Investoren spekulieren auf weitere Zinssenkung durch die EZB
Nächster EZB-Schritt frühestens für das zweite Quartal erwartet / Niedriger Realzins
ruh. FRANKFURT, 8. Januar. Die verringerten Konjunkturerwartungen vieler Marktteilnehmer haben Spekulationen auf eine weitere Zinssenkung der Europäischen Zentralbank genährt: Die Preise für Terminkontrakte auf Dreimonatsgeld spiegeln die Erwartung, daß die EZB das Zinsniveau bis Juli um 25 Basispunkte auf 2,50 Prozent senken wird. Für die heutige Sitzung des EZB-Rates wird allerdings noch keine Änderung des Leitzinses erwartet.
Im weiteren Verlauf des Jahres hält Joachim Fels, Analyst der Investmentbank Morgan Stanley, jedoch sogar eine Zinssenkung um 50 Basispunkte für möglich. Es gebe zwar keine Änderung der offiziellen Strategie, aber informell habe die Ausrichtung am Wachstum der Wirtschaft innerhalb der Zentralbank an Bedeutung gewonnen. Das ist wichtig, weil das Geldmengenwachstum und die Inflationsrate über den Zielgrößen der EZB liegen und deshalb gegen eine noch expansivere Geldpolitik sprechen.
Einen großen Zinsschritt hält auch Lothar Hessler, Analyst von HSBC Trinkaus & Burkhardt, für möglich. In Deutschland drohe eine Rezession: Einzelhandelsumsätze und Industrieproduktion seien schwach und könnten dazu führen, daß sich die Wirtschaftsleistung im vierten Quartal 2002 reduziert hat und daß auch im ersten Quartal 2003 ein Minus verzeichnet wird. In Übersee sei die Lage zwar freundlicher, aber der amerikanischen Wirtschaft werde kein schneller Umschwung gelingen. Vor allem werde die Erholung nicht kräftig genug sein, um den Rest der Welt mitzureißen. Das spreche für eine Geldanlage in Anleihen mit längerer Laufzeit, weil weitere Kursgewinne möglich seien.
Viele andere Analysten schätzen die Konjunkturaussichten allerdings optimistischer ein und die Kursaussichten der Anleihen entsprechend pessimistisch. Das spiegelt sich in den Prognosen der Banken. Trotz der getrübten Konjunkturhoffnungen rechnen sie im Durchschnitt damit, daß die Rendite deutscher Staatsanleihen mit zehn Jahren Laufzeit bis zum Jahresende von 4,3 auf gut 4,7 Prozent steigen wird. Für Anleger, die solche Titel schon besitzen, wäre das mit Kursverlusten verbunden. In den vergangenen Jahren hatten deutsche Staatsanleihen noch einen Gesamtertrag aus Zinsen und Kursgewinnen von mehr als 8 Prozent abgeworfen.
Trotz der möglichen Leitzinssenkung sei die gute Zeit der Anleihen vorbei, warnt Klaus Holschuh, Renten-Analyst der DZ-Bank. Der Aufschwung in Amerika sei längst im Gange; seit fünf Quartalen wachse die Wirtschaft, und eine Jahresrate von 2,5 bis 3 Prozent sei möglich. Vor diesem Hintergrund seien die Preise auf dem amerikanischen Anleihemarkt zu hoch. Holschuh erwartet, daß die Rendite zehnjähriger Staatstitel in Übersee von derzeit knapp 4 auf deutlich mehr als 5 Prozent steigen wird. Trotz der Konjunkturschwäche hierzulande werde das den europäischen Anleihemarkt mitziehen. Die Rendite zehnjähriger Bundestitel erwartet Holschuh am Jahresende bei etwa 5 Prozent. Mit einer ähnlichen Aufwärtsbewegung rechnet auch Barclays-Analyst Thorsten Polleit. Insbesondere die amerikanischen Renditen seien auf einem extrem niedrigen Niveau. Treasuries seien die wichtigste Fluchtanlage. Wegen der Kriegsangst müßten die Anleger inzwischen sehr hohe Preise zahlen und sich entsprechend mit einer geringen Rendite zufriedengeben. Sobald die Irak-Krise überwunden sei, könnten die Anleihepreise deutlich fallen.
Für diese Erwartung spricht derzeit auch, daß die reale Verzinsung der Rententitel besonders gering ist. Die Inflationsrate betrug in den Vereinigten Staaten im vergangenen Jahr rund 1,5 Prozent mit deutlich steigender Tendenz, weshalb die Anleger auf dem amerikanischen Markt für inflationsgeschützte Anleihen inzwischen mit einer durchschnittlichen Inflationsrate von 2,2 Prozent kalkulieren. Zehnjährige Staatsanleihen rentieren mit rund 4 Prozent. Daraus ergibt sich ein langfristiger Realzins von rund 2 Prozent. Im langfristigen Durchschnitt liegt dieser Wert bei rund 3,5 Prozent.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 09.01.2003, Nr. 7 / Seite 17
Nächster EZB-Schritt frühestens für das zweite Quartal erwartet / Niedriger Realzins
ruh. FRANKFURT, 8. Januar. Die verringerten Konjunkturerwartungen vieler Marktteilnehmer haben Spekulationen auf eine weitere Zinssenkung der Europäischen Zentralbank genährt: Die Preise für Terminkontrakte auf Dreimonatsgeld spiegeln die Erwartung, daß die EZB das Zinsniveau bis Juli um 25 Basispunkte auf 2,50 Prozent senken wird. Für die heutige Sitzung des EZB-Rates wird allerdings noch keine Änderung des Leitzinses erwartet.
