News - 20.11.04 14:02
Im Ausland ist Deutschland Vorbild
Deutschland gilt als ein Vorbild für den Rest Europas. Der Wirtschaft geht es gut, als Standort ist Deutschland attraktiver als Indien oder Osteuropa. Die positive Sicht ausländischer Medien hat wenig gemein mit der selbstkritischen Einschätzung hierzulande.
"What's right with Germany?" titelte das ehrwürdige "Time Magazine" im Juli, die französische Wirtschaftszeitung "Figaro" überschrieb ihren Artikel über den lahmenden Export in Europa mit "Bravo l'Allemagne!". Die "Business Week" schreibt vom "perfekten Szenario für einen Umschwung". Im Ausland ist man davon überzeugt, dass Deutschland wieder - und hier gleichen sich die Formulierungen auf's Wort - "die Lokomotive Europas" wird.
Eine Umfrage der Beratungsfirma Ernst & Young unter 513 Führungskräften ergab jüngst, dass diese Deutschland als "sehr guten" Standort einschätzen. Nach China und den USA sehen sie Deutschland an Nummer drei der attraktivsten Investitionsstandorte. Diese Umfrage wird vom "Time Magazine" zitiert als nur ein Beispiel in einer Geschichte unter der Überschrift "Ein neues Deutschland steigt auf".
Positives unerwünscht
Der Autor Charles P. Wallace, Deutschland-Korrespondent von "Time", hatte bereits federführend die Titelgeschichte der europäischen Ausgabe im Juli dieses Jahres geschrieben. Überschrift: "What's right with Germany". Inhalt: Deutschland wird nach Jahren der Selbstzweifel wiederbelebt.
"Natürlich gibt es kein schwarz-weiß", sagt Wallace. "Man muss wohl nach einem Grau suchen". In einem Artikel mit ähnlicher Aussage vom September schreibt Wallace allerdings schon davon, dass Deutschland davor sei, sich "als wirtschaftlicher Wachstumsmotor Europas" wieder Geltung zu verschaffen.
Beispiele dafür liefert der Text so viele, dass man sich fragt, warum das in Deutschland nicht genauso gesehen wird. Es gebe da vielleicht eine politische Haltung, die das für nicht opportun halte, sagt Wallace. Er habe schon von deutschen Kollegen gehört, die in ihrer Zeitung nicht schreiben durften, dass es dem Lande gut geht.
"Deutsche sind halt so"
Der "Stern" hat das zwar getan. Unter dem Titel "Wir sind besser als wir glauben" ging es im Juni eben um den deutschen Hang zum Selbstmitleid. Kurz darauf folgten allerdings die Titel "Wehe, du wirst arbeitslos" und "Arbeit 2004: Härter, länger, schneller - Deutschlands Arbeitnehmer geraten immer mehr unter Druck".
Schlechte Nachrichten verkaufen sich besser, ist eine Grundregel im Journalismus. Und wenn es mal jemandem gut geht, dann eben den anderen. Daher die Texte in deutschen Medien über die Vorbild-Nachbarn. Das sind dann wahlweise Dänemark, Schweden, Holland oder Slowenien - je nachdem, was gerade besser sein soll. Der Arbeitsmarkt, die Sozialstaatsreform oder Arbeitslosenquote und Produktivität.
Deutsche wollen halt immer an der Spitze stehen, sagt Ludwig Sigele, Deutschlandkorrespondent für das britische Wochenmagazin "Business Week". Wenn sie auch nur auf dem zweiten Platz stehen, sei eigentlich alles schlecht. "Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt", das passt, sagt er. Sigele ist selbst Deutscher, versucht aber, das Land von außen zu sehen. Die (Hartz-) Reformen der vergangenen Monate würden im Ausland äußerst positiv gewertet, die Wirkung registriert. Deutsche dagegen jammerten noch, wenn es schon bergauf ginge.
Deutschland als Vorbild
Der deutsche Manager, der seine Heimat im Ausland schlecht redet, ist schon sprichwörtlich. Warum er das tut, weiß zwar niemand. Seine Kollegen aus anderen Ländern dagegen loben in der Regel ihr eigenes Land ganz ausdrücklich - oder eben Deutschland als attraktiven Standort.
Die Richtung der Auslandskorrespondenten in Deutschland ist ähnlich: Die Belgier fragen in der Zeitung "Trends/Tendances", ob Deutschland mit seinen Reformen nicht vielleicht ein Modell ist, dem man folgen solle, die Franzosen schreiben "Made in Germany - teuer, aber attraktiv" ("La Tribune").
Konsens der Autoren: Deutschland ist mit seinen Reformen auf dem richtigen Weg, man solle sich dem anschließen. So wie deutsche Firmen die ersten waren, die die 35-Stunden-Woche einführten, so seien sie auch die ersten, die diese wieder in Frage stellen. Dem konnte man Anfang der 90er Jahre in die eine Richtung folgen, jetzt könne man ja auch den Rückzieher gemeinsam machen. Der deutsche Export ist dem konservativen "Le Figaro" zufolge das einzige, was den Euro vor dem Fall in die Bedeutungslosigkeit bewahrt hat.
Deutschland-Euphorie kühlt sich ab
Die jüngsten Zahlen zu Wirtschaftswachstum und Arbeitslosigkeit haben die Germanophilie der ausländischen Wirtschaftsblätter zwar wieder leicht abkühlen lassen. Schlechte Nachrichten über den Fall KarstadtQuelle oder Opel haben aber trotzdem, da sind sich alle ausländischen Medien einig, gar nichts mit dem Standort Deutschland zu tun. Auch in Deutschland gibt es Stimmen, die sich vorsichtig optimistisch äußern, über Aussichten und Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland. Wer aber wirklich positives über Deutschland lesen will, sollte ins Ausland schauen.
Quelle: Financial Times Deutschland