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Deutschland sieht sich einer gigantischen Welle von Insolvenzen gegenüber...
Von Dorothea Siems und Cornelia Wolber
...Kanzler Schröder hat angesichts des Verlustes Tausender Arbeitsplätze ein weiteres Problem im Wahlkampf. Neben einem Strategiewechsel der Banken ist es nicht zuletzt der Regulierungseifer der Politik, der die Konjunkturkrise verschärft.
Gründonnerstag: Der ostdeutsche Baustoffzulieferer Mühl meldet sich zahlungsunfähig. Dienstag nach Ostern: Der Flugzeugbauer Fairchild Dornier stürzt in die Insolvenz. Einen Tag danach tritt auch der Berliner Schreibwarenhersteller Herlitz den Gang zum Insolvenzgericht an. Schon seit Wochen ist nach monatelangem Ringen der Bauriese Holzmann in die Knie gegangen. Der nächste Kandidat könnte die Kirch Media AG sein. Und das sind nur die spektakulären Fälle: Die Pleitewelle rollt über Deutschland. Fast kein Tag vergeht, an dem nicht ein großes Traditionsunternehmen Insolvenz beantragt.
Die vielen angeschlagenen Klein- und mittelständischen Betriebe gehen lautlos pleite. Im vergangenen Jahr zählte das statistische Bundesamt 32.300 Unternehmensinsolvenzen. Das waren 14 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Für 2002 wird ein neuer Pleitenrekord prophezeit. So rechnet die Wirtschaftsauskunftei Creditreform mit einem Plus von einem Viertel, und das trotz des erwarteten Konjunkturaufschwungs. Der Wachstumsschub kommt für viele Unternehmen zu spät. Ihnen geht die Puste schon vorher aus. Vermutlich im Sommer wird die Zahl der Pleiten am höchsten sein - wenige Wochen vor der Bundestagswahl.
Für Bundeskanzler Gerhard Schröder ist dies eine Horrorvorstellung. Denn mit den Insolvenzen stehen Tausende von Arbeitsplätzen auf der Kippe. Allein bei Herlitz sind es 3.000, bei Dornier 4.300, nochmals 3.800 bei Mühl und bei Holzmann gar bis zu 23.000. Und wer nicht Pleite gemacht hat, der schrumpft sich gesund: Opel, Siemens, Karstadt-Quelle und fast jede Großbank bauen massiv Stellen ab. Mit jeder neuen Hiobsbotschaft schwindet das Vertrauen in der Bevölkerung, dass der Kanzler das Problem der Massenarbeitslosigkeit in den Griff bekommt.
Und trotzdem hat die Pleitewelle auch ihr Gutes. Zumindest aus Sicht der Ökonomen. Sie sehen den Pleitenrekord als "Frühindikator für einen Aufschwung", auf den auch Schröder so sehnlich wartet. Denn die Erfahrung zeigt, dass gerade dann noch einmal besonders viele Betriebe zusammenbrechen, wenn die Wirtschaftskrise eigentlich schon überwunden ist.
Für die betroffenen Unternehmer und ihrer Mitarbeiter muss die Insolvenz nicht zwangsläufig das Ende bedeuten. Denn so unterschiedlich die Gründe für das Scheitern sind, so unterschiedlich sind auch die Chancen, das angeschlagene Unternehmen wieder fit zu machen. Dabei kann der Insolvenzantrag wie ein Befreiungsschlag wirken. Mit einem Mal wissen alle Beteiligten, von den Banken bis zu den Zulieferern und Kunden, woran sie sind. Die Suche nach einer tragfähigen Lösung kann beginnen.
Beispiel Dornier: Der vorläufige Insolvenzverwalter Eberhard Braun versicherte, das Unternehmen werde "uneingeschränkt fortgeführt". Er will schnell Verhandlungen mit den Banken aufnehmen und sich intensiv um einen strategischen Partner bemühen. Als Wunschkandidat gilt der US-amerikanische Flugzeugbauer Boeing AG. Die Ausgangslage ist durchaus gut. Denn die Auftragsbücher sind gefüllt.