Im weiteren Verlauf des Jahres hält Joachim Fels, Analyst der Investmentbank Morgan Stanley, jedoch sogar eine Zinssenkung um 50 Basispunkte für möglich. Es gebe zwar keine Änderung der offiziellen Strategie, aber informell habe die Ausrichtung am Wachstum der Wirtschaft innerhalb der Zentralbank an Bedeutung gewonnen. Das ist wichtig, weil das Geldmengenwachstum und die Inflationsrate über den Zielgrößen der EZB liegen und deshalb gegen eine noch expansivere Geldpolitik sprechen.
Einen großen Zinsschritt hält auch Lothar Hessler, Analyst von HSBC Trinkaus & Burkhardt, für möglich. In Deutschland drohe eine Rezession: Einzelhandelsumsätze und Industrieproduktion seien schwach und könnten dazu führen, daß sich die Wirtschaftsleistung im vierten Quartal 2002 reduziert hat und daß auch im ersten Quartal 2003 ein Minus verzeichnet wird. In Übersee sei die Lage zwar freundlicher, aber der amerikanischen Wirtschaft werde kein schneller Umschwung gelingen. Vor allem werde die Erholung nicht kräftig genug sein, um den Rest der Welt mitzureißen. Das spreche für eine Geldanlage in Anleihen mit längerer Laufzeit, weil weitere Kursgewinne möglich seien.
Viele andere Analysten schätzen die Konjunkturaussichten allerdings optimistischer ein und die Kursaussichten der Anleihen entsprechend pessimistisch. Das spiegelt sich in den Prognosen der Banken. Trotz der getrübten Konjunkturhoffnungen rechnen sie im Durchschnitt damit, daß die Rendite deutscher Staatsanleihen mit zehn Jahren Laufzeit bis zum Jahresende von 4,3 auf gut 4,7 Prozent steigen wird. Für Anleger, die solche Titel schon besitzen, wäre das mit Kursverlusten verbunden. In den vergangenen Jahren hatten deutsche Staatsanleihen noch einen Gesamtertrag aus Zinsen und Kursgewinnen von mehr als 8 Prozent abgeworfen.
Trotz der möglichen Leitzinssenkung sei die gute Zeit der Anleihen vorbei, warnt Klaus Holschuh, Renten-Analyst der DZ-Bank. Der Aufschwung in Amerika sei längst im Gange; seit fünf Quartalen wachse die Wirtschaft, und eine Jahresrate von 2,5 bis 3 Prozent sei möglich. Vor diesem Hintergrund seien die Preise auf dem amerikanischen Anleihemarkt zu hoch. Holschuh erwartet, daß die Rendite zehnjähriger Staatstitel in Übersee von derzeit knapp 4 auf deutlich mehr als 5 Prozent steigen wird. Trotz der Konjunkturschwäche hierzulande werde das den europäischen Anleihemarkt mitziehen. Die Rendite zehnjähriger Bundestitel erwartet Holschuh am Jahresende bei etwa 5 Prozent. Mit einer ähnlichen Aufwärtsbewegung rechnet auch Barclays-Analyst Thorsten Polleit. Insbesondere die amerikanischen Renditen seien auf einem extrem niedrigen Niveau. Treasuries seien die wichtigste Fluchtanlage. Wegen der Kriegsangst müßten die Anleger inzwischen sehr hohe Preise zahlen und sich entsprechend mit einer geringen Rendite zufriedengeben. Sobald die Irak-Krise überwunden sei, könnten die Anleihepreise deutlich fallen.
Für diese Erwartung spricht derzeit auch, daß die reale Verzinsung der Rententitel besonders gering ist. Die Inflationsrate betrug in den Vereinigten Staaten im vergangenen Jahr rund 1,5 Prozent mit deutlich steigender Tendenz, weshalb die Anleger auf dem amerikanischen Markt für inflationsgeschützte Anleihen inzwischen mit einer durchschnittlichen Inflationsrate von 2,2 Prozent kalkulieren. Zehnjährige Staatsanleihen rentieren mit rund 4 Prozent. Daraus ergibt sich ein langfristiger Realzins von rund 2 Prozent. Im langfristigen Durchschnitt liegt dieser Wert bei rund 3,5 Prozent.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 09.01.2003, Nr. 7 / Seite 17