Höllers Höllenfahrt
Dem Motivationstrainer droht eine mehrjährige Haftstrafe. Ein Fernsehfilm zeigt, wie ihm die eigenen Erfolgsrezepte zum Verhängnis wurden
Insolvenzverwalter Michael Jaffé kann den Gläubigern Jürgen Höllers wenig Hoffnungen machen. „Es ist kaum Masse da; die Quote wird gering sein“, erklärt er auf Anfrage von FOCUS.
Noch schlechter sieht es aus für jene 250 Anleger (sie gehörten zu den größten Anhängern des Motivationstrainers), die Anfang 2000 rund 2,4 Millionen Euro überwiesen, um sich Aktien von dessen Inline AG zu sichern. Ihnen droht laut Jaffé ein „Totalausfall“. Ihr Idol hatte ihnen einen Kursgewinn von 10 000 Prozent bis zum Jahr 2015 versprochen – doch brachte er seine Firma leider nie an die Börse.
Höller – so wirft ihm jedenfalls die Staatsanwaltschaft Würzburg vor – hat mindestens 900 000 Euro aus diesen Geldern veruntreut, um (wie die Behörde vermutet) seinen aufwändigen Lebensstil zu finanzieren.
Jaffé besitzt zwar eine vollstreckbare Forderung über 800 000 Euro gegen Höller als Privatmann, ist aber skeptisch, „ob da was zurückzuholen ist“.
Hinter Gittern. Dass der Schuldner seine Verbindlichkeiten dank neuer Einkünfte wird begleichen können, ist für die nähere Zukunft eher unwahrscheinlich: Seit einem Monat sitzt der bekannteste deutsche Mentaltrainer in Untersuchungshaft. Der Würzburger Oberstaatsanwalt Clemens Lückemann erwartet eine mehrjährige Freiheitsstrafe ohne Bewährung. Der Prozess wird wohl Mitte nächsten Jahres beginnen.
Der Rest des Anlegergelds versickerte offenbar im ruinösen Inline-Geschäftsbetrieb – doch vielleicht auch anderswo. Jaffé, als Insolvenzverwalter der KirchMedia einer größeren Öffentlichkeit bekannt geworden, untersucht gerade, ob Personen aus dem persönlichen Umfeld des Motivators unzulässige Zahlungen erhalten haben und belangt werden können.
Eine eindrucksvolle 90-minütige Dokumentation über den Mental-Guru und seinen Absturz läuft kommenden Mittwoch im Fernsehen (ARD, 23 Uhr). Die Münchner Filmemacherin Doris Metz wollte ursprünglich den Erfolg Höllers ergründen, indem sie einige seiner Anhänger porträtierte. Mit Zustimmung des Meisters drehte sie ab August 2001 auch auf dessen Veranstaltungen.
Szenen eines Scheiterns. Dabei musste sie feststellen, dass der große Psycho-Zampano im Lauf der Monate immer nervöser wurde – er leistete sich sogar eine Tätlichkeit gegen einen Kameramann (im Film nicht zu sehen). Am Ende der Dreharbeiten – im Februar 2002 – ist Höller bereits pleite, was ihn aber nicht hindert, seinen baldigen Wiederaufstieg anzukündigen.
Doris Metz verzichtet auf jede Kommentierung des Geschehens; die Bilder sprechen für sich, die Selbstenthüllungen der vorgestellten Personen sind aufschlussreich genug.
Die finanziellen und mutmaßlich kriminellen Dimensionen des Falls zu beleuchten, ist nicht das Ziel des Films. Er zeigt aber ausgezeichnet, wie Höller und seine Jünger – um ihre realitätsfernen Ziele zu erreichen – sich mit Absicht etwas vormachen und Zweifel beiseite schieben.
Gezielte Selbstüberschätzung steht im Mittelpunkt von Höllers schlichter Lehre. Er predigt nicht gesunden Optimismus, sondern egomanische Hybris. Erhoffte Erfolge in Beruf und Privatleben sollen durch ein blindes Vertrauen auf ihr Erreichen Wirklichkeit werden.
Bekannt wurde Höller vor allem durch die Mutproben, die er seine Seminarteilnehmer absolvieren ließ und ihnen damit suggerierte, sie könnten „ihre Grenzen sprengen“. Er verlangte von ihnen, barfuß über Scherben zu gehen, einen Käfig mit (zahmen) Tigern zu betreten, Gokart zu fahren oder am Fallschirm aus einem Flugzeug zu springen.
Autosuggestion ist jedoch die zentrale Psychomethode Höllers. Fast beängstigend die Szene, in denen seine Anhänger im Chor „Ich erreiche meine Ziele“ und „Ich bin der Beste“ brüllen; unfreiwillig komisch, wie Kerstin, Nicole und Thomas, drei der Protagonisten des Films, jeweils zu Hause vor dem Badezimmerspiegel Parolen wie „Ich bin begeistert“ und „Ich bin ein Gewinner“ skandieren.
Katrin, eine weitere Hauptperson des Films, umarmt während einer Jogging-Pause den nächsten Baum und ruft immer wieder „Isch liebe misch!“ in den Wald. Danach wechselt die Thüringerin sogar zu „Isch bin glügglisch!“.
Der Film zeigt kleine Selbstständige und Mittelständler, die dank Höllers Rezepten groß herauskommen wollen und für dessen Veranstaltungen, Bücher und Lehrmaterialien fünfstellige D-Mark-Beträge ausgeben.
Es waren nicht die Eliten des Landes, die der Unterfranke erreichte, auch wenn er durch Auftritte von Prominenten auf seinen Veranstaltungen (meist gegen Bezahlung) immer wieder diesen Eindruck zu erwecken suchte. Die Bezeichnung „Management-Trainer“, mit der er sich schmückte, war Prahlerei. Ebenso mit Vorsicht zu genießen sind all die großartigen Erfolgszahlen, die Höller hinausposaunte und die die Medien (mangels unabhängiger Quellen) übernahmen.
Durchhalteparolen. Am Prinzip Selbsttäuschung hielt Höller noch bis zuletzt fest. Dem Pendo-Verlag verkaufte er noch vor seiner Verhaftung ein Buchmanuskript mit dem Titel „Jetzt erst recht“. Die Werber des Eichborn-Verlags, zu dem Pendo gehört, priesen das Werk in einer Ankündigung bereits als „fesselnde Autobiographie eines Mannes, der tief gefallen ist und sich selbst und andere überzeugend aus der Krise führt“.
Auch nach der neuesten Entwicklung des Falls besitzt der Verlag die Dreistigkeit, an dem Projekt festzuhalten. Der Autor werde aus der Zelle einfach weitere Kapitel nachliefern, heißt es. Wer weiß: Vielleicht bringt er darin ja erstmals echte Reue gegenüber den Menschen zum Ausdruck, die er um ihr Geld gebracht hat?
Ganz unvertraut dürfte Höller das Ambiente seines neuen Aufenthaltsorts (Justizvollzugsanstalt Würzburg) nicht sein: Im Jahr 2000 hatte er seine Motivations-Show auch vor Beamten der JVA Hameln und Häftlingen der JVA Vechta abgezogen.
Frank Gerbert