Intershop: Gestraucheltes Neuer Markt-Schwergewicht
02/01/2001
von Andreas Braun
Frankfurt (GLBN) – Vom ostdeutschen Jena aus zog einst Intershop-Gründer Stephan Schambach mit seinen Software-Produkten in die Welt des E-Commerce hinaus. Gerade einmal knapp fünf Jahre ist die Geschichte eines der erfolgreichsten deutschen Unternehmens der „New Economy“ alt. Und zu Beginn des Jahres 2001 erleben Management, Mitarbeiter und Aktionäre eine ihren schwersten Stunden.
Eine Gewinn- und Umsatzwarnung, am ersten Handelstag des Jahres 2001 veröffentlicht, beförderte den Aktienkurs von Intershop um mehr als 60 Prozent in die Tiefe. Fondsmanager wie private Anleger warfen allein bis zum Dienstagmittag mehr als 17 Millionen Aktien des einstigen „Highflyers“ auf den Markt; die Flucht aus einem der renommiertesten Titel am deutschen Wachstumssegment schien keine Grenzen zu kennen.
Marktteilnehmer waren von der Gewinnwarnung für das vierte Quartal 2000 buchstäblich auf dem falschen Fuß erwischt worden. Im vierten Quartal steht dem Unternehmen nach Angaben des Finanzvorstands Wilfried Beeck ein Nettoverlust von 30 bis 32 Millionen Euro ins Haus. In den ersten neun Monaten des letzten Jahres Intershop zusammen lediglich rund sieben Millionen Euro Verlust eingefahren, und bis vor einigen Monaten den Break Even noch für das Jahr 2000 angekündigt. Auch die Umsatzerwartungen korrigierte Beeck deutlich nach unten. Für das vierte Quartal 2000 erwartet der Manager noch 28 bis 30 Millionen Euro, im Gesamtjahr 2000 sollen 121 bis 123 Millionen Euro Umsatz erwirtschaftet worden sein.
Die Größenordnung der voraussichtlichen Verluste überraschte auch die meisten Analysten, die den Wert beobachten. „Zur Unzeit“, sei die Gewinnwarnung gekommen, hieß es von Seiten der Experten, man sei „sehr überrascht“. Einige Bankhäuser haben inzwischen ihr Rating für den ehemaligen Börsenliebling von „outperformer“ auf „marketperformer“ zurückgenommen, darunter die Deutsche Bank. Die niederländische ABN Amro verkündete gar die Empfehlung, Intershop-Bestände zu „reduzieren“.
Globales Wachstum auf Kosten der Erträge
Internationale Expansion und weltweite Marktführerschaft waren für die Intershop-Manager um Schambach und Beeck die visionären Ziele für das Unternehmen, das Softwarelösugnen, für den Handel, die Abwicklung von Transaktionen und die Administration von Shop-Systemen im Internet ermöglichen. Die Stärke der Produkte von Intershop ist ihre individuelle Anpassbarkeit an die Bedürfnisse jedes Kunden, die Intergrationsfähigkeit in bestehende Systeme und ihre plattformübergreifende Funktionalität.
Die technische Reife der Intershop-Produkte steht für Experten außer Zweifel. Ihre Überlegenheit gegenüber Anwendungen etwa des mächtigen US-Konkurrenten Broadvision durch den Einsatz neuer Internet-Standards wie XML (Extensive Markup Language) steht für viele Beobachter außer Frage. Besonders das neue Flagschiff „enfinity“ wird von Kennern der Szene in den höchsten Tönen gelobt.
Intershop versuchte im vergangenen Jahr seine Produkte mit hoher Geschwindigkeit weltweit populär zu machen. Nach der Errichtung eines zweiten Hauptquartiers in San Francisco sollte der US-Markt erobert werden. Mit Hewlett Packard, Sun Microsystems, IBM oder Oracle gelangen schnell Kooperationen mit den weltgrößten High-Tech-Firmen. Die im November 1999 erstmals vorgestellte E-Commerce-Plattform „enfinity“ entwickelte sich im vergangenen Jahr als wichtiger Umsatzträger. Sie kann an bestehende Shop-Systeme angepasst werden und ermöglicht Internet-Shopping auch über Handys per WAP-Technologie.