Gegenbeispiel Holzmann: Hier droht die Zerschlagung des Unternehmens. Es rächt sich, dass vor zwei Jahren die schon damals notwendige Insolvenz nach der medial inszenierten Rettungsaktion des Kanzlers vermieden wurde. Der Bund gab eine Bürgschaft in Höhe von einer Viertelmilliarde Mark, daraufhin schossen die Banken nochmals Geld nach. Das Problem: Die gesamte Baubranche leidet an massiven Überkapazitäten. Die vermeintliche Rettung des zweitgrößten Bauunternehmens Deutschlands ging deshalb zwangsläufig zu Lasten etlicher Konkurrenten, die nicht auf Subventionen zählen konnten.
Der Fall Holzmann zeigt, dass es mitunter unvermeidbar ist, dass Unternehmen vom Markt verschwinden. In jedem Einzelfall ist daher die Frage nach den Ursachen der Schieflage entscheidend. Der aktuelle Pleitenrekord hat viele Gründe. Ein wesentlicher liegt in der geänderten Geschäftspolitik der Banken. Die Beziehungen zwischen den Instituten und ihren Firmenkunden sind vielfältig. So sind die Banken oftmals nicht nur Kreditgeber, sondern auch über eigene Aktienpakete oder Anteile ihrer Bankkunden an den Unternehmen beteiligt. Deshalb wurde bei der Kreditvergabe gern mal ein Auge zugedrückt, weil die Banker davon ausgingen, dass sich das Engagement langfristig rentiert oder strategisch von Nutzen ist. Mit der Globalisierung hat sich das verändert. Die Großbanken orientieren sich weltweit und müssen verstärkt auch auf ihre eigene kurzfristige Performance achten. Faulen Krediten frisches Geld hinterherzuwerfen, dazu sind sie daher immer weniger bereit.
Die abnehmende Risikobereitschaft der Kreditinstitute bekommt vor allem der Mittelstand zu spüren. Bei einer Eigenkapitalquote von zumeist weniger als zehn Prozent geraten die kleinen und mittelständischen Betriebe schnell ins Trudeln, wenn die Erträge schrumpfen. Sie machen denn auch den Großteil der Firmenpleiten aus. Der "Proto-Pleitentyp" 2001 war laut Creditreform jünger als vier Jahre, hatte weniger als fünf Mitarbeiter und erzielte maximal eine halbe Million Euro Umsatz.
Diese Beschreibung trifft auf nahezu alle Betriebe der New Economy zu, die in den vergangenen Jahren wie Pilze aus dem Boden schossen. Zunächst hochgejubelt und von Finanziers gepuscht, wurden sie schnell fallen gelassen, als sich die hoch trabenden Pläne nicht binnen Kürze realisierten. Die Blase der New Economy ist geplatzt. Während Experten bei den Betroffenen neben Finanzierungsproblemen insbesondere fehlendes betriebswirtschaftliches Know-how beklagen, schieben die Pleitiers die Schuld ihrerseits gern der Politik zu. Statt dafür zu sorgen, dass sich am Standort Deutschland kräftig Geld verdienen lässt, mache Rot-Grün den Unternehmen das Wirtschaften schwer, lautet der Tenor.
Die Kritik ist nicht von der Hand zu weisen. Zwar hat die Bundesregierung die aktuelle Konjunkturflaute nicht allein verschuldet. Doch sie hat einiges dazu beigetragen, die Misere zu verschärfen. Seit Amtsübernahme zeigt vor allem Bundesarbeitsminister Walter Riester ein erstaunliches Maß an Regulierungseifer. Als Erstes löste er die Wahlversprechen ein und verschärfte den Kündigungsschutz und führte die volle Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wieder ein. Dann ersann er neue Regelungen gegen Scheinselbstständige, unterwarf die 630-Mark-Jobs der Sozialversicherungspflicht, verschärfte die Regeln für befristete Beschäfti- gungsverhältnisse, führte einen neuen Rechtsanspruch auf Teilzeit ein und kam den Gewerkschaften bei der Novellierung der betrieblichen Mitbestimmung weit entgegen. Mit all diesen Maßnahmen hat die Bundesregierung die Regulierungsdichte am deutschen Arbeitsmarkt noch erheblich erhöht. Dabei fordern nationale und internationale Experten seit Jahren genau das Gegenteil.
Auch in der SPD gibt es Stimmen, die eine wirtschaftsfreundlichere Politik fordern. Zu ihnen zählt der neue Chef der Bundesanstalt für Arbeit, Florian Gerster. Doch obwohl der Kanzler unbedingt einen Reformer für diesen Posten wollte, wird Gerster regelmäßig zurückgepfiffen, wenn er am Status quo rüttelt.
