Für BBDO-Chef Rainer Zimmermann verliert das Fernsehen ans Internet. Die klassischen Medien müssen sich darauf einstellen, dass ihre Werbe-Bäume nicht mehr in den Himmel wachsen. Ein Interview.
Netzeitung: Es vergeht kein Tag ohne neue Hiobsbotschaften aus den Medien. Einstellungen, Entlassungen und Restrukturierung sind die Worte dieser Tage. Als Begründung gilt zumeist der Werbemarkt. Was ist da los?
Dr. Rainer Zimmermann: Es gibt zunächst einen langfristigen Trend. Seit Ende der achtziger Jahre ist die klassische Werbung rückläufig. Heute macht die klassische Werbung noch etwa 40-45 Prozent der gesamten Werbeausgaben aus. Der Rest entfällt auf andere Formen: Dialog- und Direktmarketing, Public Relations, E-business, Internet und vieles mehr. Diese Werbeformen haben vor etwa 15 Jahren höchstens 10 Prozent am gesamten Werbemarkt ausgemacht.
Netzeitung: Also keine überraschende Entwicklung?
Zimmermann: Die Medien hören diese Wahrheit gar nicht gerne. Es geht um ihr zentrales Geschäftsmodell und da sieht man lieber weg. Aber der Trend ist seit vielen Jahren bekannt. Die Werbung im klassischen Sinn verliert ihre Monopolstellung. Sie wird auf die Rolle eines Kanals unter vielen reduziert.
Netzeitung: Wo ist die Talsohle?
Zimmermann: Mittelfristig wird sich der Anteil der klassischen Werbung auf ein Drittel des gesamten Bereiches Marketing und Kommunikation einpendeln. Aber natürlich gibt es auch kurzfristige Entwicklungen, die diese Tendenz beschleunigt haben. Im Jahr 2001 haben sehr viele Unternehmen schon im ersten Quartal gesehen: Wir werden unsere Umsatzziele nicht erreichen. Also haben sie sofort die Werbespendings gekappt. Das ist zur Kurskorrektur immer das einfachste Mittel.
Man kann in Deutschland nicht – wie in den USA – einfach die Leute rauswerfen. Also hat man die Investitionsspirale oben abgeschnitten: Wenn Ariel weniger für Werbung ausgibt, folgt Persil nach und so weiter. Dadurch ist der gesamte Markt auf ein niedrigeres Niveau gefallen, ohne dass es kompetitive Nachteile für die einzelnen Unternehmen gegeben hat.
Netzeitung: Könnte es sein, dass manche sagen: Wir haben gesehen, es geht eigetlich auch ohne Werbung?
Zimmermann: Das glaube ich nicht. Wir haben es mit einem volatilen Markt zu tun. Es gibt Anzeichen, dass wir die Talsohle durchschritten haben. Vor allem die Telekommunikation wird im Jahr 2002 den Markt beleben. Es kommen viele neue Produkte auf den Markt, und die wollen beworben werden.
Netzeitung: Aber nicht alle werden in demselben Maß wie zuvor zur klassischen Werbung zurückkehren?
Zimmermann: Wir müssen uns auf Dauer von der Illusion verabschieden, dass es zweistellige Wachstumsraten geben wird. In diesem Jahr scheint mir ein Wachstum von höchstens fünf Prozent realistisch - und auch die werden erst in der zweiten Hälfte des Jahres zu verzeichnen sein. Die klassische Werbung muss sich den Innovationen stellen. Und alle müssen zur Kenntnis nehmen, dass mit dem Ende des Zeitalters der Massenproduktion auch das Ende der Massenkommunikation gekommen ist.
Netzeitung: Was bedeutet das?
Zimmermann: Der Wachstumsmarkt liegt in intelligenten und kreativen Medienstrategien. Dynamik wird es in neuen Geschäftsfeldern geben. Das Internet spielt darin eine zentrale Rolle, aber auch andere Formen von Direktmarketing. Die Entwicklung hat eine starke technologische Komponente und bedeutet einen Kulturwandel.
Netzeitung: Werden sich die Medien in ihrer gegenwärtigen Form verändern?
Zimmermann: Man muss sich ja fragen, ob es wirklich das Klügste ist, mit vielen Millionen Werbedruck ein und denselben 15-Sekunden-Werbespot den Leuten neun Monate lang frontal zu servieren. Das langweilt die doch zu Tode! Vielleicht wäre es viel besser, 25 solcher Filme zu produzieren, die aktueller und geistreicher sind.
