Die Deutsche Bank baut derzeit eine alternative Börse, ein so genanntes Electronic Communication Network (ECN), auf. Für das ehrgeizige Projekt, das spätestens im Jahr 2004 pro Tag
400000 Aufträge vor allem von Privatanlegern und kleineren Institutionellen abwickeln soll, sei ein Investitionsvolumen von 100 Mill. Euro angesetzt. Das erfuhr die Börsen-Zeitung aus Kreisen der Bank. Damit tritt die Deutsche Bank in direkte Konkurrenz zur Deutschen Börse AG, deren Hauptaktionär sie ist. Zudem hat sie gemeinsam mit Goldman die Federführung für das Anfang 2001 geplanten IPO der Börse inne.
Unter dem Motto "revolutionizing the trade" wird das Projekt derzeit Direktbrokern präsentiert. Ebenfalls 2004 sollen europaweit rund 200 Banken an die außerbörsliche Plattform angebunden sein. Bereits Ende kommenden Jahres sollen rund 100 Mitarbeiter, davon 80 bis 90 Händler, aus Frankfurt für die notwendige Liquidität sorgen. Wie die Börsen-Zeitung weiter erfuhr, möchte die Deutsche Bank bis zu 2000 deutsche und ausländische Aktien von 8 bis 23 Uhr im Market-Making-System quotieren. Es sei geplant, eines Tages die europäischen Aktien aus Frankfurt und die amerikanischen Titel über den jüngst erworbenen US-Broker National Discount Broker zu handeln. Nach internen Berechnungen soll das Projekt bereits Ende kommenden Jahres profitabel arbeiten. In Frankfurt zeichnen Peter Musiol und Jürgen Bolz verantwortlich.
Die Pläne wollte ein Sprecher der Bank am Freitag nicht kommentieren. Das Prinzip der Handelsplattform funktioniert wie folgt: Die Deutsche Bank versucht, so viel wie möglich "uninformierten" Orderflow auf ihr System umzuleiten. Alle Geschäfte werden gegen die Deutsche Bank ausgeführt und sollten im Idealfall gar nicht mehr mit der Börse und ihren Abwicklungsorganisationen in Berührung kommen. Denn die Deutsche Bank plant neben der Handelsplattform eine hausinterne Abwicklung und Aufbewahrung der Aktien, so dass die berüchtigt hohen grenzüberschreitenden Abwicklungskosten drastisch reduziert werden könnten. Sie soll sogar bereit sein, den Direktbrokern Geld für Orderflow zu zahlen. Denn das Market-Maker-System rechnet sich nur, wenn die Flows ausreichend groß sind. Verdient wird nämlich am Spread, den die Deutsche Bank als Market Maker für das Quotieren der An- und Verkaufskurse verlangt. Des Weiteren erhält die Bank aufgrund der hereinströmenden Privatanleger-Order Informationen, die sie Gewinn bringend gegenüber ihren Mitwettbewerbern einsetzen kann.
Obwohl die Deutsche Bank derzeit bereits kräftig für ihre Plattform trommelt, sind noch einige rechtliche Fragen offen. Bislang muss der Direktbroker den Auftrag des Kunden an den Handelsplatz weiterleiten, wo er die Gewissheit auf beste Ausführung hat, oder der Kunde bestimmt selber, wo er seine Order ausgeführt haben möchte. Die meisten Online-Broker in Deutschland lassen den Kunden entscheiden, auf welcher Plattform bzw. Börse er seine Order ausführen möchte. Die Deutsche Bank soll darauf spekulieren, dass diese Regelung im vierten Finanzmarkförderungsgesetz fällt, so dass sie direkt den gesamten Orderflow der verkaufswilligen Direktbroker kaufen kann, hieß es.