanzler - egal, wie stark der öffentliche Druck auch immer sein mag - um eine Unterstützung der Amerikaner nicht herumkommen. Wenn seine Aussage stimmt, dass im Falle eines Abzugs der ABC-Einheit aus Irak sich 30 bis 50 Jahre kein deutscher Kanzler mehr in Washington sehen lassen kann, wird er den Amerikanern die Überflugrechte und die Benutzung ihrer Basen in Deutschland erst recht nicht verwehren können.
Hoffnung und Glaube
Den friedenspolitisch arg gebeutelten Bündnisgrünen, in deren Regierungszeit im Kosovo der erste Krieg mit deutscher Beteiligung geführt wurde, bleibt da nur der Glaube an ein Wunder: "Wir beobachten unsere amerikanischen Freunde und hoffen auf ihre Vernunft", sagt der einflussreiche innenpolitische Sprecher der Grünen, Cem Özdemir.
Die Abgeordneten der Koalition setzen darauf, dass die USA erst nach dem 22. September angreifen. "Vor November läuft nichts", glaubt ein Berater der Regierung. Selbst eine vor allem aus der Luft und mit Kommandoeinheiten geführte Operation werde monatelange Vorbereitung und mehrere Zehntausend US-Soldaten erfordern, heißt es in der Bundeswehrführung.
Ein SPD-Politiker warnt bereits, dass der Sicherheitsrat einen Waffengang auch gegen Deutschlands Willen billigen könnte. "Wir kommen in schwierige Gewässer für den Fall, dass Frankreich und Russland einer solchen Resolution zustimmen." Dann gehe es um Solidarität. Und dieser Solidarität müsse sich eine widerstrebende Parteibasis fügen.
© 2002 Financial Times Deutschland