Netzeitung: Sie haben mit der BBDO im vergangenen Jahr antizyklisch investiert und sich aus gescheiterten Unternehmen die Filetstücke herausgeschnitten. Sind Sie ein Krisengewinnler?
Zimmermann: Bis 1998 galt: Man muss sein Unternehmen profitabel führen und kann aus den Gewinnen investieren. Unternehmen wie Pixelpark oder Kabel New Media haben ein Geschäftsmodell entwickelt, das über kurz oder lang zusammenbrechen musste. Sie haben nämlich nicht von ihren Kunden, sondern von ihren Aktionären gelebt. Das kann nicht funktionieren. Dabei haben diese Firmen exzellente Mitarbeiter gehabt. Und von denen haben wir dann viele gute zu uns geholt.
Netzeitung: Wie kann man die verschiedenen Kulturen integrieren?
Zimmermann: Wir bieten alle Formen der Werbung an, klassische neben interaktiven Diensten, Dialogwerbung, Internet. Nicht alle Kunden wollen alles. Auch brauchen nicht alle Produkte alle Formate. Aber wir wecken das Verständnis, wie viele Möglichkeiten der Kombination es gibt.
Netzeitung: Was wird aus den klassischen Medien?
Zimmermann: Solche Veränderungen sind sehr zähflüssig. Fest steht jedoch, dass das Fernsehen einen Erosionsprozess erlebt – und dabei eindeutig an das Internet verliert. Die Printmedien werden keine großflächigen Schwankungen erleben. Zeitungen und Zeitschriften gehören einfach dazu. Aber wenn Sie die Zellstoffindustrie oder Heidelberger Druck anschauen: Die Investitionen werden im digitalen Segment gemacht. Das müssen auch die Medien sehen.
Netzeitung: Nämlich?
Zimmermann: Dass sie zum Beispiel Qualitätsprodukte machen, die wirklich den Wünschen ihrer Leser entsprechen. Nehmen Sie «Wallpaper». Hier geschieht community-Werbung und das zugleich paneuropäisch. Ein tolles Konzept, bei dem genau verstanden wurde, was für eine hochklassige Zielgruppe wichtig ist. Hierzulande muss man fragen, ob es sinnvoll war, immer «more of the same» zu machen – das 17. Anlegermagazin, die 15. Männerzeitschrift. Ich sehe da viel Fantasielosigkeit und auch fehlenden Mut.
Netzeitung: Was muss das Internet tun, um akzeptiert zu werden?
Zimmermann: Das Internet muss seine Alltagstauglichkeit beweisen – das ist entscheidend. Das Internet muss im Auto als Medium dienen und in der Küche und im Wohnzimmer. Im Moment beschäftigen sich alle Internet-Unternehmen damit, ihr Produkt besser zu machen. Das ist auch in Ordnung so. Aber es wird nicht reichen. Sie müssten aber mit den Automobilherstellern, den Küchenplanern und den Architekten zusammenarbeiten.
Nehmen Sie das Auto: Der Deutsche ist technologiefeindlich. Aber wenn es ums Auto geht, kann gar nicht genug Technologie drin sein. Wenn das Internet es schafft, hier selbstverständlich zu sein wie früher das Autoradio, werden sich die Verhaltensmuster ändern, wird die Akzeptanz steigen.
In der Küche muss es ein einfaches Display geben, um das Internet zu bedienen. Meist scheitert die Innovation doch an der Komplexität der Hardware: Ich will nicht zehn Stunden netto im T-Punkt-Laden zubringen, bis ich endlich weiß, was funktioniert. Ich könnte Ron Sommer Briefe schreiben, weil mich jedes Mal, wenn ich im T-Punkt-Laden war, die kalte Wut überkommt. Dann verliert man einfach die Lust.
Dr. Rainer Zimmermann ist CEO der BBDO Group Germany, der größten deutschen Werbeagentur. Im Jahr 2001 machte die Gruppe einen Umsatz von 1,8 Milliarden Euro, am Montag wird das Unternehmen seine Zahlen für 2001 vorstellen. Im Jahr 2002 wird die Übernahme von Kunden und Mitarbeitern der insolventen Internetdienstleister Kabel New Media und PopNet bilanzwirksam. BBDO versteht sich als «Network» und hat in Deutschland mehr als 80 natürliche Gesellschafter.