Intuition, Angst und Verlust-Mentalität – Misserfolg vorprogrammiert
von Jochen Steffens
Normalerweise sollten Sie sich an den Börsen auf die Dinge konzentrieren, die erfolgreich sind. Doch gerade beim Traden gehört zum Erfolg unbedingt die "Fehleranalyse" dazu.
Immer wieder höre ich von Tradern die gleiche Geschichte: "Ich sehe so viele Anzeichen, so viele Einstiegssignale, die ich nicht trade, die aber wunderbar gelaufen wären. Sobald ich dann jedoch in den Markt gehe, bricht der Kurs zusammen und ich mache einen Verlust."
Hierfür gibt es zwei Erklärungsmodelle, die dieses Phänomen erklären: Das erste Modell ist recht simpel. Aus mittlerweile empirisch gesicherten Untersuchungen weiß man, dass der Mensch selektiv wahrnimmt. Das heißt, er nimmt überwiegend das wahr, was er wahrnehmen will. Auf das Traden übertragen:
Sie sehen ein Einstiegssignal. Ein Woche später schauen Sie sich die Aktie wieder an und erkennen: "Mist, das wären 15 % gewesen." Sie ärgern sich. Und genau dieses Ärger vertieft den Eindruck: "Ich hab's doch gesagt", beziehungsweise: "Ich habe es doch gleich gesehen."
Dieses Ereignis wird als "Erfolg" des eigenen Könnens abgespeichert. Manchmal sogar noch durch eine Diskussion mit einem anderen Trader verstärkt: "Weist Du, ich habe dieses Signal doch gesehen, warum habe ich es nicht getradet". Aus lerntheoretischer Sicht sind das alles Prozesse, die dieses Erlebnis tief in die Erinnerung brennen.
Das Signal, das nicht eingetroffen ist (und das man nicht getradet hat) wird nur nebenbei und sehr kurz zur Kenntnis genommen. Es wird NICHT mit dem befreundeten Trader diskutiert, man ärgert sich NICHT den ganzen Tag damit rum. Kurz: Dieser "Misserfolg" der eigenen Analyse wird möglichst schnell verdrängt. Die Folge: Man vergisst es sehr schnell.
Betrachtet dieser Trader seine Vergangenheit, wird er eine Vielzahl von "Ich habe es doch richtig gesehen" Erlebnisse erinnern und fast keine "Das war eine falsche Analyse!" So wird die Wahrnehmung selektiert und der Eindruck entsteht, man würde immer die Einstiegsignale verpassen, die funtioniert hätten.
Dieses Phänomen kann man ganz einfach mit einem Trading-Tagebuch ausmerzen, in das man die Signale, die man analysiert hat, fein säuberlich aufzeichnet. Eine subjektive Selektion ist nicht mehr möglich.
Dieses Modell ist jedoch nur ein Teil der Wahrheit, denn oft genug geschieht etwas Erstaunliches: Immer wieder gibt es Trader, die auch trotz eines solchen Trading-Tagebuches die Erfahrung machen, dass sie nur die schlechten Signale traden.
Hier kommt ein zweiter Aspekt zum tragen, der nicht so "einfach" aufgebaut ist und der deswegen auch nicht so einfach abzustellen ist:
Wenn man sich lange Zeit mit der Börse beschäftigt erlangt man eine Art Instinkt dafür, was die Börse als nächstes machen wird – die Intuition. Ich bin davon überzeugt, dass die Intuition dem analytischen Verstand in vielen Dingen deutlich überlegen ist.
Nun stellen Sie sich vor, Sie fangen an zu traden. Ganz natürlich ist es, zunächst Verluste zu machen. Es fehlt einfach die Erfahrung. Mit diesen Verlusten schleicht sich aber auch eine "Verlust-Mentalität" ein. Man gewöhnt sich an den Verlust. Wenn dann zu dieser "Verlust-Mentalität" auch noch Angst kommt, weil vielleicht das Vermögen immer mehr zusammenschrumpft, dann gibt das eine brisante Mischung:
Immer, wenn ein solcher Trader in den Markt geht, wird die Angst ihn gedanklich mit dem "Verlust" in Verbindung bringen. Sein Gedanken werden sorgenvoll: "Hoffentlich geht es nicht schon wieder schief." Ganz unbemerkt ist damit das gesamte Denken auf "Verlieren" ausgerichtet. Wir wissen mittlerweile aus dem Sport, wie gefährlich so ein negatives Denken ist. Dort werden viele Spiele "mental" ausgefochten. Das heißt etwas vereinfacht: Bei zwei ungefähr gleich starken Spieler, wird derjenige gewinnen, der sich am erfolgreichsten motivieren kann, der sich am erfolgreichsten auf "Gewinn" programmiert. Ein Spieler der nur sorgenvoll denken würde."Oh, hoffentlich geht der nächste Ball nicht daneben!", hätte KEINE Chance. Vielleicht kennen einige von Ihnen diesen Effekt.
Mittlerweile ist die Intuition dieses Traders schon soweit geschult, dass dieser arme Mensch also immer genau dann in den Markt gehen wird, wenn seine Intuition einen bevorstehenden Verlust erahnt. Er wird sich sozusagen die eigene Geschichte des Verlierens jeden Tag neu erzählen.
Das geht bis zu dem Gefühl: "Ich sollte eigentlich immer das Gegenteil von dem traden, was ich denke!" Natürlich klappt das auch nicht, siehe oben.
So verrückt es klingen mag, diese Menschen habe eigentlich eine hohe Begabung und könnte eigentlich sehr erfolgreich traden – ihre Intuition ist ausgezeichnet. Leider ist es sehr schwer, diesen Teufelskreis, diese unheilbringende Verbindung zwischen: "Intuition, Angst und Verlust-Mentalität" auszuschalten. Ich habe ein Buch gelesen, dass diesen Prozess sogar mit "Sucht" vergleicht und das Prinzip der anonymen Alkoholiker darauf anwendet. Ich weiß nicht, ob das funktioniert, es schien mir zudem sehr aufwendig.
Ich würde auch hier etwas Einfacheres empfehlen: Eine zweite Spalte in dem Tradingbuch, in der Sie versuchen ihre Gedanken, Stimmungen und Gefühle vor und bei einem Trade zu notieren. Vielleicht erkennen Sie dann Zusammenhänge zwischen erfolgreichen und weniger erfolgreichen Trades und ihren Gedanken, Gefühlen und Stimmungen. Bekannt ist zum Beispiel, dass, wenn ein Trader mit Wut oder Ärger im Bauch tradet, die Ergebnisse deutlich schlechter werden, wenn er jedoch bei schönem Wetter und guter Laune tradet, wesentlich besser Ergebnisse erzielt werden. (Weswegen schon Untersuchungen angestellt wurden, die einen Zusammenhang zwischen dem Wetter in New York und der Entwicklung an den Börsen erkennen wollen – ganz abwegig ist das also nicht.)
Und zur Börse:
Der Dax über 4000 Punkte und damit auf dem besten Wege zur oberen Begrenzung der Seitwärtsbewegung. Im Laufe der nächsten beiden Wochen wird das Thema "Zinserhöhung" zunehmend den Markt in die Zange nehmen, denn Ende Juni steht die Fed-Sitzung an. Es kann also gut sein, das die obere Begrenzung der Seitwärtsbewegung auch diesmal das Ende des Trends ist.
Aktuell ist der Dax jedoch etwas überhitzt, so dass eine Konsolidierung denkbar ist.