Denn eigentlich scheint Schröder mit sich und seiner Arbeit durchaus zufrieden zu sein. In einem Brief an die Genossen stellt er fest: "Unser Land ist wirtschaftlich robuster, moderner, sozial gerechter und weltoffener geworden."
Philipp Holzmann AG
Die Banken waren sich einig: Weil die Frankfurter Philipp Holzmann AG kein tragfähiges Sanierungskonzept vorlegte, weigerten sie sich, weitere Kredite zu gewähren. Am 22. März musste der Vorstand daher Insolvenz wegen Zahlungsunfähigkeit anmelden. Nun zittern 23.000 Mitarbeiter im In- und Ausland um ihren Job. Das 1849 gegründete Traditionsunternehmen war bereits 1999 wegen eines Milliardenloches in die Schieflage geraten. Damals half Bundeskanzler Schröder mit großzügigen Bürgschaftszusagen. Doch der erhoffte Erfolg blieb aus. Ende 2001 wies das Unternehmen bei nur noch 174 Millionen Euro Eigenkapital ein Minus von 237 Millionen Euro aus. cw
Herlitz AG/ Herlitz PBS AG
Das 1904 in Berlin gegründete einstige Familienunternehmen Herlitz hatte es weit gebracht: Nach dem Mauerfall wuchs die frühere Schreibwarengroßhandlung rasch zu einem der führenden Hersteller von Papier-, Büro- und Schreibwaren (PBS) in Europa. Im Umsatzrekordjahr 1997 erzielte das Unternehmen mit 5.400 Mitarbeitern einen Erlös von rund 715 Millionen Euro. Doch dann ging es bergab. 2001 meldete das Unternehmen einen Verlust von 51,5 Millionen Euro. Jetzt weigerten sich die Banken, die mittlerweile schon 70 Prozent des Unternehmens halten, weitere 30 Millionen Euro nachzuschießen. cw
Fairchild Dornier
Fairchild Dornier steckt nicht zum ersten Mal in der Krise. Firmenleitung und Politik glauben denn auch, dass es auch dieses Mal gelingen wird, den trudelnden Flugzeughersteller zu retten, zumal die Auftragsbücher gefüllt sind. Das Unternehmen aus dem bayerischen Oberpfaffenhofen beschäftigt derzeit noch 4.800 Mitarbeiter. Das Management führt die Schieflage vor allem auf die Folgen der Terroranschläge vom 11. September zurück. Nun wird nach einem strategischen Partner gesucht. Nach Daimler und dem US-Flugzeugbauer Fairchild könnte künftig Boeing das Sagen bei Dornier haben. dsi
Mühl AG
Mit der Thüringer Mühl AG steht einer der größten ostdeutschen Konzerne mit rund 3.800 Beschäftigten am Abgrund. Nach monatelangem Tauziehen mit den Gläubigerbanken drehten die Kreditinstitute dem Baudienstleister in der vergangenen Woche den Geldhahn zu. Der Betrieb konnte daraufhin fällige Zinsen nicht mehr leisten. Firmenchef Thomas Wolf will die Geschäfte weiterführen und hofft im Rahmen des Insolvenzverfahrens auf eine kurzfristige Einigung mit den Gläubigerbanken. Heute will er ein entsprechendes Sanierungskonzept vorlegen. Mühl soll bei den Banken rund 250 Millionen Euro Schulden haben. dsi
Kabel New Media
Er wollte von der Alten Pianofabrik im Herzen Hamburgs aus die Welt erobern - Peter Kabel mit seiner Internet-Agentur Kabel New Media. Schon kurz nach dem Börsengang im Juni 1999 begann das Unternehmen zu wuchern: Zum profitablen Hamburger Geschäft, das Firmen wie BMW, Siemens oder Karstadt ins Internet brachte, kamen weltweit ein Dutzend Web-Agenturen hinzu, die Zahl der Mitarbeiter stieg weit über 1.000. Doch die Einkaufstour brach den Hamburgern das Genick - die Übernahmen waren viel zu teuer, die Integrationskosten liefen aus dem Ruder. Im Juni 2001 musste Kabel Insolvenz anmelden. mik