Schwache Bilanzen der Investoren geben die Richtung vor
von Michael Fabricius
Berlin - Die schwungvolle Erholung, die sich im Gefolge des Kriegsbeginns im Irak am Aktienmarkt durchsetzt, könnte schon bald wieder gebremst werden. Denn die großen institutionellen Anleger, allen voran der Allianz-Konzern, kündigen derzeit einer nach dem anderen weitere Aktienverkäufe an. Und Anlagestrategen rechnen dabei nicht nur mit Tausch- oder Blockverkaufs-Aktionen, wie etwa den angekündigten Abbau von gegenseitigen Beteiligungen bei Allianz und Münchener Rück. Auch "echte" Verkäufe am Markt sind geplant und sorgen somit - wie schon im zweiten Halbjahr 2002 - für anhaltenden Angebotsdruck.
"Gerade wenn die Kurse wieder etwas steigen, könnten die großen Finanzdienstleister die Gelegenheit für Verkäufe nutzen", sagt Volker Borghoff, Stratege bei HSBC Trinkaus & Burkhard. Der Aufschwung würde wie mit angezogener Handbremse fortfahren.
Zwar werden die großen institutionellen Anleger ihre Bestände und Beteiligungen "äußerst marktschonend" und über Monate verteilt auf den Markt bringen, wie Versicherungs-Analyst Karsten Keil von Helaba Trust erwartet. Doch die ausstehenden Volumina sind enorm. Allein bei der Allianz schätzt Keil den theoretisch verkaufbaren Aktienbestand auf rund 30 Mrd. Euro. Würde der künftige Vorstandschef Michael Diekmann die Aktienquote von derzeit schätzungsweise 15 Prozent also um 50 Prozent reduzieren, kämen Papiere im Wert von 15 Mrd. Euro aufs Parkett.
Es scheint, als gäbe es derzeit keinen Investor, der dem immer noch schwachen Dax auf die Beine helfen könnte. Denn von kaufen redet sowieso niemand mehr. "Die Versicherer sind dazu gezwungen, prozyklisch zu handeln", sagt Peter Dombeck, Stratege bei der Berenberg Bank. Um das Bilanzrisiko abzufangen, müsse eben in der Baisse verkauft, bei hohen Kursständen hingegen gekauft werden. Auch der Rentenanteil sei bei den Großinvestoren in den vergangenen Monaten - während steigender Kurse - aufgestockt worden, was nun zu einer gefährlichen Spekulationsblase führte.
Dass praktisch nur noch die institutionellen Investoren die Richtung des Marktes bestimmen und diese auch noch mit erheblichen Bilanzproblemen zu kämpfen haben, verstärkt die Zyklik des Marktes. Die Baisse nährt noch immer die Baisse. Die Finanzdienstleister besitzen mehr als 50 Prozent der Aktien in Deutschland, andere Unternehmen deutlich mehr als 30. Privatanleger hatten laut Deutschem Aktieninstitut 2001 einen Besitzanteil von rund 15 Prozent. "Dieser dürfte aber auf zehn Prozent gesunken sein", schätzt HSBC-Stratege Borghoff. Die Anlagestrategen sind sich einig: Solange die Großanleger unter Eigenkapitalschwund leiden, wird also kaum genügend Kaufkraft am Aktienmarkt entstehen, die für eine nachhaltige Trendwende sorgen kann.