Sowohl in den USA als auch im neu erschlossenen asiatischen Markt stieg der Lizenzumsatz mit „enfinity“ noch im dritten Quartal 2000 deutlich an, in den Vereinigten Staaten sogar um 159 Prozent. Der Anteil der Lizenzerlöse durch das neue Software-Flagschiff stieg auf 78 Prozent im selben Zeitraum; im zweiten Quartal hatte er noch bei 48 Prozent gelegen.
Kein Signal zum Einstieg
Hohe Investitionen in die internationale Expansion verbunden mit hohen Marketingkosten haben dem Unternehmen nun drastische Verluste in den letzten Monaten beschert. Dazu kam das Ausbleiben von Investitionen gerade auf der Seite internationaler Kunden, die bei weitem nicht so viele Lizenzen orderten wie sich die Jenaer erhofft hatten.
Der Kurs der Aktie ist nach dem Desaster des ersten Handelstages 2001 arg unter die Räder gekommen: „Bislang fehlt naturgemäß jede Art der Bodenbildung“, kommentierte der technische Analyst der Hamburger Bank M.M. Warburg, Holger Struck. „Charttechnisch hat der heutige Tag gehörigen Schaden angerichtet. Zwar erscheint die Aktie überverkauft, aber wann der Kurs dreht, kann niemand genau sagen“, so Struck.
Struck warnte auch vor einem übereilten Einstieg in die vermeintlich billig gewordene Aktie: „Anleger, die das Glück hatten, nicht in Intershop investiert zu sein, sollten diszipliniert abwarten, bis sich eine nachhaltige Kurserholung abzeichnet. Lieber sollte man sich 10 oder 20 Prozent Gewinn entgehen lassen, als weitere 60 Prozent zu verlieren.“
02/01/2001
von Andreas Braun
Frankfurt (GLBN) – Vom ostdeutschen Jena aus zog einst Intershop-Gründer Stephan Schambach mit seinen Software-Produkten in die Welt des E-Commerce hinaus. Gerade einmal knapp fünf Jahre ist die Geschichte eines der erfolgreichsten deutschen Unternehmens der „New Economy“ alt. Und zu Beginn des Jahres 2001 erleben Management, Mitarbeiter und Aktionäre eine ihren schwersten Stunden.
Eine Gewinn- und Umsatzwarnung, am ersten Handelstag des Jahres 2001 veröffentlicht, beförderte den Aktienkurs von Intershop um mehr als 60 Prozent in die Tiefe. Fondsmanager wie private Anleger warfen allein bis zum Dienstagmittag mehr als 17 Millionen Aktien des einstigen „Highflyers“ auf den Markt; die Flucht aus einem der renommiertesten Titel am deutschen Wachstumssegment schien keine Grenzen zu kennen.
Marktteilnehmer waren von der Gewinnwarnung für das vierte Quartal 2000 buchstäblich auf dem falschen Fuß erwischt worden. Im vierten Quartal steht dem Unternehmen nach Angaben des Finanzvorstands Wilfried Beeck ein Nettoverlust von 30 bis 32 Millionen Euro ins Haus. In den ersten neun Monaten des letzten Jahres Intershop zusammen lediglich rund sieben Millionen Euro Verlust eingefahren, und bis vor einigen Monaten den Break Even noch für das Jahr 2000 angekündigt. Auch die Umsatzerwartungen korrigierte Beeck deutlich nach unten. Für das vierte Quartal 2000 erwartet der Manager noch 28 bis 30 Millionen Euro, im Gesamtjahr 2000 sollen 121 bis 123 Millionen Euro Umsatz erwirtschaftet worden sein.
Die Größenordnung der voraussichtlichen Verluste überraschte auch die meisten Analysten, die den Wert beobachten. „Zur Unzeit“, sei die Gewinnwarnung gekommen, hieß es von Seiten der Experten, man sei „sehr überrascht“. Einige Bankhäuser haben inzwischen ihr Rating für den ehemaligen Börsenliebling von „outperformer“ auf „marketperformer“ zurückgenommen, darunter die Deutsche Bank. Die niederländische ABN Amro verkündete gar die Empfehlung, Intershop-Bestände zu „reduzieren“.
Globales Wachstum auf Kosten der Erträge
Internationale Expansion und weltweite Marktführerschaft waren für die Intershop-Manager um Schambach und Beeck die visionären Ziele für das Unternehmen, das Softwarelösugnen, für den Handel, die Abwicklung von Transaktionen und die Administration von Shop-Systemen im Internet ermöglichen. Die Stärke der Produkte von Intershop ist ihre individuelle Anpassbarkeit an die Bedürfnisse jedes Kunden, die Intergrationsfähigkeit in bestehende Systeme und ihre plattformübergreifende Funktionalität.
Die technische Reife der Intershop-Produkte steht für Experten außer Zweifel. Ihre Überlegenheit gegenüber Anwendungen etwa des mächtigen US-Konkurrenten Broadvision durch den Einsatz neuer Internet-Standards wie XML (Extensive Markup Language) steht für viele Beobachter außer Frage. Besonders das neue Flagschiff „enfinity“ wird von Kennern der Szene in den höchsten Tönen gelobt.
Intershop versuchte im vergangenen Jahr seine Produkte mit hoher Geschwindigkeit weltweit populär zu machen. Nach der Errichtung eines zweiten Hauptquartiers in San Francisco sollte der US-Markt erobert werden. Mit Hewlett Packard, Sun Microsystems, IBM oder Oracle gelangen schnell Kooperationen mit den weltgrößten High-Tech-Firmen. Die im November 1999 erstmals vorgestellte E-Commerce-Plattform „enfinity“ entwickelte sich im vergangenen Jahr als wichtiger Umsatzträger. Sie kann an bestehende Shop-Systeme angepasst werden und ermöglicht Internet-Shopping auch über Handys per WAP-Technologie.
Sowohl in den USA als auch im neu erschlossenen asiatischen Markt stieg der Lizenzumsatz mit „enfinity“ noch im dritten Quartal 2000 deutlich an, in den Vereinigten Staaten sogar um 159 Prozent. Der Anteil der Lizenzerlöse durch das neue Software-Flagschiff stieg auf 78 Prozent im selben Zeitraum; im zweiten Quartal hatte er noch bei 48 Prozent gelegen.
Kein Signal zum Einstieg
Hohe Investitionen in die internationale Expansion verbunden mit hohen Marketingkosten haben dem Unternehmen nun drastische Verluste in den letzten Monaten beschert. Dazu kam das Ausbleiben von Investitionen gerade auf der Seite internationaler Kunden, die bei weitem nicht so viele Lizenzen orderten wie sich die Jenaer erhofft hatten.
Der Kurs der Aktie ist nach dem Desaster des ersten Handelstages 2001 arg unter die Räder gekommen: „Bislang fehlt naturgemäß jede Art der Bodenbildung“, kommentierte der technische Analyst der Hamburger Bank M.M. Warburg, Holger Struck. „Charttechnisch hat der heutige Tag gehörigen Schaden angerichtet. Zwar erscheint die Aktie überverkauft, aber wann der Kurs dreht, kann niemand genau sagen“, so Struck.
Struck warnte auch vor einem übereilten Einstieg in die vermeintlich billig gewordene Aktie: „Anleger, die das Glück hatten, nicht in Intershop investiert zu sein, sollten diszipliniert abwarten, bis sich eine nachhaltige Kurserholung abzeichnet. Lieber sollte man sich 10 oder 20 Prozent Gewinn entgehen lassen, als weitere 60 Prozent zu verlieren.“